Der Cousin im Souterrain
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Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Mai 2002
Hochzeitstag – mal anders!
von Sonja Viola Senghaus


Zum ersten Mal hat mein Mann Heinrich mir nichts geschenkt zum Hochzeitstag, nein, das ist nicht ganz richtig: er hat mir eine Hortensienblüte gepflückt, und diese, mit ein paar Blättern auf einer Schale wunderschön arrangiert.
Dagegen stellten meine Geschenke für ihn selbst die schönste Hortensie in den Schatten. Also wünschte ich mir noch etwas Tolles von ihm – einen besonderen Abend.
Dass dieser nicht der heutige sein könne, machte mir mein Göttergatte unmissverständlich klar. Er gähnte herzerweichend und signalisierte mir hierdurch, dass er einfach zu erschöpft sei an diesem Freitagabend, um noch etwas für mich auf die Beine zu stellen.
Also legte ich ihm meinen Wunsch in Form eines Zeitungsausschnittes auf den Tisch.
„Literaturnacht bei den Räubern 77 in Mannheim“ las er stirnrunzelnd.
„Traude“, stöhnte er, „schau mich an. Ich bin völlig im Eimer heute.“
„Dann leg dich eine halbe Stunde hin“, schlug ich sofort diplomatisch vor, „ich kaufe heute ein.“
Überrascht ob meiner großzügigen Ader, doch schnell damit einverstanden, legte er sich gleich auf’s Ohr.

Ich fuhr mit dem Fahrrad erst mal zu der in der Nähe gelegenen Boutique, um die abgeänderte Bluse abzuholen. Denn was kann je wichtiger sein als die passende Abendgarderobe für einen besonderen Abend. Leider war die Bluse noch zur Änderung außer Haus.
Kurzentschlossen stieg ich auf mein Gefährt, um selbst bei der Schneiderin vorbeizufahren und landete gleich bei der Anfahrt mit dem Fahrradreifen in einer gefährlichen Rille. Mich hob es aus dem Sattel, und beinahe wäre ich über den Lenker gefallen – ich sah mich schon mit völlig unkenntlichem, weil blutüberströmtem Gesicht auf der Erde liegen – da kam kurz das Glück vorbei und versetzte mir einen Stoß mit Hilfe des Fahrradlenkers. Dieser bohrte sich derart in meinen Oberschenkel, dass ich nur noch Sternchen sah. Der blaue Fleck war nicht ganz schmerzfrei und für ein paar Tage sehr sichtbar im Badeanzug.

Der Boutiqueinhaberin war mein kleiner Unfall nicht entgangen: Sie bot mir deshalb an, mich mit dem Auto zur Schneiderin zu fahren und anschließend noch zum Metzger. Überraschenderweise war die Bluse abgeändert und der Metzgersladen nicht sehr voll.
Was mein Mann als Hochzeitsessen allerdings vorgesetzt bekam, gefiel und schmeckte ihm und auch mir nicht sonderlich. Mein Unfall hatte mich in meiner Kreativität zurückgeworfen.
Meine Tränen wegen der Schmerzen, die dann am Bein eintraten, rührten ihn. Er schlug vor, zu Hause zu bleiben, damit ich mich schonen könne. Weit gefehlt! Mein Entschluss stand noch so felsenfest wie vor meinem Sturz. „Das ist doch noch lange kein Beinbruch“, maulte ich, „ich ziehe mir flache Schuhe an, falls wir stehen müssen“, beruhigte ich meinen leicht aufgebrachten Ehegatten, der mit umissverständlich klar machte, dass er auf keinen Fall stehen wolle. Das klang nicht gerade nach Rücksichtnahme auf mein verletztes Bein, eher auf seine müden Freitagabend-Knochen. Das wiederum rührte mich keinesfalls. Wenn ich mir mal was in den Kopf gesetzt habe, gebe ich so leicht nicht auf, das wusste mein Mann leider auch. Also setzte er sich leicht stöhnend auf den Fahrersitz im Auto.

In Mannheim angekommen, rannten wir gleich los, wir waren schließlich schon sehr spät dran - die akademische Viertelstunde, hofften wir, würde beim Warten auf die Gäste eingehalten werden.
Vor der Kunsthalle lungerten ein paar Jugendliche rum, drinnen brannte kein Licht – alles dunkel. Ich ließ mich trotzdem nicht entmutigen und rüttelte laut an der Tür, bis sich ein ältliches Fräulein mit dicker Brille erschrocken blicken ließ. Ängstlich, mit blassen Lippen, beteuerte sie mehrmals, dass heute Abend keine Veranstaltung stattfinde. Ich drang in weitere Räume ein, in denen es nicht zu sehen gab als Dunkelheit pur. Ich war den Tränen nah. Die Kassiererin meinte besänftigend, dass vielleicht auf der Rückseite im Lokal eine Lesenacht wäre. Sie könne sich dies gut vorstellen.
Keuchend erreichten wir das italienische Restaurant, in dem die Gäste nur mit dem Genuss ihres Essen beschäftigt waren und kopfschüttelnd unsere Frage nach einer Lesung verneinten.
Wir entschlossen uns zunächst, dort zu bleiben und uns statt der geistigen nun eben der leiblichen Genüsse hinzugeben. Plötzlich lief Heinrich händeringend vor mir aus dem Lokal. Den Grund seines jähen Aufbruchs erklärte er mir draußen: Er habe in der Eile seinen Geldbeutel vergessen, in dem sich auch die Scheckkarte befände. Ob ich Geld dabei hätte.
„Ja“, antwortete ich freudlos, „ganze zwanzig Mark“. Sein Gesicht wurde dem einer fahlen Mondsichel immer ähnlicher. Ich versuchte ihn aufzumuntern: „Aber gegenüber scheint es ein Konzert zu geben, vielleicht ist das von der Stadt organisiert und recht preiswert. Dann wird es doch noch ein schöner Abend“, besänftigte ich meinen verzweifelten Ehemann.
Ein paar Takte der Beethovenschen Schicksalssinfonie vor mich hinsummend, stimmte ich mich auf den vielleicht noch geretteten Hochzeitsabend ein und stellte ich mich in die Riesenschlange vor der Kasse. Nach fünfzehn Minuten war ich dran, die Karten waren unerschwinglich für uns, da allein ein Ticket schon dreißig Mark kostete. Niedergeschlagen und enttäuscht drehte ich mich an der Kasse grußlos um und schleppte mich an der Seite meines fluchenden Mannes an unseren Parkplatz.
Zusammengekauert im Auto sitzend, meinte Heinrich, dass ich mir mal wieder „wie immer“ den falschen Termin eingeprägt habe und er felsenfest davon überzeugt sei, dass die Veranstaltung erst morgen Abend stattfände. Zutiefst verletzt, nun auch innerlich, schrie ich ihn an, ich sei noch nie so sicher gewesen wie heute und er habe mir mal wieder alles verdorben – wie immer!

Heinrich versuchte mich zu beschwichtigten, indem er vorschlug, doch mal im Kunstverein nachzusehen, denn offensichtlich habe ich mir den falschen Veranstaltungsort gemerkt. Jetzt war aber meine Geduld endgültig zu Ende. Ich befahl ihm einzusteigen und auf der Stelle heimzufahren. „Im Kunstverein“, belehrte ich ihn, „finden Ausstellungen statt. Dort hält sich nur die bildende Kunst auf“.
Wir fuhren am Kunstverein vorbei, nichtsahnend, dass wir kurze Zeit später wieder dort sein sollten. Denn, nachdem ich den Zeitungsausschnitt mit der Vorankündigung der Lesenacht zu Hause fand, konnte ich es schwarz auf weiß lesen: „KUNSTVEREIN“.

Ich habe es der großen Güte meines Göttergatten zu verdanken, dass er nochmals mit mir gen Mannheim fuhr. Doch beim Betreten des Raumes vernahmen wir nur noch begeistertes Klatschen. Die Lesenacht war um 21 Uhr bereits beendet! Ich konnte nicht verhindern, dass mir Tränen des Zorns in die Augen traten.
Als ich mich wieder gefasst hatte, platzte ich wütend heraus: „Ich will aber noch mein Geschenk!.“ Zum Trost kaufte – um es im Ephraim Kishon-Jargon auszudrücken: „der geduldigste aller Ehemänner“ - mir ein Bild, das uns an diesen Abend erinnern sollte. Bei der Auswahl bewiesen wir den gleichen Geschmack, und das stimmte mich wieder friedlich. Der Druck zeigte vier mal dasselbe Frauengesicht mit einem biestigen Gesichtsaudruck, ein Gesicht davon ist schwarz eingerahmt. Und eine Karte fand sich noch mit dem Datum unseres Hochzeitstages: „ 20. Juli “.

Des Autofahrens müde, köpften wir daheim eine Flasche Proseco, hörten Beethovens Schicksalsmelodie ....
So war wenigstens der Rest des Abends unseres achtundzwanzigsten Hochzeitstages gerettet.

(c) Sonja Viola Senghaus

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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