Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
Es war ein sauberer Stich. Mit Sicherheit war die Halsschlagader durchtrennt. Die Luftröhre hatte anscheinend nichts abbekommen. Es gab keine Spur von diesem ekligen, hellrotem Schaum, der sonst gekommen wĂ€re. GleichmĂ€Ăig schwappte das Blut aus der Ăffnung.
Die Schreie wurden leiser und verstummten schlieĂlich endgĂŒltig. Nur noch kurze Zeit wĂŒrde das Zucken andauern. Aus dem Blutschwall war ein Rinnsal geworden.
âNa also. Anscheinend lernst du es ja wirklich noch.â Diesmal war der Metzger mit seinem Gehilfen zufrieden. Endlich schien er herausgefunden zu haben, wie es ging. Seit Jahren begleitete ihn der Bursche aus seiner Nachbarschaft, wenn er von den Bauern der Umgebung gebeten wurde, beim Schlachten eines Schweines zu helfen. Der alte Metzger gab Robert immer wieder die Chance, sich dadurch ein paar Euro zu verdienen. Er war geistig ein wenig zurĂŒck geblieben, aber Ă€uĂerst krĂ€ftig. Zum Arbeiten war er gut zu gebrauchen. Nur war er bisher im entscheidenden Moment immer zu aufgeregt gewesen, um eine saubere Schlachtung vorzunehmen.
Robert hatte die Worte seines Gönners nicht gehört. Sein Blick hatte sich an der tödlichen Wunde, die er dem Schwein zugefĂŒgt hatte, fest gesaugt. Die Welt ringsum schien fĂŒr ihn nicht mehr zu existieren. Geschafft. Er allein hatte das Schwein getötet.
Die Routinearbeiten die jetzt begannen, gingen Robert heute besonders leicht von der Hand. Das entfernen der Borsten im dafĂŒr vorgesehenen Trog, das abtrennen des Kopfes und schlieĂlich das vorsichtige Zerlegen ohne Darm, Blase und Galle zu beschĂ€digen.
Als die BĂ€uerin zur Jause rief, konnte sich Robert nur schwer von der Arbeit losreiĂen. Zu viel gab es noch zu tun.
Aber auch der aus Frischblut zubereitete Kuchen wollten verkostet werden.
âAlso los. Komm schon.â Hans, der Metzger, merkte dass Robert heute besonders eifrig bei der Sache war. Ihm war es recht, dass der junge Mann diese Arbeit so gerne machte. Besonders lange wĂŒrde er selbst es nicht mehr schaffen. Er war schon mehrere Jahre in Pension und allmĂ€hlich neigten sich seine KrĂ€fte dem Ende zu. Wie es schien, hatte er rechtzeitig damit begonnen, sich seinen Nachfolger aufzubauen.
Hans hatte seinen Helfer noch bevor sie zum Bauernhof gekommen waren unterwiesen, dass er sich diesmal bei der Vormittagsjause Zeit lassen solle. FĂŒr heute hatte er wieder einmal eine âSauschĂ€dlmusiâ organisiert. Diesen Brauch hatte er erst kennenâ und sofort liebengelernt, als er durch die Heirat seiner zweiten Frau Erna in diese Gegend kam. Anfangs wunderte er sich ĂŒber den Aufwand, der dabei getrieben wurde. ZunĂ€chst musste der Kopf des geschlachteten Schweines unbemerkt abgeholt werden. Dabei gab es meist irgendwelche Helfershelfer, die dieses Vorhaben erleichterten. AnschlieĂend wurde der gestohlene Kopf von Freunden und Nachbarn mit den verschiedensten Utensilien dekoriert. Am Abend brachte man ihn gemeinsam zum Bauernhof zurĂŒck, wo er von den Bauersleuten wieder ausgelöst werden konnte. Um welchen Preis der Besitzer ihn wieder bekam, wurde im Rahmen einer gespielten Gerichtsverhandlung festgesetzt. Ăblicherweise lautete das StrafausmaĂ nach dem Urteil: Eine deftige Jause und ein gewisses MindestmaĂ an GetrĂ€nken fĂŒr sĂ€mtliche Anwesende. Dabei wurde stets darauf geachtet, dass das MindestmaĂ nicht zu gering ausfiel.
WĂ€hrend jetzt alle gemeinsam im Haus saĂen, wĂŒrden also drauĂen bereits seine Freunde in Aktion treten. Er hatte ihnen genau beschrieben, wo der den SauschĂ€del lagern wĂŒrde. Sie mussten ihn nur holen und entsprechend vorbereiten. Aber er brauchte sich keine Sorgen zu machen, dass etwas schief gehen könnte. SchlieĂlich war es nicht das erste Mal. Auch wenn einzelne Bauern anfangs damit keine besondere Freude hatten, im Endeffekt war es immer ein RiesenspaĂ geworden.
âSo Robert. Ich glaube, wir mĂŒssen wieder an die Arbeit.â
âAber du hast doch gesagt, ich soll mir Zeit lassen.â Es war schwer, mit Robert ein Geheimnis zu teilen.
âDamit meinte ich, dass du das Essen nicht wieder so in dich hinein schlingen sollst. Also komm jetzt.â
Robert hatte nicht vor, sich auf eine Diskussion einzulassen. In Gedanken war er ohnehin schon wieder im Schlachtraum.
Mit gespieltem Entsetzen kam der Metzger wieder zurĂŒck ins Haus. âJetzt ist es passiert! Wir hĂ€tten nicht so lange hier sitzen sollen.â
âWas ist passiert? Hat sich der Robert verletzt?â Die BĂ€uerin war erschrocken.
âNein. Der SauschĂ€del. Er ist weg. Irgend jemand muss ihn gestohlen haben.â
âBitte nicht. Ich bin froh, wenn ich heute mit meiner Arbeit fertig werde. Ich habe nicht vor, am Abend noch GĂ€ste zu bewirten.â FĂŒr die BĂ€uerin war es ein Schock.
Der inzwischen wieder zurĂŒck gekommene Bauer hatte sich mit der Situation sofort abgefunden âWie es aussieht, wird sich das nicht vermeiden lassen. Wir hĂ€tten einfach besser aufpassen mĂŒssen.â
Hans konnte nur zustimmen. âEs sieht tatsĂ€chlich so aus. Am besten ist, Sie stellen sich schon mal darauf ein. Ich mache mich inzwischen wieder an die Arbeit. Wir wollen so frĂŒh wie möglich fertig sein, um uns auf die Gerichtsverhandlung einzustellen, und Ihnen bei den Vorbereitungen zu helfen.â
Alle bemĂŒhten sich, die noch anfallenden Arbeiten so schnell wie möglich zu erledigen. Am wichtigsten war es, die BreinwĂŒrste rechtzeitig gestopft und ĂŒberbrĂŒht zu haben. Wenn sie diese Traditionsmahlzeit nicht aufwarten konnten, war der Ruf auf Jahre hinaus ruiniert.
Aber es klappte alles. Von der Schlachtung waren kaum noch Spuren zu sehen. Alles war vorbereitet, als sich mit Einbruch der Dunkelheit eine lÀrmende Kolonne auf den Bauernhof zu bewegte. Der Metzger ging den Leuten mit seinem Helfer entgegen. Die Bauersleute begannen bereits, GetrÀnke einzuschenken.
âHallo Leute, alles in Ordnung?â Eigentlich war es mehr eine Floskel, mit der Hans seine Freunde begrĂŒĂte. Es war unverkennbar und vor allem unĂŒberhörbar, dass alles in Ordnung war. Die Umrisse des dekorierten SauschĂ€dels, den sie auf einem extra dafĂŒr restaurierten Wagen natĂŒrlich wieder mitgebracht hatten, waren in der Dunkelheit gerade noch erkennbar.
âWisst ihr was? Geht schon mal voraus. Ich gehe mit Robert noch kurz in den Schlachtraum. Er will sich den SchĂ€del noch einmal in Ruhe ansehen.â Dann fĂŒgte er noch schmunzelnd hinzu âEr hat eine besondere Beziehung zu ihm.â
Robert freute sich, dass ihm Hans seinen Wunsch erfĂŒllte. Dieses Schwein war sein Schwein! Er allein hatte es getötet. Er ganz allein. Ab heute brauchte er niemanden mehr, der ihm dabei helfen musste.
Mit einer flotten Polka stellten sich die mitgekommenen Musikanten vor. Inzwischen hatte sich auch die BĂ€uerin auf einen schönen Abend in geselliger Runde eingestellt. Nach dem ersten MusikstĂŒck und einem Willkommens-Schnaps kam des GesprĂ€ch auf die bevorstehende Verhandlung.
âWo bleiben nur die beiden mit dem BeweisstĂŒck? Die HintergrĂŒnde dieses Falles von unterlassener Aufsichtspflicht mĂŒssen endlich geklĂ€rt werden.â, meldete sich der mit der Leitung der geplanten Verhandlung beauftragte ÂŽRichterÂŽ.
Er hatte kaum ausgesprochen, als der Wagen von Robert heran geschoben wurde. Noch befand er sich auĂerhalb des Hoflichtbereiches. MerkwĂŒrdigerweise wirkte der SchĂ€del jetzt relativ klein. Erst als Robert mit dem GefĂ€hrt in den Lichtkegel trat, wurde sichtbar, was nicht sein konnte: Auf dem Wagen lag nicht mehr der geschmĂŒckte SauschĂ€del sondern der Kopf von Hans, dem Metzger â nur sein Kopf. Blutverschmiert. Das Blut tropfte noch seitlich herunter. Das Gesicht, eine Fratze, die noch immer blankes Entsetzen widerspiegelte.
Im krassen Gegensatz dazu das maskenhaft ruhige, freundliche Gesicht Roberts. Er hatte es heute schon zum zweiten Mal geschafft. Er musste es jetzt immer allein machen. Aber jetzt hatte er keine Angst mehr davor. Jetzt konnte er es ja schon. Ganz allein.
(c) Josef GraĂmugg
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