Ganz schön bissig ...
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Juli 2002
Night and Day
von Fran Henz


„Willis Waldschenke“ war ein Ausflugslokal, das auch den höchsten Ansprüchen gerecht wurde. Dieser Umstand äußerte sich nicht nur in der handgeschriebenen Tageskarte, sondern auch in den mit Terrakottafliesen und Carraramarmor ausgestatteten Waschräumen.
Sensoren regelten automatisch Beleuchtung, Wasserzufluss und Musikberieselung. Deshalb flammten alle Lampen auf als Alex die Tür öffnete und die Örtlichkeit zu den Klängen von „Moonriver“ betrat. Er legte die langstielige lachsfarbene Rose auf den Waschtisch und musterte sich kritisch in der Spiegelwand.
Der Armani-Anzug verbarg geschickt das bisschen Zuviel an Körper, das er mit sich herumtrug. Die moosgrüne Seidenkrawatte betonte seine Augen und sein dichtes schwarzes Haar, das nur an einer kleinen Stelle am Hinterkopf etwas schütter wurde. Aber da er 1.96m groß war, bekamen diese Stelle nur wenige seiner Mitmenschen zu sehen. Zumindestens so lange er sich nicht bückte – was er heute ganz bestimmt nicht vor hatte. Heute musste alles perfekt sein, weil er endlich jene Frau treffen würde, die er 14 Monate lang vergeblich um ein Rendezvous gebeten hatte. Die Frau, von der er nichts weiter kannte als den Namen und die Stimme.
Obwohl es fast eineinhalb Jahre zurücklag, konnte er sich noch wie gestern an ihre erste Begegnung erinnern. Er düste nach einem Auswärtsmatch seiner Lieblingsfußballmannschaft über die nächtliche Autobahn heim. Der CD Player war defekt, also musste das Radio herhalten. Und da hörte er sie. Die Stimme, die ihn seitdem nicht mehr losgelassen hatte. Ein weiches raues Timbre, das in ihn strömte, sich langsam fließend in ihm ausbreitete und Stück für Stück von seinem Körper, seinem Verstand und seinem Herz in Besitz nahm.
Die Sendung hieß ‚Nachtfalter’, kam Montag bis Freitag von 0.00 bis 5.00 Uhr und Alex hatte seither keine einzige mehr versäumt.
Die Musik, die Tina auflegte, war nicht nach seinem Geschmack und auch mit den gelegentlich zum Vortrag gebrachten Gedichten und Balladen konnte er nichts anfangen. Aber das war unwichtig. Er wäre auch vor dem Radio gehockt, hätte sie Programmieranleitungen für Videorecorder, unterbrochen von Gregorianischen Chorälen, rezitiert.
Es dauerte nicht lange, bis er begriff, dass er sie treffen musste. Beim Sender gab man ihm keinerlei Informationen, nicht einmal ein signiertes Foto: „Frau Wegner wünscht keinerlei Publicity. Wir sind nicht befugt, Auskunft über das Privatleben unserer Mitarbeiter zu erteilen.“
Auch diese Tatsache konnte seinen Enthusiasmus nicht dämpfen. Er nutzte jede Gelegenheit, an Livediskussionen teilzunehmen und wenn die Mikrophone abgeschaltet waren, bat er sie regelmäßig um eine Verabredung. Sie – ihre Stimme! – blieb gleichermaßen freundlich wie ablehnend.
Er machte es sich zur Gewohnheit, Blumen für sie an den Sender zu schicken, in denen Kärtchen mit Vorschlägen für gemeinsame Unternehmungen steckten und erntete dafür nichts weiter als „Vielen Dank und herzliche Grüße“.
Doch dann, als er schon alle Hoffung aufgegeben hatte, offenbarte sie ihm plötzlich nach einer der Telefondiskussionen, dass sie sich mit ihm treffen wollte, er sollte nur sagen, wann und wo.
Wann war heute, und wo dieses vornehme Lokal ein paar Kilometer außerhalb der Stadt. Er wusch sich die Hände, die vor Nervosität feucht waren und fletschte die Zähne, um zu sehen, ob sich keine Speisereste dazwischen verfangen hatten. Mit Daumen und Zeigefinger zupfte er eine Locke zurecht und bedauerte, auf Gel verzichtet zu haben. Aber man wusste nie, wie der Nachmittag enden würde und seiner Erfahrung nach wühlten Frauen nicht gerne in klebrigen Haaren. Alles war möglich und nichts davon konnte ihn überraschen. Darum hatte er auch seine Wohnung auf Hochglanz gebracht, das Bett frisch überzogen und Sekt eingekühlt.
Er hob eine Augenbraue und lächelte seinem Spiegelbild, das einen durch und durch erfolgsverwöhnten Creative Director zeigte, aufmunternd zu.
Dann nahm er die Rose und machte sich auf den Weg in den Gastraum. Auf seine Frage hin teilte ihm der Kellner mit, dass Frau Wegner bereits an dem reservierten Tisch Platz genommen hatte. Lässig schritt Alex an den reichlich verteilten Grünpflanzen entlang. Sein Herz hämmerte in wildem Stakkato und zu seinem Entsetzen wurden sein Handflächen schon wieder feucht.
Der Kopf der Frau war über die ledergebundene Menükarte gebeugt und so sah er vorerst nur eine Menge halblangen, hellbraunen Haares. Er räusperte sich und die Frau hob den Kopf.
Später konnte er nicht sagen, ob es ihre riesigen veilchenfarbenen Augen waren, die sein Schicksal endgültig besiegelten oder das Lächeln, das sich auf ihre Lippen stahl.
Vollkommen sprachlos schaffte er eine leichte Verbeugung und reichte ihr die Rose. Ihr Lächeln vertiefte sich und auf ihrer Wange erschien ein Grübchen. „Alex, nehme ich an?“
Die Stimme. Sie riss ihn aus seiner Betäubung. Er nickte und setzte sich ihr gegenüber. „Alex Hofer, nur ein unbedeutendes Mitglied aus der Schar deiner Bewunderer.“
Der Kellner tauchte auf und machte den Austausch weiterer Höflichkeiten zunichte. Kurzentschlossen bestellten sie beide Eiskaffee. „Ohne Schlag“, sagten sie wie aus einem Mund und begannen prompt zu lachen.
Die Konversation plätscherte dahin. Tina erzählte, wie sie beim Radio hängen geblieben war, dass sie ‚Nachtfalter’ seit über fünf Jahren moderierte und warum sie ihre Sendezeit so schätzte: „In diesen Stunden hat die Zeit etwas Unwirkliches. Es ist eine Art Magie, die sich auch auf die Hörer überträgt. Man kann über viele Dinge sprechen, die sonst ...“
Alex versuchte sich auf die Inhalte zu konzentrieren und nicht auf den Klang ihrer Stimme. Die Stimme, die jetzt Gestalt angenommen hatte. Und was für eine Gestalt!
Der Teil von ihm, der die Realität nicht völlig aus den Augen verloren hatte, war in der Hoffnung zu diesem Treffen gekommen, Tina wäre hässlich oder zumindest nicht sein Typ; alt oder zumindest zu alt für ihn. Dann wäre der Bann gebrochen und er selbst wieder frei; frei, seine schlaflosen Nächte nicht länger mit Celine Dion, Xavier Naidoo und Francois Villon zu verbringen, sondern mit Ozzy Osbourne, U2 und Al Bundy; frei, die hübsche Sekretärin, die immer ausgerechnet von ihm Rat bei komplizierten Dateiformaten haben wollte, zu einem After-Work-Drink einzuladen.
Frei, sein eigenes Leben zu leben.
Diese Hoffnung war eine durchaus berechtigte. Hatte er doch in all den Wochen Erwartungen in Tina gesetzt, die keine Frau aus Fleisch und Blut zu erfüllen vermochte.
Aber hier und jetzt begriff er mit schmerzender Klarheit, dass die Kette, die ihn an Tina fesselte, nicht zu durchschlagen war. Um so härter traf ihn deshalb die Tatsache, dass er die Situation nicht wirklich in den Griff bekam. Gewiss, sie saß da, löffelte ihr Eis, lächelte und plauderte. Unverbindlich und nichtssagend.
Es befand sich eine Wand aus Glas zwischen ihnen. Aus Panzerglas.
Er schob den leeren Eisbecher zur Tischmitte und ging zum Angriff über. „Was hältst du davon, irgendwo hinzufahren?“, fragte er entschlossen und legte demonstrativ den Autoschlüssel mit dem Anhänger nach oben vor sich hin. „Mein Porsche wartet draußen. In Null Komma nix sind wir in der Stadt.“
Tina tupfte mit der Serviette ihren Mund ab. „Lassen wir es für heute gut sein, Alex. Ich hatte eine anstrengende Woche und ...“, sie legte die Serviette weg und sah ihm direkt in die Augen, „ ... außerdem hasse ich schnelle Autos.“
Alex schwieg. Die Abfuhr war deutlich. Er zog ein von einer goldenen Geldscheinklammer gehaltenes Bündel 200 € Scheine aus seiner Jacke und machte dem Kellner ein Zeichen.
Tina betrachtete ihn nachdenklich. Auch Tom, ihr Ex-Mann, hegte ein Faible für Designerklamotten und Sportwagen. Als mit Aufträgen überhäufter Architekt passte das auch tadellos zu seinem Lebensstil. Nur sie selbst hatte irgendwann nicht mehr dazugepasst. Aber immerhin teilte er ihr erst nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus mit, dass er ihren Anblick nicht länger ertrug.
Alex ließ ein paar Münzen auf dem Tisch liegen. Er suchte krampfhaft nach einer Möglichkeit, dieses Treffen noch nicht zu beenden.
„Gibst du mir das Ding von dort drüben?“, hörte er Tina sagen.
Er starrte auf die gegenüberliegende Wand, wo neben mehreren Babyhochsesseln DAS DING stand. Sein Blick kehrte zu Tina zurück. Fassungslos. Ungläubig. Entsetzt.
Mit hölzernen Bewegungen ging er hinüber und nahm die Griffe des Rollstuhls. Sie fühlten sich kalt und klebrig an.
Mühsam schob er den Rollstuhl zum Tisch und sah – noch immer paralysiert – zu, wie Tina sich hineinhievte. Mit ihren Händen zog sie ihre Beine, die in hellen Jeans steckten, auf die Fußstütze. Dann griff sie nach ihrer Handtasche und der Rose. Beides legte sie auf ihren Schoß.
„Wir können gehen“, sagte sie ausdruckslos und blickte ihn an. Der Schock ließ seine versteinerten Gesichtszüge grau aussehen.
Seine Reaktion tat weh. Mehr als sie erwartet hatte.
Nicht zum ersten Mal verwünschte sie ihre masochistische Ader, die sie immer wieder zu diesem infantilen Spielchen trieb. Immer wieder mit dem selben Ergebnis.
Alex hielt ihr die Glastüre auf und folgte ihr. Auf dem Parkplatz angekommen, stoppte sie den Rollstuhl und streckte Alex die Hand hin. „War nett, dich kennenzulernen.“
Er nahm ihre Hand, konnte ihr dabei aber nicht ins Gesicht sehen. An der Kälte ihrer Stimme merkte er, dass er gewogen und für zu leicht befunden worden war.
„Es ... es tut mir leid“, brachte er über die Lippen.
Ohne zu wissen wie, saß er dann in seinem Porsche und drückte den Kopf gegen die Nackenstütze. Sein Magen klumpte sich zusammen und er atmete mit geschlossenen Augen tief durch.
Als er sie wieder öffnete, sah er Tina schräg gegenüber. Ein junger langhaariger Mann half ihr auf den Beifahrersitz eines gelben Golfs und verstaute den zusammengeklappten Rollstuhl im Kofferraum. Der Wagen setzte sich langsam in Bewegung.
Alex Hände klammerten sich um das Lenkrad. Er hörte einen Schrei und begriff erst nach Sekunden, dass er aus seiner eigenen Kehle gekommen war. Ein Ruck ging durch ihn, dann stieß er die Tür auf und rannte wie von Furien gehetzt quer über den Parkplatz. Er durfte nicht zulassen, dass sie auf Nimmerwiedersehen aus seinem Leben verschwand. Auch wenn er sich dafür bis auf die Knochen blamieren musste
Mitten auf der Fahrbahn blieb Alex stehen, wartete bis der Golf anhielt und hastete zur Fahrertür. Ungeduldig riss er sie auf und packte den Langhaarigen am Arm. „Geh’ eine rauchen oder kauf’ dir ein Bier oder sonst was“, befahl er dem Zivi und zog einen Schein aus seinem Bündel.
Unbeeindruckt blickte der Mann zu Tina, die nach kurzem Zögern nickte. Dann erst nahm er den Schein.
Alex ließ sich auf den Fahrersitz fallen, lenkte den Wagen an den Fahrbahnrand und stellte die Zündung ab. Er wusste nicht, wie er anfangen sollte. Schließlich griff er nach den Geldscheinen, die er aufs Armaturenbrett geworfen hatte und zog die Klammer weg. „Nur die obersten beiden sind Zweihunderter, drunter sind lauter Fünfer. Das ist mein Budget für den Rest des Monats.“ Er fixierte einen Punkt jenseits der Straße. „Ich habe eine zehnjährige Tochter, für die ich Alimente zahlen muss und die alle 14 Tage das Wochenende bei mir verbringt. Der Porsche ist geliehen, morgen um 10 Uhr muss ich ihn zurückbringen. Den Anzug habe ich aus einem Second Hand Shop. Ich bin nicht Creative Director, sondern Layouter. Ich arbeite nicht nachts, sondern ich bin nur wach geblieben, um deine Stimme zu hören.“
Er drehte sich zu ihr und zwang sich, ihrem Blick Stand zu halten. „All das habe ich mir ausgedacht, um dich zu beeindrucken, um dich dazu zu bringen, dich weiter mit mir zu treffen.“
Tina schwieg.
„Damit du nicht denkst, ich bin nur einer von vielen - ein Mittdreißiger mit Schwimmreifen und beginnender Glatze. Ich bin ein Frosch, der ein Prinz sein wollte“, schloss er mit bitterer Ironie. „Dein Prinz.“
Sie schwieg noch immer und das traf ihn tiefer als alles andere. Er riss sich zusammen. „Danke, dass du mich angehört hast.“
Der Zivi hatte in Rufweite gewartet und setzte sich wieder hinters Steuer. Alex ging um den Golf herum. Seine Hände waren tief in den Hosentaschen vergraben, sein Blick auf den Boden gerichtet, ohne etwas zu sehen.
„Alex.“
Er drehte sich um. Tina hatte das Seitenfenster geöffnet. In ihrer Wange erschien wieder das Grübchen. „Dein Plan ist aufgegangen. Du hast mich beeindruckt. Sehr sogar.“

© Fran Henz


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