Futter für die Bestie
Futter für die Bestie
Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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Juli 2002
Harmonie
von Volker Beilmann


“Schau Dir das an”. Der alte Mann zeigt aufgeregt auf das übergroße Plakat.
“Als wenn wir nicht schon genug nacktes Fleisch sehen würden.
In jeder Zeitschrift und in jedem Film. Aber diese riesigen Brüste sind der Gipfel.
Früher, zu meiner Zeit, da war so etwas unvorstellbar.
Da gab es noch Romantik, Zärtlichkeit und Liebe. Heute weiß keiner mehr, was das ist. Man hat es aus dem Sprachgebrauch gestrichen.”


Meine Oma ist krank. Diagnose Krebs. Sie wird zuhause gepflegt, ich verbringe viel Zeit an ihrem Bett. Wir reden viel, und ihre Krankheit öffnet ihren Mund auch für Tabus, Tabus ihrer Zeit.
“Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt, Du und Opa ?”
“Kennengelernt ? Wir wurden kennengelernt und dann zwangsverheiratet.”
“Aber ihr habt euch geliebt ?”
“Liebe ? Es war eine Zweckgemeinschaft. Dein Opa war Beamter und sicherte uns allen ein Auskommen. Die Zeiten waren schlecht, wir mussten überleben.”
“Aber Du hast acht Kinder geboren, da müsst ihr doch viel Sex gehabt haben.”
“Sex ? Das Wort habe ich im Fernsehen zum erstenmal gehört. Aber da war es bereits zu spät.”
“Aber ... ?”
“Dein Opa hat sich ab und zu in der Nacht auf mich gewälzt. Es war eklig. Ich wusste anfangs nicht einmal, warum er es tat.
Die eheliche Pflicht, nannte er es. Eine Absonderlichkeit, die Männern Spaß macht und Frauen zu ertragen haben, dachte ich.”
“Du hast nichts dabei empfunden ?”
“Ich wusste gar nicht, dass es für mich etwas zu empfinden gab. Ich habe es erst viel zu spät in einer Zeitschrift gelesen. Ich stelle es mir schön vor, aber für mich wird es immer bei der Vorstellung bleiben.”


“Wir hatten damals noch Familiensinn. Ehe, Kinder, das waren Werte, an denen wir uns orientieren konnten.”
Der alte Mann ist wütend.
“Nicht der schnelle Sex, der heute praktiziert wird. Eine einzige Nacht, dann auf Nimmerwiedersehen. Keine echten Gefühle, nur von einem billigen Vergnügen zum anderen.”


“Jede gesunde deutsche Frau hat jedes Jahr ein gesundes Kind zur Welt zu bringen.”
Meine Oma seufzt.
“Wie kommst Du denn auf diese Idee ?”
“Es war unsere Maxime. Einmal war ich zwei Jahre nicht schwanger und musste es beichten. Der Beichtvater war sehr ungehalten.”
“Warum denn das ? Was konntest Du denn dafür ?”
“Im Gegensatz zu mir wusste er, was Verhütung ist. Ich habe es erst erfahren, als es für mich nicht mehr von Nutzen war.”
“Wusste Opa auch nichts davon ?”
“Das entzieht sich meiner Kenntnis. Aber ich glaube nicht, dass ihn das interessiert hätte.”


“Die Jugend verkommt. Es hat ja auch niemand mehr Zeit. Jede Frau glaubt heutzutage, sie müsse arbeiten, sich selbst verwirklichen. Die Kinder werden alleine gelassen, sitzen vor dem Fernseher und ziehen sich jeden Mist rein. Woher sollen sie wissen, was Liebe ist ? Früher, da war das anders, da wusste jeder, wo er hingehört.”
Die Augen des alten Mannes sind nach innen gekehrt, seine Wangen glühen. Er träumt sich zurück in eine bessere Zeit.


“Warst Du glücklich ?”
“Dein Opa war kein schlechter Mensch. Er versorgte uns, so gut er konnte. Wir mussten nie Hunger leiden und hatten ein Dach über dem Kopf.”
“Aber warst Du glücklich ?”
“Ich habe meinen Mann nicht sehr oft gesehen. Nach der Arbeit ging er meistens noch in die Kneipe. Ich führte den Haushalt, machte den Garten, versorgte das Vieh und versuchte, die Kinder zu erziehen. Ich konnte mich natürlich nicht sehr intensiv mit jedem einzelnen beschäftigen, aber so viele Kinder erziehen sich zum größten Teil selbst.”


“Hast Du deine Frau geliebt ?”
Der alte Mann schreckt aus seinen Erinnerungen hoch.
“Was ?”
“Hast Du deine Frau geliebt ?”
Der alte Mann sieht mich entgeistert an.
Ich erwarte keine Antwort.
“Es ist spät Opa, ich bringe Dich zurück.”

(c) Volker Beilmann

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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