Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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März 2002
The black Knight
von Petra Lehrmann



In dieser Nacht wĂŒrde der Junge einen Gott bestehlen.
Sein Bruder, ein Jahr mehr von der Heirat entfernt, schlich hinter ihm her. Er war wie ein Schatten fĂŒr den Jungen.
Sie schritten weiter voran, an den Baumriesen vorbei. Der GrĂ¶ĂŸere fĂŒhrte den Kleinen und sie versuchten keinen LĂ€rm zu machen in diesem unheimlichen Wald.
"Grauauge. Vater hat's verboten."
Der Ă€ltere Junge zischte zurĂŒck: "Ich weiß."
Sein Bruder trat auf einen Zweig und der krachende Laut trieb wie das Donnergrollen vor einem Gewitter durch die einsame Gegend. Beide Kinder hielten angstvoll inne und lauschten. Vor ihnen raschelte etwas im GebĂŒsch. Ein dunkler Kater sprang hervor und huschte einen Baum herauf. Dann Stille.
Dunkel erinnerte sich der kleine Bruder an das Festgelage, welches gerade auf der Burg stattfand, als wĂ€re es schon eine Ewigkeit her. Er drehte den Kopf und sah zurĂŒck, in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Merkte er nicht den schwachen Schein, der noch auf die schwarzen vermoderten BlĂ€tter fiel? Das warme Feuer des gemĂŒtlichen Heims, zur Seiten seines Vaters sitzend, hier und dort einen Tropfen des sĂŒĂŸen Weins erhaschend?
Die Enge des Waldes umschlang ihn und drĂŒckte wie eine eiserne Faust den Brustkorb zusammen. Er rang nach Luft.
"Da! Wir haben es gleich geschafft. Ich wollte es schon immer wissen, wie es so ist!" flĂŒsterte Grauauge vor ihm und legte an Schritt zu. Er selbst kam kaum noch mit dem rennenden Jungen mit. Keuchend holte er ihn ein und prallte unsanft auf dessen RĂŒcken. Wieso war er plötzlich stehen geblieben? Er konnte auch keinen Deut besser sehen, je mehr sie doch auf die Lichtung zuschritten.
Grauauges' linke Hand bedeutete dem Kleinen ihm weiter zu folgen. Sie zitterte leicht. Schon fragte der jĂŒngere sich, ob es eine so gute Idee gewesen wĂ€re, hierher zu kommen.
(Doch als Grauauge sich zu ihm drehte und er in dessen grĂŒnes und graues Auge blickte, erkannte er die Antwort. WĂ€ren sie nicht heute gegangen, wĂ€re es doch trotzdem passiert. FrĂŒher oder spĂ€ter. Er erblickte ein Feuer in diesen Augen, welches seine Seele verschlingen konnte, und welches einen Gott zu bestehlen vermochte.)
Sie traten auf die verbotene Lichtung des Waldes. Ihre Eltern hatten sie immer gewarnt. Nur einmal in einer ganzen Mondlaufbahn durfte ein AusgewĂ€hlter hierher. Und meistens kam er nicht zurĂŒck. Was er hier machte, wusste keines von den Kindern auf der Burg. Die Erwachsenen erzĂ€hlen ja nichts. Außer AmmenmĂ€rchen um Kobolde und dergleichen. Jeder wusste doch, dass es solche nicht gab.
DafĂŒr, dass sie mit Fabelwesen bevölkert sein sollte, unterschied die Lichtung sich nicht sehr von allen anderen Lichtungen im Wald. Die BĂ€ume verwoben sich ĂŒber den beiden Jungen miteinander. Ihre festen DĂ€cher ließen den vollen, runden Mond nicht bis auf den Boden durch. Sie drohten mit ihren knorrigen Ästen und stöhnten, als der aufkommende Wind an ihnen zerrte.
Bald schon war das Heulen des Windes lauter als ihre eigenen hauchdĂŒnnen Jungenstimmen im Wald.
Der JĂŒngere hielt sich fest an einem Stamm, Grauauge stand staunend auf der Lichtung. Von dort glomm ein rötliches Licht auf und bedeckte alle umliegenden BĂ€ume mit seinem Schimmer.
"Warte! Vater hat's doch verboten!" Die warnenden Worte des jĂŒngeren verhallten ungehört und der Wind riss sie mit sich fort.
Er wollte seinem Bruder nacheilen, doch als der Junge einen Schritt auf die rotbraune Erde setzte, ging ein Zittern durch den Boden und er spaltete sich. Rot glomm es auch aus diesem Riss hervor, zusammen mit einem stechenden Geruch nach Feuer, Holz und Schwefel. Der Junge schreckte zurĂŒck. Sein Bruder schien nichts davon zu bemerken. Er schritt weiter langsam auf die Mitte der Lichtung zu. Der Himmel war schwarz. Der Mond versteckte sein Antlitz vor dem Grauen, welches sich auf der Erde entfaltete.
Immer mehr Risse gesellten sich zu dem einen, der von dem Fuß des kleinen Jungen ausging.Der wich zurĂŒck und verbarg sich hinter einigen Hoyaka-BĂŒschen. Dann folgte dem heulenden Wind hinter seinem RĂŒcken ein dumpfer Knall. Das Rumpeln und PlĂ€tschern von Wasser nahm bald sein ganzes Hörvermögen ein. Es wechselte sich abrupt mit dem Wind ab und ehe er sich versah, war er in Mitten der Wassermassen, die durch den Wald eine Schneise brachen. Mit einem erstickten Laut wurde er von seinem Bruder fortgerissen. Er tauchte in die nachtschwarzen Fluten ein. Jedes mal, wenn er wieder durch die gurgelnde OberflĂ€che stieß, um keuchend und schnaufend Luft zu holen, musste er aufpassen, dass keiner der umherschießenden BaumstĂ€mme ihn traf. Als es schließlich doch passierte, entglitt ihm das Bewusstsein und er verlor sich in den Fluten.

Grauauge war nun fast in der Mitte der Lichtung angekommen. Als er sich nun umsah, bemerkte er, dass sich diese Lichtung gewaltig von den anderen unterschied. Die BĂ€ume besaßen nicht alle den gleichen Rang. Sie schlossen nicht in einer Reihe den Wald ab, wie er es so oft schon gesehen hatte. FĂŒnf hohe Eichen ragten aus dem Dunkel hervor und glĂŒhten rotgolden.
Grauauge richtete seinen Blick gen Himmel, um dort die Sterne zu beobachten und an ihrem Bild vielleicht herauszubekommen, was dieses Schauspiel sollte. Doch was er sah, verschlug ihm ein weiteres Mal den Atem. Von den höchsten Zweigen der fĂŒnf BĂ€ume wob sich aus der Energie von Zauberern ein rotgoldenes, feines Netz zu jedem anderen der Wipfel.
In dem sich entwickelnden Pentagramm sah Grauauge SchĂ€tze sich spiegeln, die er schöner noch nie zuvor gesehen hatte. Er blickte zur Erde und auf den Riss in ihr. Es war auf einmal totenstill. Er beugte sich hinab. Mit seiner Hand griff er nach spinnendĂŒrren FĂ€den, welche die SchĂ€tze umspannten. Er zog ein Geschmeide hervor, hielt es vorsichtig und achtungsvoll in den HĂ€nden und ließ seine Finger sanft darĂŒber gleiten. Es nahm ihn mit seiner schlichten Pracht vollkommen gefangen. Die Rubine schienen grad so, dass sie nicht ĂŒberladen wirkten an dem dĂŒnnen Goldband. Die Smaragdsplitter waren so dĂŒnn, dass sie sich in das goldene Band gewirkt, um einen jeden Arm schmiegten.
Dann sah er Kronen an sich vorbeiziehen, Zepter, GewÀnder. Nicht einmal ein König, der mit den Göttern im Bunde war, hÀtte solche Dinge fertigen lassen können.
Grauauge steckte das Geschmeide in seine Tasche, es wĂŒrde ein schönes Geschenk fĂŒr seine Mutter sein. Und sein Vater wĂŒrde ihm keine Schelte geben, da er so schönen Schmuck mitgebracht hatte.
Plötzlich schossen rote FontĂ€nen aus dem Riss in die Höhe. Er sprang erschrocken fort und kletterte auf einen der BĂ€ume. Ein GebrĂŒll und Getose erhob sich, und Grauauge stellte fest, dass er gerade noch zur rechten Zeit auf den Baum geflĂŒchtet war.
Ein riesiger Fluss brach durch die BÀume und ergoss sich in der Lichtung wie ein wildes Tier. Rauch entwickelte sich blitzschnell, als das schwarze Wasser auf den feurigen Riss traf. Fern hörte Grauauge die erstickten Schreie seines Bruders.
Er spĂŒrte wie die WĂ€rme des Vulkans noch weiter stieg. Es schien genau unter ihm hervorzukommen, so als verwandelte sich der Boden in eine SĂ€ule aus Feuer. Nicht mal das Wasser konnte die Hitze mindern, vielmehr brodelte es und zischte, verschwand nach einigen bangen Minuten und hinterließ nur ein TrĂŒmmerfeld von Holz, Matsch und einer in sich verkrĂŒmmten Gestalt, die kaum noch atmete. Als Grauauge dessen gewahr wurde, sprang er hinunter und rannte zu seinem Bruder.
„Bruder“, flĂŒsterte seine erstickte Stimme, „Das wollte ich nicht...!“
Er bemerkte nicht, dass der Mond verdunkelt wurde von einem riesigen Schatten. Er saß nur da, wiegte den Kopf seines Bruders im Schoß und weinte lautlos vor sich hin.
Eine mĂ€chtige Stimme dröhnte auf einmal um die beiden Jungen herum, das Feuer flackerte wieder auf und bedeckte die TrĂŒmmer mit einem unruhigen Licht.
„Wer bist du, dass du es wagst, hierher zu kommen und die SchĂ€tze zu nehmen?“
Grauauge sah nicht auf.
„Ich bin ein Niemand, Herr“, er schluckte schwer, „Ein Niemand ohne meinen Bruder.“
Er strich ĂŒber das nasse Haar seines lebenslangen GefĂ€hrten, der leise röchelte. Grauauge zog seine Hand zurĂŒck und fand Blut an ihr kleben.
„Dein Bruder? Der, der dort liegt?“
Grauauge nickte matt. Er hörte ein leises Flappen und dann ein GerĂ€usch, als wĂŒrde Pergament fein sĂ€uberlich auf einem Haufen zusammengelegt. Diesmal sprach eine weibliche Stimme ihn an.
„Du bist dir gewahr, dass du die SchĂ€tze des Drachengottes Kahr versucht hast du stehlen?“
Grauauge nickte wiederum. Er versuchte keine AusflĂŒchte zu geben, dafĂŒr war es jetzt wahrlich zu spĂ€t.
„Ich habe versucht, meinem Vater zu imponieren, und das einzige, was ich vorweisen kann, ist ein Bruder, der bald fortgehen wird.“
Dann sah er das erste Mal hinauf zu den Besitzern der Stimmen.
Er musste sein Auge zukneifen, als er die Gestalten durch das immer noch leicht lodernde Feuer ansehen wollte. Ein bronzener und ein goldener Drache, jeder einzigartig in seiner Gestalt. Anmutig, weise und wissbegierig. Grauauge wusste, dass es gute Drachen warten. Es war ihm von klein auf beigebracht worden. Und wie er da so saß, war er irgendwie erleichtert, nicht einen ihrer blauen, grĂŒnen, schwarzen oder roten Artgenossen begegnet zu sein. Er wĂ€re fĂŒr diese Drachen leichte Beute gewesen.
Das Weibchen neigte ihren Kopf zu ihm herunter und ihm stieg ihren wohltuender Geruch in die Nase. Sie roch nach Butterblumen und Holz und ein kleinwenig nach den wilden Tieren. Er kannte den Geruch von wildem Tier aus der KĂŒche, wenn ein gerade erlegter Hirsch zubereitet wurde.
Er sah ihre glĂ€nzenden, hellblauen Augen an, und wie in Trance streckte er seine Hand aus und berĂŒhrte ihre schwarzblĂ€ulich umrandeten Schuppen. Die Drachin lachte leise auf und sagte: „Nun, das kitzelt. Lass es lieber, oder hier zieht gleich Nebel auf. Das ist meine Odemwaffe.“
Sie zog ihren Kopf wieder zurĂŒck und sah ihren Begleiter an. Sie unterhielten sie sich auf subtile Weise mit ihren Augen und knurrenden Lauten.
Dann sprach der mĂ€nnliche Drache wieder. Seine gelben Augen leuchteten auf und aus seinem Rachen zĂŒngelten kleine Flammen.
„Kahr wird es nicht mögen, aber wir werden dich gehen lassen und deinen Bruder heilen. Aber nur, wenn du dein Leben dem Drachengott widmest.“
Grauauge schĂŒttelte den Kopf. „Wir sind doch Euruth verpflichtet. Er ist der unsrige Gott.“
Der goldene Drache bewegte sich leicht und Grauauge musste seinen Blick abwenden, denn das Glitzern der Drachen-Schuppen stach in seinem Auge und ließ Schatten tanzen.
„Nein, du bist Gottlos – du hast versucht, einen Gott zu bestehlen. Du wirst uns dienen und jeden Sonnenzyklus an einer der OpferstĂ€tten fĂŒr Kahr dein Gold und deine Edelsteine ablegen. Und glaube ja nicht, dass du uns tĂ€uschen kannst. Wir werden wissen, wenn du uns nicht alles bringst. Außerdem fordern wir in jedem Mondzyklus den besten Hirsch, den du erlegst. Sei dir kein Hirsch gnĂ€dig, dann bringe uns eines der Tomar-Rinder mit ihrem seidigen Fell.“
Grauauge sah sie hart an und nickte dann. „Ich schwöre bei meinem Blut, dass ich euch gehören werde, bis an das Ende meiner Tage!“
Die bronzene Drachin beugte sich nochmals zu ihm herunter. Sie nickte: „So ist’s recht.“
Dann blies sie einen sanften Wind ĂŒber den am Boden liegenden Verwundeten. Grauauge bedeutete sie, sich neben seinen Bruder zu legen und die Augen zu schließen.
Grauauge ging von dem Tag an verschlossen durch die Welt. Er kannte schon jetzt seinen Namen, den er einmal tragen wĂŒrde: der schwarze Ritter. Sein Bruder hatte ihn einmal so genannt, es war schon lange her. Er blickte auf seinen Bruder hinab mit tiefer Liebe im Auge und schloss es.
Als er es wieder öffnete, war er zu Hause in seinem Bett. Er sprang auf und lief zu dem offenen Burgfenster. Er sah hinaus in die sternklare Nacht, sein Herz jubilierte – es war doch alles nur ein Traum gewesen. Dann wandte er sich zurĂŒck zu seinem Schlafgemach und sein Auge glitt ĂŒber seinen Bruder. Kalt wurde es ihm ums Herz und er sprang auf das Bett zu. Sein Herz hĂ€mmerte wie wild in seiner Brust, doch als er seinen Bruder ruhig atmend dort liegen sah, entspannte er sich.
Er glitt zurĂŒck in sein Bett, drehte sich auf seine rechte Seite und ließ noch einen letzten Blick auf den Tisch neben seinem Bett fallen, auf dem der Krug mit Wasser stand, wenn er des nachts durstig wĂ€re. Er riss sein Auge weit auf. Seine Hand tastete sich zu dem Tischlein hin und fuhr ĂŒber das ungewohnte Amulett, welches dort lag.
Eine eingefasste Drachenschuppe. Sie glĂ€nzte bronzen im fahlen Licht des Mondes, ihre RĂ€nder fĂ€rbten sich blauschwarz. Unbewusst legte er es sich um und nickte. Es war gut so, wie es passiert war. Und wie aus weiter ferne hörte er die Drachin sagen: „Denke an deinen Schwur!“

(c) Petra Lehrmann

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