Liebesgeschichten ohne Kitsch? Geht das? Ja - und wie. Lesen Sie unsere Geschichten- Sammlung "Honigfalter", das meistverkaufte Buch im Schreiblust-Verlag.
Ă„chzend zerrte ich die beiden Koffer die Treppe runter und schleifte sie bis zur HaustĂĽr. Aufatmend stellte ich sie ab und wischte mir den SchweiĂź von der Stirn. So fĂĽhlte man sich also, wenn es endgĂĽltig zu Ende war. Langsam ging ich ins Wohnzimmer und setzte mich neben Else auf das Sofa.
„Pass gut auf ihn auf, er kann nicht anders. Er ist krank!“ flüsterte ich, während ich ihr eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht strich.
Ärgerlich zwinkerte ich eine Träne aus dem Augenwinkel und erhob mich. Während ich zur Tür ging und automatisch den kleinen Knopf drückte, schweiften meine Gedanken ab …
***
Unser erstes Treffen, vor fünfzehn Jahren, auf einer Party bei Freunden. Martin, ich hatte ihn nie vorher gesehen, aber ein Blick aus seinen funkelnden Augen, seine Stimme – er gefiel mir sofort.
Ich war jung und blauäugig, glaubte an das große Glück. Es ging alles ganz schnell. Die gemeinsame Wohnung; ein Jahr später Verlobung – ganz altmodisch.
Dann die Hochzeit, ganz in weiß mit einer Kutsche. Traditionelle Rollenverteilung – Martin die Karriere und ich sollte ihm den Rücken frei halten. Mich um den Haushalt kümmern und um die Kinder, die wir geplant hatten.
Ich war glĂĽcklich und mit allem einverstanden. Freute mich auf unsere gemeinsame Zukunft und sah alles rosarot.
„Nun gehörst du nur noch mir!“ flüsterte er in der Kirche nach dem Eheversprechen und ich lächelte ihn strahlend an.
Wir verbrachten traumhafte Flitterwochen und hofften auf Nachwuchs. Meine Rolle als Hausfrau befriedigte mich nicht, aber ich war zufrieden. Ich genoss die Zeit, die ich fĂĽr mich hatte und traf mich mit Freundinnen.
Ich fĂĽhlte mich so geschmeichelt, wenn Martin mich immer anrief. Einfach so, es interessierte ihn alles. Wo ich war, mit wem, was ich machte, er war so besorgt und fĂĽhrsorglich.
Und Martin liebte Überraschungen. Wenn ich Besuch von einer Freundin hatte stand er plötzlich in der Tür. Lächelnd, mit einem Strauß Rosen in der Hand. Er war wirklich süß.
Dann schenkte er mir ein Handy – damit ich immer für ihn erreichbar bin – falls er Sehnsucht nach mir hat. Egal wo ich war, stündlich bekam ich jetzt liebe SMS von ihm. Leider konnte ich nicht immer antworten. Dann war Martin sehr traurig und enttäuscht. Er fühlte sich vernachlässigt, ich würde ihn nicht mehr lieben. Nur weil ich mal nicht auf eine SMS antworte? Es gibt Situationen, in der Sauna oder beim Arzt, wo man das Handy einfach nicht zur Hand hat. Martin verstand das nicht.
Ich wurde einfach nicht schwanger und begann mich zu langweilen. Das ich wieder arbeiten ging, das kam für Martin nicht in Frage. Er arbeitete viel, und kam immer recht spät nach Hause. Meine Unzufriedenheit verstand er nicht. Ich hatte doch alles. Also hoffte ich weiter auf eine Schwangerschaft und wartete ab.
Martin zeigte mir seine Liebe, indem er sich immer für mich interessierte. Ich wusste, dass er es nicht so gerne hatte, wenn ich mit meiner Freundin telefonierte, deshalb erledigte ich das meistens, wenn er nicht zu Hause war – bis ich die Kassetten im Schreibtisch fand.
Kleine Kassetten aus dem Anrufbeantworter – er zeichnete alle meine Telefonate auf! Da ich mich für die Technik nicht interessierte, hatte ich es nicht bemerkt. Kurze Zeit vorher hatte es erst Streit gegeben, über den Einzelverbindungsnachweis der Telefonrechnung, den er beantragt hatte. Es waren doch nur wir, die hier telefonierten. Wofür brauchten wir da eine Kontrolle? Nur um die Abrechnungen zu überprüfen, beruhigte er mich.
Nachdenklich schob ich die Kassetten zurück in die Schublade. Ich erzählte ihm nichts von meiner Entdeckung, doch nun schaltete ich den Anrufbeantworter aus.
Ich wurde vorsichtiger. Es gab nichts zu verheimlichen, warum kontrollierte er mich? Ich begann ihn zu beobachten.
Ich sah, wie er regelmäßig abends mein Handy kontrollierte, wie er meine SMS las und wie er die Nummern verglich. Ich sah, wie Martin den Kilometerstand vom Auto notierte. Ich sagte nichts. Ich war froh über mein Wissen und nutze es gegen ihn. Ich löschte alle Daten aus dem Handy und lernte wie man den Kilometerstand manipuliert. Ich musste schlauer sein als er. Dieses Spiel wurde wie eine Sucht. Was macht Martin – was kann ich dagegen tun.
Vor Langeweile surfte ich im Internet. Auch dort kontrollierte er mich. Sah sich die Seiten an, die ich besuchte; chattete ich, las er den Verlauf nach. Martin fühlte sich so sicher, ich hatte doch keine Ahnung von Technik. Alles was ich wusste, hatte ich von ihm – dachte er.
Doch mein Ziel war es, immer einen Schritt weiter zu sein als er. Ich lernte und lernte und wurde ihm langsam überlegen. Ich wusste, dass Martin meine Mails las, also änderte ich ständig die Passwörter. Er konnte ja nichts sagen – ohne etwas zuzugeben. Bei jedem Chat überprüfte ich meine Chatpartner anhand ihrer Daten, ob es nicht vielleicht Martin war mit dem ich da redete. Ich erwischte ihn mehrmals als unbekannten Chatpartner.
Ich schwieg lange, doch irgendwann wurde es mir zu bunt und ich konfrontierte ihn mit meinem Wissen. Er wollte mich nicht kontrollieren und auch nicht verärgern. Er wollte einfach nur mal gucken was ich so mache. Es war nicht böse gemeint, er liebt mich doch und nur mich. Ich beruhigte mich wieder und lies die Sache ruhen. Aber ich beobachtete ihn.
Martin gab sich nun keine Mühe mehr seine „Überwachung“ vor mir zu verstecken. Er schenkte mir ein neues Auto, mit Navigationssystem , so programmiert, das automatisch alle Fahrten gespeichert wurden. Er installierte Kameras im Haus um mich „ zu sehen“! Martin versteckte Wanzen im Haus, steckte mir Peilsender in die Jackentaschen. Ich weiß nicht, wie viele Begriffe aus der Überwachungselektronik ich im laufe der Jahre lernte. Aber ich war nicht schlechter als er und lernte mich unauffällig zu bewegen, zu schweigen und seine Systeme zu umgehen.
Ich machte mir meine Kontakte zu nutze und ließ einen verdeckten Schalter einbauen, mit dem ich Martins gesamte Kontrollzentrale mit einem Knopfdruck lahm legen konnte. Ich manipulierte die Kamera, legte mir Rufumleitungen, lieh mir das Auto einer Freundin. Er verlor den Überblick – er hatte keine Kontrolle – nichts mehr.
Die Situation wurde immer angespannter. Ich verstand ihn nicht. Wozu das alles? Es gab nichts!
Und Martin, er bemerkte langsam, dass da etwas schief lief. Sein Drang alles zu Wissen wurde immer übermächtiger. Er hatte sich nicht mehr unter Kontrolle. Er flehte mich an, er bat mich, er bettelte. Ich konnte ihm nicht helfen, es gab nichts.
Martin sah überall Konkurrenz. Er vergraulte die Freunde und Bekannten. Ich sollte nicht mehr einkaufen gehen, er lies die Ware liefern. Er nahm ein Postfach, damit der Briefträger nicht mehr kommt.
Und immer wieder seine Beteuerungen. Er liebt mich, er braucht mich, er hat Angst dass ich ihn verlasse. Ich habe versucht mit ihm zu reden – immer und immer wieder. Das ich ihn liebe, das sein Verhalten das Problem ist. Er verstand es nicht.
Er tat mir leid, ich liebte ihn- noch immer, ja! Aber ich war nervlich fertig und konnte nicht mehr. Martin brauchte keine Frau, er brauchte eine Maschine – etwas, was programmierbar war, immer verfügbar ohne eigene Meinung, willenlos! Ein Roboter – das war die Lösung.
Ich wĂĽrde mich durch einen Roboter ersetzen. Heute war die Technik so weit. Es gab Roboter fĂĽr alles, warum nicht auch einen fĂĽr Martin?
Ich erkundigte mich und wurde bald fündig. Ein Roboter „Typ Else“ weckte meine Aufmerksamkeit. Alleine den Namen fand ich passend- wie eine Frau eben!
Else war zierlich, so dass man sie einkleiden konnte. Beweglich und verfügte über ein Sprachmodul. Ich war fasziniert und bestellte „Else“ Aufgeregt wartete ich auf die Lieferung.
Dann hatten wir Hochzeitstag. Es war unser dreizehnter. Schicksal? Martin hatte eine ganz besondere Ăśberraschung fĂĽr mich. Er schenkte mir einen Gutschein fĂĽr eine Operation. Ich sollte mir einen Sender unter die Haut implantieren lassen. Strahlend sah er mich an. In diesem Moment wusste ich, dass Else die richtige Entscheidung war.
***
Ich hatte schon mehrere Bänder besprochen, so dass Else jetzt über meine Stimme verfügte. Liebevoll zog ich ihr meine Sachen an und setzte ihr die blonde Perücke auf. Dann brachte ich sie ins Wohnzimmer, schob ihr die Kissen zurecht und setzte sie aufs Sofa. Noch einmal sah ich mich um, ehe ich nach oben ging um meine Koffer zu holen.