Der Teufel oder Die Macht des Wollens von Monique Lhoir
Ich fiel fast von meinem Bürostuhl, als der Personalchef die Tür öffnete und mir den neuen Kollegen vorstellte. Ich starrte ihn an und bekam den Mund nicht mehr zu. Was da im Raum stand, war kein Mensch, das war ein überirdisches Wesen. Und im gleichen Augenblick fühlte ich mich in meine Kindheit versetzt. Ein kleines Mädchen, verträumt in meine Sagen- und Märchenfiguren.
Was da vor mir stand, das war "mein" Prinz aus 1001 Nacht, den ich nur von Bildern kannte. Die Vorstellung erlebte ich wie in Trance. Eine goldbraune kräftige Hand, die sich mir zur Begrüßung entgegenstreckte. Ich registrierte nicht einmal den Namen, starrte fasziniert in diese tiefschwarzen Augen und im gleichen Augenblick wusste ich, dass etwas Unheimliches auf mich zu kam, etwas, was mein Leben gravierend ändern würde.
Der Personalchef wies ihm den Platz mir gegenüber zu. Ich starrte dieses Wesen immer noch unverwandt an. Er verzog spöttisch seinen Mund. Seine Haare waren genauso schwarz wie seine Augen, die mich nun intensiv ansahen und mich zu durchdringen schienen.
Ich schluckte, bekam einen Kloß im Hals. Ich hatte schon davon gehört; von der Liebe auf den ersten Blick, aber bislang wurde ich davon noch nicht erwischt. Was hier passierte, traf mich wie ein Blitz und ich war sprachlos, was mir selten passierte.
Der Personalchef schloss die Tür, ließ uns allein. Er stand vor seinem neuen Arbeitsplatz und ich starrte ihn unverwandt an. Obwohl es mitten im Winter war, fühlte ich mich verlassen in einer brennend heißen Wüste und suchte verzweifelt nach einer Oase.
Da stand er, mein Prinz. Er sah fremdländisch aus. Es fehlten nur noch die Wüstengewänder und der Schimmel, auf den er mich hätte heben können, um mit mir davon zu reiten.
Mein sonst immer zur Schau getragenes Selbstbewusstsein war dahin. Ich hatte nie gelernt, wie man einen Prinzen begrüßte, ihm die gebührende Ehre erwies. Ich bot ihm den Platz mir gegenüber an. Er setzte sich und blickte spöttisch zu mir herüber.
"So", sagte er, "Sie sind also meine Kollegin für das nächste Jahr. Angesichts dieser Tatsache sollten wir uns duzen. Ich heiße Wolf." Er reichte mir abermals diese goldbraune Hand, die ich zaghaft ergriff.
'Wolf', dachte ich. 'Ja, Wolf ist wohl der richtige Name für dieses unwirkliche Wesen.' Er sah auch aus wie ein Wolf. Und mit diesem Wesen würde ich nun Tag für Tag zusammensitzen? Wie sollte ich denn das überleben und dabei noch arbeiten?
Ich versuchte ein Gespräch. "Du wurdest schon angekündigt", sagte ich. "Aber man sagte mir, du würdest aus Amerika kommen?" An meinem zweifelnden Blick konnte er wohl erkennen, dass ich sein Aussehen meinte.
"Mein Vater ist Perser", sagte er, "meine Mutter Französin. Ich habe in Amerika studiert."
Also doch ein Prinz aus 1001 Nacht. Um etwas zu sagen, fragte ich: "Was hast du studiert?"
"Betriebswirtschaft und Psychologie", antwortete er.
"Komische Zusammenstellung", erwiderte ich und fühlte mich angesichts eines angehenden Psychologen noch unsicherer. Das konnte ja heiter werden. Ein Psychologe und dann dieses Aussehen. Und ich hier mit ihm allein.
"Und was machst du jetzt hier?" fragte ich.
"Ein Jahr Praktikum in Deutschland. Dann werde ich als Unternehmensberater in Amerika einsteigen", antwortete er. "Ich hoffe, wir werden gut zusammenarbeiten, und du wirst mir hier einige praktische betriebswirtschaftliche Kenntnisse beibringen."
Ich schluckte abermals. Ein Jahr! Mit diesem "Wahnsinnsmann"? Praktische betriebswirtschaftliche Kenntnisse? Tag für Tag. Mir war so heiß wie noch nie in meinem Leben.
Abends fuhr ich wie betäubt nach Hause. Ich hatte das Gefühl, in einem Traum zu leben, fühlte Angst vor dem nächsten Tag. Ich betrachtete mich im Spiegel. Graues Kostüm, dezente schwarze Strümpfe, strenge Haarfrisur, zwar lang, aber doch zurückgebunden. Ich sah nicht aus wie eine Prinzessin, eher wie eine solide Angestellte, die sich ihre berufliche Position hart erkämpft hatte.
Am nächsten Tag war ich eher im Büro als er. Wartete. Auf was? Auf das Knistern, das er verbreitete? Ja doch, ich wartete. Und dann kam er, begrüßte mich kurz und setzte sich. Ich arbeitete weiter, unruhig, versuchte mich zu konzentrieren, was mir kaum gelang. Er hatte die Aufgabe, Analysen auszuarbeiten. Kurz vor Mittag fragte er mich: "Darf ich dir die Zahlen diktieren?"
Ich stutzte. Was bildete er sich ein und ich fragte: "Direkt in den Computer?"
"Ja, wenn es dir nichts ausmacht."
"Natürlich nicht", sagte ich irritiert.
Er kam zur mir herüber. Stellte sich direkt hinter mich und diktierte mir Zahlen. Seine Hemdsärmel streiften meinen Arm und ich starrte auf diese goldbraunen, kräftigen Männerhände, roch seinen Duft, der mich betäubte.
Gegen Mittag beendeten wir unsere Arbeit.
"Sollen wir essen gehen?" fragte er mich. Normalerweise blieb ich im Büro, aß meinen Joghurt. Aber ich nickte ergeben. Wie sollte man einem Prinzen einen Wunsch abschlagen? Und so saßen wir schweigend in einem Lokal mitten im Ruhrgebiet.
Er schaute mich durchdringend mit seinen Augen an und fragte, während er aß: "Bist du eigentlich schon gestorben oder lebst du noch?"
Ich war irritiert. Was sollte diese Frage? Gestorben oder lebend?
"Deine Augen wirken tot", sagte er nachdenklich. "Du hast schöne grüne Augen, aber sie strahlen kein Leben aus." Ich schaute ihn verwundert an.
Wieso Leben? Mein Leben bestand bislang nur aus Arbeit. So richtig verstanden hatte ich seine Frage nicht. Tote Augen? Ich fragte mich sowieso, woher er sich das Recht nahm, so mit mir zu sprechen.
Erst einmal machte ich mir keine Gedanken mehr darüber. Vor dem Schlafengehen schaute ich in den Spiegel. Ich fand nicht, dass meine Augen tot aussahen, höchstens sehr müde. Das blieb ja auch nicht aus, wenn das Leben nur aus Arbeit bestand und aus sonst nichts.
Ich freute mich am nächsten Morgen darauf, ins Büro gehen zu können, und in meiner Magengegend machte sich ein erwartungsvolles Gefühl breit. Ein Jahr mit diesem Traumprinzen zusammen zu arbeiten war eine sensationelle Aussicht). Viel sorgfältiger als gewöhnlich kleidete ich mich an, schminkte und frisierte mich, band die Haare nicht streng zurück, sondern ließ sie locker über die Schulter fallen und benötigte nahezu doppelt soviel Zeit wie gewöhnlich.
Als Wolf ins Büro kam, grinste er mich spöttisch an.
”Gut siehst du heute aus. Nicht mehr so farblos”, sagte er und ich, ja richtig, ich wurde rot. Seine Bemerkung fand ich unverschämt, sein Grinsen noch unverschämter, aber das Schlimmste war, dass ich mich ertappt fühlte.
Das Arbeiten in der Folgezeit war spannungsgeladen. Wolf hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, mir grundsätzlich seine ausgearbeiteten Zahlen, Analysen oder Berichte direkt in den Computer zu diktieren, aber ich protestierte nie, da ich es liebte, somit stundenlang neben ihm sitzen zu können. Ich genoss diese Zeiten, seine Wärme und die Spannung, seinen Geruch und mein Vibrieren, wenn sich unsere Arme oder Hände berührten.
Es war offensichtlich, dass ich mich in Wolf, diesen abenteuerlich aussehenden Mann, verknallt hatte. In seine schwarzen Augen, die mich durchdrangen und mich absolut durchschauten. Und dass er mich durchschaute, da war ich mir ganz sicher.
Grundsätzlich gingen wir gemeinsam mittags essen, dehnten die Mittagszeit aus. Machte ich Dienstreisen, nahm ich ihn mit. Im Büro hockten wir fast ausschließlich nebeneinander.
Irgendwann, nach ein paar Wochen, fragte er unvermutet:
”Bist du wieder unter die Lebenden gegangen?”
”Wieso?,” fragte ich und fühlte mich schon wieder ertappt.
”Deine Augen, sie glänzen wieder.” Er saß neben mir, wie immer. Ich schaute ihn an, verlor mich in seinem Blick, der mich nicht mehr loszulassen schien. Ich spürte seine Wärme, nahm seinen Geruch wahr und hatte das Gefühl, dass die Distanz zwischen uns langsam immer kürzer wurde und ich jeden Moment in ihn hinein fallen würde.
”Du bist ein Teufel”, zischte ich und schnappte nach Luft, sprang von meinem Stuhl auf, dabei rieselte es mir gleichzeitig heiß und eiskalt den Rücken herunter.
”Dann kommen wir uns ja allmählich näher.” Sein Mund verzog sich ironisch, aber es war kein Lachen in seinen Augen. Sie waren unergründlich und ernst.
”Du willst mich provozieren”, sprach ich weiter. ”Warum?”
”Provoziere ich dich?” fragte er neckend.
”Ja”, funkelte ich ihn an. ”Du machst mich verrückt. Und du weißt das ganz genau.” Im gleichen Augenblick ärgerte ich mich, dass ich mich zu dieser Äußerung hatte hinreißen lassen und ihn damit nur bestätigte. Ich konnte mich seiner körperlichen Anziehungskraft nicht widersetzen, war Wachs in seinen Händen und das wusste er. Ich stand ihm gegenüber und sah ihn kämpferisch an.
Er grinste: ”So ist es recht. Kämpfe für dein Leben. Kämpfe für deine Gefühle und Emotionen.”
Dann wandte er sich ab und sagte beiläufig: ”Weißt du, dass du wundervolle Augen hast, wenn sie so voller Leben sprühen?”
”Teufel”, schnaubte ich wütend, packte meine Handtasche und verließ das Büro. Wie sollte das nur weitergehen? Unter diesen Umständen konnte ich nicht mit ihm zusammen arbeiten.
Am nächsten Morgen kam ich später ins Büro. Wolf war schon da. Ich nahm meinen Platz ein, schaute ihn direkt an und fragte angriffslustig: ”Was willst du eigentlich von mir?”
”Ich will was von dir?” erwiderte er. ”Und was willst du?”
”Ich?” entgegnete ich lang gedehnt.
”Hast du keinen Willen? Passt du dich immer an?” Er war erstaunlicherweise mal ernst.
”Kennst du nicht die Kraft des Wollens?”
”Worauf willst du jetzt schon wieder hinaus?” fragte ich argwöhnisch. ”Seit gestern provozierst du mich. Was habe ich dir getan?”
”Ich habe dir etwas getan? Hast du dir nicht selber etwas getan?”
”Was habe ich mir selber getan?” fragte ich zurück.
”Dich in diese Situation gebracht, mit der du offensichtlich nicht fertig wirst”, antwortete er ernst.
Ich war wütend. Seine Direktheit störte mich, da meine Gefühlswelt wie ein offenes Buch vor ihm lag und er spielte damit, wie die Katze mit der Maus. Ein Wolf. Er wußte, dass ich mich in ihn verknallt hatte.
”Ich habe mich nicht in diese Situation gebracht. Du mit deinem Auftauchen hast mich in diese Lage gebracht und das weißt du ganz genau.”
”Willst du, dass ich gehe?"
‚Um Gottes Willen, nur das nicht’, dachte ich und wurde noch wütender. Das war ein ungleicher Kampf, den er da mit mir ausfocht.
”Nein”, erwiderte ich.
”Was willst du dann?” Er blieb jetzt ernst und blickte mich tiefgründig an. Ich senkte nicht meinen Blick, sondern verlor mich in der Tiefe dieser Dunkelheit.
”Dich will ich”, sagte ich ganz ruhig.
Wolf lachte laut auf und schaute mich spitzbübisch an. Der Zauber war gebrochen.
”Mich? Welchen Teil hättest du denn gerne von mir?”
”Du Teufel”, giftete ich ihn an, schnappte mir die Schale mit den Büroklammern und warf sie ihm an den Kopf. Warum hatte ich mich schon wieder von ihm provozieren und dazu verleiten lassen, genau das auszusprechen? Ich griff den nächsten Gegenstand, der in meiner Nähe stand und warf ihn in seine Richtung. Der Locher knallte an die Wand. Als ich den Hefter schnappen wollte, war Wolf schon um den Schreibtisch herum und hielt meine Hand fest, zwang mich aufzustehen.
”Willst du mich jetzt umbringen?” fragte er grinsend und sein Griff war eisern.
‚Nur nicht schwach werden’, dachte ich und versteifte mich. Er hielt mich fest umklammert, rührte sich nicht. Ich spürte, wie sich seine Brustmuskulatur bewegte, spürte die direkte Wärme und dann wiegte er mich wie ein Kind hin und her, bis ich mich entspannte.
Abrupt ließ er mich dann los. Sagte kein Wort und setzte sich wieder auf seinen Platz. Die Stimmung war gespannt. Schweigen. Ich verließ an diesem Abend das Büro, ohne auch nur noch ein weiteres Wort an ihn zurichten.
Am nächsten Tag hatten wir einen Auswärtstermin. Obwohl es nicht notwendig gewesen wäre, fuhren wir gemeinsam nach Düsseldorf und erledigten dort unsere Angelegenheiten.
"Komm, wir fahren zum Rhein", sagte Wolf, als wir uns auf die Heimfahrt machen wollten. "Ich möchte mit dir reden." Ich war einverstanden. Mit ihm jetzt noch irgendwo in der Sonne herumzusitzen war verlockend. Und vielleicht konnte man auch die vergiftete Stimmung bereinigen. Wir fanden ein Cafe und setzen uns nach draußen. Wolf bestellte zwei Kir. Als der Kellner die Getränke gebracht hatte, sagte er: "Auf unsere Freundschaft" und prostete mir zu.
”Freundschaft?” Ich ergriff zögernd mein Glas.
"Ja, Freundschaft. Es tut mir leid, dass die Situation gestern beinahe eskaliert wäre", sprach er ernst weiter. "Ich hatte nicht die Absicht gehabt, dich zu provozieren. Ich wusste nicht, wie ernst du es meintest."
”Was?” fragte ich lauernd, und mir fiel siedend heiß die gestrige Situation wieder ein. "Dich zu wollen?" Ich wurde aggressiv.
"Ja", erwiderte er. "Mich hat deine Antwort überrascht. Genauso, wie sie dich wohl selbst überrascht hat."
"Du hast sie herausgefordert." Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und sagte: "Ich kann so nicht arbeiten. Du siehst verdammt gut aus, das weißt du selbst. Es ist mir teilweise unerträglich, wenn wir den ganzen Tag im Büro so eng zusammensitzen. Außerdem habe ich den Eindruck, dass auch du es ziemlich übertrieben und die Situation herausgefordert hast, indem du mehr oder weniger ständig bei mir auf dem Schoss sitzt. Ich weiß nicht, was du von mir willst oder erwartest."
Wolf trank einen Schluck.
"Ich erwarte nichts, noch will ich etwas von dir. Kann ich dir was erklären?" fragte er mich.
"Wenn du gesteigerten Wert darauf legst, bitte", erwiderte ich gereizt und war gespannt, mit was er jetzt wieder aufwarten und mich verletzen würde.
Er räusperte sich. "Als ich dich zum ersten Mal sah, kamst du mir vor wie eine kleine, farblose Maus. Ich sah deinen Blick, als wir uns das erste Mal begrüßten. Du wärest ja bald in Ohnmacht gefallen.” Er blickte mich überheblich an. Oh ja, er war sich seiner Ausstrahlung sehr bewusst.
”Und dann ging eine Veränderung mit dir vor. Du zogst dich sorgfältiger an und in deine Augen kam Leben. Natürlich spürte ich, dass diese Veränderungen mit meiner Person zusammenhingen und welcher Mann kostet so etwas nicht aus?" Er verzog wieder spöttisch seinen Mund.
"Du bist arrogant", sagte ich giftig.
"Bin ich das wirklich?" fragte er und in seine Augen trat ein gefährliches Funkeln. Verdammt noch mal, warum hatte er nur solche Augen?
"Ja".
"O.k., als ich dich fragte, ob du überhaupt weißt, was du willst, hatte ich nicht mit dieser Antwort gerechnet. Du hast mich überrascht."
"Was hast du erwartet?" Ich war beleidigt.
"Jedenfalls nicht eine solche Antwort. Ich wollte auf etwas ganz anderes hinaus. Was ich während unserer Zusammenarbeit festgestellt habe, war, dass sich dein Selbstbewusstsein in einem ziemlich desolaten Zustand befindet. Das ist traurig und du hättest es auch nicht nötig. Meine Frage war provokant, ich weiß. Es ist richtig, ich wollte dich herausfordern, aber nicht auf diese Weise."
"Die Kraft des Wollens", sagte ich, mich erinnernd.
"Ja", sagte er ruhig. "Mit deinem Willen kannst du Berge versetzen. Nur machst du einen Fehler. Du willst nicht. Deine Leitsätze sind immer ”ich möchte” oder ”ich würde gerne”. Das zeugt von Unsicherheit. Das Zauberwort heißt ”ich will”. Nur damit erreichst du dein Ziel.”
”Auch bei dir?” fragte ich. Wolf lachte, diesmal wirklich herzlich.
”Überall. Es öffnet dir Tür und Tor.”
”Habe ich nicht gestern klar gesagt, was ich will?” Ich war beleidigt.
”Und habe ich dir nicht klar geantwortet?”
Ich wusste es, ich war für ihn ein offenes Buch. Er durchschaute mich, kannte mich in- und auswendig, und jetzt sprach er mit mir wie mit einem kleinen Kind.
"Warum interessierst du dich eigentlich für mich?" Ich war pikiert. "Was geht dich mein Leben überhaupt an?"
Wolf zog es vor, wieder sein ironisches Grinsen aufzusetzen und erwiderte: "Ist wohl berufsbedingt."
Aha, der angehende Psychologe. Und ich war sein Versuchskaninchen und zudem noch so blöd, mich in ihn zu verknallen. Ich war enttäuscht, gekränkt und ziemlich sauer. Dabei hatte ich angenommen, dass er sich nicht nur für mich interessierte, sondern ähnlich fühlen würde wie ich. Er hatte mich herausgefordert und bloßgestellt, eiskalt und amüsierte sich wahrscheinlich köstlich über meine Naivität.
"Kraft des Wollens", sagte ich resignierend. "Weißt du", sann ich weiter, "du bist wirklich ein Teufel. Ein Teufel von verdammt guter Gestalt und Aussehen. Und ich bin darauf reingefallen. Aber jetzt weiß ich wenigstens, woran ich bin."
Mit meiner Enttäuschung musste ich erst mal fertig werden und schluckte.
"Sag mal", fing ich erneut an. "Kennst du eigentlich das ”Phantom der Oper”? Es ist nicht nur mein Lieblingsbuch, sondern auch mein Lieblingsmusical. Und wenn ich es mir recht überlege, hast du den Charakter dieses Phantoms. Du willst beherrschen, ohne Rücksicht auf Verluste, manipulieren und delegieren. Du tauchst auf, wenn man dich nicht vermutet und zerstörst mit deiner Arroganz alles, was sich dir in den Weg stellt. Teuflisch und liebenswert zugleich. Und ich habe entsprechend deinem Willen funktioniert.”
Wolf zog seine Augenbrauen hoch und sein markantes Lächeln umspielte seinen Mund.
"Du fängst ja schon an, aufmüpfig zu werden", grinste er, und wenn ich in diesem Augenblick einen Locher zur Hand gehabt hätte, ich hätte diesmal bestimmt getroffen.
Am Abend fuhren wir nach Hause. Die Stimmung war entspannter, aber vieles war ungesagt geblieben. Ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln.
‚Wenn er nur nicht so verdammt gut aussehen würde.' Meine Gedanken überschlugen sich. Ich wollte diesen Mann haben, seine goldbraune Haut streicheln, ihn berühren. Aber er war für mich nun unerreichbar, wie er mir unmißverständlich klargemacht hatte.
Am nächsten morgen war ich schon im Büro, als Wolf zur Tür hereinkam. Vollbepackt.
"Was schleppst du denn da alles mit?" Ich blickte ihn entgeistert an.
"Warte es ab", sagte er aufgekratzt und baute auf.
"Eine Staffelei?" fragte ich völlig perplex. "Hier im Büro?" Und tatsächlich. Neben der Staffelei beförderte er noch Zeichenblock, Pinsel und Malkästen .
"Du hast einen Knall", sagte ich lachend. "Und was ist, wenn jemand hereinkommt?" fragte ich. "Die denken doch, wir wären jetzt hier völlig abgedreht."
"Das denken die doch sowieso. Oder meinst du, dass es deinen Kollegen verborgen geblieben ist, dass du in mich hoffnungslos verknallt bist?"
"Du arroganter Scheißkerl", sagte ich fassungslos, aber immer noch lachend und wollte schon wieder zum Locher greifen. Das war einfach zu verrückt.
"So", sprach er weiter, als er alles aufgebaut hatte. "Und wenn du jetzt Frust hast oder irgend etwas anderes ausdrücken möchtest”, und sein Blick war vielsagend, ”dann kannst du es malen, statt mich mit Lochern zu bewerfen."
"Was soll das werden?" forschte ich nach. "Maltherapie?"
"Wie du möchtest", sagte er grinsend. Verrückt. Eine Staffelei im Büro.
”Mir kam gestern diese Idee bei unserem Gespräch”, zwinkerte er mich an. ”Neben der Kraft des Wollens gibt es nämlich noch etwas wesentliches, was du dabei nicht außer acht lassen solltest. Nämlich die Gefühle. Gefühle wie Wut, Trauer, Enttäuschung, Hoffnungslosigkeit, aber auch Freude, Glück und vor allem Liebe – übrigens auch Freundschaft. Und diese Gefühle solltest du ausleben. Deine scheinen völlig verschüttet zu sein. Und nur, wenn du diese Gefühle wahrnimmst, bist du lebendig und besitzt die Zauberkraft des Wollens.”
Warum war er nur immer so direkt? Wieso meinte er, mich zu kennen?
”Funktioniert die Zauberkraft dann auch bei dir?” fragte ich lauernd. Wolf lachte diesmal wirklich herzlich. Besser gesagt, er lachte mich aus und schüttelte den Kopf.
”Habe ich dir nicht letztens klar gesagt, was ich will?” Ich war beleidigt.
”Das, was du willst, will und werde ich dir nicht geben.”
Aber so verrückt war es gar nicht. Zwischen unseren Arbeiten stand ich immer wieder auf und malte. Wir redeten darüber oder versuchten es zu analysieren und er malte ebenfalls etwas dazu. So entstand ein gemeinsames Bild nach dem anderen. Oftmals hatten wir richtig Spaß dabei, lachten viel und amüsierten uns über unsere Ausdrucksweise. Manches Mal war die Stimmung melancholisch. Aber die Verständigung zwischen uns wurde immer besser, intensiver und ruhiger. Das sehnende Prickeln ließ nach, war zwar nie ganz weg, aber es behinderte nicht mehr. Nach wie vor gingen wir gemeinsam mittags essen und machten unsere Dienstreisen zusammen. Und ich merkte, wie ich lockerer und lockerer wurde und frei heraus lachen konnte, mit ihm lachen konnte.
Eines Tages blickte ich ihn sinnend an.
"Weiß du noch, als ich dir in Düsseldorf von ”Phantom der Oper” erzählt habe?" fragte ich.
"Ja. Du nanntest mich einen Teufel."
"Und du bist immer noch einer", sprach ich weiter. "Oder ein Phantom. Ich weiß es auch nicht genau. Wir sind jetzt ein halbes Jahr hier zusammen und du hast mich völlig verändert. Äußerlich wie innerlich. Du hast mich geformt, unmerklich, aber immer mehr."
"Hab ich das?" Er verzog wieder spöttisch seinen Mund, den ich so gern einmal berührt, geküßt hätte und der so unerreichbar für mich war. Seine Anziehungskraft auf mich hatte sich nicht geändert.
"Ich habe einen Wunsch", sagte ich, stützte meinen Kopf in die Hände und blickte ihm in die Augen.
"Einen Wunsch?" fragte er und zog seine Augenbrauen hoch.
"Ich würde gerne mit dir nach Hamburg zu fahren und dieses Musical besuchen", sagte ich träumend.
"Vergiss es", antwortete er und arbeitete weiter.
"Ich meine das ehrlich", sagte ich wieder. "Du hast mich durch und durch erkannt. Du weißt, was mit mir los ist. Du hast mich manipuliert und verändert. Du bist ein Teufel, nein, eher ein Phantom. Du hast mich in der Hand und weißt das auch genau."
"Habe ich dich wirklich in der Hand?" erwiderte er und schaute mich ernst an.
"Ich glaube ja. Bevor du wieder weggehst, möchte ich den Teufel mit dem Phantom zusammenbringen."
Wolf grinste. ”Würdest du gerne, möchtest du oder willst du?”
”Ich will”, sagte ich ernst.
Er schaute mich nachdenklich an.
"Vergiss es", wiederholte er . "Ich werde niemals mit dir nach Hamburg fahren."
'Warte es ab', überlegte ich und sah ihm sinnend zu. 'Ich bin mir ganz sicher, dass wir einmal gemeinsam nach Hamburg fahren und das Musical besuchen werden. Du warst mein Meister, ich deine Schülerin. Du hast dieses Lebensgefühl heraufbeschworen und versucht es mir zu erklären: Die ”Kraft des Wollens” und das Erreichen von Zielen, das Ausleben von Gefühlen und deren Stärke zu spüren.'
Wolf hatte eine Woche Urlaub. Ich vermisste ihn und das Warten auf seine Rückkehr war für mich fast unerträglich. Unsere Zeit war bald abgelaufen. Nur noch zwei, drei Monate, dann würde er wieder nach Amerika zurückgehen. Und ich besaß ihn immer noch nicht. Ich hatte in der Zwischenzeit viel Muße zum Nachdenken, über den ”Willen” und das ”Wollen”, über Gefühle, über Liebe und Enttäuschung. Und was ich wollte, war klar. Diesen Mann und vor allem mit ihm nach Hamburg fahren.
An dem Tag, an dem er endlich wieder zurückkam, war ich bester Laune. Die Wartezeit war vorbei und ich zwischenzeitlich nicht untätig gewesen.
"Gibt es was Neues?" fragte er mich.
Diesmal grinste ich ihn an.
"Nichts besonderes", erwiderte ich.
"Du hast ja gar nicht weiter gemalt", stellte er fest, als er auf unsere Staffelei schaute.
"Keine Zeit", sagte ich und sah ihn erwartungsvoll an.
"In deinen Augen ist ein eigentümliches Leuchten", stellte er fest. "Hast du dich während meiner Abwesenheit gut amüsiert?"
"Ja. Ich habe mich köstlich amüsiert."
"Und mit was oder vielleicht mit wem?" Er wirkte plötzlich gar nicht mehr so selbstsicher wie sonst.
"Wir machen nächste Woche einen Betriebsausflug", stellte ich in einem geschäftsmäßigen Ton fest und konnte es mir nicht verbeißen, ihn spöttisch anzugrinsen.
"Wo geht es hin?" fragte er und schaltete seinen Computer ein.
"Zwei Tage nach Hamburg zum "Phantom der Oper".
Diesmal fiel Wolf fast vom Stuhl. Er starrte mich an und dann lachte er lauthals los.
"Wie hast du denn das gemacht?" Er wirkte fassungslos.
"Mit der Kraft des Wollens", erwiderte ich einfach und strahlte ihn an.
"Mit der Kraft des Wollens?" fragte er entgeistert.
"Ja", sagte ich. "Du wolltest nicht mit mir nach Hamburg und somit hätte ich nie eine Möglichkeit gehabt, mit dir dorthin zu fahren. Und bald bist du wieder weg. Aber ich will mit dir nach Hamburg und ich hatte den Eindruck, dass du dich aus irgendwelchen Gründen sträubst. Warum? Aus Angst? Vor was? Vielleicht vor Gefühlen? Diese Angst, die du mir immer vorwirfst?"
Ich machte eine Pause, weil Wolf mich irritiert, ja fast verletzt anschaute.
"O.k. Dann hatte ich vorige Woche die Idee, den schon längst fälligen Betriebsausflug zu planen und habe unsere Mitarbeiter davon überzeugen können, dass gerade dieses Musical ein lohnendes Ziel ist. Alle sind nun hellauf begeistert." Ich triumphierte.
"Was hast du gemacht?" fragte er und sah mich entgeistert an. "Du hast die ganze Firma mobilisiert, nur weil du mit mir dorthin willst?" Nun war er wirklich sprachlos.
"Ja", erwiderte ich klar, einfach und zielstrebig. "Es ist alles geplant. Donnerstag geht es los."
"Ich komme nicht mit", sagte er und winkte ab.
"Geht nicht," erwiderte ich. "Die Karten sind reserviert und die Hotelzimmer bestellt. Fahrgemeinschaften sind gegründet und du hast an diesem Abend einen Termin mit dem Chef, der dich mal endlich persönlich kennen lernen möchte. Keine Chance."
Wolf sah mich sprachlos und nachdenklich an. Am liebsten wäre ich zu ihm rüber gerannt und hätte ihn einfach in den Arm genommen. Aber er war so unnahbar, so weit entfernt und hatte mich in meine Schranken gewiesen. Aber was mir in diesem Augenblick klar wurde, war die Tatsache, dass gar nicht feststand, wer mehr Angst vor Gefühlen hatte. Er oder ich?
"Wer ist hier eigentlich der Teufel?" Er atmete tief durch. "Du oder ich?"
"Vielleicht wir beide gemeinsam", erwiderte ich ruhig.
"Übrigens, wir zwei sind eine Fahrgemeinschaft. Alle anderen sind schon eingeteilt. Ich hole dich ab und wir fahren zusammen."
Wolf, dieser Wahnsinnsmann, schüttelte mit dem Kopf und bekam seinen Mund nicht mehr zu.
"Du bist wirklich ... ein Satan", sagte er mühsam.
"Und du hast mich dazu gemacht", erwiderte ich sehr ernst. "Und ich will."
In den nächsten drei Tagen schienen sich die Kräfteverhältnisse zwischen uns anzugleichen. Sein Respekt mir gegenüber war unübersehbar. Sein so oft von mir wahrgenommenes spöttisches Lächeln war fast verflogen. Er wirkte nachdenklicher. Auch seine Überlegenheit war nicht mehr die gleiche. Das anfängliche Knistern lag wieder in der Luft und die Stimmung war nicht mehr so locker wie zuvor. Die Staffelei wurde kaum angerührt. Ich bemerkte, dass er oft gedankenvoll zu mir herüber schaute, es aber weitestgehend vermied, mir direkt in den Computer zu diktieren. Er entzog sich.
Der Donnerstag rückte näher und ich wusste, dass ich diesmal gewonnen hatte. Er hatte mit mir über ein halbes Jahr Katz und Maus gespielt und nun war ich zu einer ebenbürtigen Katze geworden.
Donnerstag morgen holte ich ihn von seiner Wohnung ab und wir fuhren gemeinsam nach Hamburg. Mein Wunsch ging in Erfüllung.
Vor der Theatervorstellung hatte ich ein Abendessen für unsere Mitarbeiter in einem separaten Saal reserviert. Alle waren festlich gekleidet. Wolf sah umwerfend aus. Ich hatte ihn noch nie in einem schwarzen Anzug gesehen. Wahnsinn, zu der Hautfarbe. Schon allein das war die Mühe wert.
Als alle Mitarbeiter anwesend und die Weingläser gefüllt waren, erhob sich unser Chef und hielt seine alljährliche obligatorische Ansprache, in der er sich bei mir für die hervorragende Idee bedankte, den diesjährigen Betriebsausflug mit einem kulturellen ”Highlight” zu verbinden. Ich saß neben Wolf und spürte plötzlich, wie kurz er davor war, in ein prustendes Lachen auszubrechen. Ich stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. Er beugte sich zu mir herüber und flüsterte mir grinsend ins Ohr:
”Das ist eine Farce. Das Ganze hier ist doch eine Farce. Schau dich doch mal um. Du hast die Mitarbeiter einer ganzen Firma zu Statisten gemacht, nur um mit mir das ”Phantom” zu besuchen?”
Auch ich musste mich beherrschen angesichts der feierlichen und ernsten Gesichter unserer "Statisten". Es war kurios. Alle Mitarbeiter festlich gekleidet, mit ernsten, erwartungsvollen Gesichtern und der Chef hielt eine Ansprache und lobte mich für die gute Organisation.
Als die Rede zu Ende war, prostete Wolf mir zu. Seine Augen funkelten gefährlich und es tanzten tausend Lichter darin. Ich ließ mich einfach hineinfallen und fragte neckend: ”Meintest du das seinerzeit mit der Kraft des Wollens?”
”Du bist wirklich verrückt”, flüsterte er zurück und ich hatte ihn noch nie so ehrlich amüsiert gesehen.
”Ich habe damit nur dem Teufel höchstpersönlich den passenden Rahmen geschaffen”, zischte ich.
Mein Ziel war erreicht. Ich saß mit Wolf im Zuschauerraum vom ”Phantom der Oper”. Mit diesem Mann, der dem Phantom so ähnlich war, mystisch, undurchschaubar und rätselhaft. Während der gesamten Vorstellung rieselte mir ein Schauer nach dem anderen den Rücken hinunter und ich hoffte, das die Wirkung der Musik auch auf ihn Eindruck machte. Nach der Theatervorstellung war der offizielle Teil des Betriebsausfluges vorbei und die Mitarbeiter verstreuten sich in Bars und Kneipen.
Wolf und ich setzten uns ab und gingen schweigend zum Hotel zurück, setzten uns in die leere Hotelbar und bestellten eine Flasche Champagner. Er war schweigsam und nachdenklich.
”Was du da getrieben hast, war ein teuflisches Spiel”, sprach er ruhig und schaute mir tief in die Augen. ”Bin ich dir wirklich soviel Wert?”
”Warum teuflisches Spiel?” fragte ich. ”Es ist niemand dabei zu Schaden gekommen. Die Mitarbeiter haben sich hervorragend amüsiert oder amüsieren sich immer noch. Es war gelungener Betriebsausflug.”
Ich lehnte mich an Wolf, spürte seine Wärme und schnurrte wie ein Kätzchen. Wir tranken stumm unseren Champagner. Es hatte noch nie so viel Frieden zwischen uns geherrscht wie in diesem Augenblick. Er schaute verträumt in die Ferne und sang leise aus dem ”Phantom”: ”Maskenball, kunterbunter Mondenschein, Maskenball. Niemand ist der, für den ihn andere halten”, und ich glaubte dazu die kleine Spieluhr zu hören. Ja, es war wohl ein Maskenball, den ich da inszeniert hatte. Aber war nicht alles nur ein Maskenball?
Montag morgen kam ich später ins Büro. Wolf musste wohl schon lange vor mir da gewesen sein, denn er stand an der Staffelei und malte, war fast fertig. Ich schaute mir sein Bild an. Im Hintergrund konnte ich die Wahrzeichen von Hamburg erkennen, im Vordergrund war ein großer Tisch aufgemalt, an dem viele Personen zu erkennen waren, alle grau, verlaufen und schemenhaft verschwindend. Nur zwei Personen waren farbig und klar zu erkennen. Ich blieb stumm neben ihm stehen und schaute zu, wie er das Bild fertig stellte.
”Wie nennst du es?” fragte ich ihn.
”Die Macht des Wollens”, erwidert er ruhig und grinste mich an. In die rechte obere Ecke deutete er die Maske des Phantoms an, welche auf den Tisch zu blicken schien, in die linke Ecke schrieb er: ”Maskenball, Phantasie im stummen Tanz, Maskenball. Sieh dich um, überall sind Spukgestalten.”
Dann trat er zurück und schaute sich sein Werk an.
”Du machst dich über meine Inszenierung lustig, nicht wahr?” forschte ich weiter.
”Nein”, erwiderte er nachdenklich. ”Ganz und gar nicht. Es hat mir nur bewusst gemacht, wie ernst die Lage ist.” Ich schwieg wissend und schaute ihm weiter zu.
”Übrigens”, sagte er beiläufig und wirkte plötzlich sehr kalt. ”Ich breche mein Praktikum vorzeitig ab. Es ist schon alles geregelt. Ich räume morgen meinen Schreibtisch.”
Ich wurde blass. Registrierte gar nichts mehr. Er wollte einfach so verschwinden? Mir drehte sich der Magen um.
”Warum?” fragte ich verzweifelt.
Stumm und sehr ernst blickte er mich an, unergründlich und tief und sein Blick hielt mich gefangen. Ich hätte schreien können und wusste doch, dass es endgültig soweit war.
Dann machte ich auf den Absatz kehrt. Verließ das Büro, setzte mich ins Auto und raste durch die Straßen. Ich ahnte, warum er ging. Man legte sich nicht mit dem Teufel an, man raubte ihm nicht seine Macht. Ich war zu weit gegangen.
Am Nachmittag meldete ich mich krank. Dann kaufte ich einen schwarzen Geschenkkarton, legte ihn mit roter Seide aus, packte eine Rose und die kleine Maske hinein, die wir in Hamburg gekauft hatten. Ich setzte mich hin und schrieb einen Brief.
” ‚Die Macht des Wollens’
Ich habe von Anfang an gespürt, dass du gut in die Unterwelt des Phantoms hineinpassen würdest. Dich dort zu sehen, war mein Wunsch. Nur für dich allein habe ich diese Maskerade inszeniert. Denn nur durch meinen ”Willen”, dich in meinen Traum hinein zu zerren, konnte ich ihn auch Wirklichkeit werden lassen. Wie sonst hättest du jemals meinen Traum so real spüren und erleben können? Aber es war die Stärke ”meines” Verlangens, die ”Dir” die Macht gab, ”mich” zu beherrschen. Und diese Macht kenne ich jetzt."
Ich packte alles ein, fuhr abends ins Büro und legte den Karton auf seinen Schreibtisch. Am nächsten morgen stand ich früh auf. Kleidete mich sorgfältig an und wartete. Gegen zehn Uhr klingelte es. Ich öffnete sofort.
”Komm rein”, sagte ich nur. Wolf schaut mich erstaunt an.
”Ich wusste, dass du kommst. Ich habe auf dich gewartet”, fügte ich erklärend hinzu.
”Woher wusstest du das?”
”Die Kraft des Wollens verbunden mit Gedankenübertragung”, erwiderte ich ruhig und lächelte ihn an. ”Du vergisst, ich hatte einen hervorragenden Meister.”
Wolf hielt den schwarzen Karton in der Hand. ”Was ist damit?” fragte er.
”Weißt du das nicht?” Ich zog mir eine Jacke über und wir gingen zu seinem Auto. In stillem Einvernehmen und schweigend fuhren wir nach Düsseldorf. Das Cafe war verlassen, es war Spätherbst und so gingen wir an das Ufer des Rheins.
”Man sollte sich nicht mit den höheren Mächten des Bösen anlegen und sie herausfordern. Entweder man verliert oder wird selbst ein Teil davon”, sagte ich ruhig. Er nickte. Gemeinsam nahmen wir den Karton und warfen ihn ins Wasser. Wir hatten beide verstanden. Die Strömung spülte ihn weg, irgendwann löste er sich auf und ging unter. Wir blickten schweigend hinterher. Der Bann war gebrochen, der Teufel vernichtet und verschwunden. Wolf nahm mich das erste Mal nach dieser langen Zeit und unserem Kampf in den Arm und küsste mich.
Wir blieben lange am Uferrand stehen, eng umschlungen, eine Einheit, um unsere letzte Stunde auszukosten, die nicht mehr aufzuhalten war.
Dann nahm er mein Gesicht in seine Hände und fragte mit einem schelmischen Aufblitzen seiner schwarzen Augen:
”Ach, übrigens, was du mir immer noch nicht beantwortet hast. Welchen Teil von mir wolltest du eigentlich?”
”Welchen Teil gibst du mir freiwillig?” fragte ich schelmisch zurück.
”Hm”, grinste er. ”Meine Seele hattest du doch von Anfang an. Du hast es nur nicht richtig verstanden.”
”Die Seele des Teufels?”
"Nein, meine Liebe."
Als ich nach meiner ”Krankheit” eine Woche später mein Büro betrat, war der Schreibtisch auf der anderen Seite geräumt. Nichts erinnerte mehr an Wolf. Nur die Staffelei mit seinem Bild stand noch hier. Grau in grau mit zwei bunten Gestalten. Signiert hatte er es unten rechts mit: ”Sorry”.
Ich blickte auf das Bild und ganz leise im Hintergrund hörte ich die Spieluhr spielen: ”Maskenball, kunterbunter Mondenschein, Maskenball. Niemand ist der, für den ihn andere halten.”
Wolf, "mein" Prinz aus 1001 Nacht, war verschwunden. Ich hatte ihm eine Woche Vorsprung gelassen. Nur seine Seele erfüllte noch den leeren Raum.