Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Juli 2002
Das Anfang vom Ende
von Olav Möller


Er packte sie an den Oberschenkeln und stemmte sie hoch. Ein letzter Kuss und er stürzte sie die Brücke hinunter. Liebe.


Es war eine laue Sommernacht, sie schlenderten Hand in Hand am Strand entlang. Von Ferne hörte man Musik. Die Promenade strahlte im gleißenden Licht und dort wo die Musik herkam tanzten die roten, gelben, grünen und blauen Lichter nur so dahin. Sie blieben noch am Strand, setzten sich in den Sand und schauten aufs offene Meer hinaus. Die Arme umschlangen sich, zärtliche Küsse wurden ausgetauscht. Die Sterne wanderten am Himmel entlang und es wurde ruhig. Manchmal hörten Sie noch die Musik. Es war Ihnen plötzlich nach Tanzen zumute und sie standen auf, in Richtung Musik. Die Promenade war jetzt schon sich selbst überlassen. Nur noch die Nachtschwärmer waren unterwegs. Die Musik änderte ihre Lautstärke, fast wie der Wellenschlag des Wassers. Ganz nach dem Takt des Türöffnens, stieß die Musik Leute hinaus oder in die Disco hinein. Vor der Disco tummelten sich Erholung Suchende, Raucher oder im Laternenschatten junge Paare fest umschlungen.
Sie tanzten sich müde, genossen die langsamen Tänze, streichelten und küssten sich. Die Nacht trieb ihrem Höhepunkt zu.

Siebzehn Jahre war es jetzt her. Die Hochzeit war gigantisch. Eine Traumhochzeit. Unsere Flitterwochen verbrachten wir auf La Palma. Eine Insel um sich richtig wohl zu fühlen, keinen Stress zu haben, die Flitterwochen in der Natur genießen können. Tagsüber machten wir ausgiebige Wanderungen und die Abende genossen wir zu Zweit. Auf den Wanderungen war ihr das Licht manchmal zu grell und so kaufte ich einen wunderschönen, breitkrempigen Hut. Den Hut gibt es noch immer, aber nach unserem Umzug haben wir ihn nicht mehr ausgepackt.

Siebzehn Jahre reine Liebe, siebzehn Jahre geteilte Sorgen und Freuden. Siebzehn Jahre hatte sie Schmerzen.

Ich hatte es nicht bemerkt, wollte es nicht oder sollte es nicht merken. Sie arbeitete im Büro und hatte viel mit Computern zu tun. Ihre Augen wurden von Jahr zu Jahr schlechter und wir gingen los und suchten immer wieder noch schönere Brillen für ihr zartes Gesicht aus. Ich fluchte und sagte, sie solle doch endlich einen anderen Job suchen, damit ihre Augen durch das ständige Gucken in den Bildschirm nicht noch schlechter würden. Nein, sie liebe diesen Job und werde ihn nicht aufgeben. Eines Tages kam sie später von der Arbeit, sie hätte viel zu tun gehabt. Aber sie war ganz und gar nicht niedergeschlagen und wollte noch schön Ausgehen. Zuerst beim Italiener essen und dann noch in die Disco. Es war ein sehr schöner Abend. Zuhause fragte sie, ob wir nicht mal wieder nach La Palma wollten. Aber sicher, gar keine Frage. Wir buchten noch für den Sommer.

Ich sah es, und dachte mir nichts dabei. Sicher, ihre Augen taten ihr weh, manchmal zitterten sie regelrecht und auf unseren Wanderungen musste ich ihr öfter die Hand reichen und sie stützen. Sie sagte, sie hätte mehr Angst bekommen, dass muß wohl am Alter liegen. Ein Scherz. Der Urlaub war wunderschön und wir durchlebten ein zweites Mal unsere Flitterwochen. Der Alltag kam wieder und bei ihr in der Firma wurde von Personalabbau gesprochen. Sie hatte Angst um den Posten, doch wie ein Zufall, sie wurde nicht entlassen. Es war die Zeit, da konnte sie vor Aufregung nicht richtig sprechen. Welch ein Wunder bei dem Stress.

Eines Tages, sie war wieder spät dran - ich fühlte ihr Unbehagen - nahm sie meine Hand und führte mich zum Sofa. Dort setzten wir uns und sie schaute mir in die Augen. Ihre Augen sahen traurig aus, etwas musste ihr Herz bedrücken. Sie sagte, wir müssten reden.

Es war raus!
In ihr fiel die schwere Last ab. Ich stürzte in den Abgrund. Fassungslos. Plötzlich sah ich wieder alle Szenen vor mir, ich hätte es bemerken müssen! Aber, sie hatte Recht, so war es besser. Wie viel Jahre noch? Wie groß wird das Leid werden?
Fünf lange Jahre hatte sie geschwiegen. Ich nahm sie in meine Arme. Ich weiß nicht für wie lange, ein, zwei Stunden oder den ganzen Tag? Ich wollte sie nicht mehr loslassen.

An diesem Tag redeten wir fiel. Sie redete unentwegt von der Zukunft und was wir noch alles machen könnten. Ich konnte kaum an die Zukunft denken. Mein Kopf war dumpf und leer. Ab diesem Zeitpunkt wurde unser Leben viel spannender, wir sahen die Welt mit anderen Augen. Manchmal kamen wir uns wie kleine Kinder vor, die auch die Welt förmlich aufsaugen wollen. Jeder Tag wurde freudig begrüßt, der Beruf wurde zum notwendigen Übel. Es war die Zeit, wo wir uns nicht nur an der Natur erfreuten, nein, wir wollten auch so viele Menschen wie nur möglich kennen lernen. Jeden Menschen auf seine Art und Weise verstehen, den Gesprächen und Meinungen lauschen. Wir machten soviel Reisen wie nur möglich. Unser Erspartes schrumpfte dahin, doch was ist schon Geld? Das Leben selbst ist viel mehr Wert, als man je verdienen könnte. Wir hatten zwei besonders glückliche Jahre, in denen es ihr meistens gut ging. Ihre Sehkraft ließ zwar immer mehr nach, doch sonst gab es keine Verschlechterung.

Danach ging es mit ihr immer schneller bergab. Das Laufen fiel ihr schwer, das linke Bein zog sie nach. Ohne einen Stock konnte sie bald nicht mehr laufen. Wir hatten einen VW Golf in dem sie nicht mehr einsteigen konnte. Die Sitze waren einfach viel zu tief. Da schafften wir uns ein Auto mit hoch gelegenen Sitzen an. Es kam die scheussliche Herbstzeit. Krankheiten und wenn es nur eine schwache Grippe war,zerrten sehr an ihren Kräften. Ihr Zustand verschlechterte sich immer schneller und bald sass sie im Rollstuhl.

Vor zwei Jahren zogen wir in eine andere Stadt. Sie wollte nicht, dass ihre Freunde und Bekannte ihr Leid weiter miterleben. Wir zogen uns vollkommen zurück und suchten keine neuen Kontakte. Ihr Terminkalender war mit Arztterminen übersät, die den ganzen Tagesablauf ausfüllten. In der neuen Stadt suchte ich mir einen Halbtagsjob, wir brauchten jetzt nicht mehr viel zum Leben. Ihr Bewegungskreis war doch sehr eingeschränkt und weite Reisen waren für sie nur noch pure Strapazen. Ich schob sie wann immer es ging im Stadtpark umher und steuerte gerne den großen Kinderspielplatz an. Sie schaute voll Begeisterung den spielenden Kindern zu und wurde traurig, wenn wir wieder gehen mussten.

Gestern war es soweit. Sie blickte mir tief und sehr lange in die Augen. Ich fühlte mich genauso Dumpf und Leer wie ganz zu Anfang, als sie mir alles erzählte. Jetzt war es wirklich soweit. Sie forderte nun ein, was ich ihr vor vielen Jahren versprochen hatte. Es wird mich zerstören.


Er schaute sich auf der Brücke um, aber er sah niemanden. Schweren Schrittes, mit einer übermenschlich beladenen Last schleppte er sich die Brücke entlang. Auf der anderen Seite stieg er Treppen zum Flussufer hinab und setzte sich ganz dicht ans Wasser. Niemand sollte sie jemals entdecken. Es war eine laue Sommernacht.
(c) Olav Möller , Juli 2002

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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