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Juli 2002
Der Teufel oder Die Macht des Wollens
von Monique Lhoir


Ich fiel fast von meinem BĂŒrostuhl, als der Personalchef die TĂŒr öffnete und mir den neuen Kollegen vorstellte. Ich starrte ihn an und bekam den Mund nicht mehr zu. Was da im Raum stand, war kein Mensch, das war ein ĂŒberirdisches Wesen. Und im gleichen Augenblick fĂŒhlte ich mich in meine Kindheit versetzt. Ein kleines MĂ€dchen, vertrĂ€umt in meine Sagen- und MĂ€rchenfiguren.
Was da vor mir stand, das war "mein" Prinz aus 1001 Nacht, den ich nur von Bildern kannte. Die Vorstellung erlebte ich wie in Trance. Eine goldbraune krĂ€ftige Hand, die sich mir zur BegrĂŒĂŸung entgegenstreckte. Ich registrierte nicht einmal den Namen, starrte fasziniert in diese tiefschwarzen Augen und im gleichen Augenblick wusste ich, dass etwas Unheimliches auf mich zu kam, etwas, was mein Leben gravierend Ă€ndern wĂŒrde.
Der Personalchef wies ihm den Platz mir gegenĂŒber zu. Ich starrte dieses Wesen immer noch unverwandt an. Er verzog spöttisch seinen Mund. Seine Haare waren genauso schwarz wie seine Augen, die mich nun intensiv ansahen und mich zu durchdringen schienen.
Ich schluckte, bekam einen Kloß im Hals. Ich hatte schon davon gehört; von der Liebe auf den ersten Blick, aber bislang wurde ich davon noch nicht erwischt. Was hier passierte, traf mich wie ein Blitz und ich war sprachlos, was mir selten passierte.
Der Personalchef schloss die TĂŒr, ließ uns allein. Er stand vor seinem neuen Arbeitsplatz und ich starrte ihn unverwandt an. Obwohl es mitten im Winter war, fĂŒhlte ich mich verlassen in einer brennend heißen WĂŒste und suchte verzweifelt nach einer Oase.
Da stand er, mein Prinz. Er sah fremdlĂ€ndisch aus. Es fehlten nur noch die WĂŒstengewĂ€nder und der Schimmel, auf den er mich hĂ€tte heben können, um mit mir davon zu reiten.
Mein sonst immer zur Schau getragenes Selbstbewusstsein war dahin. Ich hatte nie gelernt, wie man einen Prinzen begrĂŒĂŸte, ihm die gebĂŒhrende Ehre erwies. Ich bot ihm den Platz mir gegenĂŒber an. Er setzte sich und blickte spöttisch zu mir herĂŒber.
"So", sagte er, "Sie sind also meine Kollegin fĂŒr das nĂ€chste Jahr. Angesichts dieser Tatsache sollten wir uns duzen. Ich heiße Wolf." Er reichte mir abermals diese goldbraune Hand, die ich zaghaft ergriff.
'Wolf', dachte ich. 'Ja, Wolf ist wohl der richtige Name fĂŒr dieses unwirkliche Wesen.' Er sah auch aus wie ein Wolf. Und mit diesem Wesen wĂŒrde ich nun Tag fĂŒr Tag zusammensitzen? Wie sollte ich denn das ĂŒberleben und dabei noch arbeiten?
Ich versuchte ein GesprĂ€ch. "Du wurdest schon angekĂŒndigt", sagte ich. "Aber man sagte mir, du wĂŒrdest aus Amerika kommen?" An meinem zweifelnden Blick konnte er wohl erkennen, dass ich sein Aussehen meinte.
"Mein Vater ist Perser", sagte er, "meine Mutter Französin. Ich habe in Amerika studiert."
Also doch ein Prinz aus 1001 Nacht. Um etwas zu sagen, fragte ich: "Was hast du studiert?"
"Betriebswirtschaft und Psychologie", antwortete er.
"Komische Zusammenstellung", erwiderte ich und fĂŒhlte mich angesichts eines angehenden Psychologen noch unsicherer. Das konnte ja heiter werden. Ein Psychologe und dann dieses Aussehen. Und ich hier mit ihm allein.
"Und was machst du jetzt hier?" fragte ich.
"Ein Jahr Praktikum in Deutschland. Dann werde ich als Unternehmensberater in Amerika einsteigen", antwortete er. "Ich hoffe, wir werden gut zusammenarbeiten, und du wirst mir hier einige praktische betriebswirtschaftliche Kenntnisse beibringen."
Ich schluckte abermals. Ein Jahr! Mit diesem "Wahnsinnsmann"? Praktische betriebswirtschaftliche Kenntnisse? Tag fĂŒr Tag. Mir war so heiß wie noch nie in meinem Leben.

Abends fuhr ich wie betĂ€ubt nach Hause. Ich hatte das GefĂŒhl, in einem Traum zu leben, fĂŒhlte Angst vor dem nĂ€chsten Tag. Ich betrachtete mich im Spiegel. Graues KostĂŒm, dezente schwarze StrĂŒmpfe, strenge Haarfrisur, zwar lang, aber doch zurĂŒckgebunden. Ich sah nicht aus wie eine Prinzessin, eher wie eine solide Angestellte, die sich ihre berufliche Position hart erkĂ€mpft hatte.
Am nĂ€chsten Tag war ich eher im BĂŒro als er. Wartete. Auf was? Auf das Knistern, das er verbreitete? Ja doch, ich wartete. Und dann kam er, begrĂŒĂŸte mich kurz und setzte sich. Ich arbeitete weiter, unruhig, versuchte mich zu konzentrieren, was mir kaum gelang. Er hatte die Aufgabe, Analysen auszuarbeiten. Kurz vor Mittag fragte er mich: "Darf ich dir die Zahlen diktieren?"
Ich stutzte. Was bildete er sich ein und ich fragte: "Direkt in den Computer?"
"Ja, wenn es dir nichts ausmacht."
"NatĂŒrlich nicht", sagte ich irritiert.
Er kam zur mir herĂŒber. Stellte sich direkt hinter mich und diktierte mir Zahlen. Seine HemdsĂ€rmel streiften meinen Arm und ich starrte auf diese goldbraunen, krĂ€ftigen MĂ€nnerhĂ€nde, roch seinen Duft, der mich betĂ€ubte.
Gegen Mittag beendeten wir unsere Arbeit.
"Sollen wir essen gehen?" fragte er mich. Normalerweise blieb ich im BĂŒro, aß meinen Joghurt. Aber ich nickte ergeben. Wie sollte man einem Prinzen einen Wunsch abschlagen? Und so saßen wir schweigend in einem Lokal mitten im Ruhrgebiet.
Er schaute mich durchdringend mit seinen Augen an und fragte, wĂ€hrend er aß: "Bist du eigentlich schon gestorben oder lebst du noch?"
Ich war irritiert. Was sollte diese Frage? Gestorben oder lebend?
"Deine Augen wirken tot", sagte er nachdenklich. "Du hast schöne grĂŒne Augen, aber sie strahlen kein Leben aus." Ich schaute ihn verwundert an.
Wieso Leben? Mein Leben bestand bislang nur aus Arbeit. So richtig verstanden hatte ich seine Frage nicht. Tote Augen? Ich fragte mich sowieso, woher er sich das Recht nahm, so mit mir zu sprechen.
Erst einmal machte ich mir keine Gedanken mehr darĂŒber. Vor dem Schlafengehen schaute ich in den Spiegel. Ich fand nicht, dass meine Augen tot aussahen, höchstens sehr mĂŒde. Das blieb ja auch nicht aus, wenn das Leben nur aus Arbeit bestand und aus sonst nichts.
Ich freute mich am nĂ€chsten Morgen darauf, ins BĂŒro gehen zu können, und in meiner Magengegend machte sich ein erwartungsvolles GefĂŒhl breit. Ein Jahr mit diesem Traumprinzen zusammen zu arbeiten war eine sensationelle Aussicht). Viel sorgfĂ€ltiger als gewöhnlich kleidete ich mich an, schminkte und frisierte mich, band die Haare nicht streng zurĂŒck, sondern ließ sie locker ĂŒber die Schulter fallen und benötigte nahezu doppelt soviel Zeit wie gewöhnlich.
Als Wolf ins BĂŒro kam, grinste er mich spöttisch an.
”Gut siehst du heute aus. Nicht mehr so farblos”, sagte er und ich, ja richtig, ich wurde rot. Seine Bemerkung fand ich unverschĂ€mt, sein Grinsen noch unverschĂ€mter, aber das Schlimmste war, dass ich mich ertappt fĂŒhlte.
Das Arbeiten in der Folgezeit war spannungsgeladen. Wolf hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, mir grundsĂ€tzlich seine ausgearbeiteten Zahlen, Analysen oder Berichte direkt in den Computer zu diktieren, aber ich protestierte nie, da ich es liebte, somit stundenlang neben ihm sitzen zu können. Ich genoss diese Zeiten, seine WĂ€rme und die Spannung, seinen Geruch und mein Vibrieren, wenn sich unsere Arme oder HĂ€nde berĂŒhrten.
Es war offensichtlich, dass ich mich in Wolf, diesen abenteuerlich aussehenden Mann, verknallt hatte. In seine schwarzen Augen, die mich durchdrangen und mich absolut durchschauten. Und dass er mich durchschaute, da war ich mir ganz sicher.
GrundsĂ€tzlich gingen wir gemeinsam mittags essen, dehnten die Mittagszeit aus. Machte ich Dienstreisen, nahm ich ihn mit. Im BĂŒro hockten wir fast ausschließlich nebeneinander.
Irgendwann, nach ein paar Wochen, fragte er unvermutet:
”Bist du wieder unter die Lebenden gegangen?”
”Wieso?,” fragte ich und fĂŒhlte mich schon wieder ertappt.
”Deine Augen, sie glĂ€nzen wieder.” Er saß neben mir, wie immer. Ich schaute ihn an, verlor mich in seinem Blick, der mich nicht mehr loszulassen schien. Ich spĂŒrte seine WĂ€rme, nahm seinen Geruch wahr und hatte das GefĂŒhl, dass die Distanz zwischen uns langsam immer kĂŒrzer wurde und ich jeden Moment in ihn hinein fallen wĂŒrde.
”Du bist ein Teufel”, zischte ich und schnappte nach Luft, sprang von meinem Stuhl auf, dabei rieselte es mir gleichzeitig heiß und eiskalt den RĂŒcken herunter.
”Dann kommen wir uns ja allmĂ€hlich nĂ€her.” Sein Mund verzog sich ironisch, aber es war kein Lachen in seinen Augen. Sie waren unergrĂŒndlich und ernst.
”Du willst mich provozieren”, sprach ich weiter. ”Warum?”
”Provoziere ich dich?” fragte er neckend.
”Ja”, funkelte ich ihn an. ”Du machst mich verrĂŒckt. Und du weißt das ganz genau.” Im gleichen Augenblick Ă€rgerte ich mich, dass ich mich zu dieser Äußerung hatte hinreißen lassen und ihn damit nur bestĂ€tigte. Ich konnte mich seiner körperlichen Anziehungskraft nicht widersetzen, war Wachs in seinen HĂ€nden und das wusste er. Ich stand ihm gegenĂŒber und sah ihn kĂ€mpferisch an.
Er grinste: ”So ist es recht. KĂ€mpfe fĂŒr dein Leben. KĂ€mpfe fĂŒr deine GefĂŒhle und Emotionen.”
Dann wandte er sich ab und sagte beilĂ€ufig: ”Weißt du, dass du wundervolle Augen hast, wenn sie so voller Leben sprĂŒhen?”
”Teufel”, schnaubte ich wĂŒtend, packte meine Handtasche und verließ das BĂŒro. Wie sollte das nur weitergehen? Unter diesen UmstĂ€nden konnte ich nicht mit ihm zusammen arbeiten.
Am nĂ€chsten Morgen kam ich spĂ€ter ins BĂŒro. Wolf war schon da. Ich nahm meinen Platz ein, schaute ihn direkt an und fragte angriffslustig: ”Was willst du eigentlich von mir?”
”Ich will was von dir?” erwiderte er. ”Und was willst du?”
”Ich?” entgegnete ich lang gedehnt.
”Hast du keinen Willen? Passt du dich immer an?” Er war erstaunlicherweise mal ernst.
”Kennst du nicht die Kraft des Wollens?”
”Worauf willst du jetzt schon wieder hinaus?” fragte ich argwöhnisch. ”Seit gestern provozierst du mich. Was habe ich dir getan?”
”Ich habe dir etwas getan? Hast du dir nicht selber etwas getan?”
”Was habe ich mir selber getan?” fragte ich zurĂŒck.
”Dich in diese Situation gebracht, mit der du offensichtlich nicht fertig wirst”, antwortete er ernst.
Ich war wĂŒtend. Seine Direktheit störte mich, da meine GefĂŒhlswelt wie ein offenes Buch vor ihm lag und er spielte damit, wie die Katze mit der Maus. Ein Wolf. Er wußte, dass ich mich in ihn verknallt hatte.
”Ich habe mich nicht in diese Situation gebracht. Du mit deinem Auftauchen hast mich in diese Lage gebracht und das weißt du ganz genau.”
”Willst du, dass ich gehe?"
‚Um Gottes Willen, nur das nicht’, dachte ich und wurde noch wĂŒtender. Das war ein ungleicher Kampf, den er da mit mir ausfocht.
”Nein”, erwiderte ich.
”Was willst du dann?” Er blieb jetzt ernst und blickte mich tiefgrĂŒndig an. Ich senkte nicht meinen Blick, sondern verlor mich in der Tiefe dieser Dunkelheit.
”Dich will ich”, sagte ich ganz ruhig.
Wolf lachte laut auf und schaute mich spitzbĂŒbisch an. Der Zauber war gebrochen.
”Mich? Welchen Teil hĂ€ttest du denn gerne von mir?”
”Du Teufel”, giftete ich ihn an, schnappte mir die Schale mit den BĂŒroklammern und warf sie ihm an den Kopf. Warum hatte ich mich schon wieder von ihm provozieren und dazu verleiten lassen, genau das auszusprechen? Ich griff den nĂ€chsten Gegenstand, der in meiner NĂ€he stand und warf ihn in seine Richtung. Der Locher knallte an die Wand. Als ich den Hefter schnappen wollte, war Wolf schon um den Schreibtisch herum und hielt meine Hand fest, zwang mich aufzustehen.
”Willst du mich jetzt umbringen?” fragte er grinsend und sein Griff war eisern.
‚Nur nicht schwach werden’, dachte ich und versteifte mich. Er hielt mich fest umklammert, rĂŒhrte sich nicht. Ich spĂŒrte, wie sich seine Brustmuskulatur bewegte, spĂŒrte die direkte WĂ€rme und dann wiegte er mich wie ein Kind hin und her, bis ich mich entspannte.
Abrupt ließ er mich dann los. Sagte kein Wort und setzte sich wieder auf seinen Platz. Die Stimmung war gespannt. Schweigen. Ich verließ an diesem Abend das BĂŒro, ohne auch nur noch ein weiteres Wort an ihn zurichten.
Am nĂ€chsten Tag hatten wir einen AuswĂ€rtstermin. Obwohl es nicht notwendig gewesen wĂ€re, fuhren wir gemeinsam nach DĂŒsseldorf und erledigten dort unsere Angelegenheiten.
"Komm, wir fahren zum Rhein", sagte Wolf, als wir uns auf die Heimfahrt machen wollten. "Ich möchte mit dir reden." Ich war einverstanden. Mit ihm jetzt noch irgendwo in der Sonne herumzusitzen war verlockend. Und vielleicht konnte man auch die vergiftete Stimmung bereinigen. Wir fanden ein Cafe und setzen uns nach draußen. Wolf bestellte zwei Kir. Als der Kellner die GetrĂ€nke gebracht hatte, sagte er: "Auf unsere Freundschaft" und prostete mir zu.
”Freundschaft?” Ich ergriff zögernd mein Glas.
"Ja, Freundschaft. Es tut mir leid, dass die Situation gestern beinahe eskaliert wÀre", sprach er ernst weiter. "Ich hatte nicht die Absicht gehabt, dich zu provozieren. Ich wusste nicht, wie ernst du es meintest."
”Was?” fragte ich lauernd, und mir fiel siedend heiß die gestrige Situation wieder ein. "Dich zu wollen?" Ich wurde aggressiv.
"Ja", erwiderte er. "Mich hat deine Antwort ĂŒberrascht. Genauso, wie sie dich wohl selbst ĂŒberrascht hat."
"Du hast sie herausgefordert." Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und sagte: "Ich kann so nicht arbeiten. Du siehst verdammt gut aus, das weißt du selbst. Es ist mir teilweise unertrĂ€glich, wenn wir den ganzen Tag im BĂŒro so eng zusammensitzen. Außerdem habe ich den Eindruck, dass auch du es ziemlich ĂŒbertrieben und die Situation herausgefordert hast, indem du mehr oder weniger stĂ€ndig bei mir auf dem Schoss sitzt. Ich weiß nicht, was du von mir willst oder erwartest."
Wolf trank einen Schluck.
"Ich erwarte nichts, noch will ich etwas von dir. Kann ich dir was erklÀren?" fragte er mich.
"Wenn du gesteigerten Wert darauf legst, bitte", erwiderte ich gereizt und war gespannt, mit was er jetzt wieder aufwarten und mich verletzen wĂŒrde.
Er rĂ€usperte sich. "Als ich dich zum ersten Mal sah, kamst du mir vor wie eine kleine, farblose Maus. Ich sah deinen Blick, als wir uns das erste Mal begrĂŒĂŸten. Du wĂ€rest ja bald in Ohnmacht gefallen.” Er blickte mich ĂŒberheblich an. Oh ja, er war sich seiner Ausstrahlung sehr bewusst.
”Und dann ging eine VerĂ€nderung mit dir vor. Du zogst dich sorgfĂ€ltiger an und in deine Augen kam Leben. NatĂŒrlich spĂŒrte ich, dass diese VerĂ€nderungen mit meiner Person zusammenhingen und welcher Mann kostet so etwas nicht aus?" Er verzog wieder spöttisch seinen Mund.
"Du bist arrogant", sagte ich giftig.
"Bin ich das wirklich?" fragte er und in seine Augen trat ein gefÀhrliches Funkeln. Verdammt noch mal, warum hatte er nur solche Augen?
"Ja".
"O.k., als ich dich fragte, ob du ĂŒberhaupt weißt, was du willst, hatte ich nicht mit dieser Antwort gerechnet. Du hast mich ĂŒberrascht."
"Was hast du erwartet?" Ich war beleidigt.
"Jedenfalls nicht eine solche Antwort. Ich wollte auf etwas ganz anderes hinaus. Was ich wĂ€hrend unserer Zusammenarbeit festgestellt habe, war, dass sich dein Selbstbewusstsein in einem ziemlich desolaten Zustand befindet. Das ist traurig und du hĂ€ttest es auch nicht nötig. Meine Frage war provokant, ich weiß. Es ist richtig, ich wollte dich herausfordern, aber nicht auf diese Weise."
"Die Kraft des Wollens", sagte ich, mich erinnernd.
"Ja", sagte er ruhig. "Mit deinem Willen kannst du Berge versetzen. Nur machst du einen Fehler. Du willst nicht. Deine LeitsĂ€tze sind immer ”ich möchte” oder ”ich wĂŒrde gerne”. Das zeugt von Unsicherheit. Das Zauberwort heißt ”ich will”. Nur damit erreichst du dein Ziel.”
”Auch bei dir?” fragte ich. Wolf lachte, diesmal wirklich herzlich.
ӆberall. Es öffnet dir TĂŒr und Tor.”
”Habe ich nicht gestern klar gesagt, was ich will?” Ich war beleidigt.
”Und habe ich dir nicht klar geantwortet?”
Ich wusste es, ich war fĂŒr ihn ein offenes Buch. Er durchschaute mich, kannte mich in- und auswendig, und jetzt sprach er mit mir wie mit einem kleinen Kind.
"Warum interessierst du dich eigentlich fĂŒr mich?" Ich war pikiert. "Was geht dich mein Leben ĂŒberhaupt an?"
Wolf zog es vor, wieder sein ironisches Grinsen aufzusetzen und erwiderte: "Ist wohl berufsbedingt."
Aha, der angehende Psychologe. Und ich war sein Versuchskaninchen und zudem noch so blöd, mich in ihn zu verknallen. Ich war enttĂ€uscht, gekrĂ€nkt und ziemlich sauer. Dabei hatte ich angenommen, dass er sich nicht nur fĂŒr mich interessierte, sondern Ă€hnlich fĂŒhlen wĂŒrde wie ich. Er hatte mich herausgefordert und bloßgestellt, eiskalt und amĂŒsierte sich wahrscheinlich köstlich ĂŒber meine NaivitĂ€t.
"Kraft des Wollens", sagte ich resignierend. "Weißt du", sann ich weiter, "du bist wirklich ein Teufel. Ein Teufel von verdammt guter Gestalt und Aussehen. Und ich bin darauf reingefallen. Aber jetzt weiß ich wenigstens, woran ich bin."
Mit meiner EnttÀuschung musste ich erst mal fertig werden und schluckte.
"Sag mal", fing ich erneut an. "Kennst du eigentlich das ”Phantom der Oper”? Es ist nicht nur mein Lieblingsbuch, sondern auch mein Lieblingsmusical. Und wenn ich es mir recht ĂŒberlege, hast du den Charakter dieses Phantoms. Du willst beherrschen, ohne RĂŒcksicht auf Verluste, manipulieren und delegieren. Du tauchst auf, wenn man dich nicht vermutet und zerstörst mit deiner Arroganz alles, was sich dir in den Weg stellt. Teuflisch und liebenswert zugleich. Und ich habe entsprechend deinem Willen funktioniert.”
Wolf zog seine Augenbrauen hoch und sein markantes LĂ€cheln umspielte seinen Mund.
"Du fĂ€ngst ja schon an, aufmĂŒpfig zu werden", grinste er, und wenn ich in diesem Augenblick einen Locher zur Hand gehabt hĂ€tte, ich hĂ€tte diesmal bestimmt getroffen.
Am Abend fuhren wir nach Hause. Die Stimmung war entspannter, aber vieles war ungesagt geblieben. Ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln.
‚Wenn er nur nicht so verdammt gut aussehen wĂŒrde.' Meine Gedanken ĂŒberschlugen sich. Ich wollte diesen Mann haben, seine goldbraune Haut streicheln, ihn berĂŒhren. Aber er war fĂŒr mich nun unerreichbar, wie er mir unmißverstĂ€ndlich klargemacht hatte.
Am nĂ€chsten morgen war ich schon im BĂŒro, als Wolf zur TĂŒr hereinkam. Vollbepackt.
"Was schleppst du denn da alles mit?" Ich blickte ihn entgeistert an.
"Warte es ab", sagte er aufgekratzt und baute auf.
"Eine Staffelei?" fragte ich völlig perplex. "Hier im BĂŒro?" Und tatsĂ€chlich. Neben der Staffelei beförderte er noch Zeichenblock, Pinsel und MalkĂ€sten .
"Du hast einen Knall", sagte ich lachend. "Und was ist, wenn jemand hereinkommt?" fragte ich. "Die denken doch, wir wÀren jetzt hier völlig abgedreht."
"Das denken die doch sowieso. Oder meinst du, dass es deinen Kollegen verborgen geblieben ist, dass du in mich hoffnungslos verknallt bist?"
"Du arroganter Scheißkerl", sagte ich fassungslos, aber immer noch lachend und wollte schon wieder zum Locher greifen. Das war einfach zu verrĂŒckt.
"So", sprach er weiter, als er alles aufgebaut hatte. "Und wenn du jetzt Frust hast oder irgend etwas anderes ausdrĂŒcken möchtest”, und sein Blick war vielsagend, ”dann kannst du es malen, statt mich mit Lochern zu bewerfen."
"Was soll das werden?" forschte ich nach. "Maltherapie?"
"Wie du möchtest", sagte er grinsend. VerrĂŒckt. Eine Staffelei im BĂŒro.
”Mir kam gestern diese Idee bei unserem GesprĂ€ch”, zwinkerte er mich an. ”Neben der Kraft des Wollens gibt es nĂ€mlich noch etwas wesentliches, was du dabei nicht außer acht lassen solltest. NĂ€mlich die GefĂŒhle. GefĂŒhle wie Wut, Trauer, EnttĂ€uschung, Hoffnungslosigkeit, aber auch Freude, GlĂŒck und vor allem Liebe – ĂŒbrigens auch Freundschaft. Und diese GefĂŒhle solltest du ausleben. Deine scheinen völlig verschĂŒttet zu sein. Und nur, wenn du diese GefĂŒhle wahrnimmst, bist du lebendig und besitzt die Zauberkraft des Wollens.”
Warum war er nur immer so direkt? Wieso meinte er, mich zu kennen?
”Funktioniert die Zauberkraft dann auch bei dir?” fragte ich lauernd. Wolf lachte diesmal wirklich herzlich. Besser gesagt, er lachte mich aus und schĂŒttelte den Kopf.
”Habe ich dir nicht letztens klar gesagt, was ich will?” Ich war beleidigt.
”Das, was du willst, will und werde ich dir nicht geben.”
Aber so verrĂŒckt war es gar nicht. Zwischen unseren Arbeiten stand ich immer wieder auf und malte. Wir redeten darĂŒber oder versuchten es zu analysieren und er malte ebenfalls etwas dazu. So entstand ein gemeinsames Bild nach dem anderen. Oftmals hatten wir richtig Spaß dabei, lachten viel und amĂŒsierten uns ĂŒber unsere Ausdrucksweise. Manches Mal war die Stimmung melancholisch. Aber die VerstĂ€ndigung zwischen uns wurde immer besser, intensiver und ruhiger. Das sehnende Prickeln ließ nach, war zwar nie ganz weg, aber es behinderte nicht mehr. Nach wie vor gingen wir gemeinsam mittags essen und machten unsere Dienstreisen zusammen. Und ich merkte, wie ich lockerer und lockerer wurde und frei heraus lachen konnte, mit ihm lachen konnte.
Eines Tages blickte ich ihn sinnend an.
"Weiß du noch, als ich dir in DĂŒsseldorf von ”Phantom der Oper” erzĂ€hlt habe?" fragte ich.
"Ja. Du nanntest mich einen Teufel."
"Und du bist immer noch einer", sprach ich weiter. "Oder ein Phantom. Ich weiß es auch nicht genau. Wir sind jetzt ein halbes Jahr hier zusammen und du hast mich völlig verĂ€ndert. Äußerlich wie innerlich. Du hast mich geformt, unmerklich, aber immer mehr."
"Hab ich das?" Er verzog wieder spöttisch seinen Mund, den ich so gern einmal berĂŒhrt, gekĂŒĂŸt hĂ€tte und der so unerreichbar fĂŒr mich war. Seine Anziehungskraft auf mich hatte sich nicht geĂ€ndert.
"Ich habe einen Wunsch", sagte ich, stĂŒtzte meinen Kopf in die HĂ€nde und blickte ihm in die Augen.
"Einen Wunsch?" fragte er und zog seine Augenbrauen hoch.
"Ich wĂŒrde gerne mit dir nach Hamburg zu fahren und dieses Musical besuchen", sagte ich trĂ€umend.
"Vergiss es", antwortete er und arbeitete weiter.
"Ich meine das ehrlich", sagte ich wieder. "Du hast mich durch und durch erkannt. Du weißt, was mit mir los ist. Du hast mich manipuliert und verĂ€ndert. Du bist ein Teufel, nein, eher ein Phantom. Du hast mich in der Hand und weißt das auch genau."
"Habe ich dich wirklich in der Hand?" erwiderte er und schaute mich ernst an.
"Ich glaube ja. Bevor du wieder weggehst, möchte ich den Teufel mit dem Phantom zusammenbringen."
Wolf grinste. ”WĂŒrdest du gerne, möchtest du oder willst du?”
”Ich will”, sagte ich ernst.
Er schaute mich nachdenklich an.
"Vergiss es", wiederholte er . "Ich werde niemals mit dir nach Hamburg fahren."
'Warte es ab', ĂŒberlegte ich und sah ihm sinnend zu. 'Ich bin mir ganz sicher, dass wir einmal gemeinsam nach Hamburg fahren und das Musical besuchen werden. Du warst mein Meister, ich deine SchĂŒlerin. Du hast dieses LebensgefĂŒhl heraufbeschworen und versucht es mir zu erklĂ€ren: Die ”Kraft des Wollens” und das Erreichen von Zielen, das Ausleben von GefĂŒhlen und deren StĂ€rke zu spĂŒren.'
Wolf hatte eine Woche Urlaub. Ich vermisste ihn und das Warten auf seine RĂŒckkehr war fĂŒr mich fast unertrĂ€glich. Unsere Zeit war bald abgelaufen. Nur noch zwei, drei Monate, dann wĂŒrde er wieder nach Amerika zurĂŒckgehen. Und ich besaß ihn immer noch nicht. Ich hatte in der Zwischenzeit viel Muße zum Nachdenken, ĂŒber den ”Willen” und das ”Wollen”, ĂŒber GefĂŒhle, ĂŒber Liebe und EnttĂ€uschung. Und was ich wollte, war klar. Diesen Mann und vor allem mit ihm nach Hamburg fahren.
An dem Tag, an dem er endlich wieder zurĂŒckkam, war ich bester Laune. Die Wartezeit war vorbei und ich zwischenzeitlich nicht untĂ€tig gewesen.
"Gibt es was Neues?" fragte er mich.
Diesmal grinste ich ihn an.
"Nichts besonderes", erwiderte ich.
"Du hast ja gar nicht weiter gemalt", stellte er fest, als er auf unsere Staffelei schaute.
"Keine Zeit", sagte ich und sah ihn erwartungsvoll an.
"In deinen Augen ist ein eigentĂŒmliches Leuchten", stellte er fest. "Hast du dich wĂ€hrend meiner Abwesenheit gut amĂŒsiert?"
"Ja. Ich habe mich köstlich amĂŒsiert."
"Und mit was oder vielleicht mit wem?" Er wirkte plötzlich gar nicht mehr so selbstsicher wie sonst.
"Wir machen nĂ€chste Woche einen Betriebsausflug", stellte ich in einem geschĂ€ftsmĂ€ĂŸigen Ton fest und konnte es mir nicht verbeißen, ihn spöttisch anzugrinsen.
"Wo geht es hin?" fragte er und schaltete seinen Computer ein.
"Zwei Tage nach Hamburg zum "Phantom der Oper".
Diesmal fiel Wolf fast vom Stuhl. Er starrte mich an und dann lachte er lauthals los.
"Wie hast du denn das gemacht?" Er wirkte fassungslos.
"Mit der Kraft des Wollens", erwiderte ich einfach und strahlte ihn an.
"Mit der Kraft des Wollens?" fragte er entgeistert.
"Ja", sagte ich. "Du wolltest nicht mit mir nach Hamburg und somit hĂ€tte ich nie eine Möglichkeit gehabt, mit dir dorthin zu fahren. Und bald bist du wieder weg. Aber ich will mit dir nach Hamburg und ich hatte den Eindruck, dass du dich aus irgendwelchen GrĂŒnden strĂ€ubst. Warum? Aus Angst? Vor was? Vielleicht vor GefĂŒhlen? Diese Angst, die du mir immer vorwirfst?"
Ich machte eine Pause, weil Wolf mich irritiert, ja fast verletzt anschaute.
"O.k. Dann hatte ich vorige Woche die Idee, den schon lĂ€ngst fĂ€lligen Betriebsausflug zu planen und habe unsere Mitarbeiter davon ĂŒberzeugen können, dass gerade dieses Musical ein lohnendes Ziel ist. Alle sind nun hellauf begeistert." Ich triumphierte.
"Was hast du gemacht?" fragte er und sah mich entgeistert an. "Du hast die ganze Firma mobilisiert, nur weil du mit mir dorthin willst?" Nun war er wirklich sprachlos.
"Ja", erwiderte ich klar, einfach und zielstrebig. "Es ist alles geplant. Donnerstag geht es los."
"Ich komme nicht mit", sagte er und winkte ab.
"Geht nicht," erwiderte ich. "Die Karten sind reserviert und die Hotelzimmer bestellt. Fahrgemeinschaften sind gegrĂŒndet und du hast an diesem Abend einen Termin mit dem Chef, der dich mal endlich persönlich kennen lernen möchte. Keine Chance."
Wolf sah mich sprachlos und nachdenklich an. Am liebsten wĂ€re ich zu ihm rĂŒber gerannt und hĂ€tte ihn einfach in den Arm genommen. Aber er war so unnahbar, so weit entfernt und hatte mich in meine Schranken gewiesen. Aber was mir in diesem Augenblick klar wurde, war die Tatsache, dass gar nicht feststand, wer mehr Angst vor GefĂŒhlen hatte. Er oder ich?
"Wer ist hier eigentlich der Teufel?" Er atmete tief durch. "Du oder ich?"
"Vielleicht wir beide gemeinsam", erwiderte ich ruhig.
"Übrigens, wir zwei sind eine Fahrgemeinschaft. Alle anderen sind schon eingeteilt. Ich hole dich ab und wir fahren zusammen."
Wolf, dieser Wahnsinnsmann, schĂŒttelte mit dem Kopf und bekam seinen Mund nicht mehr zu.
"Du bist wirklich ... ein Satan", sagte er mĂŒhsam.
"Und du hast mich dazu gemacht", erwiderte ich sehr ernst. "Und ich will."
In den nĂ€chsten drei Tagen schienen sich die KrĂ€fteverhĂ€ltnisse zwischen uns anzugleichen. Sein Respekt mir gegenĂŒber war unĂŒbersehbar. Sein so oft von mir wahrgenommenes spöttisches LĂ€cheln war fast verflogen. Er wirkte nachdenklicher. Auch seine Überlegenheit war nicht mehr die gleiche. Das anfĂ€ngliche Knistern lag wieder in der Luft und die Stimmung war nicht mehr so locker wie zuvor. Die Staffelei wurde kaum angerĂŒhrt. Ich bemerkte, dass er oft gedankenvoll zu mir herĂŒber schaute, es aber weitestgehend vermied, mir direkt in den Computer zu diktieren. Er entzog sich.
Der Donnerstag rĂŒckte nĂ€her und ich wusste, dass ich diesmal gewonnen hatte. Er hatte mit mir ĂŒber ein halbes Jahr Katz und Maus gespielt und nun war ich zu einer ebenbĂŒrtigen Katze geworden.
Donnerstag morgen holte ich ihn von seiner Wohnung ab und wir fuhren gemeinsam nach Hamburg. Mein Wunsch ging in ErfĂŒllung.
Vor der Theatervorstellung hatte ich ein Abendessen fĂŒr unsere Mitarbeiter in einem separaten Saal reserviert. Alle waren festlich gekleidet. Wolf sah umwerfend aus. Ich hatte ihn noch nie in einem schwarzen Anzug gesehen. Wahnsinn, zu der Hautfarbe. Schon allein das war die MĂŒhe wert.
Als alle Mitarbeiter anwesend und die WeinglĂ€ser gefĂŒllt waren, erhob sich unser Chef und hielt seine alljĂ€hrliche obligatorische Ansprache, in der er sich bei mir fĂŒr die hervorragende Idee bedankte, den diesjĂ€hrigen Betriebsausflug mit einem kulturellen ”Highlight” zu verbinden. Ich saß neben Wolf und spĂŒrte plötzlich, wie kurz er davor war, in ein prustendes Lachen auszubrechen. Ich stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. Er beugte sich zu mir herĂŒber und flĂŒsterte mir grinsend ins Ohr:
”Das ist eine Farce. Das Ganze hier ist doch eine Farce. Schau dich doch mal um. Du hast die Mitarbeiter einer ganzen Firma zu Statisten gemacht, nur um mit mir das ”Phantom” zu besuchen?”
Auch ich musste mich beherrschen angesichts der feierlichen und ernsten Gesichter unserer "Statisten". Es war kurios. Alle Mitarbeiter festlich gekleidet, mit ernsten, erwartungsvollen Gesichtern und der Chef hielt eine Ansprache und lobte mich fĂŒr die gute Organisation.
Als die Rede zu Ende war, prostete Wolf mir zu. Seine Augen funkelten gefĂ€hrlich und es tanzten tausend Lichter darin. Ich ließ mich einfach hineinfallen und fragte neckend: ”Meintest du das seinerzeit mit der Kraft des Wollens?”
”Du bist wirklich verrĂŒckt”, flĂŒsterte er zurĂŒck und ich hatte ihn noch nie so ehrlich amĂŒsiert gesehen.
”Ich habe damit nur dem Teufel höchstpersönlich den passenden Rahmen geschaffen”, zischte ich.
Mein Ziel war erreicht. Ich saß mit Wolf im Zuschauerraum vom ”Phantom der Oper”. Mit diesem Mann, der dem Phantom so Ă€hnlich war, mystisch, undurchschaubar und rĂ€tselhaft. WĂ€hrend der gesamten Vorstellung rieselte mir ein Schauer nach dem anderen den RĂŒcken hinunter und ich hoffte, das die Wirkung der Musik auch auf ihn Eindruck machte. Nach der Theatervorstellung war der offizielle Teil des Betriebsausfluges vorbei und die Mitarbeiter verstreuten sich in Bars und Kneipen.
Wolf und ich setzten uns ab und gingen schweigend zum Hotel zurĂŒck, setzten uns in die leere Hotelbar und bestellten eine Flasche Champagner. Er war schweigsam und nachdenklich.
”Was du da getrieben hast, war ein teuflisches Spiel”, sprach er ruhig und schaute mir tief in die Augen. ”Bin ich dir wirklich soviel Wert?”
”Warum teuflisches Spiel?” fragte ich. ”Es ist niemand dabei zu Schaden gekommen. Die Mitarbeiter haben sich hervorragend amĂŒsiert oder amĂŒsieren sich immer noch. Es war gelungener Betriebsausflug.”
Ich lehnte mich an Wolf, spĂŒrte seine WĂ€rme und schnurrte wie ein KĂ€tzchen. Wir tranken stumm unseren Champagner. Es hatte noch nie so viel Frieden zwischen uns geherrscht wie in diesem Augenblick. Er schaute vertrĂ€umt in die Ferne und sang leise aus dem ”Phantom”: ”Maskenball, kunterbunter Mondenschein, Maskenball. Niemand ist der, fĂŒr den ihn andere halten”, und ich glaubte dazu die kleine Spieluhr zu hören. Ja, es war wohl ein Maskenball, den ich da inszeniert hatte. Aber war nicht alles nur ein Maskenball?
Montag morgen kam ich spĂ€ter ins BĂŒro. Wolf musste wohl schon lange vor mir da gewesen sein, denn er stand an der Staffelei und malte, war fast fertig. Ich schaute mir sein Bild an. Im Hintergrund konnte ich die Wahrzeichen von Hamburg erkennen, im Vordergrund war ein großer Tisch aufgemalt, an dem viele Personen zu erkennen waren, alle grau, verlaufen und schemenhaft verschwindend. Nur zwei Personen waren farbig und klar zu erkennen. Ich blieb stumm neben ihm stehen und schaute zu, wie er das Bild fertig stellte.
”Wie nennst du es?” fragte ich ihn.
”Die Macht des Wollens”, erwidert er ruhig und grinste mich an. In die rechte obere Ecke deutete er die Maske des Phantoms an, welche auf den Tisch zu blicken schien, in die linke Ecke schrieb er: ”Maskenball, Phantasie im stummen Tanz, Maskenball. Sieh dich um, ĂŒberall sind Spukgestalten.”
Dann trat er zurĂŒck und schaute sich sein Werk an.
”Du machst dich ĂŒber meine Inszenierung lustig, nicht wahr?” forschte ich weiter.
”Nein”, erwiderte er nachdenklich. ”Ganz und gar nicht. Es hat mir nur bewusst gemacht, wie ernst die Lage ist.” Ich schwieg wissend und schaute ihm weiter zu.
ӆbrigens”, sagte er beilĂ€ufig und wirkte plötzlich sehr kalt. ”Ich breche mein Praktikum vorzeitig ab. Es ist schon alles geregelt. Ich rĂ€ume morgen meinen Schreibtisch.”
Ich wurde blass. Registrierte gar nichts mehr. Er wollte einfach so verschwinden? Mir drehte sich der Magen um.
”Warum?” fragte ich verzweifelt.
Stumm und sehr ernst blickte er mich an, unergrĂŒndlich und tief und sein Blick hielt mich gefangen. Ich hĂ€tte schreien können und wusste doch, dass es endgĂŒltig soweit war.
Dann machte ich auf den Absatz kehrt. Verließ das BĂŒro, setzte mich ins Auto und raste durch die Straßen. Ich ahnte, warum er ging. Man legte sich nicht mit dem Teufel an, man raubte ihm nicht seine Macht. Ich war zu weit gegangen.
Am Nachmittag meldete ich mich krank. Dann kaufte ich einen schwarzen Geschenkkarton, legte ihn mit roter Seide aus, packte eine Rose und die kleine Maske hinein, die wir in Hamburg gekauft hatten. Ich setzte mich hin und schrieb einen Brief.
” ‚Die Macht des Wollens’
Ich habe von Anfang an gespĂŒrt, dass du gut in die Unterwelt des Phantoms hineinpassen wĂŒrdest. Dich dort zu sehen, war mein Wunsch. Nur fĂŒr dich allein habe ich diese Maskerade inszeniert. Denn nur durch meinen ”Willen”, dich in meinen Traum hinein zu zerren, konnte ich ihn auch Wirklichkeit werden lassen. Wie sonst hĂ€ttest du jemals meinen Traum so real spĂŒren und erleben können? Aber es war die StĂ€rke ”meines” Verlangens, die ”Dir” die Macht gab, ”mich” zu beherrschen. Und diese Macht kenne ich jetzt."
Ich packte alles ein, fuhr abends ins BĂŒro und legte den Karton auf seinen Schreibtisch. Am nĂ€chsten morgen stand ich frĂŒh auf. Kleidete mich sorgfĂ€ltig an und wartete. Gegen zehn Uhr klingelte es. Ich öffnete sofort.
”Komm rein”, sagte ich nur. Wolf schaut mich erstaunt an.
”Ich wusste, dass du kommst. Ich habe auf dich gewartet”, fĂŒgte ich erklĂ€rend hinzu.
”Woher wusstest du das?”
”Die Kraft des Wollens verbunden mit GedankenĂŒbertragung”, erwiderte ich ruhig und lĂ€chelte ihn an. ”Du vergisst, ich hatte einen hervorragenden Meister.”
Wolf hielt den schwarzen Karton in der Hand. ”Was ist damit?” fragte er.
”Weißt du das nicht?” Ich zog mir eine Jacke ĂŒber und wir gingen zu seinem Auto. In stillem Einvernehmen und schweigend fuhren wir nach DĂŒsseldorf. Das Cafe war verlassen, es war SpĂ€therbst und so gingen wir an das Ufer des Rheins.
”Man sollte sich nicht mit den höheren MĂ€chten des Bösen anlegen und sie herausfordern. Entweder man verliert oder wird selbst ein Teil davon”, sagte ich ruhig. Er nickte. Gemeinsam nahmen wir den Karton und warfen ihn ins Wasser. Wir hatten beide verstanden. Die Strömung spĂŒlte ihn weg, irgendwann löste er sich auf und ging unter. Wir blickten schweigend hinterher. Der Bann war gebrochen, der Teufel vernichtet und verschwunden. Wolf nahm mich das erste Mal nach dieser langen Zeit und unserem Kampf in den Arm und kĂŒsste mich.
Wir blieben lange am Uferrand stehen, eng umschlungen, eine Einheit, um unsere letzte Stunde auszukosten, die nicht mehr aufzuhalten war.
Dann nahm er mein Gesicht in seine HĂ€nde und fragte mit einem schelmischen Aufblitzen seiner schwarzen Augen:
”Ach, ĂŒbrigens, was du mir immer noch nicht beantwortet hast. Welchen Teil von mir wolltest du eigentlich?”
”Welchen Teil gibst du mir freiwillig?” fragte ich schelmisch zurĂŒck.
”Hm”, grinste er. ”Meine Seele hattest du doch von Anfang an. Du hast es nur nicht richtig verstanden.”
”Die Seele des Teufels?”
"Nein, meine Liebe."

Als ich nach meiner ”Krankheit” eine Woche spĂ€ter mein BĂŒro betrat, war der Schreibtisch auf der anderen Seite gerĂ€umt. Nichts erinnerte mehr an Wolf. Nur die Staffelei mit seinem Bild stand noch hier. Grau in grau mit zwei bunten Gestalten. Signiert hatte er es unten rechts mit: ”Sorry”.
Ich blickte auf das Bild und ganz leise im Hintergrund hörte ich die Spieluhr spielen: ”Maskenball, kunterbunter Mondenschein, Maskenball. Niemand ist der, fĂŒr den ihn andere halten.”
Wolf, "mein" Prinz aus 1001 Nacht, war verschwunden. Ich hatte ihm eine Woche Vorsprung gelassen. Nur seine Seele erfĂŒllte noch den leeren Raum.



© by Monique Lhoir

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