Ganz schön bissig ...
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April 2002
Trauer-Spiel
von Fran Henz


Alle, alle waren sie gekommen, um bei Julia Holters unwiderruflich letztem Auftritt dabei zu sein. Neben Frank, ihrem Mann, standen ihre beiden Kinder, Maike und Thorsten auf der einen Seite. Auf der anderen, die Hände tief in den Taschen seines Mantels vergraben, Viktor Holter, ihr Schwager. Etwas weiter entfernt wartete die Blasmusikkapelle der Städtischen Straßenbahner auf ihren Einsatz.

„Julia Holter, unersetzliche Mutter und geliebte Ehefrau, wertvolles Mitglied unserer kleinen Gemeinde, so plötzlich und unvermittelt aus unserer Mitte gerissen ...“, begann der Pfarrer salbungsvoll. Seine Worte verhallten über den Gräbern.

Viktor betrachtete das blasse, gequälte Gesicht seines Bruders. „Dieses kleine Miststück hätte es fast geschafft, ihn völlig zu zerbrechen“, dachte er und spürte, wie sich seine Hände zu Fäusten ballten. „Irgendwann wird er hoffentlich einsehen, um wie viel besser er ohne sie dran ist.“

Brücken hatte Frank bauen wollen, oder Bewässerungsanlagen in Afrika. Statt dessen schmiss er sein Studium und alle seine Pläne freudig hin, als Julia schwanger wurde. Die Stadt suchte zu der Zeit gerade Straßenbahnfahrer. Das Gehalt war nicht hoch, stellte aber ein regelmäßiges, sicheres Einkommen dar. Für das Reihenhaus fuhr Frank Doppelschichten und als sich Maike ankündigte, übernahm er alle Urlaubs- und Krankenvertretungen, die er bekommen konnte. Trotzdem war es nicht genug. Für Julia war es nie genug.

Die Besitzerin des Nagelstudios musterte kritisch den Kranz mit den pinkfarbenen Rosen und der weißgoldenen Schleife, den sie zusammen mit der Filialleiterin des ortsansässigen Sonnenstudios gekauft hatte. Er sah nicht nur sauteuer aus, er war es auch. Aber Julia Holter zählte zu ihrer beider Stammkundinnen, da konnte man sich keine schlechte Nachrede leisten. „Ein Jammer, morgen taugt das ganze Grünzeug nur mehr als Kompost“, stellte sie traurig fest und betupfte vorsichtig ihre getuschten Wimpern mit dem Taschentuch.

„Sie war der beste Fick, den ich je hatte“, dachte der Zweite Hornist mit feuchten Augen. Julia würde schwer zu ersetzen sein. Schließlich gab es fast keine Hausfrauen mit Tagesfreizeit mehr, weil die blöden Weiber alle berufstätig sein wollten.

„Ob Mutti sich da unten in der dunklen Kiste wohl fürchtet?“, überlegte Maike. Mutti würde nicht mehr nach Hause kommen, so viel hatte sie begriffen. Das war traurig. Aber wenn Mutti nicht nach Hause kam, dann konnte sie auch nicht mehr mit spitzen Nägeln an ihrem Arm zerren, oder Piggy, ihr schwarz geflecktes Meerschweinchen, packen und schütteln, bis es vor Angst quiekte und bestimmt nie wieder aus seinem Käfig flüchten würde. Außerdem durfte sie ab jetzt so viel Schokolade und Knabberzeugs mit nach Hause bringen wie sie wollte. Bei diesem Gedanken huschte ein Lächeln über ihr verzagtes Gesicht.

Frank wischte mit dem Handrücken eine Träne weg. „Es ist so ein sinnloser Tod. Julia hat nichts von ihrem kurzen Leben gehabt “, dachte er bekümmert. Sie war so schön und gut gewesen, sie hätte ein Leben in Luxus verdient, statt dessen musste sie jedes Geldstück dreimal umdrehen.

Er wusste, wie peinlich es ihr war, mit einem Straßenbahnfahrer verheiratet zu sein. Und er dankte dem Herrgott jeden Tag, dass sie trotzdem bei ihm und den Kindern blieb. Deshalb hörte er auch auf, sie mit den kleinen, unwichtigen Begebenheiten seines täglichen Lebens zu belästigen. Er erzählte ihr nichts von der alten Frau, die jeden Tag mit ihm ins Pflegeheim zu ihrem Mann fuhr und die immer ein Mon Chérie neben seine Kurbel legte. Oder von der kurdischen Familie mit den vier Kindern, die beim Goethepark ausstieg. Die Mutter lächelte ihn scheu an, wenn er ihr das Mon Chérie zusteckte.

Julia duldete in ihrem Haus keine Schokolade und keine Nüsse. Sie litt an einer Erdnussallergie. Aus diesem Grund nahm sie sogar die Mühe auf sich, ihr Müsli aus Getreideflocken, Sonnenblumenkernen und Trockenfrüchten selbst zu mischen.

Trotz aller Vorsicht war ihr diese Allergie schließlich doch zum Verhängnis geworden. Er fand sie mittags, als er von seiner Schicht heimkehrte, im Vorzimmer auf dem Fußboden. Ihr Gesicht war bläulich angelaufen, die sorgfältig manikürte Hand krampfte sich um ihre Kehle. Glücklicherweise kam er vor den Kindern nach Hause.

Die Kinder. Maike und Thorsten - alles, was von Julia geblieben war. In ihnen würde sie weiterleben.

Gerührt betrachtete er Maike, wie sie ihrem Bruder feierlich das Körbchen mit den Blumen überreichte, damit auch er seiner Mutter einen letzten Gruß ins Grab mitgeben konnte. Mit einem zögernden Schritt trat der Kleine nach vorne. Man konnte sehen, wie er um seine Fassung kämpfte.

Tapfer versuchte Thorsten, nicht zu weinen. Aber er war doch sehr traurig, dass Piggy in den nächsten Tagen ohne Nüsse in seinem Futter auskommen musste.

© Fran Henz

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