Ganz schön bissig ...
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Juli 2002
Ein irischer Abend
von Michael Metzner


Silbern glänzen die letzten Wassertropfen in der Sonne, unter dem blauen Himmel, den ziehenden Wolken und dem leuchtenden Regenbogen.
Nicht das ich romantisch wäre. Aber diese Einheit von Unberührtheit, dieses Farbenspiel, und neben mir diese Frau mit ihrem weichen, wohlriechenden Haar, wecken in mir Gefühle, die ich längst vergessen glaubte.
Es ist schön, auf dem Fluss zu gleiten, Arm in Arm mit einem weiblichen Wesen, so zart und doch so vertraut, in einem Land voller Ruhe und Poesie.
Schwäne ziehen dahin, jedes Pärchen für sich, verfolgt von kleinen weißen Federbällen, die noch unbekümmert jedem unvorsichtigem Fisch nachstellen.
Dieses fröhliche, hoffnungsvolle Treiben erinnert an längst vergangene Tage in meinen Leben, als ich sie kennen lernte. Meine Frau, jung und schön, wie das blühende Leben in der erwachenden Natur dieses Frühlings.

Es war einer dieser Abende in Irland, an denen die Sonne nicht untergehen wollte. Ich war damals auf meiner ersten Irlandreise mit einem der recht praktischen Wohnboote.
Garry, ein Schulfreund von mir, kam auf die grandiose Idee, eine Pub-Tour entlang des Shannon zu unternehmen.
Gesagt, getan. Nach einer Woche waren wir bereits gestandene Guinness-Trinker, aber dafür noch recht unbeholfen beim An- und Ablegen des Bootes. Dies mag am durchschnittlichen Alkoholgehalt des Blutes gelegen haben, oder einfach nur an unserer Ungeschicklichkeit.
Jedenfalls steuerten wir wieder einmal einen dieser kleinen unscheinbaren Orte am Ufer des Flusses an.
Das Wasser glänzte rötlich im Abendrot und leise erklang Musik aus dem naheliegenden Pub. Wir näherten uns dem Ufer, ich nahm das Seil und Garry steuerte so recht und schlecht den nächsten Bootssteg an.

Und da stand sie, am Ufer, direkt neben der Anlegestelle. Still lauschend, dem Klang der Natur ergeben. Weit weg mit ihren Gedanken. Nur ihre Augen leuchteten wie ihr Haar, gefärbt von den Farben des Lichts der im Fluss versinkenden Sonne.

Erst glaubte ich an eine Sinnestäuschung, aber als Garry anfing im Zick-Zack-Kurs zu fahren, war mir klar, er hatte sie auch gesehen. Natürlich wollte er seine Fahrkünste beweisen, aber irgendwie kam er bei ihr nicht an.
Unbeeindruckt und bewegungslos verharrte sie am Ufer und nahm von uns keine Notiz.
Etwas unbeholfen wie ich war, versuchte ich vom Boot aus das Seil am Steg zu befestigen. Doch die Strömung und Garrys klassische Fahrweise trieben uns ständig wieder in die Mitte des Flusses. Langsam kam ich mir etwas lächerlich vor.
Beim dritten Anlauf stand das Mädchen auf einmal direkt an der Stelle die wir ansteuerten. Ihr etwas belustigter Blick verunsicherte mich restlos. Wortlos nahm sie mir das Seil ab und legte es geschickt um einen Pfosten.
Was soll ich sagen. Es gibt Momente im Leben, die kann man nicht beschreiben. Garry rief etwas im Hintergrund, aber es kam nicht wirklich bei mir an. Ich war verzaubert und weit weg, nur mit ihr allein.

Das Boot stieß etwas unsanft an den Bootssteg und brachte mich wieder zur Besinnung. „Bist du taub?“, rief Garry von hinten und stellte den Motor ab.
In, für meine Ohren etwas ungewohnt klingenden Irisch, sprach mich das Mädchen an. Unbeholfen versuchte ich ihr, mit meinen recht schlechten Englischkenntnissen, zu antworten. Glücklicherweise kam mir Garry zu Hilfe und half mir aus der Verlegenheit. Garry hatte schottische Vorfahren und befand sich jetzt eindeutig im Vorteil.
Letztlich gingen wir alle zusammen in das nächste Pub und verbrachten einen schönen und unvergesslichen Abend.

Und heute steht wieder diese anmutige Gestalt neben mir, auf unserem Boot, im seicht dahingleitenden Fluss. Und ich schaue wieder bewundernd auf ihr in der Sonne glänzendem Haar. Etwas unbeholfen umschlingen meine Arme ihre Hüften, erwartungsvoll und froh, lauschend den Klängen leiser Musik aus dem Pub in der Ferne.
Dieses Mal gibt es keinen Garry, der mir aus der Verlegenheit hilft.
Sie nimmt vorsichtig meinen Kopf in ihre immer noch weichen Hände, gibt mir einen Kuss und flüstert in mein Ohr:
„Weißt du, es ist immer noch schön, mit dir hier zu stehen.“
Erleichterung überfällt mich, Erleichterung darüber, diese Reise noch einmal gemacht zu haben, diese Reise nach 25 Jahren.

(c) Michael Metzner

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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