'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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August 2002
Jetzt oder nie!
von Manuela Tengler


Krachend ließ er die Tür ins Schloss fallen. Iris zuckte zusammen. Sie krümmte sich, doch die Schmerzen im Bauch waren überwältigend. So schlimm war es noch nie gewesen, so schlimm wie heute hatte er sie noch nie geschlagen. Wie lange konnte sie das noch ertragen? Und dabei war sie es selbst gewesen, die es herausgefordert hatte. Mit ihren ständigen Anspielungen, dass er kein richtiger Mann sei und er sich in der Arbeit nichts gefallen lassen solle.

Doch dann hatte er die Kündigung bekommen, sass wochenlang daheim und starrte die Wände an. In den ersten Wochen war sie noch optimisch gewesen. Du findest sicher wieder einen Job als Tankwart, hatte sie ihn getröstet und sich gefreut, wenn er sie angelächelt hatte. Die Kündigung war ein halbes Jahr her. Die letzten Wochen hatte dann ihre Hölle begonnen. War es anfangs das knapp gewordene Haushaltsgeld, unbezahlte Rechnungen oder ein angebranntes Mittagessen, fanden sich bald unbedeutendere Gründe wie seine immer öfter auftretende schlechte Laune, Frust oder einfach die Suche nach einem Sündenbock. Worte können noch härter treffen als Schläge, dachte sie, doch bald wurden die Schläge härter als Worte es je vollbringen würden.

Das Einkaufen war ein Spießrutenlauf geworden. Versteckt hinter Sonnenbrille und Schal hatte sie nach den Sonderangeboten gegriffen und immer nach allen Seiten Ausschau gehalten, um Nachbarn frühzeitig zu erspähen. So könnte sie flüchten und mitleidigen Blicken, spöttischem Grinsen und neugierigen Fragen ausweichen.

Der Schmerz in ihrem Bauch liess nicht nach, er verstärkte sich nur. Sie wusste nicht, wie lange sie dagelegen hatte. Stunden, vielleicht aber nur Minuten. Ihr Kopf schmerzte. War sie an den Türrahmen angestossen? Sie konnte sich nicht mehr erinnern. Egal. War es diesmal nicht der Türrahmen, war es beim nächsten Mal ein Schrank oder die Wand.

Geräusche aus dem Stiegenhaus nahmen ihr den Atem. Kam er zurück? So schnell. Gewöhnlich verschwand er nach diesen Wutausbrüchen für Stunden in die nahe gelegene Kneipe.
Hoffnung keimte. Schon einmal war er zurückgekommen, hatte sich entschuldigt, sie in den Arm genommen. Vielleicht hatte er von einem Job erfahren. Vielleicht ...

Ein Lichtstrahl fiel ins Wohnzimmer. Sie hatte das Aufsperren nicht gehört. Zähne zusammenbeissen, murmelte sie immer wieder und ging durch die Küche. Er würde sie sicher im Schlafzimmer suchen.
”Du Schlampe, versteck dich nicht!” rief er. ”Verdammt!” Ein lautes Krachen. Sie musste grinsen. Endlich war er mal über das kaputte Brett im Boden gestolpert.

Langsam wuchs Widerstand in ihr. Hass loderte auf. Warum hatte sie sich so lange etwas vorgemacht? Es war kein Märchen, es gab auch keinen Prinz, der sie retten würde. Der einzige Mensch, der sie befreien konnte, war sie selbst. Mit neuem Mut kämpfte sie gegen die aufsteigende Übelkeit und zwang sich, weiter zu gehen.
”Wenn ich dich kriege! Ich mach dich fertig!” schrie er und die Stimme kam bedrohlich näher.
Iris zögerte. Nur wenige Meter trennten sie noch vom Gang, der sie aus der Küche zur Wohnungstür führte. Jetzt oder nie! Jetzt würde sie die rettende Wohnungstür erreichen! Heute würde er sie nicht mehr schlagen! Nie mehr würde er das tun!

Ihr Blick fiel auf die Bierflasche, die er ihr vorher an den Kopf geknallt hatte. Kurz entschlossen nahm sie die Flasche und hielt sie fest umklammert. Der Flaschenhals war abgebrochen und schnitt in ihre Handflächen. Ein unbedeutender Schmerz im Vergleich zu den Verletzungen, wegen denen sie im vergangenen halben Jahr immer wieder im Krankenhaus behandelt worden war. Was bedeutete ein kleiner Glasscherbenschnitt gegen angeknackste Rippen oder ein gebrochenes Nasenbein?

”Hier steckst du!” sagte er und stand unmittelbar vor ihr.
Iris schrie erschrocken auf. ”Lass mich in Ruhe!”
”Soll ich mich jetzt fürchten?” fragte er belustigt und ignorierte Iris drohende Geste mit der Bierflasche.
”Lass mich gehen!” sagte Iris leise. Wie sehr hatte sie diesen Menschen einmal geliebt, und wie sehr hasste sie ihn jetzt.
Er packte sie an der Hand, schüttelte sie, sodass die Bierflasche zu Boden fiel. ”Verlassen willst du mich? Ohne mich bist du ein Nichts! Wie heisst es so schön: bis dass der Tod uns scheidet!” Er grinste.
”Du zwingst mich, dich zu verlassen!”, sagte sie mit schneidender Stimme. ”Ich muss gehen, bevor du mich tot schlägst!”
Entsetzt starrte er sie an. Endlich schaute er sie an, sah ihre Wunden, den Schmerz in ihren Augen. Er blickte auf den Boden.
”Es tut mir leid”, sagte er leise.

Sie drehte sich um und verließ die Wohnung. Als sie aus dem Haus trat hörte sie ihn rufen: »Bleib hier! Ich will nicht allein sein!”


© Manuela Tengler

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