Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Juli 2002
Italienische Hochzeit
von Annemarie Nikolaus


Behutsam streifte sich Veronica das Hochzeitsgewand ihrer Großmutter Beppina über den Kopf, ein Kleid aus schwerer Seide, wie man sie nirgendwo mehr fand. Noch die Großmutter hatte selber Seidenraupen gehegt. Veronica konnte sich gut daran erinnern, wie eklig sie die Schilderungen über deren Aufzucht gefunden hatte. Unglaublich, welch wunderbare Stoffe aus den widerlichen Gespinsten entstanden waren.
Wenige Wochen zuvor war Veronica 18 geworden und nun würde der dritte Akt ihrer Hochzeit mit dem fast dreißig Jahre älteren Guido Zambrini stattfinden: die kirchliche Trauung - romantischer Ausklang nach frostig-steifer Bürokratie und grandiosem Festgelage.
Sie zwinkerte ihrem Spiegelbild zu, während sie sich die blonden Haare hochsteckte, die sie von den Südtiroler Vorfahren ihres Vaters geerbt hatte.
Während Veronica noch an ihre Großmutter dachte, hielt Guido mit seinem knallroten Fiat 500 unter dem alten Maulbeerbaum vor dem Haus. Auch ein Relikt, dieses Auto. Jedes Mal, wenn Veronica ihn aussteigen sah, wunderte sie sich darüber, dass er überhaupt hineingepasst hatte. ,Wenn er mich nur halb so gut behandelt wie sein Autochen‘, dachte sie manchmal, ,brauche ich mich über nichts mehr im Leben zu beklagen.‘

Guido öffnete Veronica die Autotür und schaute sie bewundernd an: ,Veronica ist soviel hübscher als meine erste Frau! In dem Kleid ihrer Urgroßmutter sieht sie aus wie einem alten Gemälde entsprungen‘.
Manchmal, wenn er sah, mit welchen Augen sein Ältester Veronica betrachtete , spürte er leise Eifersucht. Er würde alles für sie tun, darum hatte er auch in die kirchliche Trauung hier im Ort eingewilligt; er hatte sie lediglich behutsam davon überzeugt, sie nicht dorföffentlich zu machen. Es wäre ihm weitaus lieber gewesen, sie noch ein paar Tage aufzuschieben; Venedig hätte zudem einen viel gebührenderen Rahmen geboten.

Pfarrer Carlo Perini wartete schon vor der Kirchentür, als Veronica und Guido ankamen. Es war fünf Minuten vor dem angesetzten Termin, und er fragte sich, wo denn die Hochzeitsgesellschaft bliebe. Er wunderte sich auch ein wenig, dass die Braut so jung war. Als Signor Zambrini die Hochzeit mit ihm vereinbart hatte, war Perini gerade im Begriff gewesen, zu einem Sterbenden zu gehen. Darum hatte er sich lediglich die Namen der Brautleute sowie den vereinbarten Termin notiert, sich aber nicht weiter damit befasst.
Fast dreißig Jahre war Perini als Missionar in Afrika gewesen und erst vor wenigen Monaten nach Italien zurückgekehrt. Vor kurzem hatten ihm seine Oberen diese Pfarrei in seiner Heimatgemeinde gegeben. Noch kam er sich ziemlich fremd vor; er kannte kaum eines der Gesichter seiner Jugend wieder. Seine jüngste Schwester, Cristina, mittlerweile Direktorin der Grundschule, war immer zu faul gewesen, ihn über den Klatsch auf dem Laufenden zu halten. - Jedenfalls fand er es ungewöhnlich, daß hier im Dorf zwei Leute heirateten, die altersmäßig so weit voneinander entfernt waren. ,Den Bräutigam sollte ich eigentlich kennen‘, überlegte er. ,Er war bestimmt ein Spielgefährte meiner kleinen Schwester. Ich kann mich überhaupt nicht mehr erinnern. Aber die Braut wurde bestimmt erst geboren, als ich schon in Afrika war.‘
Dann stand das Brautpaar Hand in Hand vor ihm. „Guten Morgen, meine Lieben. Wie ihr seht, seid ihr die ersten. Mit wieviel Gästen rechnet ihr?” In Afrika wäre es nie passiert, dass die Gäste erst in letzter Minute zur Hochzeit kämen. Dort nahmen alle Verwandte und Freunde gemeinsam das Brautpaar in Empfang und überließen das nicht dem Pfarrer, zumal, wenn dieser, wie Perini, das Brautpaar gar nicht kannte.
Veronica war verblüfft. Ja, hatte Guido ihm denn nicht gesagt, dass das hier nicht das eigentliche Hochzeitsfest war, sondern nur der romantische Abschluss? Energisch antwortete sie: „Wir haben uns für eine stille Hochzeit entschieden und darum niemanden zur Trauung eingeladen.”
,Sind die jungen Mädchen von heute aber genügsam geworden!‘, staunte der Pfarrer. „Nun, dann können wir ja beginnen, sobald die Trauzeugen da sind.”
Da erlebte er die nächste Überraschung dieser ungewöhnlichen Trauung, denn auch Guido reagierte verblüfft: „Trauzeugen!”, wunderte er sich laut. „Wir haben auch keine Trauzeugen eingeladen. Die hatten wir doch zur Trauung beim Bürgermeister. Reicht das nicht? Wozu brauchen wir hier noch mal welche ? Die Trauung in der Kirche ist doch kein staatlicher Akt.”
Die Paragraphenlitanei gestern beim Bürgermeister hatte ihm völlig gereicht. ,Die Kirche wird dem Staat wahrhaftig immer ähnlicher; demnächst müssen wir wohl Gebührenmarken kaufen, um zur Kommunion zu gehen!‘ Guido knurrte ungeduldig.
Der Pfarrer fiel aus allen Wolken. ,Hat man schon mal soviel Ignoranz erlebt? Ist der am Ende gar nicht katholisch?‘ Dozierend hob er den Zeigefinger „Mein Sohn, die Kirche war viele hundert Jahre vor diesem Staat da. Du müsstest doch wissen, dass die Ehe ein Sakrament unserer Mutter Kirche ist und die Trauzeugen die Aufgabe haben, zu ihrem gottgefälligen Gelingen beizutragen. Das ist viel bedeutsamer als der juristische Akt in der Gemeinde. Ohne Zeugen kann ich euch nicht trauen!”
Veronica war entgeistert. ,Das darf doch nicht wahr sein. Ich habe mir alles so schön ausgemalt … Vielleicht kann ich ihn mit Tränen zum Einlenken bringen.‘ Sie fing an zu weinen und flehte: „Ach bitte, Sie können uns doch nicht wieder nach Hause schicken.”
„Mein armes Kind!“ Der Pfarrer schüttelte mitleidig den Kopf. „Es tut mir Leid. Aber so kann ich euch nicht trauen!!‘
Guido raufte sich die Haare. ,Es muss sich doch eine Lösung finden lassen‘, grübelte er. Soll er halt seinen Ministranten nehmen und selber auch Zeuge spielen, schon hätten wir alle beisammen …‘
In eben diesem dramatischen Augenblick wurde es in der nebenan gelegenen Grundschule lebendig. Die vier hörten die lauten Stimmen der Kinder, die fröhlich in die Pause stürmten. Die schwere Schultür öffnete sich und die Kinder stürzten heraus. Langsam folgten ihnen zwei Lehrer und vier Lehrerinnen. Draußen angekommen, wurden die Lehrerinnen von den kleineren Kindern umringt und in Beschlag genommen. Die beiden Männer gingen, ins Gespräch vertieft, weiter hinaus auf den Platz. Bevor sie sich über irgend etwas wundern konnten, sprach der Bräutigam sie an: „Ach, helft uns. Wir wollen heiraten, und der Pfarrer besteht auf Trauzeugen. Würde es euch etwas ausmachen, uns dafür eure Pause zu opfern?”
Während der jüngere Lehrer noch dachte, das gibt es doch gar nicht, sprach der ältere diesen Gedanken laut aus: „So was ist mir auch noch nicht vorgekommen!” Ein Blick, den die beiden miteinander tauschten, genügte, sich darüber zu verständigen, dass sie dem Brautpaar zur Seite stehen wollten. Daher fuhr der Ältere fort: „Die Pause wird wohl nicht reichen, aber ich denke, das können wir schon machen”, und wandte sich an den Pfarrer: „Zum Glück ist die Direktorin ja Ihre Schwester. Sie wird sich gewiß solange um unsere Schüler kümmern.”
Dem Pfarrer fiel ein Stein vom Herzen. Das Mädchen hatte ihm wirklich Leid getan in seiner Verzweiflung. Obwohl - andererseits -, wenn er sich das recht überlegte: sie mit einem Mann verheiraten, der sich dermaßen als Trottel darstellte?
Auch Guido hatte aufgeatmet. Aber als er hörte, dass dazu die Direktorin erst noch ein Wort sagen müsse, wurde ihm mulmig. Er kannte Cristina gut und hatte sie mehr als einmal als rachsüchtig erlebt. Einst hatte er ihr den Hof gemacht, wie es sich gehörte für einen jungen Mann, der sich an den Mädchen im Dorf für die Zukunft in der großen Welt erproben will. Aber sie hatte es ernst genommen, und nachdem er sie links liegengelassen hatte, war sie wahrhaft biestig geworden. Dabei war es völlig harmlos gewesen; sie hatte ihm ja nicht einmal einen richtigen Kuss gegönnt. Sie hatte mit ihren Gehässigkeiten auch einen gehörigen Beitrag dazu geleistet, dass seine erste Ehe vor zwanzig Jahren schiefgegangen war: Wenn sie sich damals nicht eingemischt hätte, hätte Margareta ihn nie ihn undmit den die fünf Kindern sitzen lassen.
Doch der Lehrer rief schon von Weitem „einverstanden”, als er gemeinsam mit der Direktorin zu ihnen zurückkam. Auf den paar Metern besprach er noch kurz mit ihr, was er in der letzten Stunde mit den Schülern gemacht hatte. Cristina wollte für die Dauer der Trauung die Klassen beider Lehrer unter einen Hut bringen und sich dazu auch noch mit dem Kollegen abstimmen.
Dann stand Cristina vor der kleinen Gruppe und warf einen neugierigen Blick auf den Bräutigam. Für einen Augenblick verschlug es ihr den Atem: ,Das kann doch nicht wahr sein: Dieser Kerl besitzt tatsächlich die Frechheit und will sich ein zweites Mal kirchlich trauen lassen! Und ich warte immer noch auf das erste Mal. Na warte, du Miststück!‘
Sie schaute den Pfarrer mit finsterem Gesicht an: ”Nein, mein lieber Bruder! Carlo, du wirst diesen Mann nicht trauen. Er hat nämlich schon einmal geheiratet, und seine Ehe ist nicht annulliert worden.”
Veronica wurde kalkweiß. Dann stürzte sie sich auf die Schulleiterin: ”Du alte Hexe! Sechs Jahre lang hast du mich triezen dürfen. Aber jetzt lass‘ ich mir nichts mehr von dir gefallen!”
Bevor irgend jemand einschreiten konnte, hatte sie der Direktorin eine schallende Ohrfeige verpasst.
Fassungslos sah Guido zu, wie sich seine süße Veronica in eine Furie verwandelte. „Veronica, dein Kleid!”, war alles, was ihm einfiel.
“Mein Kind, versündige dich nicht an deinem Ehrentag!” Beherzt hielt der Pfarrer Veronica davon ab, sich erneut auf die Direktorin zu stürzen.
Veronica stieß des Pfarrers Hand von ihrem Arm: “Ich heirate zum ersten Mal. Ich habe ein Recht auf den Segen der Kirche für meine Ehe.”
Endlich fing sich Guido wieder: „Veronica, bitte komm hier weg. Wir werden schon eine Lösung finden, das versprech‘ ich dir.“ Er nahm die Widerstrebende in seine Arme und trug sie zum Auto zurück. „Venedig“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Dort kennt uns niemand. Wir haben den Trauschein des Bürgermeisters; da wird kein Pfarrer Fragen stellen. Jeder wird verstehen, dass wir im Zauber dieser Stadt heiraten wollen.“

© Annemarie Nikolaus

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