Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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Juli 2002
ORALE GENÃœSSE
von Anne Zeisig


Und heute wieder ein ruhiger Feierabend mit einem Kitsch-Roman im Bett! (Was seit langer Zeit für mich anregender ist, als dasselbige mit einem Mann zu teilen).

. . .

Bereits als ich die Garageneinfahrt hoch fuhr, ahnte ich, es wird kein ruhiger Abend im Bett. Lisa, die Freundin meines lang jährigen Nachbarn Harry, verstaute wutschnaubend Koffer und Kartons in ihren FIAT Panda, der aus allen Nähten platzte. Sie warf ihre lange Mähne in den Nacken und rief mir zu: „Der Kerl sieht mich nie mehr wieder, der soll sich seine Tomaten-Hybriden sonst wo hin stecken, vom Essen alleine kann eine Frau emotional auch nicht existieren!“
Und hinterließ per Quickstart eine üble Abgaswolke.
Ich schielte rüber zu Harrys Haustür, die allerdings nur engste Nachbarn und Freunde irgendwo hinter den wuchernden Himbeer-Sträuchern vermuten konnten. Auch Harrys Garage schlummerte tief unter dem Grün der prächtig gedeihenden Stangenbohnen.
Harry ist nämlich Koch mit Leib und Seele – also baut er seine Produkte für Topf und Pfanne selber an.
Ich bin Harrys seelsorgerische Freundin, aber nur ehrenamtlich. Das heißt, ich erhalte dafür keinen Lohn, auch kein Brot, aber stets eine lukullische Köstlichkeit aus seiner High-Tech-Küche mit Edelstahlfront.
Mein Nachbar hat Pech mit den Frauen – und immer, wenn wieder eine bei ihm auszieht, dann kocht Harry für mich. Dafür muss ich mir sein Jammern anhören.

. . .

Nach dem Duschen warf ich mir, entsprechend meines Ehrenamtes, das kleine Schwarze mit den Spaghetti-Trägern über und zündete ein paar stimmungsvolle Tee-Lichter an, die ich auf dem Terrassentisch anordnete. Auf gar keinen Fall durfte ich den Tisch decken! Harry musste stets den Eindruck haben, dass er mich zufällig mit seinen Köstlichkeiten überraschte. Also machte ich es mir im Gartenstuhl bequem, und hielt mir den Roman „Flammende Herzen neben dem Gartenzaun“ vor Nase und Lesebrille.
„Denise?“ ,hörte ich Harry zaghaft hinter seiner Haselnuss-Strauch-Hecke rufen, „hast du mal wieder Lust, ein experimentelles Menü zu probieren?“
Noch ehe ich antworten konnte („ja“, was sonst?!) balancierte er die Tabletts rüber, und ließ diese unsanft zwischen die Tee-Lichter auf den Tisch gleiten. Bevor Harry mir bei diesem Spontan-Servier-Akt das Essen ins Dekolleté schütten konnte, stand ich schnell auf und rief auf dem Weg ins Haus: „Oh! So eine Überraschung, da decke ich doch sofort den Tisch!“
Harry hatte meinen Kitschroman in den Händen, als ich mit dem Geschirrtablett raus kam (hatte ich schon nach dem Umkleiden alles bereit gestellt).
„Der Titel ist nicht passend,“ maulte er sofort los, als ich die Speisen auf die Teller verteilte und den Tafelwein einschenkte.
„Es müsste heißen, `Fleißige Lieschen neben dem Gartenzaun´,“ ,und er kippte sofort den Wein in einem Schluck hinunter.
Ich setzte mich und stocherte erst einmal in dem undefinierbar aussehenden Essen herum.
2

„Harry, das ist kein Gartenbuch. Du kennst den Inhalt ja nicht,“ ,bemerkte ich kurz, um dann erst mal das Essen zu verköstigen. Es schmeckte vorzüglich! Was immer ich da auch auf der Zunge hatte aus bräunlichgrünem Brei, köstlich!
Er aß nichts. Wie immer. Trank nur bereits das zweite Glas Wein schnell leer.
„Dass du so einen Herz-Schmerz-Scheiß lesen kannst, Denise, das verstehe ich nicht,“ und er hielt seine rechte Handfläche auf seine linke Brustseite über sein Herz, „mich können die Weiber nun endgültig kreuzweise am A... ,sorry, Denise, aber ist doch wahr!“
„Was ich da lese, das ist ja auch der Herz-Schmerz anderer Leute. Und oft gibt es auch ein glückliches Ende,“ bemerkte ich aufmunternd, und nahm einen Nachschlag dieser Breimasse.
(Experimentierküche für zahnlose Senioren? Na ja, Harry würde noch drauf zu sprechen kommen)
Er stand auf und begann, auf der Terrasse hin und her zu laufen. Aha! Ich wusste, gleich würde sein Wortschwall auf mich nieder hageln.
„Keiner kann ich es recht machen!“ ,begann er theatralisch, „von wegen,“ sah er mich augenfunkelnd an, „Liebe geht durch den Magen! Pah! Sex wollte Lisa nur! Ausschließlich Sex! Emotionslosen Sex! Morgens Sex! Mittags Sex! Zwischendurch auch! Ich bin doch kein primitiver Zuchthengst!“ ,und riss eine Blüte meiner heißgeliebten Rosen ab mit Züchtungsname „Queen Elisabeth“. Warf diese achtlos auf den undefinierbaren Brei, was aber als Deko äußerst wirksam aussah.
Ich schwieg, machte ich mich über das Dessert her. Offenbar eine Art Quitten-Gelee, herrlich süß, aber mit einem Bitter-Lemon-Beigeschmack.
Harry setzte sich und ließ ein Bein unruhig über die Lehne des Gartenstuhles auf und ab pendeln, während er das Weinglas in den Händen hin und her drehte.
„Mit Maria lag ich nur im Bett, war auch nicht okay, die wollte noch morgens um vier eine warme Mahlzeit! Annette löcherte mich ständig damit, ob ihre Brust die richtige Birnen- oder Apfelform habe, da meinte ich, ist doch scheißegal, Hauptsache gesund! Da zog die aus, weil ich ihre Brust angeblich nicht gebührend beachtete!“ ,er goss sich das dritte Glas ein. (Und ich konnte weghören, denn diese Geschichten kannte ich ja bereits)
„Susanne faselte was von tabuloser Erotik. Und was wollte sie von mir?!“ ,er stand wieder auf und begann von Neuem, hin und her zu gehen, „ich sollte diese vorgefertigte Sprühsahne aus dem Supermarkt aus ihrem Bauchnabel schleckern!“
„Mal ehrlich Denise,“ ,er setzte sich und goss den Wein hastig hinunter, „dieser ganze Scheiß von Liebe und Zuneigung und Herzensangelegenheiten und so, ich pfeif drauf!“
Endlich aß er ein paar Gabeln dieses „Grünbrei-a-la-was-wohl“? Und murmelte mit vollem Mund: „Solange ich noch zwei gesunde Hände habe, genüge ich mir selbst und brauche keine Frau mehr im Haus.“
Ich goss mir ein zweites Glas Wein ein, und schüttete versehentlich etwas davon auf meinen, zugegebenermaßen sehr tiefen, Ausschnitt.
Harry tupfte sofort behände das Nass ab, was ich eiligst abwehrte. (Auch ich habe zwei gesunde Hände ... )
„Lass mal,“ ,ich nahm ihm die Serviette aus der Hand, „hast ja Recht, Harry, solange du mit deinen gesunden Händen die Fenster noch selbst putzen kannst, ist es doch okay.“
Harry lächelte für mein Gefühl ein bisschen zu warmherzig, als er bemerkte: „Denise, wir wohnen ja schon Jahre Tür an Tür, aber noch nie ist mir aufgefallen, dass du so weibliche Formen hast.“
„Apfel oder Birne?“ ,fragte ich lachend, und hätte mich flugs ohrfeigen können. Bloß kein Flirt mit Harry! Das wäre das Ende einer kullinarisch-platonischen Freundschaft!
3 Abrupt stand ich auf und begann, wie ein fleißiges Lieschen das benutzte Geschirr auf das Tablett zu stellen.
Harry begriff meinen Stimmungswechsel, stapelte seine Tabletts samt Essenreste auf Hand und Unterarm, nuschelte was von „Danke mal wieder fürs Zuhören, es ist ja spät geworden,“ und stieg die Treppe zu seinem Garten hinauf.
(Komisch. Mir war noch nie aufgefallen, was für einen Knackarsch er hatte in seinen engen Shorts. Und diese gebräunten, muskulösen Waden!)
`Nun ist aber Schluss,´ schalt ich mich selbst zur Realität, als ich in der Küche das Geschirr abwusch.
Der Kerl war außerstande, in einer Beziehung den goldenen Mittelweg zu finden. Und würde es auch noch schaffen, aus meinem blühenden Ziergarten eine Ackerbau-und-Viehzucht-Oase zu machen, um noch weitere Quadratmeter fruchtbaren Ackerlandes zu bewirtschaften!
Wer sät, will auch ernten!
Aber weder bei mir noch in meinem Garten würde jemals Harry seinen Samen verstreuen! Dachte ich fröhlich, und begab mich mit den „Flammenden Herzen neben dem Gartenzaun“ zu Bett.
Dort ließ die ältere, reife Gutsbesitzerin dem wesentlich jüngeren, unerfahrenen Gärtner gerade Champagner und Hasenbraten mit Trüffelsauce ans Bett servieren.
`Ich muss Harry unbedingt noch fragen, was für einen Brei er mir heute serviert hat,´ dachte ich vor dem Einschlafen.

. . .

In den Folgewochen sah und hörte ich von Harry nicht viel. Allein die Tatsache, dass sein Auto ab und zu von der Garageneinfahrt weg bewegt wurde, er seine Früchte erntete und die Hecke geschnitten hatte, zeigte mir, wenn ich abends von der Arbeit heim kam, dass Harry noch lebte. Manchmal klingelte er kurz an, lieh sich ein paar Eier, denn Hühner hatte er (noch?) nicht in seinem Garten beheimatet.
Ein kurzes: „Geht´s gut?“ Und „Danke. Bis denne mal wieder.“ ,war alles, was er dann von sich gab, wie immer, in all den Jahren.
Ob er mit Freundin lebte, oder seinem Vorsatz zum Single Dasein treu geblieben war, blieb mir verborgen. Jedenfalls war meine seelsorgerische Ehrenamtlichkeit des Zuhörens lange Zeit nicht gefragt. Schade. Wegen des Essens natürlich.

Lustlos hatte ich am Feierabend zwei Koffer gepackt, der jährliche Besuch im Spätsommer bei meiner Mutter war fällig. Eine Woche! Das bedeutete mindestens sieben Tage Hausmannskost á 3000 Kalorien täglich, dieses Umrechnen in Joule hatte ich nie kapiert. Umso deutlicher zeigte die Waage dann die Kilos an. Aber was nahm ich nicht alles auf mich, um meine Mutter bei Laune zu halten, damit sie nicht wieder Gespräche über Männer, Heirat und Kinder auf das Tablett des Küchentisches brachte. Solange ich alles aß, was sie mir vorsetzte, ihre Kochkünste lobte und versicherte, dass meine Kinder, wenn ich welche hätte, verhungern müssten, ließ sie mich mit diesem leidigen Thema in Ruhe. (Wer will schon eine Tochter, die eine Rabenmutter sein könnte)
Geschafft vom Packen stellte ich mich unter die Dusche und hörte offenbar erst spät das Klingeln an der Haustür. Warf mir flugs, aber auch verärgert, ein Badetuch um und öffnete.
Harry stand mit zwei großen Tabletts da!
(Mist! Ich hatte nämlich inzwischen, neugierig geworden durch Harrys „Sprühsahne-Freundin“, mein Genre gewechselt in Richtung Erotikliteratur. Und freute mich auf die Nachtlektüre „Leckereien im Himmelbett“)
4 „Nicht, was DU denkst,“ ,grinste er übers ganze Gesicht, „heute ist das mal ein erfreulicher Anlass“ ,rauschte an mir vorbei und platzierte das Menü auf dem Tisch und sich auf einen der vier Stühle.
„Oh!“ ,sagte ich gewohnheitsmäßig, „so eine Überraschung, da decke ich doch gleich mal den Tisch.“
„So?“ ,fragte er lachend und schaute an mir hinunter, „du ziehst dich an, und ich decke heute den Tisch.“
(Mir war unwohl, ich mochte es nicht, wenn sich ein Mann in meiner Küche zu schaffen machte. Wie gesagt, so lange ich noch zwei gesunde Hände habe ... )
Nix mit tiefem Ausschnitt! Hochgeschlossenes Shirt und unförmige, bequeme Jogginghose. Nur dem Schwarz blieb ich treu. Ist halt eine „Nicht-Farbe“ ,ich konnte sie mir leisten wegen meiner korallenroten Haare.
Harry saß lässig am gedeckten Tisch und hatte meine Bettlektüre vor der Nase. Das Buch hatte ich in der Küche liegen gelassen.
Ärgerlich goss ich hastig ein Glas Sekt runter.
„Willst du lesen, essen oder reden!“ ,bemerkte ich unwirsch, „hatte Koffer gepackt, Besuch bei Muttern ist mal wieder fällig,“ (mein Tag war wirklich anstrengend genug gewesen) Ich hielt ihm das Glas hin, er goss mir nach. „Der Sekt schmeckt gut.“ (Komplimente erhalten die Freundschaft)
„Das ist Champagner, es gibt nämlich Hasenbraten mit Trüffelsauce und Maronen-Mus!“
Verkündete er feierlich in mein verduztes Gesicht hinein, „du weiß ja, liebste Freundin, ich bin einer von der konservativen Sorte, ich fröne der oralen Gelüste gerne bei Tische denn im Bette!“
„So fröhlich?“ ,argwöhnte ich und sagte sehr leise, fast verschwörerisch, „offenbar bekommt dir das Single-Dasein sehr gut.“
„Denise!“ ,rief er euphorisch und wirbelte mich durch die Essdiele, „ich habe sie gefunden!“ Um mich dann unsanft auf den Stuhl zu setzen.
(Aha! Jetzt werde ich also auch bekocht, wenn er wieder eine Neue hat)
Er legte mir und sich von dem Essen auf und begann kauend zu schwärmen.
„Sie ist so gaaaaaaaanz anders, weißt du. Als ich sie das erste mal sah, da war es um mich geschehen! Ihre Augen! Grün! Aber nicht so irgend ein Grün!
Neeee, es ist ein leuchtendes Grün! So lebendig wie das Grün der Blätter, wenn es sich zum Herbst schon leicht gelblich verfärbt!“ ,er nahm einen Schluck Champus und verschluckte sich daran. Ich klopfte ihm hilfreich auf den Rücken. (Am Abend vor meiner Abreise könnte ich die Aufregung eines Notarzteinsatzes bestimmt nicht ertragen)
„Danke,“ hechelte er und schwärmte, „sie ist so anschmiegsam! So geschmeidig! Freut sich riesig, wenn ich heim komme, und umgarnt mich mit dem Blick ihrer Augen und ihrer faszinierenden Körpersprache!“
Mir blieb der Bissen im Halse stecken! Harry! Verliebt bis über beide Ohren! Harry auf Wolke Sieben!
Endlich konnte ich mal teilhaben an seinem Glück! War doch mal was anderes, als diese Jammer-Essen!
„Ich muss nicht für sie kochen!“ ,unterbrach er meine Gedanken, „aber sie liebt den Garten.“ Und er nahm sich das zweite Stück Braten, grinste mich an wie ein verliebter Gockel.
„Ist sie Gärtnerin?“ ,fragte ich spontan ob meiner vorletzten Lektüre und hätte mir wegen dieser Frage am liebsten die Zunge abgebissen.
Harry lachte laut, dass es fast die Sektschalen zum Klirren brachte.
„Nein! Denise! Sie ist ein kastanienbraunes, anmutiges Geschöpf!“
( Wie groß ist der Unterschied von korallenrot zu kastanienbraun? )
„Aha.“ ,ich nickte kurz und nahm mir auch ein zweites Stück Braten, mein Magen musste sich eh an handfeste Nahrung gewöhnen für die nächsten sieben Tage.
Nicht, dass ich neidisch sein könnte, aber so aufgekratzt hatte ich Harry halt noch nie erlebt.
5

Er zeigte auf mein Buch „Leckereien im Himmelbett“ und frohlockte: „Sie mag auch diese Sprühsahne, aber selbstgeschlagene, habe mir extra so einen Sahnespender gekauft, wo diese Kohlensäure-Patronen rein gelegt werden!“ ,er sah mich verschwörerisch an und flüsterte, „am liebsten schleckert sie mir die Sahne von den Fingerspitzen.“
Mir fiel die Gabel auf den Teller. Ich prustete los.
„Von den Fingerspitzen?!“
„Ja!“ Harry schaute mich mit feuchten Augen an, „du hast ja keine Ahnung, wie viel Nerven-Enden sich in den Fingerspitzen bündeln!“
„Lass mich mal raten, Harry.“ Ich machte eine kurze Pause, um die Teller aufeinander zu stellen, „und diese Nerven-Enden haben dann eine Verbindung zu sämtlich anderen empfindsamen Zonen, stimmt´s ?“ ,und brachte die Teller in die Küche. (Diese Bemerkung tat mir nicht leid)
„Denise!“ ,rief Harry mir zu, “du musst nicht immer so sexistisch denken!“
( Die Bemerkung bereute ich doch!)
„Harry,“ meinte ich betont kühl aus der Küche kommend, „ich will ja nicht unhöflich sein, aber ich muss morgen sehr früh los,“ und hielt ihm seine Tabletts vor die Brust. Die sich unter dem Shirt so maskulin abzeichnete! (Seufzer, aber nur einer)
„Schade,“ meinte er leise und stand auf, „na, dann lernst du Sissi halt nach deinem Urlaub kennen.“
(Sissi! Wer ist Sissi?)
„Guck nicht wie ein Fragezeichen,“ lächelte Harry, „Sissi! Mein himmlisches Wesen!“
(Komisch. Mir war noch nie aufgefallen, wie Harrys rehbraune Augen funkeln können, und dabei von diesen niedlichen Lachfältchen umkränzt werden. Und was dieser Mann für strahlend weiße Zähne hatte beim Lachen, dieser Kontrast zu seiner braunen Haut! Sein haselnussbraunes Haar, wirr und lockig, zum Herumwuseln wie geschaffen!)
„Denise! Ist was? Ist dir nicht gut?“ ,unterbrach er mein Denken, „na, dann schlaf mal gut,“ er zwinkerte mir zu und flüsterte, „und nicht mehr so lange im Bett lesen.“
(Pah!)

`Nun ist aber Schluss´, rief ich mich in die Wirklichkeit zurück, knipste die Leselampe an und machte es mir in den Kissen bequem.
In den „Leckereien im Himmelbett“ aalte sich gerade lasziv eine dralle Brünette auf der Satinbettwäsche, hielt in der Linken eine Flasche Sprühsahne hoch und säuselte ihrem alten, aber reichen Geliebten zu: „Komm, mein wilder Gourmet, von welchen süßen Früchten willst du denn heute gerne naschen?“ Und sprühte sich die Sahne auf die rechte Brust.
`Apfel- oder Birnenform?´ ,fragte ich mich vorm Einschlafen.

. . .

Mit mindestens 5 Kilo Übergepäck am Körper haftend, fuhr ich die Auffahrt zur Garage hoch. Was hatte sich denn hier verändert?
Staunend stieg ich aus und rieb mir die Augen. Nackt! Vollkommen nackt stand Harrys Garage da! Alle Stangenbohnen waren beseitigt! Und ebenso dem Blick des Betrachters ausgesetzt seine Haustür! Wo noch letzte Woche Himbeer-Sträucher sie umwucherten, waren nun Rosen gepflanzt. Züchtung Queen Elisabeth!



6

Dieser Kerl! Also war seine Sissi doch Hobbygärtnerin! Aber musste sie ausgerechnet `meine´ Lieblings-Sorte Rosen pflanzen?!
Ich schleppte mich, mein Übergewicht und zwei Koffer ins Haus, lief sofort raus in den Garten. Die Haselnuss-Strauch-Hecke an der Grundstücksgrenze gab es noch.
Aber wo waren denn meine Brenn-Nesseln? Ich hatte es nicht mehr geschafft, dieses Unkraut vor meiner Abreise zu jäten.
Sollte etwa diese Sissi-Ziergärtnerin sich in meinem Garten zu schaffen gemacht haben?!
(Mir wird übel, wohl der Magen)
Duschen!
Dieses mal klingelte es erst, NACHDEM ich mich angezogen hatte. Harry! (Wer sonst)
Er begrüßte mich überschwänglich mit dem Hinweis, dass ich guuuuuuuuut aussehen würde, so richtig erholt und ausgeruht.
`Alter Charmeur´, dachte ich, `erholt und ausgeruht? Der meint meine 5 Kilos zuviel.´
Dann packte er mich am Arm und zog mich rüber in seine Gemächer, um mich an einen festlich gedeckten Tisch zu bitten.
(Essdiele – hier haben alle Reihenhäuser den selben Grundriss)
Entkorkte den Krim-Sekt, und mit einem lauten Knall ergoss sich das klebrige Rot über den Tisch, die Wände und uns!
„Macht nichts, äh, macht gar nichts,“ ,stammelte Harry und zog mich raus auf seine Terrasse, „anstelle des Birnenbaumes habe ich eine Parkstrauch-Rose gepflanzt und da, wo der Apfelbaum stand, siehst du,“ er machte eine ausladende Armbewegung, „da wächst nun ein Magnolien-Baum heran!“
(Dieses Funkeln und Glitzern in seinen Augen!)
„Aha?“ Bestimmt hatte ich wieder so ein dämliches Fragezeichen im Gesicht. Ich setzte mich baff in den Gartenstuhl.
„Manno, Harry, da hat diese Sissi dich aber wohl ganz schön umgekrempelt. Oder?“ Ich ging über den Rasen zu dem noch so jungen Magnolien-Baum, kniete mich hin und prüfte per Fingerdruck auf die Erdscheibe, ob er auch genügend bewässert war.
Harry war mir gefolgt, zog mich hoch, drückte mich an seine männliche Brust und gab mir einen freundschaftlichen Schmatzer auf die Wange!
(Komisch, mir war früher nie aufgefallen, was für einen herben Geruch Harry aus strömte.
Und irgendwie fühlte ich auf meiner Wange Nervenbündel, die Verbindungen unterhielten zu bestimmten Körper-Zonen)
Hilfe!
`Nun ist aber Schluss,´ rief ich innerlich nicht besonders überzeugend, befreite mich aus seiner Umarmung und fragte zitternd: „Hat Sissi mit dir Schluss gemacht? Was also gibt es heute Experimentelles zu essen? Magnolienblüten auf Rosenlaub?“
Und lief in die Küche, um den Deckel des Kochtopfes zu lüften.
Igitt! Wieder dieser Senioren-Brei!
(Das Igitt bezieht sich auf die Optik und nicht auf den Geschmack)
Eifrig setzte ich diese Pampe auf zwei bereit gestellte Teller, Harry stand unschlüssig in der Küchentür, knipste nervös ein Feuerzeug an und aus.
Ich drückte ihm die Teller in die Hand, stemmte meine Hände seitwärts in die Hüften, holte tief Luft und gab eine „Erklärung“ ab, mit fester Stimme, wie ich meinte.
„Harry. Wir kennen uns nun schon mindestens fünf Jahre,“
„Sechs,“ unterbrach er mich. Stellte die Teller auf den Tisch und zündete die Kerzen an.
„Na gut, meinetwegen sechs, ist doch egal, was ich meine, ist Folgendes... ,“
„Red weiter,“ meinte Harry und holte einen Dosenöffner aus der Küchenlade.
7

„Gut. Also, was ich meine, ich habe das mal irgendwo gelesen, in einem Buch... ,“
„Als du im Bett lagst,“ er öffnete eine Konserve, hatte mir den Rücken zugewandt.
„JA!“ ,mir wurde mulmig, Harry und eine Konserve öffnen? Ich konnte nicht sehen, was für eine es war. Aber gut, dass er mir den Rücken zu drehte, ich ihm nicht in die Augen sehen musste, in diese so samtig braunen. `Ach ja.´ Ich musste mich um eine `geschäftlich´ klingende Tonlage bemühen!
„Da hatte einer geschrieben: `Freundschaft ist Liebe mit Verstand´; und dass es auch nicht gut sei, wenn man kurz nach einer Trennung sofort wieder eine neue Beziehung beginnt, weil man die alte erst noch aufarbeiten muss... ,äh, ja, ist ja nur... ,“ (was wollte ich ihm sagen?)
„Aber Denise,“ Harry wandte sich mir zu, hielt die Dose hinter seinen Rücken, „Sissi hat bestimmt nichts dagegen, wenn ich dich manchmal mit und oft ohne Verstand liebe!“
Und zog mich in dieser Schrecksekunde Richtung Schlafzimmer.
„Pst.“ ,er legte den rechten Zeigefinger auf meine Lippen, „sie schläft vielleicht“ ,öffnete die Tür.
(Scheiß Kerle! Aber man soll ja nicht pauschalieren... )
Mir schossen die Tränen in die Augen. Wenn der jetzt glaubte, dass ich an einem flotten Dreier Interesse hätte... ,so wie in dem Buch „Dreierlei gegen das Einerlei zu Zweit“, dann hatte er sich aber ge... ,“irre!“ Rief ich entzückt, denn Harry hielt mir ein süßes, kleines Kätzchen vor meine Nase, eine kastanienbraune mit herrlich grünblitzenden Augen! Und setzte ihr das Dosenfutter in das Schälchen auf dem Boden.
„Das ist Sissi!“ ,rief Harry lachend aus und küsste mir die Tränen von den Augen, „Sissi ist der Kosename für Elisabeth, Queen Elisabeth, wie deine herrlichen Rosen!“ ,er drückte mich hinunter auf das Bett und flüsterte: „Andere besprühen sich jetzt vielleicht mit Sahne, wir werden uns danach das Brenn-Nessel-Mus aufwärmen.“
„Dieser eklig grünbraune Brei ist aus ...“ ,lachte ich los.
„Aber lecker.“ ,nuschelte Harry, als er meine Bluse aufknöpfte.
„Hauptsache gesund,“ hauchte ich und wuselte durch sein Haar.

. . .


(Liebe Ma, deine zukünftigen Enkelkinder müssen nicht verhungern, sie werden einen Koch zum Vater haben ... )

Anne Zeisig, Juli-Aufgabe, anno 2002

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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