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April 2002
In der Straßenbahn
von Klaus Eylmann


Stoßverkehr in Berlin. Ein kleiner Wagen hielt vor einer Ampel. Der Mann im Fahrzeug blickte ausdruckslos durch die Scheibe, wartete auf GrĂŒn, ‘das Leben geht weiter - das Leben geht weiter
’, eine Endlosschleife in seinem Hirn. Im Fond tobten Maike und Thorsten, fĂŒnf und sieben Jahre alt. Sie hatten sich ĂŒberraschend schnell mit dem Tod ihrer Mutter abgefunden, die vor einem Monat gestorben war. Ihm, Frank Holter, fiel es nicht so leicht. GrĂŒn. Der Fiesta fuhr an, bog nach einigen Minuten ab und verschwand in einer großen Halle. Kurz darauf schob sich ein Triebwagen aus dem Straßenbahndepot und nahm Fahrt auf.
“Papi, wie weit ist es noch bis zu Oma?” Maike saß auf der ersten Bank, blickte durch das Fenster, sah, wie Menschen auf dem Fußweg, wie GeschĂ€fte an ihr vorĂŒberzogen, dann drehte sie sich Thorsten zu und griff nach seinem Gameboy.
“Laß mich mal!”
Thorsten hielt das Spiel fest. “Dazu bist du noch zu klein.”
“Drei Stationen noch. – Blödmann!” Frank schellte. Vor ihm ein Linksabbieger, der mit seinem Wagen, mitten auf die Schienen gestellt, das Ende des Gegenverkehrs abwartete.
‘Am liebsten wĂŒrde ich rausspringen und dem Kerl eine langen’. Dann sah Frank, es war eine Frau, und seine Gedanken sprangen um. ‘Elke, meine Elke! Wie konntest du mir das antun! - Das Leben geht weiter. Das Leben geht weiter
’.
Haltestelle. Ein paar Leute stiegen ein, blickten mĂŒrrisch, eine alte Frau kramte umstĂ€ndlich Euros aus der Geldbörse.
“Papi, warum fahren wir nicht weiter? Ich will zu Oma.”
“Noch zwei Stationen.” Frank fuhr wieder los.
Eine gerade Strecke, leicht erhöht und abgesetzt von den Fahrbahnen fĂŒr Autos. Die Bahn fuhr schneller und Frank ließ seinen Gedanken freien Lauf. ‘Am liebsten wĂŒrde ich alles in die Luft sprengen’. Er hörte Maike plappern. ‘Wie kann ich nur an so etwas denken! Das Leben geht weiter. Das Leben geht weiter. Warum sprenge ich nicht alles
’. Der Gedanke hĂ€ngte sich an die Schleife. NĂ€chste Station.
“Guck mal, Thorsten. Ist der Mann dick!”
Ein paar Leute stiegen zu, darunter ein dicker Mann im Wettermantel, der sich die Stufen zwischen den Haltestangen empor zwÀngte. Der Triebwagen setzte sich wieder in Bewegung. Der Mann blieb neben Frank stehen und öffnete seinen Trenchcoat.
“Dies ist eine Tram-EntfĂŒhrung! Sehen Sie den SprengstoffgĂŒrtel? Wenn Sie meinen Anordnungen Folge leisten, passiert Ihnen nichts, und die FahrgĂ€ste bleiben unversehrt. Fahren Sie die Tram jetzt vor das Bundeskanzleramt!”
Die Straßenbahn folgte ihrem Schienenweg. Frank blickte stur nach vorn.
“NĂ€chste Station ist Endstation, mein Guter. Danach gibt es keine Schienen mehr.”
“Dann fahren Sie ohne Schienen weiter! Fahren Sie mich zum Bundeskanzler-amt, oder ich jage uns alle in die Luft!”
Ein Wahnsinniger.
Frank beugte sich zum Mikrophon. “Verehrte FahrgĂ€ste, bitte halten Sie sich fest! Bitte halten Sie sich fest! Maike, Thorsten, hier spricht der Papi. Haltet Euch ganz fest!”
Er wandte sich an den dicken Mann. “Ich sagte doch, hier ist Endstation. Sehen Sie mal nach vorn. Keine Gleise mehr.”
Der dicke Mann beugte sich vor und blickte angestrengt hinaus. Frank trat auf die Bremse, der Mann krachte mit seinem Kopf gegen die Scheibe und fiel zu Boden. Es rumpelte und polterte, als einige FahrgĂ€ste aus den Sitzen fielen. Frank drĂŒckte ein paar Knöpfe. Zischend öffneten sich die TĂŒren. Frank sah, der dicke Mann war bewusstlos. Blut lief aus seiner Nase. ‘Das Leben geht weiter
’ . Etwas leuchtete an seinem ExplosivgĂŒrtel, ein Timer, zeigte 20 Minuten an. Die Sekunden liefen rĂŒckwĂ€rts. ‘Warum sprenge ich nicht alles in die Luft
’. Frank beugte sich ĂŒber das Mikrophon.
“Alle aussteigen. Endstation. Maike und Thorsten, steigt schnell aus und versteckt euch hinter der AnschlagssĂ€ule. In der Straßenbahn ist eine Bombe, die explodiert gleich!”
Schreiend stolperten die FahrgĂ€ste durch den Gang, fielen ĂŒbereinander, als sie panikartig durch die drei TĂŒren ins Freie flĂŒchteten. Frank sah, dass Maike und Thorsten hinter die LitfaßsĂ€ule liefen. Er beugte sich zu dem Mann hinab, der bewußtlos im FĂŒhrerstand lag, blickte wie hypnotisiert auf den Timer. Sein Blick schien wie festgeklebt: die Farbe der Leuchtdioden, hellrote Lava aus dem Portal zur Hölle, teuflische rĂŒckwĂ€rts rasende Sekunden, Minuten. Frank verharrte wie festgefroren ĂŒber dem SprengstoffgĂŒrtel des bewusstlosen Mannes, hörte nicht das Rufen und BrĂŒllen der Menschen, die um die Straßenbahn herumstanden.
“Komm raus da! Spring aus dem Wagen!”
‘Warum sprenge ich nicht alles in die Luft
’
Wie von selbst machten sich Franks HĂ€nde am Timer zu schaffen.
‘Warum sprenge ich nicht alles in die Luft
’
Frank drehte die Minuten zurĂŒck: 18,
10,
5,
1, richtete sich auf, hörte Schreie und Rufe, Polizeisirenen, sah heftig gestikulierende Menschen. Ein böser Traum, dann blickte er zu Boden, auf diabolisch leuchtende, rĂŒckwaertslaufende Ziffern: 49
.45
 Was hatte er getan!?
Voller Panik kniete er sich auf den Boden, versuchte, die Ziffern nach vorn zu drehen. Es ging nicht! 30, 29, 28
 Er musste den Mann retten. Seine HĂ€nde machten sich an der GĂŒrtelschnalle zu schaffen. Er bekam sie nicht auf! 20, 19, 18

Frank blickte nach draußen, sah Maike und Thorsten, die sich aus dem Ring der Menschen lösten, auf die Tram zuliefen, und er stĂŒrzte laut rufend aus dem Wagen: “weg hier!, der Wagen explodiert!”, ergriff seine Kinder und rannte mit ihnen hinter die LitfaßsĂ€ule.
Krachend schoss eine Stichflamme aus der Tram. Metallteile flogen durch die Luft. Fensterglas fiel von einem nahen BĂŒrogebĂ€ude auf die Strasse. Menschen brĂŒllten und liefen verschreckt davon. Maike und Thorsten klammerten sich weinend an ihren Vater.
“Es ist vorbei, Kinder.” Frank löste sich sanft von seinen Kindern und ging vor ihnen in die Hocke. Mit seinem Taschentuch wischte er ihnen die TrĂ€nen vom Gesicht. Lange hielt er sie in seinen Armen, dann kĂŒĂŸte er ihre Wangen und richtete sich erleichtert auf. Die Gedanken hatten aufgehört, in seinem Kopf zu kreisen. Er dachte nur eines: ‘Meine Kinder, ich muss sie von hier wegbringen!’
“Hier ist der Spielplan fĂŒrs Kino. Mal sehen was es gibt.”
Frank studierte den Plan auf der AnschlagsÀule.
“Schaut mal, ein alter Film von Walt Disney, ‘Dumbo, der Fliegende Elephant’. Was haltet ihr davon, wenn wir uns den morgen ansehen? Und jetzt gehen wir zu Oma. Ich weiß, sie hat fĂŒr jeden von uns noch ein StĂŒck Erdbeertorte.”
Sie fassten sich an den HĂ€nden und gingen los. Das Ziel war klar, und sie sahen sich nicht mehr um.




(c) Klaus Eylmann

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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