Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
Als Mädchen hat man mich nie ernst genommen. Erst als ich
begann, Jeans und Lederjacke zu trragen und mich bei den
Jungs mit den knatternden Zweirädern herumzutreiben, war ich
daheim. Auch wurde ich nie ein Fan der Pilzköpfe, obschon es
später so aussah. Stand eher auf Chuck Berry, Bill Haley und
Little Richard. Also mehr die raubeinigen, harten Sachen, so
wie mir in späteren Jahren die Stücke von Bob Dylan, Jimmy
Hendrix und Deep Purple mehr zusagten als das seichte
Rockgesäusel eines in die Jahre gekommenen Elvis.
Der Händler, ein schieläugiger, buckliger Knirps, sah mich
gleich so merkwürdig an. Kam ja auch nicht alle Tage vor,
dass ein Mädchen nach einer E-Gitarre fragt. "Ich hab da ein
paar ganz vorzügliche ...", und er wies in die Richtung der
dickbäuchigen Klangkörper. Ich schüttelte eisern den Kopf
und zeigte ihm, was ich wollte. Das schlanke Brett stand
schon seit Tagen im Schaufenster und lachte mich an. Der
Gnom verstand die Welt nicht mehr, seufzte ergeben und
strich resigniert meine Scheine ein. "Viel Spaß mit dem
Krachmacher", quäkte er mir hinterher. Und durch die
staubige Schaufensterscheibe sah ich ihn immer noch
fassungslos den grauen Kopf schütteln, als ich schon längst
auf der Straße war.
Selten fand ich Sympathie für meine verrückte Art. Auch
eckte ich überall an mit meinen provozierenden Ansichten und
dem für Mädels unangemessenen Betragen. Mopeds? Yeah!
Petticoats? Puh! Jeans waren viel aufregender. Und
Stöckelschuhe? Zum Kotzen langweilig. Wären auch höchst
unpraktisch, um sich damit auf einen "heißen Ofen" zu
schwingen. Statt mich wie gleichaltrige Mädels auf Tanzböden
von albernen pickligen Bubis herumschwenken zu lassen, saß
ich lieber mit in der Band und bearbeitete mein
Musikinstrument.
Wochenlang übte ich die kompliziertesten Griffe und verdarb
es mir mit sämtlichen Hausbewohnern. Aber ich wusste, was
ich wollte: Eine eigene Band. Nur Mädels. Mein Vorbild waren
die Supremes. Doch ich wollte mehr als die Girls aus
Detroit. Harter, handgefertigter Rock sollte es sein, den
meine Gruppe auf Bühnen und Schallplatten bringen würde.
Seichtes Gesäusel gab es genug auf dem Markt. So dachte ich.
Aber - es sollte anders kommen.
Eine Weile zog ich mit einer bunt zusammengewürfelten Truppe
umher. Die Jungs machten Augen, als sie mich, Biggie Smith,
das erste mal mit E-Gitarre im Arm anrücken sahen. Bis jetzt
hatten Mädels nur den Gesangspart übernommen. Zu meinem
Glück gewöhnten sie sich aber rasch daran, dass ich auch
noch anderes konnte. Zugegeben, meine Singstimme war nicht
schlecht. Eher maskulin und leicht angeraut. Aber für meine
virtuose Spieltechnik erntete ich mehr Beifall. Wir zogen
quer durch das Königreich und landeten schließlich, wie
konnte es auch anders sein, in Liverpool, wo damals
Rockbands wie die Pilze aus dem Boden schossen. Das war ein
harter Konkurrenzkampf. Abend für Abend schweißtreibende
Auftritte auf immer anderen Bühnen. Anders ging es nicht,
wollte man bekannt werden. Und dann hieß es: "Mensch, geht
doch nach Hamburg!" Wir hörten, dass eine damals noch
unbekannte Band mit Namen "The Beatles" in der deutschen
Hafenstadt ganz gut im Rennen lag. Also rafften wir unser
bisschen Kapital zusammen und schipperten über den Kanal.
Hamburg war noch irrer als Liverpool. Hier kamen wir gar nicht
mehr zur Ruhe.
Der verrückteste Laden war das Top Ten auf der Reeperbahn.
Bis man endlich auf uns aufmerksam wurde und uns erlaubte,
dort aufzutreten, galt es, eifrig Klinken putzen. Wer kannte
schon die Night Rocker? Allmählich kamen wir dahinter, dass
nicht unbedingt gutes Spielen der Schlüssel zum Erfolg war.
Show und Publicity standen höher im Kurs. Oft brachte auch
ein ordentlicher Skandal den Sprung ins Rampenlicht. Doch
das kam für uns nicht in Frage. Dafür waren wir zu gut
erzogen.
Ein gutes halbes Jahr hielten wir uns so gerade über Wasser.
Dann kam Jeff, unser Drummer, mit der Neuigkeit: "Morgen im
Top Ten." Whow! Uns schlackerten mächtig die Knie vor
Aufregung. Wir kamen gleich hinter Tony Sheridan und den
Beatles. Im Schlagschatten dieser frisch am Starhimmel
aufgehenden Supersterne mussten wir ganz einfach verblassen.
Viel zu früh lungerten wir hinter der Bühne herum. Jeff
rauchte Gras. Ich hätte auch etwas für meine flatternden
Nerven vertragen, traute mich aber nicht an irgendeine Droge
heran. Vor den Kulissen tobten die Rattles und machten
Stimmung für Tony. Der war noch gar nicht eingetroffen. Sein
Manager Ralph lief ein über das andere Mal hektisch an uns
vorbei. Noch drei Nummern, dann musste die Truppe verfügbar
sein. Und dann kam endlich Sheridan. Stakste mit
übertriebenem Westernschritt durch die Tür, als käme er in
einen Saloon. "Alles klar, Leute?" Der Manager rang die
Hände: "Die fünf Liverpooler sind noch nicht da." Tony sah
sich um: "Wer sind denn die da?" Wies mit seinem kantigen
Kinn auf uns. "Die kommen nach euch dran." Der Schotte
klemmte sich einen Schemel zwischen die Schenkel und ließ
sich ächzend darauf nieder. "Immer der gleiche Stress mit
den Pilzköpfen! Nie können die mal pünktlich sein!" Die Tür
schwang auf und vier der Vermissten stolperten in den Raum.
Sheridan runzelte die Stirn: "Wo ist John?" Harrison
grinste: "Liegt noch in der Falle. Hat gestern was zuviel
Stoff gehabt." "Und wie stellt ihr euch das vor?" Tony
überbrüllte den Rocklärm der Rattles. Die Vier zuckten mit
den Schultern. "Na prima! Das ist auch eine Antwort! Aber
ich sag euch eins: Da mach ich nicht mit! Vertrag ist
Vertrag. Und wenn ihr nicht spurt, dann fliegt ihr
achtkantig raus!" Betretenes Schweigen. Wir sechs von den
Night Rockern blickten uns vielsagend an. Hübsche Sitten
waren das. Tonys Manager kratzte sich am wulstigen Kinn,
während seine Augen prüfend umherschweiften. Offensichtlich
suchte er nach einer Notlösung. Und als er sie fand, fiel
ich aus allen Wolken.
Für wenige Augenblicke verschwand er. Kam an die Tür zurück
und schnippte mit den Fingern: "Du da, komm mal mit!" Ich
war gemeint. Glotzte ihn aber nur blöde an. "Ja, nun komm
schon!" Konnte mir nicht vorstellen, was er ausgerechnet von
mir wollte. Aber ich folgte langsam der heftig
gestikulierenden Hand. Er zerrte mich in einen Umkleideraum.
Da lagen allerlei Requisiten auf dem Tisch. Seine Augen
musterten mich kritisch: "Jeans trägst Du ja schon. Hier,
probier das mal." Hielt mir ein sportliches Jackett hin, wie
es von den Beatles getragen wurde. Stülpte mir noch eine
zottelige Pilzperücke über meinen kurzen Rotschopf. "Nicht
schlecht", grunzte er in sich hinein. "Bist ja eher ein
Jüngling ..." Sollte vielleicht nicht gerade schmeichelhaft
gemeint sein. Aber mich focht das nicht an. Ich kam immer
noch nicht dahinter, was das alles sollte. Er kniff prüfend
die Augen zusammen und fixierte mich fortwährend. Dann griff
er sich noch etwas vom Tisch: "Und die hier noch." "He! Was
soll ich denn damit? Meine Augen sind vorzüglich!" "Komm,
auf die Nase damit. Und dann dreh Dich mal um." Die Brille
saß ungewohnt und merklich schief auf meinem Riecher. Aber
als ich in den Spiegel sah, wär' ich fast vor Schreck
umgefallen. Da stand John Lennon und glotzte mich blöde aus
dem staubigen Scherben an. Ich streckte mir die Zunge raus.
Der Manager war zufrieden. "Du spielst Rhythmusgitarre?" Ich
gab ihm ein eckiges John- Lennon-Nicken. "Dass du eine gute
Stimme hast, hab ich im Weißen Pferd schon gehört." Also
daher kannte er uns. Unterzog mich einer nochmaligen
Musterung und schlug sich mit der Faust in die linke Hand.
"Wir wagen es!" Jetzt erst kam ich drauf, was von mir
verlangt wurde. Der Kerl war des Teufels! "Nein!", brüllte
ich. "Das bring ich nie und nimmer rüber!" "Quatsch! Du hast
Talent genug, hier als John Lennon aufzutreten. Und jetzt
mach voran. Die Rattles haben den letzten Titel gleich
durch." Stürmte vor mir aus dem Raum. Ich zockelte in seinem
Fahrwasser hinterdrein. Mir war kotzübel. Meine Truppe
staunte Bauklötze, als sie mich sah. Tony grinste: "Mensch
Ralph, das darf doch nicht wahr sein!" Der feixte zurück.
Und dann wurde ich unter die Beatles geschoben, die nicht
wussten, wie ihnen geschah. Pete Best wollte aufbegehren.
Aber der Manager stopfte ihm gleich das Maul mit der
Androhung einer Konventionalstrafe, wenn er motzen würde.
Die acht Nummern von Tonys Repertoire hatte ich selbst oft
genug gespielt, um nicht zu patzen. Wir bildeten ohnehin nur
den Background zu Sheridans Gesangskünsten. Da und dort ein
Bisschen Yeah-Yeah und Blabla mit anderen Urlauten
vermischt. Das war alles. Wie immer brachte Tony bald den
Saal zum Toben. Das feuerte uns mächtig an, so dass wir
alles aus uns rausholten. Und endlich kamen die Zugaben. Mir
fielen schon fast die Finger ab. Doch dann wollte man zum
vierten Mal My Bonny hören. Wir schrieen uns heiser, weil
wir den Lärm aus dem Saal übertönen mussten. Tony rann der
Schweiß übers Gesicht. Auch wir - die Beatles - jappsten
nach Luft. Offensichtlich machte ich meine Sache gut. George
Harrison zwinkerte hin und wieder wohlgefällig zu mir rüber.
Auch Paul McCartney verzog das Gesicht, als wolle er sagen:
Nicht übel, dieser Lennon-Ersatz. Stuart Sutcliffe aber war
der einzige, der, als wir uns hinter der Bühne ausdampften,
auf mich zu kam und mir dankte. "Biggie, du warst ein
wundervoller John." Ich lächelte Stu verlegen an: "Ach was,
ich hab nur Dussel gehabt, dass ich die Stücke alle kannte."
An diesem Abend mussten die Night Rocker zu fünft auftreten.
Sie ahnten nicht, ... aber dazu komme ich später. Tony und
die vier Pilzköpfe schleppten mich erst mal ab. Sein Manager
machte sich schon vorher dünn. Pete spottete: "Jetzt geht er
zu seiner Tussi. Eine rothaarige Irin." Aber Ralph hatte den
Vieren noch eingeschärft: "Seht zu, dass ihr morgen
vollzählig seid. Wenn nicht ...!" Und hob drohend die Faust,
bevor hinter ihm die Tür ins Schloss krachte. Wir aßen hier
einen Happen, tranken dort ein paar Gläser. Und ich musste
von mir erzählen. Nun, so ein Mädel war ihnen denn doch noch
nicht untergekommen. "John muss dich unbedingt kennen
lernen", nuschelte Tony halbbetrunken. Ich wollte nicht.
Nein, das wollte ich ganz entschieden nicht! "Komm, Biggie-
Maus", säuselte mir George ins Ohr, "das wird der Gag des
Abends!" Nach ein paar weiteren Whiskys kriegten sie mich
dann doch noch rum.
Wir klemmten uns in ein Taxi. Das heißt, wir wollten. Der
Taxifahrer protestierte und fluchte fürchterlich auf uns
idiotische Tomies. Winkte einen Kollegen heran, der drei von
uns übernahm. Tony zwinkerte Paul zu: "Hast Du's?" McCartney
klopfte auf die Aktentasche zwischen seinen Knien. Ich
dachte mir nichts dabei. Schließlich hatte jeder irgendein
Instrument, von dem er sich nicht mal zehn Minuten trennen
wollte. Und dann nahm uns die Empfangshalle eines
mittelprächtigen Hotels auf. Mann, das war was anderes als
die billige Absteige, in der wir Night Rocker untergebracht
waren. Der Empfangschef katzbuckelte vor Sheridan. Ein
Liftboy fuhr uns nach oben. Auf weichem Teppichboden
füsselten wir zu der Suite des Schotten. Ich kam mir klein
und verloren vor, als ich in einem teuren Fauteuil versank.
Tony baute sich vor mir auf, nahm Paul die Tasche aus der
Hand und zeigte mir den Inhalt. NEIN! Jackett, Perücke,
Brille ... Mir wurde schwarz vor Augen.
"Nun komm! Was ist denn schon dabei?" Stu und Pete
quetschten mich zwischen sich. Tony öffnete eine Tür. Noch
drei Schritte. Dann blieben wir stehen. Mir stockte der
Atem. John Lennon starrte mich ebenso entgeistert an wie ich
ihn. Eben lümmelte er noch auf dem zerwühlten Bett. Jetzt
sprang er auf und ging prüfend um mich herum. Wieder war da
das Gefühl, in einen Spiegel zu schauen. Es stimmte. Ich mit
Perücke und Brille ... wir sahen uns verdammt ähnlich. Als
John seinen Mund endlich zu bekam, räusperte er sich und kam
dicht heran. "Kaum zu glauben", murmelte er fasziniert.
Schlich nochmals umher und beäugte mich aus
unterschiedlichen Perspektiven. Scheute sich aber, mich
anzufassen. Wandte sich endlich an Tony: "Wer ist das?"
"Biggie Smith", bekam er zur Antwort. "Ein ... ein ...
Mädchen?" Jetzt stand sein Mund wieder für eine Weile offen.
Dann ließ er sich lachend auf einen Sessel plumpsen. Tony
griff ihn am Arm: "Hör mal zu Du Motherfucker! Biggie hat
Dich gedoubelt, sonst wäre der Auftritt geplatzt und wir
hätten ganz schön in der Scheiße gesessen. Verstanden?"
"Bullshit! Ihr hättet auch mit vier Beatles die Show
gemacht." "Eben nicht. Das Publikum ist nicht blöde. Das
weiß nur zu genau, wer alles dazugehört." Lennon winkte ab:
"Hatte Wichtigeres zu tun." "Wichtigeres!" Tony brüllte los:
"Was kann wichtiger sein, als den Vertrag einzuhalten!" "Das
hier." John hielt ihm Blätter unter die Nase. Sheridan
starrte darauf. "Was soll das?" "Ein neuer Song. Ist heute
entstanden. Willst Du ihn hören?" "Fuck yourself! Und komm
mir nicht mit so einem Mist!" "Der Song ist wirklich gut.
Wird sicher ein Hit. Heisst Love Me Do." Der Schotte warf
die Zumutung beidhändig von sich: "Love Me Do. Schnulzen
spielen wir nicht. Du wärst besser mit uns aufgetreten."
"Ach was!" John wälzte sich samt Schuhen wieder aufs Bett.
"Ich brauch Zeit. Hab so viele Texte und Melodien im Kopf.
Das muss raus!" Mit langen Schritten umrundete Sheridan den
Tisch. "Was soll ich nur mit Dir machen? Du bist so ein
verdammt guter Gitarrist und Sänger, dass man schlecht auf
dich verzichten kann. Hätte dich sonst schon längst in den
Wind geschossen." Wandte den Kopf Richtung Bett, um die
Wirkung seiner Worte zu beobachten. John hörte längst nicht
mehr zu. Er war wieder mit Kugelschreiber und Papier
beschäftigt. "He! Ich rede mit Dir." "Was? Ach so. Sorry -
ein neuer Song. Heißt Ask Me Why." "Steck Dir den hinten
rein! Ich will Dich auf der Bühne haben und nicht
rumfurzender Weise im Bett." Lennon blinzelte über den
Brillenrand und zielte mit dem Kuli auf mich: "Ach was! Ihr
habt doch jetzt jemanden, der mich vertreten kann."
Eine folgenschwere Aussage. Folgenschwer für die Night
Rockers und für mich. War ich schon zuvor nicht die, die ich
sein wollte - schließlich träumte ich von einer eigenen Girl
Group - so zwang mich jetzt der verrückte Umstand, dass ich
John Lennon ähnlich sah, bei den Beatles zu bleiben.
Nach ein paar weiteren Auftritten meinte Stu: "Lass dir die
Haare wachsen. Astrid schneidet dir eine Beatles-Frisur und
färbt sie ein." Das war mehr als vernünftig. Jeden Abend
unter der Perücke schwitzen, das war schon eine Zumutung. So
wurde ich, Biggie Smith, zum Ersatz-Beatle.
Ob ich das gerne war? Fragt mich nicht! An einen äußerst
heiklen Zwischenfall erinnere ich mich noch genau. Die Fans
waren damals schon ganz wild auf die Pilzköpfe. Versetzten
den Saal in einen Hexenkessel aus Gekreisch, Getrampel und
schrillen Pfiffen. Und das legte sich auch dann noch nicht,
wenn wir die Bühne längst verlassen hatten. Besonders
angeturnte Mädels suchten in Erwartung erotischer Abenteuer
die Umkleidekabinen heim. Was die andern mit ihnen trieben,
interessierte mich nicht. Ich hielt mich zurück und suchte
in meiner normalen Gestalt unerkannt das Weite. Doch einmal
- der Zufall hielt mich länger zurück als ich wollte -
rückte mir so ein haschbenebeltes Girl auf den Pelz. Lugte
erst vorsichtig durch den Türspalt und sprang dann auf mich
los: "John! Liebster John! Nimm mich! Ich liebe Dich! Du
kannst alles von mir haben." Ich erstarrte und war vor
Entrüstung sprachlos. Die Kleine musste das für eine
Zustimmung gehalten haben. Schob sich den Mini hoch und
zeigte, dass sie darunter nichts trug. Jetzt wurde es Zeit,
etwas zu unternehmen. Ich wusste nur noch nicht was. Mein
weiteres Zögern war für das Girl eine Ermunterung. Sie
umschlang mich und rieb sich heftig an mir. Ich wehrte mich
nach Kräften. Bei dem Handgemenge rutschte mir erst mal die
Perücke vom Kopf. Mein eigenes Haar war damals noch nicht
lang genug für eine Pilzfrisur. Auch spürte die Kleine,
dass mein Brustkorb anders beschaffen war als das zu sein
hatte. "Betrug!", kreischte sie hysterisch und rannte mit
bloßem Hintern aus dem Raum. "John ist eine Frau", hörte ich
sie über den Flur plärren. Rasch rückte ich alles wieder
zurecht und lief hinterher. Da und dort öffneten sich schon
Türen und neugierige Blicke folgten uns. Ich musste das Biest
zum Schweigen bringen, war aber so ausgepumpt, dass ich
nicht schnell laufen konnte. Und das Geschrei vom falschen
Beatle mobilisierte schon fast das ganze Haus. Endlich kam
Tony in Sicht, der uns in den Weg trat. Klemmte sich die
zappelnde und plärrende Puppe unter den Arm und wir
verdrückten uns in seinen Umkleideraum. "Was soll das? He?"
Sah erst mich und dann das Mädel an. "Die da ist nicht John
Lennon." Das kam mit Zischen und giftigem Blick. "Du
träumst." "Das da ist kein Mann." "Wohl zuviel Hasch
gehabt?, Was?" Sheridan drohte spielerisch mit dem
Zeigefinger. "Wenn Dich so die Drogenfahnder finden ... und
zieh endlich den Rock wieder runter." Die Drohung saß.
Musste wohl einigermaßen ernüchternd gewirkt haben. Wir
begleiteten dieses halbe Kind noch bis auf die Straße.
Sahen, wie sich das Persönchen mehrmals noch umdrehte und
verwirrt zurück blickte. "Wär beinah daneben gegangen",
stöhnte Tony. "Mein Gott! Warum schließt du Dich beim
Umkleiden nicht ein!" Das tat ich dann auch. Zu unser aller
Erleichterung hörten wir nichts auf diesen Zwischenfall.
Aus der Rockgeschichte ist sattsam bekannt, dass die Beatles
nur eine kurze Zeit mit Sheridan auftraten. Ein eigenes
Programm entwickelten. Nach Liverpool zurückkehrten. Rasch
populär wurden. Sich später von Pete Best trennten und Ringo
Star als Drummer aufnahmen. Stu Sutcliffe blieb in Hamburg
bei seiner Freundin Astrid Kirchherr. Sein früher Tod
schockierte uns nicht wenig. Somit gab es letzten Endes nur
vier Beatles, die immer bekannter wurden. Dass es in
Wirklichkeit fünf waren, wussten die Wenigsten. Ich, Biggie
Smith, Beatle Nummer fünf, führte ein Schattendasein. Immer
dann, wenn es John einfiel, nicht auftreten zu wollen, um an
einem neuen Song zu schreiben, zerrte man mich auf die
Bühne. Schön, ich verdiente dabei nicht schlecht. Kassierte
erheblich mehr Kohle als bei jeder anderen Rockband. Und
Spaß machte es mir auch. Was mich dabei störte, war die
Tatsache, dass ich stets jemand anders sein musste und nicht
ich selbst.
Der Beatle-Ruhm schwappte von Europa nach Amerika und von
dort in alle Welt. Beatles-Filme wurden gedreht. Bei einigen
Szenen ließ John sich von mir vertreten. Keinem fiel das
auf. Beatles bei der Sullivan-Show. Beatles vor der Queen.
Letzteren Auftritt ließ sich John nicht nehmen und ging
selbst hin. Die Beatles (für viele Girl Fans ein Schock)
nahmen sich Frauen. John ließ sich später scheiden und heiratete
Yoko Ono.
Die Japanerin mochte mich nicht. Diese Abneigung beruhte auf
Gegenseitigkeit. Trotzdem durfte ich weiterhin dann und wann
ihren Göttergatten doubeln. John hatte mehr zu tun denn je.
Er trug sich mit dem Gedanken, die Beatles zu verlassen. Er
wollte sich ganz auf Texten und Komponieren zurückziehen.
Lange Diskussionen, zu denen ich hinzugezogen wurde, hatten
zum Inhalt, ob ich John nicht grundsätzlich ersetzen sollte.
"Das wird kein Aas merken", versicherte George, der Beatle,
der für alles stets rasch zu begeistern war. Paul schüttelte
abwehrend den Kopf und Ringo mahnte: "So ein gelegentliches
Einspringen von Biggie ging bis jetzt immer gut. Aber wenn
sie ganz in die Rolle Johns schlüpfen soll, muss das eines
Tages rauskommen. Und dann ...?" "Dann ist der Skandal da
und wir können einpacken." McCartney schlug mit der Hand auf
den Tisch, dass es krachte. Harrison sah enttäuscht aus. Er
hatte was übrig für mich und hätte mich gern fest engagiert.
"Ich werd wohl gar nicht gefragt", beklagte ich mich.
Erhielt aber keine Antwort. Ringo stand auf: "Also werden
sich die Beatles trennen." Und so kam es, dass auch ich
nicht mehr gebraucht wurde.
Wie ich es auch drehen mochte, ich konnte von John nicht los
kommen. Eine psychische Abhängigkeit? Jahre hindurch jemand
anders sein. Da kann man nicht von jetzt auf gleich das
eigene Ich anknipsen.
Als John und Yoko sich in New York niederließen, wechselte
auch ich in die USA. Lennons Nimbus zog mich magisch an. Er
wusste, oder er spürte, dass ich in seiner Nähe war. Des
öfteren sahen wir uns, besprachen diesen oder jenen neuen
Rocktitel. Die Treffs hatten wir stets im Grand Central
Park.
Auch an jenem Tag, der für die Pop-Welt wohl der schwärzeste
werden sollte, hatten wir uns verabredet. "Mensch, Biggie,
lass mich noch einmal in mein Spiegelbild blicken." Es war
Jahre her, dass ich mich wie John gekleidet hatte. Auch war
mir nicht wohl bei dem Gedanken. Wenn uns nun jemand
beobachtete. Zwei mal John Lennon? Das würde ein hübsches
Schlachtfest für die Presse geben! Auch gefiel mir nicht,
mich als John im Park zeigen zu müssen. Weshalb wählte er
keinen intimeren Ort? Letzten Endes tat ich ihm den Gefallen
dann doch.
Ich war zuerst am Ort und hielt mich hinter einer Hecke
verborgen. Es dauerte, bis ich John in der Ferne erblickte.
Wollte schon aus meinem Versteck und ihm als Double entgegen
gehen. Bemerkte im letzten Moment eine Gestalt, die aus dem
Gebüsch gegenüber heraus kam. Der junge Mann war mir schon
vorher aufgefallen und ich hatte mich verwundert gefragt,
weshalb er immer die gleichen Wege abging. Und wozu dann
jetzt dieses Versteckspiel? Ein merkwürdiger Typ, der etwas
Lauerndes an sich hatte. John kam in Gedanken versunken
näher. Ich blieb erst mal, wo ich war. Behielt den anderen
Kerl im Auge, der sich noch einmal verstohlen umsah und
hinter einen Baum trat. Was hatte der vor? Alarmglocken
begannen in meinem Kopf zu schrillen. Ich wollte John
warnen, ihm etwas zurufen. Zu spät. Schüsse krachten. John
sank blutüberströmt zu Boden.
Dass ich an Johns Stelle dort liegen könnte, ging mir erst
später auf, als ich über alles nachdenken konnte. Und die
Erkenntnis löste einen nicht geringen Schock aus.
In meiner Aufmachung ... hätte ich mich da gleich als Zeugin
melden sollen? Ein toter John Lennon und jemand, der wie
ein lebender Lennon aussah? Einen Skandal provozieren, wo
sein Körper noch nicht kalt war? NEIN! Hastig nahm ich
Brille und Perücke ab und schlich mich auf Umwegen davon.
Hier würde es bald von Polizei und Zuschauern, von
Journalisten und Fotografen nur so wimmeln. Das ging mich nichts
mehr an.
Der Rest ist Geschichte.
Hanno Erdwein
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