Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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April 2002
Für immer
von Anke Modemann


Es war Samstagnachmittag. Ich hatte Thorsten und Maike zu meinen Eltern gebracht; hier hatten sie ein vertrautes Umfeld.
Vierzehn Tage lang nach dem Tod ihrer Mutter konnte ich Urlaub nehmen, um für die beiden da zu sein. Wir weinten viel. Ich hatte kaum Kraft für mich selbst, aber ich musste stark sein – jetzt war ich die wichtigste Bezugsperson für meine Kinder. Ich vermisste Carola so unendlich.
„Hey Holter, mein Beileid! Marco hat’s mir erzählt. Wenn ich irgendwas für dich tun kann...?!“ Die Kollegen waren mitfühlend. Seit zwei Wochen arbeitete ich wieder. Ich hatte Brettschneider gebeten, mir eine andere Linie zuzuteilen. Für die S 6 fehlten mir noch die Nerven...
Ich hatte die Vormittagsschicht gerade hinter mich gebracht und parkte vor dem Haus meiner Eltern. Maike hatte wohl schon auf mich gelauert: Sie stolperte die Treppen herunter und kam mir entgegengerannt.
„Papi, Papi, mein lieber Papi! Ich bin so froh, dass du wieder da bist! Hast du Mami mitgebracht? Ich hab sie schon lange nicht mehr gesehen. Papi, wann kommt die Mami denn wieder?“ Sie fiel mir um den Hals und klammerte sich fest. Maike wollte mich gar nicht mehr loslassen. Ich trug sie ins Haus. Thorsten stand in der Diele, streichelte seine kleine Schwester und versuchte sie zu beruhigen. „Ich habe dir doch erzählt, dass Mami jetzt schläft, hm?!“
„Sie soll aufwachen! Ich will mit ihr spielen. Ich will ihr doch zeigen, wie Opi mit mir Fahrradfahren geübt hat. Sie soll wieder herkommen. Ich will meine Mami wiederhaben!“ Es tat weh, die Kleine so leiden zu sehen.
Thorsten trauerte auf seine Art: Er war aufgedreht, machte für Maike den Clown und bemutterte sie auf rührende Weise.
„Was haltet ihr davon, wenn wir heute einen Ausflug in den Zoo machen?“ schaltete sich mein Vater ein. Er bemühte sich, den Tagesablauf für seine beiden Enkelkinder so normal wie möglich zu gestalten und sie von ihren trüben Gedanken abzulenken. Ich war mir nicht sicher, ob das der richtige Weg war für die Kinder, mit ihrer Trauer fertig zu werden. Ich hatte aber selbst noch nicht die Kraft, mit ihnen über den Unfall zu reden und damit vielleicht den Tod ihrer Mutter zu verarbeiten. Die Familienpsychologin, die noch am Tag Carolas Unfalls an mich herantrat, vertrat die Meinung, dass es für die Kinder das Beste ist, sie nach einer kurzen Auszeit möglichst bald wieder in ihr soziales Umfeld zu integrieren. Thorsten sollte Montag wieder in die Schule und Maike in den Kindergarten gehen.
„Vati, komm’ Mittag essen! Oma hat was für dich übriggelassen.“ Thorsten rückte mir den Stuhl zurecht und legte mir die Zeitung auf den Tisch. Ich hatte das Gefühl, er wolle jetzt die Mutterrolle übernehmen.
„Danke, mein Junge.“ Ich spürte die Warmherzigkeit, die mir und den Kindern entgegengebracht wurde. Gemeinsam würden wir diese schwierige Zeit überstehen.
Ich schlug die Zeitung auf und traute meinen Augen nicht!
Tod junger Mutter am Rosenheimer Platz war Mord! lautete die Überschrift auf Seite drei der Süddeutschen Zeitung.
München. Der zunächst als Zeuge vernommene Marco B., 37, Vorgesetzter des Frank H. (35), dessen Frau Carola H. (29) vor vier Wochen am Rosenheimer Platz durch zuvor noch ungeklärte Umstände auf die S-Bahn-Gleise geriet und von einer Bahn der Linie 6 erfasst und getötet wurde, hat sich bei seiner Aussage mehrfach in Widersprüche verwickelt. Schließlich gestand Marco B., eine Kinderstimme nachgeahmt um für Aufruhr zu sorgen und anschließend die junge Frau auf die Gleise gestoßen zu haben. Als Motiv gab der Siebenunddreißigjährige Eifersucht und blinde Wut an. Er habe es nicht verkraftet, dass die bildhübsche Frau seines Mitarbeiters nicht auf seine Avancen einging. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurden daraufhin eingestellt. Es wird Anklage wegen Mordes erhoben.

Ich erinnere mich, nachdem ich den Bericht gelesen hatte, die Nummer der Kripo gewählt zu haben. Der Grund, warum Carola sterben musste, wurde mir bestätigt.
Statt in den Zoo gingen wir alle zum Friedhof.
In den darauffolgenden Wochen redeten wir viel über Carola - die Kinder, meine Eltern und ich. Ich erzählte Thorsten und Maike, was für eine liebevolle, lustige und warmherzige Frau ihre Mami war. Wir erinnern uns gern an sie - auf diese Weise ist sie bei uns. Für immer.


© Anke Modemann

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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