Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespĂŒrt.
âAlso, ich meine, ein fĂŒnfzig Kilo schwerer Lachs ist schon was, worĂŒber man schreiben kann.â
Ted MacLannon hielt inne und wartete auf Bobs Reaktion, doch der blickte der Kellnerin nach. Resigniert griff MacLannon nach seinem Bier.
âUnd wenn zwei solcher Viecher in einer Woche gefangen werden, ist es was, worĂŒber man schreiben muss. Bob, hörst du ĂŒberhaupt zu? Nun sind aber fĂŒnf von ihnen an Land gezogen worden. Also, ich fuehle mich verpflichtet, der Sache auf den Grund zu gehen. Was meinst du?â
âWie? Ăh, ja, da hast du Recht.â
Die Kellnerin war verschwunden. Sie blickten durch das Fenster auf die vom Nieselregen verschleierte Strasse und hingen ihren Gedanken nach.
âAlso,â MacLannon erhob sich und legte ein paar Dollar auf den Tisch. âAlso, ich meine, ich sollte einen dieser Angler aufsuchen. Du kannst mitkommen, wenn du willst.â
âWie? Mitkommen? Ich sage nur eines: Hanford.â Bob blickte bedeutungsvoll auf MacLannon, dann kam die Kellnerin wieder von den Tischen zurĂŒck.
âTed, ich glaube, es geht nicht. Ich habe zu viel um die Ohren.â
MacLannon grinste. Die Frau war verheiratet.
âMoechtest du wohl, was?â Dann stand er auf der Strasse.
Er nahm die 82 und fuhr in sĂŒdöstliche Richtung, auf Richland zu. Der graue Pontiac glitt durch das herbstlich trĂŒbe Wetter. Grau auch der Himmel, dann der Regen, die eintönig gerade Strecke. MacLannons Gedanken wanderten. âIch sage nur eines: Hanfordâ, hatte Bob gemeint.
Der Mann hiess Tom Haynes.
âAlso, von der Seattle Times sind Sie? Das was ich Ihnen jetzt zeige, ist kein Anglerlatein.â Der vierschrötige Mann deutete auf ein grosses Foto an der Wand. MacLannon trat dichter heran. Auf dem Bild hielt der Angler lachend einen Riesenlachs in den Armen.
âHerzlichen GlĂŒckwunsch zum Fang,â meinte MacLannon und griff nach seiner Kamera.
âLassen Sie mich ein Foto machen, von Ihnen, dem Foto mit Ihnen und dem Fisch. Das bringen wir im Lokalteil. Wo haben Sie ihn erwischt?â
âIm Columbia River, unterhalb des Bonneville Staudamms. Es war ein Quinnat.
Er schaffte es nicht ueber die Fischtreppe.â
âHanford. Was meinen Sie?â
Der Angler zuckte mit den Schultern. âKann sein, meine Frau und ich haben ihn trotzdem gegessen. Der NĂ€chste wird ausgestopft und kommt an die Wand, da können Sie Gift drauf nehmen.â
âVielleicht reicht schon eine Besuchertour, â meinte MacLannon, verabschiedete sich und ging.
âWenn ihr Leute aus der Stadt jetzt zur Halloweenzeit an RiesenkĂŒrbissen interessiert seid, dann fahrt zu Ben!,â brĂŒllte Haynes hinter ihm her und zeigte die Strasse entlang.
âDer wohnt zwanzig Meilen weiter. Ihr könnt ihn nicht verfehlen. Der Einzige, der da noch lebt!â
Bevor MacLannon fragen konnte, was mit den anderen sei, war Haynes in seinem Haus verschwunden.
FĂŒnf Jahre bleibt der Quinnat-Lachs im Pazifik, dann kehrt er zurĂŒck, wandert seinen Fluss hoch um zu laichen, dort, wo er einstmals aus dem Ei schlĂŒpfte. Der Columbia River fliesst zweiundachtzig Kilometer durch Hanford.
Gelbrötliche RiesenkĂŒrbisse, grösser als MedizinbĂ€lle, farbige Tupfen auf dunkelbraunen Ăckern. MacLannon spĂ€hte angestrengt durch den Regen. Ein Haus tauchte aus dem Dunst, und er hielt an. Der Vorgarten war verwildert, das Gras nicht gemĂ€ht. MacLannon stieg aus, ging zum Eingang und klopfte. Keine Antwort. Die TĂŒr war angelehnt, Staub lag auf den Möbeln. Hier wohnte schon seit lĂ€ngerer Zeit niemand mehr. Muller stand auf dem Namensschild. Er ging um das Haus herum. Ein Husky lag auf dem Boden, alle Viere von sich gestreckt, abgemagert, tot. Dunkelbraune Flecken durchsetzten sein hellgraues Fell.
MacLannon fuhr weiter. Ihm war nicht wohl. Er sah eine heruntergekommene HolzhĂŒtte und einen Schuppen, davor einen alten Traktor mit AnhĂ€nger, einen Pick-Up, zwei MĂ€nner in RegenmĂ€nteln. Sie holten KĂŒrbisse aus dem AnhĂ€nger und luden sie um. Einer von ihnen stieg in den Laster und fuhr davon. Der andere, ein kahlköpfiger, blasser Mann, humpelte auf MacLannons Wagen zu. MacLannon liess die Scheibe herab.
âSind Sie Ben? MacLannon von der Seattle Times. Tom Haynes schickt mich zu Ihnen. Er meint, Sie hĂ€tten die grössten KĂŒrbisse hier in der Gegend. Wie kommt das?â
âWeil sonst niemand mehr in der Gegend ist, um KĂŒrbisse anzubauen,â antwortete der Mann mĂŒrrisch.
MacLannon kletterte aus dem Wagen und vertrat sich die Beine. Er sah, wie Wasser vom Dach rieselte und sich in einer PfĂŒtze sammelte.
âWo sind Ihre Nachbarn hin?â
âWeiss nicht. Wolln Sie nen KĂŒrbis?â Der Mann zwang sein Gesicht zu grinsen. âHalloween. Halloween KĂŒrbis.â
âWas ist mit der Familie Muller?â
âWeiss nicht. Wolln Sie nen KĂŒrbis?â
âPasst nicht in meinen Kofferraum.â Er hörte das Miauen einer Katze und blickte nach oben. Sie kauerte auf dem Dach des Schuppens, sah ihn an, sprang auf den AnhĂ€nger, von dort auf den Boden. Vollkommen durchnĂ€sst, kaum war ihr graues Fell zu erkennen, strich sie um MacLannons Beine und schnurrte. Vital, und doch nur ein BĂŒndel aus Haut und Knochen mit dunkelbraunen Flecken.
âWas hat sie denn?â
âRoxy ist krank. Manchmal ist sie tagelang weg, dann muss ich sie suchen gehen. Ich bin wohl auch krank, immer so mĂŒde.â
âBen, Sie bringen sie besser zum Tierarzt.â
âIch kann hier nicht weg. Die wĂŒrden mich mitnehmen. Sie beobachten mich.â
âWer?â
âDie Ausserirdischen.â
âAusserirdische?â
MacLannon ging zu seinem Wagen und holte Zettel und Bleistift hervor.
âBen, malen Sie mal auf, wie die aussehen.â
Regen tropfte auf das Papier. MacLannon beobachtete verblĂŒfft, wie schnell Ben Figuren auf das Blatt brachte. Figuren ohne Gesicht, Figuren in RaumanzĂŒgen.
âBen, wenn Sie hier nicht wegkönnen, wovon leben Sie denn?â
âVon meinem GemĂŒse. Es wĂ€chst sehr gut, kommen Sie, und ich hab auch einen Brunnen.â
Ben ging voran. Rötliche Karotten ragten zwanzig Zentimeter aus der Erde und bildeten mit ihren Trieben eine Barriere, hinter der Salatköpfe so gross wie FussbĂ€lle heranwuchsen. Dahinter bildeten sich faustdicke Erbsen- und Bohnenschoten in dichtem Rankwerk, durch das gelbe GurkenblĂŒten leuchteten.
âWie machen Sie das, Ben?â
âIch rede mit ihnen, den Pflanzen. Aber es ist die Erde. Sie meint es gut mit mir. Ich will hier auch nicht weg.â
âUnd Ben, die Familie Muller, die wollte doch sicher auch nicht weg.â
Ben trat von einem Bein aufs andere. Er starrte auf den Boden, auf das Wasser, das aus der Regenrinne schoss, auf die PfĂŒtze, die sich ihren FĂŒssen nĂ€herte, dann blickte er auf MacLannon. Seine Augen schienen ohne Leben.
âSie waren tot. Ich habe gesehen, wie sie sie mitgenommen haben. Den Jack, die Stacy, und die beiden Kinder.â
âWer?â
âDie Ausserirdischen.â
Als MacLannon die Strasse zurĂŒckfuhr, sah er ein Hinweisschild. âHanford Besucher-Zentrumâ. Er bog ab.
Eine junge Frau fĂŒllte einen Prospekt-StĂ€nder. MacLannon blieb unschlĂŒssig stehen und sah ihr zu. Es war alles so schrecklich normal. Warum fĂŒhlte er sich so beklommen? Rechts vom Empfangstresen standen zwanzig leere Sessel, wie in einem Kino aufgereiht. Er trat nĂ€her heran, sah eine Leinwand, ein Schild, einen Knopf. MacLannon las: âVirtuelle Tour. Bitte drĂŒcken.â
âWillkommen in Hanford,â sĂ€uselte eine Frauenstimme, âfolgen Sie uns auf unserer Virtuellen Tour.â
Auf der Leinwand erschien eine Landkarte mit 21 durchnumerierten Arealen.
âHanford umfasst 1450 Quadratkilometer Steppe und Sand mit SalbeistrĂ€uchern
am Columbia River im SĂŒdosten des Staates Washington. Das Gebiet wird vom Energieministerium, dem Nachfolger der Atom Energie Kommission, verwaltet.
Als Plutonium ProduktionsstĂ€tte spielte Hanford ĂŒber mehr als vierzig Jahre eine wichtige Rolle in der Nuklearverteidigung unserer Nation, beginnend mit dem Manhattan Projekt der Vierziger Jahre. Heute ist es Schauplatz der grössten AtommĂŒllentsorgungsinitiative.â
Atomreaktoren, Plutoniumaufbereitungscanyons, TrainingsplÀtze, Wissenschaftliche Versuchsanstalten auf der Leinwand und ErklÀrungen aus unsichtbaren Lautsprechern. Der Film stellte einen stillgelegten Reaktoren nach dem anderen mit seinen technischen Daten vor, und MacLannon schlief in seinem Sessel ein.
âWachen Sie auf, Sir, ich muss jetzt schliessen.â
Jemand rĂŒttelte ihn aus dem Schlaf. Die Angestellte des Besucher-Zentrums lĂ€chelte freundlich.
âKann ich noch etwas fĂŒr Sie tun, Sir?â
âWie heissen Sie, schöne Frau? Wie wĂ€re es mit einer PrivatfĂŒhrung?â
âLorie. FĂŒhrungen werden durch unser qualifiziertes Personal durchgefĂŒhrt, mein Herr. NĂ€chsten Donnerstag habe ich noch PlĂ€tze frei. Darf ich Sie eintragen?â
âIch weiss nicht. Ist das nicht gefĂ€hrlich?â
âKeineswegs, Sir. Verstrahlte Gebiete werden weitrĂ€umig umfahren.â
MacLannon liess sich von Lorie die Tour sowie die verseuchten Gebiete auf der Karte zeigen, steckte den Plan in die Jackentasche und verabschiedete sich.
Einige Tage dauerte es, dann kam der GeigerzĂ€hler mit der Post. MacLannon fuhr wieder los. Die KĂŒrbisfelder tauchten auf. Er liess seinen Wagen bei Ben stehen, schnallte das Messinstrument an seinen GĂŒrtel, nahm seine Kamera, und gemeinsam gingen sie an den Warnschildern vorbei in das Areal. Niemand hinderte sie daran.
âBen, wo hat sich Roxy meistens aufgehalten?â
âAuf dem Berg.â Ben zeigte auf das vor ihnen liegende Plateau. Sie gingen darauf zu. Der GeigerzĂ€hler fing an zu klacken.
âWir laufen besser,â meinte MacLannon. âSollten uns nicht zu lange der Strahlung aussetzen.â Er rannte los, dann drehte er sich zu Ben um. Der humpelte, so schnell er konnte, hinter ihm her. Der GeigerzĂ€hler ratterte immer schneller, je mehr sie sich der Anhöhe nĂ€herten. Nicht gut, dachte MacLannon und lief keuchend den Abhang hoch. Er wandte sich um, sah, dass Ben MĂŒhe hatte, ihm zu folgen und rief ihm zu: âLaufen Sie zurĂŒck, Ben. Ich mache allein weiter. Noch eines: Wo sind die Ausserirdischen hergekommen?â
âVon dort.â Ben zeigte nach rechts. MacLannon wandte sich um. Hinter einigen KrĂŒppelkiefern ragte ein flaches, weisses GebĂ€ude hervor.
MacLannon rannte weiter, blickte kurz zurĂŒck, sah wie Ben humpelnd zwischen den StrĂ€uchern verschwand. MotorengerĂ€usche drangen durch das Rauschen des Regens. Er wandte sich um, lief ihnen entgegen, dann hechtete er hinter einen Felsen, als er den Laster sah, der sich die Anhöhe hochquĂ€lte. Er hatte riesige Glasklötze geladen.
MacLannon zĂŒckte seine Kamera und knipste, bevor der Wagen in einem gigantischen Stollen verschwand. Der GeigerzĂ€hler klackte ohne Unterbrechung. MacLannon rannte ĂŒber die FlĂ€che des Plateaus. Die Strahlung liess nach, als er den Abhang hinablief und sich dem weissen GebĂ€ude nĂ€herte.
âVerglasungsanstaltâ. MacLannon passierte das Schild vor dem Eingang und ging hinein. Im Flur war niemand. Er öffnete die erste TĂŒr. Der Raum war leer, bis auf einige StrahlenschutzanzĂŒge an der Wand. MacLannon zog seine Schuhe von den FĂŒssen, den GeigerzĂ€hler vom GĂŒrtel, nahm einen Anzug vom Haken und schlĂŒpfte hinein. Er trat in den Flur. Als er die nĂ€chste TĂŒr öffnete, spĂŒrte er einen heftigen Schlag auf dem Kopf, dann wurde es dunkel um ihn.
Es rĂŒttelte heftig, als er wieder zu sich kam. Einige Sekunden blieb er mit geschlossenen Augen stehen. Stehen? MacLannon erschrak und riss die Augen auf, versuchte sich zu bewegen. Etwas hinderte ihn daran, und das Atmen fiel ihm schwer. Panik befiel ihn, als die Landschaft wie unter Glas an ihm vorĂŒberzog. Unter Glas? Er stand in einem Glasblock, zwischen anderen gleicher Grösse, auf der LadeflĂ€che eines Lasters, der dem Plateau entgegenholperte. Wie lange reichte die Luft? Er versuchte, sich an den Hals zu fassen. Es ging nicht! Ihm wurde schwarz vor Augen, und er fiel in ein bodenloses Loch.
Dunkelheit umgab ihn, als er wieder erwachte. Nicht ganz, die Blöcke strahlten ein schwach blĂ€uliches Leuchten aus. Die Erinnerung kam zurĂŒck. Er versuchte sich zu bewegen. Ohne Erfolg, er steckte in dem Glasblock! Das Blut dröhnte in seinen Ohren. Sein Kopf schmerzte. Wo befand er sich? In einer AtommĂŒlldeponie? Das Leuchten, war es radioaktiver Zerfall von Cesium 137 und Strontium 90 im Wasser? Hatte er nicht so etwas gelesen?
MacLannon blickte genauer hin. Das Blut gefror in seinen Adern. BlĂ€ulich leuchtende Kadaver! Sie befanden sich in Glasblöcken, genau wie er! S tanden um ihn herum, wie eine Armee entseelter Zombies, doch sie waren ohne Leben! Bestand der menschliche Körper nicht zum grössten Teil aus Wasser? Das Grauen schnĂŒrte sein Innerstes zusammen. Er schloss die Augen, wollte das schreckliche Bild verdrĂ€ngen, doch sah er weiter ihre eingefallenen Gesichter. Sie waren auf ihn gerichtet, als ob sie dachten: âBald bist du einer von uns.â
Er atmete flach. Wieso konnte er es ĂŒberhaupt noch? Ein dumpfes GerĂ€usch. MacLannon drehte die Augen nach oben. Roxy! Die Katze stand ĂŒber ihm. Wie von Ferne hörte er ihr Miauen.
MacLannon schloss die Augen, versuchte seinen Atem anzuhalten und an nichts zu denken. Es klopfte. Wieviel Zeit war vergangen? Halluzinierte er? Ben stand vor ihm und rief ihm etwas zu, dann verschwand er wieder.
Heftige SchlÀge weckten MacLannon wieder auf. Das Glas zerbrach unter HammerschlÀgen, MacLannon schnappte nach Luft und fiel zu Boden. Mit letzter Kraft griff er zur Kamera, die neben ihm lag und blieb einige Minuten liegen, dann richtete er sich auf, fotografierte mit zitternder Hand die Leichen um sie herum.
âDas ist Muller mit seiner Familie, und dort sind die anderen Nachbarn.â Bens Stimme bebte, als er auf ein paar leuchtende Glasblöcke zeigte. Ein Mann, eine Frau, zwei Kinder. Dann zehn weitere Leichen in Glascontainern.
Ben blickte MacLannon an. âIch habe Angst, aber ich gehe nicht von zu Hause weg.â
âMir fehlen die Worte!â MacLannon schluckte, er brachte nichts mehr hervor. Seine Augen fuellten sich mit TrĂ€nen. MĂŒhsam erhob er sich, er wankte. Ben und MacLannon stĂŒtzten sich gegenseitig, als sie den Stollen verliessen. Es dauerte eine Ewigkeit, bevor sie die HĂŒtte erreichten.
âDu weisst nichts, Ben. Hast nichts gesehen, nichts gehört. Sie werden dir nichts tun.â MacLannons Stimme war heiser geworden. Er schnaufte, als er in seinen Wagen stieg.
âIch habe dies hier,â er hielt seine Kamera hoch und fuhr nach Seattle zurĂŒck.
Als MacLannon am nĂ€chsten Morgen die Redaktion aufsuchte, fĂŒhlte er sich, als habe er nĂ€chtelang nicht geschlafen.
Er trat ohne anzuklopfen in das BĂŒro seines Chefs und hielt sich an der TĂŒr fest.
âWas ist, Ted. FĂŒhlen Sie sich nicht wohl? Sie sehen bleich aus.â
âHanford hat Leichen im Stollen, Boss,â fluesterte MacLannon heiser. âIn Glascontainern. Ich habe es aufgenommen.â
Er hielt seine Kamera hoch.
âMann, lassen Sie das Material sofort entwickeln.â
âTut mir leid, Ted.â Der Mann vom Labor schĂŒttelte bedauernd den Kopf.
âDer Film ist geschwĂ€rzt, es ist nichts zu erkennen.â
Die Strahlung! Es war alles umsonst! MacLannon wurde ĂŒbel, er musste sich setzen. Er stĂŒtzte seinen Kopf in beide HĂ€nde und starrte vor sich hin. Konnte er so leicht aufgeben? Sie hatten sie gesehen, Ben und er. Bens Nachbarn, als Leichen, als Kadaver, aus sich heraus leuchtend. Das musste an die Ăffentlichkeit.
âSheriff, Sie mĂŒssen mir glauben. Hanford hat Leichen eingeglast, sie stecken in Glascontainern. So glauben Sie mir doch. Ich kann es Ihnen zeigen, und ich bin nicht der Einzige, der das gesehen hat.â
âNun gut, ich habe von dem neuen Verglasungsprozess gehört. Und ich wĂŒnschte, wir könnten den gesamten menschlichen Abfall auf diese Art beseitigen.â Der Sheriff lachte meckernd. âAber das, was Sie jetzt erzĂ€hlen. Mann, Sie mĂŒssen einen ĂŒber den Durst getrunken haben. Doch gehen wir der Sache nach. Sind wir nun bĂŒrgerfreundlich oder was?â Er winkte einen Polizisten herbei.
Sie fuhren zu Bens HĂŒtte. Die TĂŒr war unverschlossen, von Ben keine Spur. War er auf der Suche nach Roxy? Die lag auf dem Dach und sah auf die beiden MĂ€nner herab.
MacLannon fĂŒhrte den Polizisten zur Verglasungsanstalt. Dort gaben ihnen freundliche Leute zwei StrahlenschutzanzĂŒge und geleiteten sie in den Stollen.
âFehlanzeige. Mann, wo sind denn Ihre Leichen? Sie haben halluziniert.â Der Polizist schĂŒttelte den Kopf. Das blĂ€uliche Leuchten rĂŒhrte vom Cesium 137 und Strontium 90 im Wasserbad, das durch Glascontainer strahlte.
âTed, gehen Sie nach Hause und machen ein paar Wochen Urlaub. Sie sollten ausspannen,â meinte sein Boss.
Besser so, dachte MacLannon, als er in seiner Wohnung sass. Ihm ging es nicht gut. Bald fand er jeden Morgen immer mehr Haare in seinem Kamm. Deprimiert stellte er fest, die Mission, die hinter seinem Reporterberuf stand, war ihm abhanden gekommen. Wahrheit, LĂŒge, Recht, Unrecht, was interessierte noch? TĂ€glich wurde er schwĂ€cher, apathischer, und als MacLannon sich mit letzter Kraft aufmachte, Ben zu besuchen, war er so kahl wie dieser; doch Ben war nicht mehr da.
MacLannon blieb in dessen HĂŒtte. Roxy hatte sieben Leben. Mit mĂŒden Augen sah er, wie sie, trotz ihres schĂ€bigen, zerfressenen Felles, nichts von ihrer Energie verloren hatte, und sie liess ihn nicht allein. Sie begleitete ihn, wenn er die KĂŒrbisse vom Feld holte, um diese an ignorante Seelen zu verkaufen.
Er ernĂ€hrte sich von dem RiesengemĂŒse, trank Wasser aus dem Brunnen, wĂ€hrend Roxy MĂ€use herbeischleppte und sie MacLannon zeigte. Heute war ein besonderer Tag. Stolz legte Roxy ihm eine Maus mit zwei Köpfen vor die FĂŒsse.
(c) Klaus Eylmann
Zu Hanford siehe auch http://www.hanford.gov/
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