Honigfalter
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April 2002
Haltestelle
von Sabine Harnau


Wolkengesichter im Fenster. Hannahs Kissen sind feucht. Die Wände schwammig; Tapetenfetzen. Frank streicht mit dem Finger übers Muster: ein Streifen helles Orange. Die ersten Heißluftballons fahren.

- Wie alt bist du eigentlich, Frank?
- Fünfunddreißig.
Hannah schließt die Augen. Frank fährt durch ihre roten Locken.
- Und du?
- Spielt keine Rolle.
- Jedenfalls gehst du auf Ü-30-Parties.
Hannah lächelt schwach. Frank krault sein Schamhaar.
- Du bist so unschuldig.
Bis ich in dein Zimmer kam.

An der Decke löst sich die Farbe. Braun.
- Hast du was zu essen da?
Ihre Pofalte weitet sich, als sie sich über die Bettkante beugt. Den Finger hineinlegen. Hannah holt eine Tüte Brotchips unter dem Bett hervor. Zwiebelgeschmack.
- Irgendwo ist noch Salami.
- Kaffee?
- Nee, aber Pepsi. Hat auch Koffein.

Die Leute im Heißluftballon müssen eine gute Aussicht haben. Sehen nur Dächer, bunte Punkte statt Autos, gelbe Würmer statt Straßenbahnen. Die ahnen nicht, wie es unter dem Dach aussieht. Nur die eigenen Gesichter ganz nah.
Franks Zwerchfell hebt und senkt sich gleichmäßig. Er dreht sich zur Wand. Hannah krümelt auf seinen Rücken, kaut schmatzend. Da knuspert nichts mehr, zu feucht.
Ob die sich vorstellen können, was in diesem Raum vorgeht. Frank würde gerne Ballon fahren. Statt Straßenbahn. Keine Gleise. Keine Straßen. Nur das Zischen von Gas.

Gestern hat er es nicht mehr ausgehalten.
Schichtende. Ruths Mutter mit den Kindern am Tramdepot. Frank ist eingestiegen; Ruths rote Ente fährt jetzt ihre Mutter. Maike hat schon seit Wochen nicht mehr gelacht. Thorsten liest den Pschyrembel. Den kann er mit seinen sieben Jahren noch gar nocht verstehen. Den Wälzer schleppt er überall hin mit. Seit Ruth gestorben ist.
Dafür kann er Maike mit den Krankenfotos ärgern. Maike hat geschrien wie immer, und sich die Augen zugehalten. Frank hat ihn nicht ermahnt. Das übernimmt jetzt Sigrun. Ruths Mutter, eine Frau wie ein Baum. Die Haut borkig, der Körper massiv.

Gestern musste er raus. Allein. Seit zwölf Jahren zum ersten Mal ohne Ruth. Mit dem Auto ist er ziellos über Landstraßen gefahren. Plakate. Schilder. „Ü-30-Party“. Nur zum Spaß hat er das Vereinsheim gesucht. „Schrebergärtnerclub 1919 e.V.“. Nach Mitternacht. Eintritt frei. Vor der Tür: langes rotes Haar. Schwarzes Mieder. Schlaghosen. Sie bläst den Rauch kokett durch die Nase.
- Ich bin Hannah.
Ist ihm entgegengekommen.
- Laß uns tanzen. Wie heißt du. Und dann gehen wir zu mir.
- Frank Holter ist mein Name.
Ganz schön dreist. Ganz schön heiß. In der Halle. Hannahs Haut. Ihr Bein zwischen seinen. Ihre Hand in seinem Nacken, klebrig.
-Du riechst süß.
Junge Freiheit.
- Fahr mich nach Haus.
Ganz nah an seinem Ohr.
Draußen ist es frisch und mondhell, das Balzgezwitscher laut. Hannah lacht leise. Sieht ihn stumm an, als er ihr die Tür des Volvo Kombi öffnet. Befühlt die kleine Straßenbahn am Rückspiegel.
-Ich bin Straßenbahnfahrer.
Im Radio läuft Beth Orton; Hannah hält ihn fest, als er vor ihrer Wohnung hält.
Das Lied war zu Ende, ein alter Mann ging am Auto vorbei, wild gestikulierend.

Hannah zündet sich eine Zigarette an. Weihnachtsduft verbreitet sich im Zimmer. Nelken. Muss so was arabisches sein. Jedenfalls kein normaler Tabak. Frank streichelt Hannahs Wolkengesicht. Draußen klingelt eine Straßenbahn.

- Was ist das für ein Stadtteil hier?
- Kaltenberg.

Hier war Frank noch nie. Wohnt selbst am Stadtrand, aber anderes Ende von Bernbach. Wusste nicht einmal, dass es hier auch Straßenbahnen gibt. Dachte immer, das sei eher ländlich. Welche Linie, weiß Hannah bestimmt nicht.

- Haste heute noch Schicht?
- Ja, später, nachmittags. Muss auch bald gehen.

- Fährste mal hier vorbei, mit deiner Straßenbahn?
- Mal sehn. Die wolln jetzt die Haltestellen reduzieren. Die vor deinem Haus, na, weiß nicht. Welche Linie fährtn hier vorbei?
- Keine Ahnung.

Die Ballons am Himmel brauchen keine Linie. Keine Haltestellen. Keine Fahrkartenentwerter.


©Sabine Harnau

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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