Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespürt.
Er sitzt auf dem Stuhl, als wolle er mit seinem Gewicht die Rückenlehne brechen. Auf dem Tisch eine rosa Tasse mit Kaffee, die Regionalzeitung von gestern, darauf das siberglänzende Handy. Er schaut auf das Display: Sie hat nicht angerufen, keine Nachricht geschickt.
Sein linkes Bein ist eingeschlafen, er wippt mit den Füßen, massiert den Oberschenkel, hinten, vorne, umschließt das Knie, legt die Hand in den Schritt.
Dieter muss aufs Klo.
Dieter muss aushalten, bis sie kommt. Jetzt einfach zu gehen, wäre unhöflich. Er muss sie begrüßen, ihr den Mantel abnehmen, den Stuhl zurechtrücken.
Im Radio läuft Abba. Am Tisch gegenüber diskutieren drei Männer auf Türkisch. Ein paar blondierte Mädchen lachen laut und trinken Sekt. Die dürre Kellnerin wischt den Nebentisch ab. Dieter nippt am Kaffee, schaut auf die Uhr, zur Tür, nippt am Kaffee. Sie lässt immer auf sich warten; heute besonders quälend. Abba singen SOS. Mit halboffenem Mund schlägt Dieter die Finger auf die Tischkante, hochkonzentriert. Versucht Takt zu halten mit Abba. Schafft es nicht.
Dieter muss aufs Klo.
Er nimmt die angebrochene Packung mit Light-Zigaretten aus der Brusttasche, öffnet sie. Noch halbvoll. Er stößt sie ein paar Mal auf den Tisch, ordnet sorgfältig die Zigaretten. Noch zu voll, das Feuerzeug hat keinen Platz in der Schachtel. Dieter schaut auf die Uhr, legt die Schachtel auf den Tisch, das Feuerzeug zentriert zuoberst.
Die Tür geht auf. Dieter steht auf. Steigt von einem Bein aufs andere. Mittlerweile ist es wirklich dringend. Sie setzt sich mit Mantel auf einen Stuhl am Nebentisch. Dieter sagt Hallo. Sie bestellt Espresso.
Die abgewetzten Holzstufen nimmt er immer zwei auf einmal. Atemlos stößt er die Tür zur Toilette auf.
Sie liest Zeitung. Von hinten nach vorne, lächelnd. Dieter setzt sich auf seinen Platz, sucht ein Gesprächsthema und ihre Augen. Sieht nur den schnurgeraden Mittelscheitel: hellrotes Tal zwischen kastanienbraunem Hügelland. Er seufzt. Ihre Tasse ist leer. Er reibt sich die Hände und hüstelt. Sie schaut auf, lächelt, blättert um und liest weiter. Dieter zuckt zusammen. Ihre Augen, ihr großer Mund, der schlanke Hals. Sie hat immer noch den Mantel an. Ihm war nie aufgefallen, dass sie so wenig spricht. Dieter nimmt sein Handy und verliert zum ersten Mal bei einem dieser SMS-Spiele. Enttäuscht schlägt er mit der Hand auf den Tisch. Sie blickt auf. Dieter kann in den Ausschnitt ihres Mantels sehen. Ihm wird heiß. Er muss schon wieder aufs Klo.
Als er zurückkommt, liegt die Zeitung gefaltet auf dem Tisch. Ihr Stuhl steht leer und schräg, weit vom Tisch. Das Feuerzeug geht erst beim zweiten Mal. Dieter zieht an der Zigarette und legt die Hand in den Schritt.
(c) Sabine Harnau
Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr Dieser Text enthält 2742 Zeichen.