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August 2002
TopOrFlop
von Volker Beilmann


Ein Geräusch.
Ängstlich kauere ich mich in meiner Höhle zusammen.
"Huhu!"
Aufatmen. Es ist nur meine Mutter.
Sie bringt mir meine Tagesration Wasser und Brot.
"Hat dich jemand gesehen, ist dir jemand gefolgt?"
"Nein, ich glaube nicht."
"Na, Gott sei Dank."

Nachdem sie wieder gegangen ist, fange ich hemmungslos an zu weinen. Erinnere mich wehmütig an mein Leben davor.
Ein Leben ohne Angst, fröhlich und unbeschwert.
Jeden Abend vor dem Fernseher und eine Quizshow nach der anderen reingezogen. Voller Bewunderung für die Kandidaten, die selbst die schwierigsten Fragen scheinbar mühelos beantworten konnten. Die auch der hartnäckigsten Verunsicherungstaktik von Günther & Co. widerstanden.
"Die gewinnen und wir gucken in die Röhre", sagte meine Frau immer. "Dabei könntest du das auch."
"Wer, ich? ... Nee nee, lass mal."
Aber insgeheim wünschte ich mir doch ...

Und dann kam diese neue Show. TopOrFlop, lustiges Promi-Raten mit Vera Waldbusch.
"Das ist endlich die Chance, deine BILDung mal gewinnbringend einzusetzen."
Meine Stammtischkumpels sagten das Gleiche, ich konnte (und wollte) mich nicht mehr wehren, glaubte es sogar selbst.
Gleich die erste Bewerbung war ein Erfolg.
'Genau das richtige Kandidatenprofil', war in der Einladung zu lesen.

Das ganze Dorf stand Spalier, als ich abfuhr. Bürgermeister, Pfarrer, der örtliche Schützenverein und natürlich meine Stammtischkumpels.
"Du schaffst das schon, alter Knabe, Kopf hoch, wir drücken dir die Pflaumen."
Hatte ich da irgendwo ein hämisches Grinsen gesehen?
Nein, war wohl eine Täuschung. Und mit den Neidern würde ich leben müssen.
"Dass du ja nicht ohne die Knete zurückkommst", gab mir meine Frau liebevoll mit auf den Weg, "die erste Schmuck- und Kleiderlieferung kommt morgen."
Typisch Frau, wie konnte sie nur. Wirft unser neues Geld gleich für unnützes Zeug zum Fenster raus. Da würde ich aufpassen müssen, außer dem schicken Sportwägelchen, das ich letzte Woche bestellt hatte, hatte ich noch keinen Pfennig ausgegeben.

Im Studio angekommen, musste ich zunächst eine langwierige Prozedur in der Maske über mich ergehen lassen. "Schminken? Igitt, ich bin doch ein Mann! Was werden meine Freunde denken?"
"Alle werden geschminkt, auch Männernasen furunkeln im Licht."

Endlich war es soweit, ich saß auf meinem Kandidatenstuhl und Vera Waldbusch trat ein.
"Nur keine Panik", sagte sie, "ist alles ganz einfach."
Die hatte gut reden, mein Herz klopfte bis zum Hals und in den bedrohlichen Augen der Kameras glaubte ich sie alle zu erkennen:
Den Bürgermeister, den Pfarrer, den örtlichen Schützenverein, meine Stammtischkumpels, meine Frau und, neu hinzugekommen, Armanni und der Autohändler.
War da irgendwo ein hämisches Grinsen?

Die erste Frage ließ mich aus diesen Gedanken hochschrecken.

"Wer war Rumpelsülzchen?"
A) Ein deutscher Politiker B) Der Kaiser von Mallorca C) Ein Märchenheini
Haha, ist das einfach. Verraten sich schon bei der Fragestellung. A) und B) leben noch, was bleibt?
Der Märchenheini brachte die ersten EUR 100,-

"Wer ist Beckenkauer?"
A) Ein Frauenarzt B) Eine Lichtgestalt C) Der Weihnachtsmann
Frauenarzt wäre zu naheliegend, das konnte es nicht sein. Weihnachtsmann schon eher, gab es da nicht diesen Werbespot: ”Jo iss denn heit schoh Woinachdn?” Gerade wollte ich es laut sagen, da fiel mir ein, meine Frau hat doch dieses äh‘ Dings da, leuchtet im Dunkeln. Und vor kurzem, im Halbschlaf, hörte ich sie was von "Oh Du mein kleiner Beckenkauer" murmeln.
"Eine Lichtgestalt", warf ich lässig in den Raum und schon erhöhte sich mein Stand auf EUR 500,-

"Wer ist Mushammer?"
A) Ein begnadeter Sänger B) Ein Modetöpfer C) Ein Hundezüchter
Ich erinnerte mich dunkel an diesen europäischen Wettbewerb. Um was es da ging, hatte ich zwar nicht so ganz mitgekriegt, überstieg ein wenig meinen Intellekt, aber richtig gesungen hatte der glaube ich nicht. Und das Hundeding, das mit ihm war, sah so richtig gezüchtet auch nicht aus. B) erschien mir allerdings ebenfalls nicht sehr wahrscheinlich, aber ich musste den Versuch wagen.
"Ein Modetöpfer?" zagte ich. Sofort schraubte sich mein Konto auf EUR 1000,-

Die letzte Frage dieser Runde, Trommelwirbel, atemlose Stille.
"Wer ist Schorsch Busch?"
A) Texanischer Friedhofswächter B) Mann von Vera Waldbusch C) Amerikanischer Präsident
Vorsicht, jetzt war der Zeitpunkt für eine Fangfrage. Das Unwahrscheinlichste schien C). Bei Fangfragen immer die richtige Lösung.
Schallender Applaus. Die ersten EUR 10.000,- geschafft.

Jetzt ging’s in die zweite Runde.

"Wer hat den deutschen Schlager erschaffen?"
A) Ralph Tiegel B) Frankenstein C) Otto
Ich wollte spontan mit B) antworten, doch ich erinnerte mich rechtzeitig, dass Frankenstein ja bereits ein anderes Monster gebastelt hatte. Otto würde ich mehr in der Gattung des anspruchsvollen Liedgutes ansiedeln, also blieb nur:
Genau! Ralph, ich danke dir. EUR 100.000,- waren mein.

Was nun kam, war der Hammer.

"Von wem ist die Relativitätstheorie?"
A) Dieter Johlen B) Alfred Einstein C) Dem Papst
Was um Himmels willen ist eine Relativitätstheorie? Ich konnte mich an keine entsprechende Schlagzeile in der Bildzeitung erinnern. Der kalte Schweiß brach mir aus. Nur die Ruhe, nur die Ruhe. Abwägen. Die akustischen Klimmzüge von Dieter sind zwar relativ, aber leider Praxis. Den konnte ich streichen. Der Papst? Was sagte mein Vater immer, wenn er von einem Bruch zurückkam? Und morgen hole ich mir die Absolution, wie praktisch. Abgehakt. Blieb nur noch Alfred. Den hätte ich zwar mehr im HNO Bereich angesiedelt, aber ich musste es wagen:
"Alfred Einstein."
"Tataaaa!" EUR 500.000,-

Vera Waldbusch grinste bis über beide Ohren:
"Glückwunsch, mein Lieber, dann schreiten wir jetzt zum Höhepunkt des Abends, der 'TopOrFlop' Frage. Unser Publikum kann es kaum erwarten. Eine Mille oder alles futsch. Aber bei Ihrer Souveränität ..."
Sah ich da ein hämisches Grinsen?
"... ist das doch gar kein Problem! Sie können natürlich auch mit Ihrem bisherigen Gewinn nach Hause gehen, Kleider, Schmuck und, äh, das Sportwägelchen finanzieren, keiner wird Sie hindern, ist Ihnen freigestellt, Ihre Entscheidung, also?"

Suffer... was? Wo denkt die denn hin? Ich bin doch ein Mann, und außerdem, habe ich bisher nicht alles richtig gemacht? Ich werde es euch schon zeigen.
Kopf hoch, Brust raus:
"Ich gehe nur als Millionär nach Hause!", verkündete ich siegessicher.

"Wunderbar. Bitte jetzt absolute Ruhe im Publikum!"

"Welcher Schokoriegel hat den gleichen Namen wie der römische Kriegsgott?"

Na also. Mir fielen 5 Steine vom Herzen. Sooo einfach:

"SNICKERS", verkündete ich lauthals und setzte zum Freudentanz an.

Doch wo blieben der Applaus, die Jubelrufe?
Immer noch Totenstille.
Und dann brach es wie ein Gewitter über mich herein. Das Publikum kreischte, Vera Waldbusch wälzte sich in konvulsivischen Zuckungen mit verzerrtem Gesicht am Boden, die Kameramänner waren außer Rand und Band, richteten noch 10 zusätzliche Kameras auf mich.
Und in deren dunklen Augen sah ich sie alle:
Den Bürgermeister, den Pfarrer, den Schützenverein und meine Stammtischkumpels, vereint in einem einzigen, großen, hämischen Grinsen. Und im Hintergrund, neben meiner ins Koma gefallenen Frau, luden Armanni und der Sportwagenhändler stumm ihre Gewehre.

An die folgenden Stunden habe ich gnädigerweise keine Erinnerungen mehr. Als ich wieder klar denken konnte, war ich bereits in dieser Höhle.
Meine Frau hat mich verlassen, meine Kinder haben sich zur Adoption freigegeben. Die einzige, die sich noch um mich kümmert, ist meine Mutter. Und das, glaube ich, auch nur, weil sie sich im Stillen vorwirft, mich als Kind nur mit den Schokoriegeln versorgt zu haben, die sie schon von ihrer Mutter bekam.


Diese Geschichte ist natürlich frei erfunden. Bis, ja, bis auf die letzte Frage. Es gibt ihn tatsächlich, den armen Menschen, der mit dieser Last durch's Leben gehen muss. Ob er jetzt allerdings in einer Höhle lebt, ist mir unbekannt.

(c) Volker Beilmann

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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