Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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März 2002
ARDUENNA & CONLAI
von Gudrun Gülden


Finster erstreckte sich der Buchenwald vor dem Felsenplateau. Der Mond stand im Zeichen des Efeus. Kreisrund leuchtete er über den Wipfeln, doch kein Lichtstrahl drang durch das grabesdunkle Gehölz. Gleich einem Kugelblitz schoss ein weißes Pferd mit einer nur schemenhaft erkennbaren Reiterin über den Weg am Waldesrand. Ihr langes Haar wehte hinter ihr wie ein nicht eingehaltenes Versprechen, an ihrer Hüfte flimmerte im fahlen Licht ein gebogenes Schwert. In einigen Pferdelängen Abstand folgte ihr ein gewaltiger Grauschimmel, auf dem eine silbrige Gestalt zu erkennen war. Dumpf dröhnte das Donnern der Hufe auf dem Waldboden, rhythmisch schnaubten die Pferde durch die geblähten Nüstern. Aus dem Wald klang Wispern und Knarren wie eine düstere Vorahnung. Am Kohlenmeiler lenkte die Reiterin ihr Pferd auf den felsigen Bergpfad. Trotz der Steigung verlor sie kein Tempo. Feuersteine blinkten im Mondschein, schlugen Funken unter den harten Hufschlägen. Neben dem Weg gurgelte ein Bach den Berg herunter, das ewige Lied der alten Welt murmelnd. Erst auf dem Plateau endete der wilde Ritt. Die Reiterin sprang vom Pferd und riss sich die Kleidung vom Leib. Entblößt stand sie auf dem Plateau, nur noch bedeckt von ihrem dunklen Haar. Ihre milchweiße Haut zog das Mondlicht an und warf einen diffusen Lichtkreis um sie herum. Sie nahm ihr Schwert in die Hand, streckte den Arm in die Höhe und stieß den Schlachtruf der Rache aus. Weit hallte der Schrei ins Tal, über die Grenzen des schlafenden Dorfes hinweg, an den Sümpfen entlang, hinein ins Reich des Feindes. Am Rande des Plateaus stand der silberne Reiter, aufmerksam und lautlos.

In An Blyrheán traf man Vorbereitungen für Samhain, das Totenfest. Der dünne Schleier, der das Diesseits von der „Anderen Welt“ trennte, hob sich nur einmal im Jahr. Dann kamen die Geister hervor und traten in die Welt der Lebenden ein. Dieses Jahr waren die Dorfbewohner von einer besonderen Unruhe erfasst. Der Tag des großen Unglücks jährte sich zum ersten Mal. Der Druide hatte die Steine geworfen und beunruhigende Dinge gesehen. Er riet Arduenna, der Dorfobersten, besondere Vorkehrungen zu treffen. Aufgebracht war sie aus seiner Hütte gestürmt, wütend über die Machtlosigkeit ihre Stammes.
Arduenna Cer Nunn war die Letzte ihres Geschlechts. Ihre Familie war vor drei Jahren dahingemeuchelt worden. Fürst Lugaid Mac Cúroi wollte sich das Nachbardorf samt der Erzsümpfe einverleiben und hatte seine Truppen am Abend des Totenfestes entsandt. Es war Brauch, am Abend des Festes die Türen zu den Hütten aufzulassen, um die Seelen der Verstorbenen willkommen zu heißen. Jedermann verkroch sich früh ins warme Bett, denn die Toten schätzten es nicht, von den Lebenden betrachtet zu werden. An jenem Abend kamen nicht die Ahnen der Dorfbewohner, sondern die Truppen des Fürsten. Ihre Körper waren blau angemalt, die Haare mit Kreidewasser furchterregend hochgeputzt. Sie fanden leicht Einlass und nutzten das Chaos dieser Nacht für ihre Zwecke. Wie Dämonen fielen sie über das Dorf her und schändeten die Heiligkeit von Samhain. Jedes Mitglied von Arduennas Familie erlitt den rituellen dreifachen Tod. Mit einem Langschwert durchstießen Lugaids Leute zunächst die Bäuche. Dann enthaupteten sie ihre Opfer, um ihrer Seelen habhaft zu werden. Am Ende wurden die kopflosen Körper ins Feuer ihrer Häuser geschmissen. Die abgeschlagenen Köpfe banden Lugaids Kämpfer ihren Pferden um die Hälse und jagten in fiebriger Besessenheit zurück. Arduenna überlebte als einzige der Cur Nanns. Lugaids Leute hatten Befehl, sie nicht zu töten, sondern als Geisel mitzubringen. Ihre Schönheit und Wildheit waren über die Grenzen des Reiches hinaus legendär. Ihre Haut war weiß und rein wie die Nebel am Wasserfall Emain Ablach. Ihr lockiges Haar fiel üppig bis zu den Hüften und glühte rostfarben wie die Erzsteine in den Sümpfen vorm Dorf. Sie ritt wie ein Teufel und man munkelte, dass sie die Sprache der Pferde verstünde. Schon mit 16 Jahren war sie hochgewachsen und kräftig wie die Krieger ihres Stammes und konnte beeindruckend gut mit dem Schwert umgehen. Doch in der Nacht des Überfalls musste sie zusehen, wie ihr Leben in Stücke gehauen wurde. Sie kämpfte wütend wie eine führende Bache und nicht wenige fielen ihr zum Opfer. Letztendlich gelang es vier Kriegern, sie festzuhalten.
Dann passierte das Wunder. In ihrer höchsten Not schrie sie und für einen Herzschlag lang hörte die Welt auf sich zu drehen. Die Menge teilte sich und ein riesiger Grauschimmel preschte zur Mitte des Dorfes. Auf dem Ross saß ein Mann in silberdurchwirktem Gewand. Er lenkte sein Pferd zu Arduenna und als sei sie leicht wie eine Gänsefeder, hob er sie vor sich auf sein Ross. Dann rasten sie davon. Erst als der letzte Todesschrei ihrer Sippe in den Schluchten verhallt und das letzte Feuer im Dorf verglüht war, kamen die beiden zurück. Seit dem Tag war Arduenna die Herrscherin von An Blyrheán. Nicht einen Augenschlag lang ließ Conlai, der silberne Reiter, sie aus den Augen. Im Dorf nannten sie ihn den „Stimmlosen“, denn kein Wort drang je durch seine bleichen Lippen. Treu und still wie ein Schatten folgte er Arduenna Schritt auf Tritt. Des Nachts wachte er auf der alten Eiche vor ihrer Hütte. Niemand hatte ihn je schlafen oder essen sehen.
Es kamen schwere Zeiten auf die Dorfbewohner zu. Einst war An Blyrheán über die Grenzen des Inselreichs hinaus berühmt für seine hervorragenden Schmiedehandwerker. Die schärfsten Schwerter der neuen Zeit wurden hier von geschickten Handwerkern gefertigt. Mit Ehrfurcht kamen die Fremden und sahen, wie russgeschwärzte Gestalten aus schmutzigem Gestein blinkende Schwerter zauberten. Das Dorf war erfüllt von dem Fauchen der Blasebälge und den stiebenden Funken der heiß brennenden Feuer. Doch nach dem Überfall stellte Lugaid dreiköpfige Söldnerdrachen vor die „Roten Sümpfe“. Wo einst die Schmiede Sumpferz für die Waffenschmieden holten, wachten nun die Rauch ausstoßenden Bestien. Keiner aus dem Dorf wagte sich mehr zu den Erzlagern. Nach und nach verglimmten die Feuer in den Schmiedehütten.
Arduenna wusste auch ohne die Mahnung des Druiden, dass sie schnell handeln musste. Doch sie hatten nicht genug Waffen, um sich gegen einen Angriff zu wehren und ohne Eisenerz konnten sie auch keine Schwerter herstellen. Ruhelos ging sie in ihrer Hütte auf und ab. Durch die geöffnete Tür sah sie Conlai. Er lehnte an der Eiche und schaute sie aus seinen dunklen Augen an.
„Ich werde mich niemals ergeben!“, stieß sie wütend heraus. „Lieber sterbe ich.“
Conlai schüttelte sanft den Kopf und gebot ihr mit einem Handzeichen, Ruhe zu bewahren.
Der Abend der Totenfeier kam. Überall im Dorf bleckten schauerliche Masken in den Fenstern ihre Zähne, um die bösen Geister abzuschrecken. Kein Mensch befand sich auf den Wegen, auch das Vieh schien vom Erdboden verschwunden zu sein. Arduenna wusste, dass dieser Tag die Entscheidung bringen würde. Kampfeslust erfüllte ihr Herz. Sie zog ihr eisernes Hemd an und legte den Gürtel mit dem gebogenen Schwert um. Sie hörte Geräusche vor der Hütte. Conlai stand mit den Pferden vor ihrer Tür und winkte sie heran. Er bedeutete ihr aufzusteigen. Sie ritten gegen Osten. Je länger sie unterwegs waren, desto unbehaglicher wurde Arduenna zu Mute, denn sie näherten sich den Wasserfällen von Emain Ablach. Das war kein sicherer Ort. Emain Ablach galt als das bedeutendste Tor zur „Anderen Welt“ und gerade an Samhain war der Transfer zwischen dieser und der „Anderen Welt“ besonders intensiv. Die Alten sprachen von furchterregenden Dämonen, die in dieser Nacht aus diesem Tor kamen, um ihr Unwesen zu treiben. So manch ein Säugling war an Samhain verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Dennoch schien Conlai genau dort hinzureiten. Sie schimpfte und zeterte mit ihm, aber heute schien er nicht nur stumm, sondern auch taub zu sein. Sie hörte schon aus der Ferne das Rauschen des Wasserfalls. Nebelschleier stiegen auf. Schnell verdichtete sich der Nebel und Arduenna konnte die Hand vor den Augen nicht mehr sehen. Ihr Pferd schien den Weg zu kennen, sicher setzte es die Hufe auf den schmalen Weg. Arduenna rief nach Conlai, doch er zeigte sich nicht. Das Tosen wurde immer lauter, es kam nun aus allen Richtungen. Der Nebel formte sich zu gespenstischen Trugbildern. Arduenna spürte Wassertropfen auf ihrem Gesicht. Zu ihrer Überraschung waren sie nicht kalt, sondern angenehm warm und prickelnd. Auf einmal löste sich der Nebel auf. Arduenna stand auf einer glitzernden Frühlingswiese. Ihr Pferd war verschwunden. Kleine Kobolde schossen auf sie zu und zogen Fratzen. Sie sah Conlai und ging auf ihn zu. Ihre Füße berührten kaum die Grasspitzen, leicht wie ein Blütenblatt schwebte sie über der Wiese. Sie hörte eine Stimme.
„Arduenna, hörst Du mich?“
Wer sprach hier zu ihr? Conlai hatte seine Lippen nicht bewegt.
„Ich bin es, Conlai. Wir sind in der „Anderen Welt“. Hier kannst Du meine Gedanken hören. Hab keine Angst, uns wird nichts Böses geschehen. Ich komme aus dieser Welt.“
„Du bist kein Mensch?“, rief Arduenna überrascht.
„Mein Vater war ein Mensch, meine Mutter ist Aoifa aus dem Land der Schatten, einem Königreich der „Anderen Welt“. Ich wuchs hier auf. Mit 18 Jahren war ich ein tapferer Krieger. Ich verließ das Schattenland, um meinen Vater zu suchen. Ich fand ihn in Ulster. Er kämpfte mit mir, ohne zu wissen, dass ich sein Sohn war. Es war mein Schicksal, vom eigenen Vater getötet zu werden. Er jagte mir einen Speer in den Leib.“
„Aber, Du lebst doch? Oder bist Du etwa ein...“, Arduenna wagte nicht, das grauenerregende Wort auszusprechen.
„Nein, ich bin kein Untoter.“ beruhigte sie Conlai. Er lächelte sie an. „Meine Mutter nahm meinen leblosen Körper und brachte ihn in die „Andere Welt“ zu Bran, dem Gesegneten. Dort befindet sich der Kessel, der Tote wieder zum Leben erweckt. Bei Sonnenuntergang wurde ich in den Kessel hineingeworfen, am nächsten Morgen lebte ich wieder. Zu sprechen vermochte ich danach nicht mehr.“
„Du warst im Wunderkessel der Tuatha de Danann.“ Arduenna durchströmte ein Gefühl von Ehrfurcht. „Warum hast Du mich gerettet?“
„Alle Wesen der „Anderen Welt“ waren in größter Empörung über den Frevel Lugaids, in der Nacht zu Samhain einen Kriegszug zu starten. Ich war Gesandter von Arawn, dem Herrscher von Emain Ablach. Ich kam zu spät, um das Massaker zu stoppen. Zum Glück kam ich nicht zu spät, um Dich zu retten.“
„Was tun wir hier?“, fragte Arduenna.
„Die Zeit der Rache ist gekommen. Lugaid wird für seine Untaten in dieser Nacht büßen. Seine Leute warten im Wald vorm Felsplateau. Nach Mitternacht wollen sie das Dorf überfallen.“
„Wir müssen zurück!“ rief Arduenna beunruhigt.
„Keine Sorge, wir haben Zeit.“ Conlai zog ein verheißungsvolles Gesicht.

Lugaids Männer irrten seit geraumer Zeit durch den Wald. Es war stockfinster, obwohl der Mond hell am Firmament stand, drang kein Lichtstrahl durch die Baumkronen. Lugaid hatte ihnen vor dem Kampf einen Kessel Met spendiert, damit sie sich Mut antrinken konnten. Der Met vernebelte ihnen jedoch die Sinne und rumorte ungemütlich in den Därmen. Seit Stunden taumelten sie durch den Wald und suchten den Weg nach An Blyrheán. Schon dreimal waren sie an der gleichen Wegkreuzung gelandet. Bäume stellten sich ihnen in den Weg, Äste wuchsen zu dünnen Fingern, die an den Mänteln der Männer zupften. Unmut und Angst machten sich breit. „Lasst uns zurückgehen.“ riefen sie. „Wir wollen in dieser Nacht nicht kämpfen!“ In ihrer Furcht liefen sie in alle Richtungen, doch sie trafen sich immer wieder an der gleichen Gabelung. Dann hörten sie einen Schrei, der ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Lugaid saß bequem vor dem prasselnden Feuer. Voller Vorfreude erwartete er seine Leute zurück, mit den Köpfen seiner Rivalen und der schönen Arduenna als Beute. Vom Schlosshof klang eine Harfe. Eine dunkle Kralle griff in seine Brust. Er kannte diese Melodie. Er schaute aus dem Fenster und traute seinen Augen nicht. Auf seinem Hof waren unzählige Wesen der „Anderen Welt“ versammelt. Feen, Elfen, Kobolde, Geister und Dämonen - vereinigt standen sie auf seinem Hof. Schwer beladen mit den Waffen, die die Menschen den Toten mit ins Grab geben. Seine Leibgarde lag abgeschlachtet auf blutigem Gras. Über ihnen kreisten kupferrote Vögel unter der Führung eines dreiköpfigen Aasgeiers. Unmittelbar unter seinem Fenster saß Arduenna Cer Nann und spielte auf einer silbernen Harfe das Totenlied von Emain Ablach. Vergeblich rief Lugaid nach Hilfe. Kalte Furcht ergriff sein Herz. Er rannte aus dem Kaminzimmer hinunter zu den Kellern. Bei den Totenschädeln seiner Feinde würde er Schutz finden. Er schlüpfte durch das schwere Gewölbetor und eilte die glitschigen Treppen hinunter zu dem Schrein mit den Trophäen. Vor dem Totenschrein stand eine silberne Gestalt, die weder Mensch noch Geist zu sein schien. Die Gestalt holte die Schädel der Cur Nanns vom Schrein, einen nach den anderen. Lugaid stürzte sich auf ihn. Plötzlich hörte er eine Stimme hinter sich. Er drehte sich um.
„Die Stunde der Vergeltung ist gekommen.“ Arduenna stand aufrecht vor ihm. Ihr Schwert bebte in ihrer Rechten. Sie holte kräftig aus und schlug Lugaids Kopf mit einem Schlag ab. Sie nahm den abgehauenen Schädel an den Haaren und bedeutete Conlai mit einem Kopfnicken, ihr zu folgen.
Stolz kehrten Arduenna und Conlai nach An Blyrheán zurück. Sie legten die eroberten Schädel in die Grabstätte der Cer Nunns und gaben den Toten so ihre Kraft und Weisheit zurück.
Frieden kehrte ins Dorf ein und mit den wieder entfachten Schmiedefeuern auch Wohlstand. Arduenna war viele Erdenjahre uneingeschränkte Herrin über zwei Stämme, fügsam hatte sich die Sippe Lugaids ihr angeschlossen.
Conlai verlegte sein Lager von der Eiche zur Schlafstatt Arduennas. Jedes Jahr am Abend des Totenfestes sah man sie gemeinsam zu den Wasserfällen von Emain Ablach reiten.

(c) Gudrun Gülden

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