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Juli 2002
Die Liebe wartet
von Christine Keinath


Die Liebe sitzt im Café, raucht eine Zigarette nach der anderen und wartet....
Worauf sie wartet, weiß sie auch nicht so genau. Sie blättert in einer Zeitschrift. Liest den einen oder anderen Artikel an, aber bleibt an keiner Seite hängen. Früher war hier von ihr die Rede. Und heute? Ach ja, heute ist nur noch die Rede von Sex und Leidenschaft. Nackte Haut. Technik. Selbst ihre Schwester Erotik wird kaum noch genannt.

Seufzend legt sie die Zeitschrift zur Seite und beobachtet lieber die Leute im Café.

Ein junges Paar sitzt da - gelangweilt. Gut gestylt sehen sie aus, sie in einem topmodischen Hosenanzug, er lässig in Jeans und Hemd. Ihre Blicke gehen aneinander vorbei, ins Leere. Ihnen wurde auf einmal bewußt, wie ihnen die Liebe abhanden gekommen ist. Ganz unbemerkt, wie ein verlegter Gegenstand. Eben war sie doch noch da, keiner hat es gespürt, wie sie verschwand. Jetzt haben sie sich nicht mehr viel zu sagen. Die verschwundene Liebe hat eine Lücke hinterlassen, die sie nicht zu überbrücken wagen.

Die Liebe lächelt still in sich hinein. Der abhanden gekommene Besuch - das war doch ihre Schwester, die Verliebtheit. Sie sehen sich auf den ersten Blick ja schon ganz schön ähnlich, das muß man ihnen schon zugestehen. Man muss genau hinschauen, um den Unterschied zu bemerken. Natürlich, die kleine Schwester Verliebtheit sieht einfach besser aus, wie das jüngere Schwestern so an sich haben. Aber ein unruhiges Ding, das ist sie, die kleine Schwester. Sie hält es nie lange an einem Ort aus, ist immer in Bewegung. Sie will immer Action, will immer neue Leute kennenlernen.

Eine junge Frau sitzt ganz hinten in der Ecke. Allein und verträumt, ein Stück Kuchen vor sich auf dem Tisch. Ihre Blicke treffen sich. Die junge Frau lächelt und winkt der Liebe schüchtern zu. Man spürt ihre Bewunderung, aber sie scheint doch eher auf Abstand bedacht zu sein.

Ein Mann sitzt am nächsten Tisch, über ein großes Notizbuch gebeugt. Er schreibt konzentriert Seite um Seite. Die Liebe weiß auch ohne hinzusehen, daß er über sie schreibt. Er versucht sie schreibend zu erfassen, sein Kopf versucht, die Liebe zu verstehen. Aber daß sie praktisch neben ihm sitzt, auf diese Idee würde er nie kommen. Ja, sie wartet halt nicht immer da, wo man sie vermutet.

Ihrem Platz schräg gegenüber befindet sich ein Spiegel. Wenn sie sich ein wenig zur Seite setzt, kann sie sich darin spiegeln. Was sehen die anderen in ihr? Früher dachten die Leute, die Liebe sei ein ungezogener, pubertierender Jüngling, der das Hantieren mit seinen Pfeilen noch nicht so richtig im Griff hat. Eine Schönheitsgöttin mit wallendem Haar wurde aus ihr gemacht. Ein tugendhaftes junges Mädchen, rein wie eine Rose.... Dabei sieht sie ganz alltäglich aus. Außenstehende würden sie einfach für eine alleinstehende Frau halten, die im Café sitzt und auf ihre Verabredung wartet. Heutzutage wahrscheinlich auf ein Blind-Date. Oder auf was wartet man so?

Die Liebe schmunzelt und zündet sich eine neue Zigarette an. Sie beobachtet noch einmal die Anwesenden im Café: die schüchterne junge Frau, den nachdenklichen Mann, das gelangweilte Paar, dessen Liebe abhanden gekommen ist. Soll sie sich dazusetzen?. Nein, dieses Paar würde sich eher gestört fühlen, wenn sie sich jetzt dazwischen drängt. Sie haben sich ohne sie gut arrangiert.

Schließlich muß sie zugeben, sie ist ein anstrengender Gast. Wirbelt alles durcheinander, verbreitet Unordnung. Sie reißt die Fenster auf und läßt frischen Wind in die Wohnung hinein. Macht Angst, mit ihren neuen Ideen. Das mag nicht jeder.

Und anspruchsvoll ist sie auch noch. Sie will Pflege und Aufmerksamkeit, wenn sie zu Besuch ist.

Überhaupt, die meisten sehen sie schon gar nicht mehr wirklich als Gast, eher als uneingeladenen Besuch. Für sie drängt sich die Liebe einfach so ins Haus - ungefragt. Macht sich Platz, wo eigentlich kein Platz ist. Schiebt die alten Gewohnheiten zur Seite, nistet sich einfach ein. Drückt herein wie die Kälte, schleicht sich durch alle Ritzen. Ist eher lästig. So wird sie heute empfunden. Sie hat wohl den Charme einer alten Großtante. Ja, genau, altmodisch ist sie.

Will sie denn heute noch jemand zum Kaffee einladen? Oder womöglich als Dauergast ins Haus nehmen? Untermieter sind out. Pensionsgäste sowieso.

Dabei möchte sie keine kurze Stippvisite machen. Sie hat Zeit. Wenn sie jemand besuchen wird, dann für länger. Irgendwie scheint ihre Zeit nicht mehr mit der Menschenzeit im gleichen Takt zu laufen.

Die Liebe nimmt noch einmal einen Schluck Kaffee und setzt sich gemütlich in ihrem Stuhl zurecht. Sie wartet. Geduldig.

Nein, aufdrängen wird sie sich nicht. Sie hat noch Zeit, alle Zeit der Welt.

Sie kann warten - bis sie eingeladen wird, von ganzem Herzen. Von Menschen, die noch an die Liebe glauben...


Christine Keinath

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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