Das mit 328 Seiten dickste Buch unseres Verlagsprogramms ist die Vampiranthologie "Ganz schön bissig ..." - die 33 besten Geschichten aus 540 Einsendungen.
10 FedEx Lastzüge vor den Luken, und das schon seit Stunden.Gespenstische Stille in der Ladehalle, keine Gabelstapler, keine Arbeiter und keine Paletten mit fertiger Ware. Was war hier los?
Dee Ann Garrison rauschte durch die leere Halle, schob die Plastiktür zur Seite und befand sich in der Qualitätskontrolle. Und wieder: was war hier los? Frauen und Männer in weissen Kitteln. Sie standen um einige Geräte herum, während ein anderer wild auf die Tasten eines Computers einhämmerte.
Eine der Frauen wandte sich ihr zu: “Dee Ann, wir haben ein Problem. Der Barcode auf den Fibrillatoren stimmt nicht mit dem auf den Ladepapieren überein. Wir können nicht beladen. Die Software spinnt.”
“Mary, wenn der Typ übereinstimmt, dann lass das Zeug verpacken. Achte nicht auf den Barcode. Wollt ihr Überstunden schieben? Wir haben Quartalsende, brauchen den Umsatz, und die Lastzüge müssen raus. F*ck the Barcode, lets get the show on the road!”
Mary drehte sich zu ihren Mitarbeitern und klatschte in die Hände. “Alle Mann zur Packstation. Packt das Zeug ein und dann in die Lastzüge damit. Oder wollt ihr wieder Überstunden schieben?”
Sie wandte sich um, doch Dee Ann war verschwunden. Sie war auf dem Weg zur Datenverarbeitung. Was für Pfeifen, alles muss man hier selbst machen. Dee Ann liebte ihren Job. Krisen zu managen gab ihr den Kick. Das Adrenalin musste spritzen, und sie war in ihrem Element. Sie hatte das Unternehmen und sich nach oben gemanaged. Jetzt war sie COO, Chief Operations Officer. Nichts waren die anderen im Vorstand; nichts ohne sie. Dee Ann wurde etwas schwindelig und wartete einen Moment, dann ging es wieder, und bald darauf stand sie neben den Programmierern.
Der Buick schlängelte sich auf der vierspurigen Freeway 183 an riesigen Lastzügen vorbei und bog auf die 360 ab. Eine Meile noch bis Grapevine, dann lenkte Joe Garrison seinen Wagen auf die Ausfahrt. Weiter bis zum Westchester Circle, dort zum zweiten Haus auf der rechten Seite. Joe stieg aus, holte seine Tasche aus dem Fond, ging ins Haus, in sein Labor, einen kleinen, weissge-strichenen Raum, ausgestattet mit einem Kühlschrank, einem Tisch und einem Mikroskop. Er öffnete die Kühlschranktür, zog ein paar Glasplatten aus der Tasche heraus und legte sie in ein Fach. Im Wohnzimmer fläzte er sich aufs Sofa, schenkte sich einen Merlot ein und dachte, was nun?
Hier sass er nun, ein Schimmelpilzexperte. Vor einer Stunde hatte er in Dallas in den Klassen der Richardson Schule am Wandbelag herumgekratzt, um diesen in seinem Labor zu untersuchen. Raumluftanalyse. Was für ein Job. Er dachte an Dee Ann, die eine halbe Million Dollar im Jahr machte, sich in ihrer Firma aufrieb, um ihren Lebensstil zu halten. Man sah es ihr an, mit ihrer Salatkur hielt sie es nicht mehr lange durch.
Mit ihrem Job hatte sie sein Chemiestudium finanziert. Er wusste, sie liebte ihn, aber er war so viel jünger als sie. Er hatte sich einer Vasektomie unterziehen müssen. In ihrer jetzigen Lebensphase seien Kinder nur hinderlich, hatte sie gemeint. Sein Herz machte ein paar extra Schläge. Joe fühlte sich beklommen. Was war das?
Joe ging zu seinem Schreibtisch, setzte sich und fuhr seinen Computer hoch. Er musste seine Internetseite endlich zum laufen bringen
‘Innenraumallergene wie Schimmelpilze haben sich in den letzten Jahren zu einem Volksärgernis entwickelt. Sie machen uns krank, sie sind die Auslöser zahlreicher Beschwerden’.
Joe hielt inne und horchte in sich hinein. Verdammt, schon wieder ein extra Schlag, eine Extrasystole. Da stimmt was nicht. Er rief die Webseite von Intelihealth auf. ‘Arrhythmien sind ein Sammelbegriff für eine Anzahl von Typen von unregelmässigen Herzschlägen, von denen der ventrikuläre vorzeitige Herzschlag harmlos, jedoch auch Ausprägung eines ernsteren Problems sein kann. Er kann Vorläufer von Typen ventrikulärer Arrhythmien sein, die behandlungsbedürftig sind: Ventrikuläre Tachykardien und ventrikuläre Fibrillationen.’
Joes Herz raste. Er stand auf und blickte nervös um sich. O Gott, auch das noch. Das muss ich unbedingt kontrollieren. Ich brauche frische Luft. Dee Ann hatte ihm aufgetragen, sich um die Wäsche zu kümmern. Nichts einfacher als das. Rein in die Waschmaschine und danach in den Trockner. Aber was sollte das? Er musste raus. Joe hatte das Gefühl, ihm fiele die Decke auf den Kopf.
Joe griff nach dem Korb mit der Wäsche, trug ihn in seinen Wagen. Auf dem Weg zum nächsten Waschsalon hatte er sich wieder etwas beruhigt. Macht der Gewohnheit, Joe grinste, als er die Wäsche in die Maschine stopfte. Er setzte sich neben eine farbige Frau. Gemeinsam blickten sie auf den Fernseher.
Lokalnachrichten. Waschmaschinen brummten, summten, vibrierten. Trockner klickten, stampften. Die Kinder der Frau tobten um die Waschmaschinen herum, dann wurde es hell im Raum, Barbara war wieder da. Wie ein Komet, Joe starrte sie bewundernd an. Nein, nicht wie ein Komet, der kam regelmässig. Joes Herz raste wieder, dann schlug es langsamer, unregelmässig jedoch. Das konnte nicht gut gehen. Barbara war einfach zu viel für ihn. Waren ihre Brüste echt? Er tippte auf Silikon, sie bewegten sich kaum, als sie sich bückte, die Wäsche aus dem Korb nahm und sich wieder vorbeugte, um sie in die Maschine zu stopfen. Joe betrachtete ihr Gesäss. Die Sonne geht auf. Ich halts nicht aus. Wenn ich hier weiter rum sitze, bekomme ich eine Fibrillation.
Joe ging nach draussen, an die frische Luft. Er blickte zurück. Links neben dem Waschsalon war eine Tanzschule. Rechts davon ein Eisenwarengeschäft. Und im Waschsalon blickte Barbara hoch und lächelte ihn durchs Fenster an. Joe lächelte zurück und ging wieder hinein. “Du bist Barbara nicht war? So haben dich wenigstens einige Leute genannt.”
“Das ist richtig. Und du bist Joe? Einige meiner Freund kennen dich. Bist du nicht der Schimmelpilzexperte? “
Joe lachte verlegen. “Richtig, der bin ich. Auf Pilze verstehe ich mich.”
Barbara trat näher an ihn heran. Sie war kleiner als er und berührte ihn fast. “Auch Candida albicans?” flüsterte sie. “Kannst du nicht auch meinen Körper untersuchen?”
Joe schluckte und blickte zur Seite. “Ich glaube, ich kann meine Maschine leeren.” Joe holte die Wäsche aus der Maschine und warf sie in den Trockner. Ein paar Münzen hinterher, auf den Knopf gedrückt und er begann zu rummsen.
Joe wandte sich um. Barbara rührte sich nicht von der Stelle. Sie lächelte. Eine Wucht, einfach eine Wucht, dachte er. Sieht sie nicht aus wie Jennifer Lopez?
“Barbara, bist du mit Jennifer Lopez verwandt? Du siehst ihr ähnlich.”
Barbara kicherte. “Meinst du? Mein Grossvater väterlicherseits kommt aus Mexiko.”
Eine zeitlang sagten sie nichts und blickten sich an. Barbara errötete und senkte den Kopf. Es schien, als habe sie ihre eigene Impulsivität erschreckt. Das Rummsen der Trocker, das Surren der Waschmaschinen, das Geplärre des Fernsehers und das Toben der Kinder verschmolzen zu einer Kulisse, die beide einschloss und ihre Gedanken verstummen liess. Verdammt, diese Palpitationen!
“Gib mir deine Nummer. Ich ruf dich an.”
Barbara kramte in ihrer Jackentasche und zog eine Visitenkarte heraus. “Hier hast du sie. Du bist verheiratet, nicht wahr?”
“Ich kanns nicht leugnen.” Joe blickte auf die Karte. Barbara Gonzales, Web Designerin.
“Was, Web Designerin? Vielleicht kannst du mir helfen.” Danach verging die Zeit wie im Fluge.
Dee Ann stieg in den Lift und blickte auf die Uhr. Neun Uhr abends. Wieder spät geworden. Dee Ann hatte sich noch den 10-Q Report, den Vierteljahresbericht angesehen. Umsatzsteigerung 50 % und Gewinnsteigerung 60 %. Dee Ann war zufrieden. Zum Glück hatten sie die FedEx Lastzüge noch rechtzeitig vom Hof bekommen. Das hatte dem Umsatz gut getan. Der Lift hielt in der Tiefgarage. Dee Ann stieg in ihren Lexus und fuhr Richtung Fort Worth. Die Abenddämmerung war hereingebrochen. Dee Ann schaltete das Radio ein und liess sich von den sanften Klängen der Smooth Jazz Radio Station einfangen. Der Verkehr war verhalten. Sie schaltete um auf Cruise Control und nahm den Fuss vom Gashebel.
Die Aktionäre würden zufrieden sein. Sie hatten die Voraussagen um 7 cents übertroffen. Nur schade, dass Joe sich von ihrer Begeisterung so wenig anstecken liess. Er schien niedergeschlagen. Was war nur mit ihm? Dee Ann verspürte einen scharfen Schmerz in ihrer Brust. Sie fühlte sich nicht wohl. Was war das? Angina? Ich muss kürzer treten. Der Schmerz liess nach, der Lexus schnurrte über die Freeway und liess Bürotürme, die Lichtflut von Dallas hinter sich.
Weisse Punkte tauchten am Himmel auf, veränderten langsam ihre Position. Flugzeuge, die mit aufgeblendeten Scheinwerfern den Flughafen ansteuerten. Dee Ann zählte sie. Es waren zweiundzwanzig. Die unteren verschwanden, doch am oberen Rand tauchten schon wieder neue auf. Ein grandioser Anblick. Zur linken musste das Delaney Weingut liegen. Etwa 5 Hektar Chardonnay. Dee Ann sah es nicht. Es war zu dunkel. Wein in Texas. Dee Ann lächelte. Well, Texas hatte alles, was es brauchte. Don’t mess with Texas. Der Wagen bog auf die 360.
Als Dee Ann zu Hause die Tür öffnete, sah sie den gedeckten Tisch. Joe kam aus der Küche und begrüsste sie mit einem Kuss. Was für ein Schatz. Er war unbezahlbar. Doch irgend etwas ging in ihm vor.
“Joe, was ist? Du wirkst niedergeschlagen. Wie kann ich dir helfen?”
“Irgendetwas stimmt mit meinem Herzen nicht. Es hat Extrasystolen. Das macht mich verrückt. Vielleicht steckt mehr dahinter.”
Dee Ann wirkte wie vom Schlag getroffen. Extrasystolen? Arrhythmien? Linksventrikuläre Hypertrophie? Kardiomyopathie? Die Begriffe wirbelten ihr im Kopf herum.
“Weisst Du, was wir tun? Wir stellen auf Deiner Bettseite einen Elektrokardiographen und einen Defibrillator auf. Wir schliessen dich am Elektrokardiographen an und falls etwas schief geht, setze ich den Defibrillator ein.”
“Was? Das ist nicht notwendig. Die Extrasystolen können doch ganz harmlos sein.”
“Das wissen wir nicht, mein Lieber. Wir wollen lieber vorsichtig sein. Morgen machst du einen Termin beim Kardiologen. Danach werden wir weiter sehen.”
So ein Unsinn. Für Joe war der Tag gelaufen.
Am nächsten Tag kam ein UPS Laster vorbei. Der Fahrer karrte einen Karton ins Haus.
“Bring ihn ins Schlafzimmer,” meinte Joe märrisch und zeigte ihm den Weg, unterschrieb und drückte dem Fahrer 5 Dollar in die Hand.
Dee Ann war besorgt, als sie abends spät ins Haus kam. Auch vorher schon, den ganzen Tag über hatte sie an Joe gedacht..
“Hallo Schatz, was haben wir hier? Warum öffnest Du nicht den Karton? Das ist unser neuestes Modell GST2000. Es ist ein Defibrillator mit integriertem Elektrokardiographen. Ein phantastisches Gerät.” Dee Anns Augen glänzten. “Unser Verkaufsknüller. Die Krankenhäuser reissen sich darum.”
“Können wir das nicht später machen. Das Essen wird kalt.”
Als Joe sich später schlafen legte, öffnete sie den Karton, holte das Gerät heraus, stellte es an seiner Bettseite auf und schloss es an. Anschliessend spritzte sie ihm Gel auf die Brust und presste die Saugnäpfe mit den Ableitungskabeln auf seinen Körper.
Der Bildschirm zeigte die P, T und U Wellen, das Gerät fiepte den Herzschlag. Dee Ann konnte ihre Besorgnis nicht verbergen, als sie sich hinlegte. Immer wieder drehte sie sich zu Joe herüber und betrachtete die Kurven auf dem Bildschirm.
Joe wartete, bis Dee Ann eingeschlafen war. Das verdammte Fiepen ging ihm auf den Nerv. Wie sollte er da zu Schlaf kommen? Er läste die Ableitungskabel von dem Gerät und schaltete den Ton ab. Der Monitor zeigte nur noch eine flache gerade Kurve. Beruhigt drehte sich Joe zur Seite und schlief ebenfalls ein.
Dee Ann hatte einen schrecklichen Traum. Ihr war, als sei Joes Herzkurve flach geworden. Erschreckt wachte sie auf und drehte sich zum Monitor. Flatline! Joes Herzkurve war flach geworden!
Entgeistert sprang sie aus dem Bett, rannte auf Joes Seite und schaltete die Energie für die Schockpaddel ein. Sie drückte die Paddel auf Joes Brust. Sein Körper zuckte, er schlug die Augen auf. Dee Ann sah es nicht, starrte auf den Bildschirm. Die Linie blieb flach. Dee Ann erhöhte die Energie von 100 auf 200 Joule und setzte die Paddel wieder auf Joes Brust.
Was war das? Joe wusste nicht, wie ihm geschah. Es musste ein Traum sein, ein schlimmer Traum. Sein Körper verkrampfte sich. Die Linie blieb flach. Dee Anns Herz raste. Sie war verzweifelt. 360 Joule. Paddel auf Joes Brust. Er versuchte seinen Mund zu öffnen, zu schreien. Sein Körper zuckte einen halben Meter in die Höhe. Nichts, die Linie blieb flach. Mary Ann wurde schwarz vor Augen. Sie fiel auf den Boden und regte sich nicht mehr.
Verwirrte richtete sich Joe auf und blickte zur anderen Seite des Bettes. Dee Ann war fort. Verstört riss er die Saugnäpfe von seiner Brust, schob den Defibrillator zur Seite und stieg aus dem Bett. Er schrie auf. Vor ihm, auf dem Boden, lag Dee Ann.
Als Joe einige Wochen später mit einigen Glasplatten in der Tasche auf der 183 nach Hause fuhr, lächelte er zufrieden. Seine Beschwerden waren abgeklungen und nun ganz verschwunden. Ein Reklametafel zog links an ihm vorbei: Reverse Vasectomy, Call 1-800-344-0632.
Seine Webseiten waren fertig. ‘Luftreinigungsservice Incorporated’, das klang gut. Webdesign: Barbara Garrison, das klang noch besser.
(c) Klaus Eylmann
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