Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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September 2002
Alles nur gekauft
von Anne Zeisig


„Himmel! Wie sieht es denn hier aus?" Margret torkelte durch die Eingangshalle der Jugendstil-Villa und ließ achtlos ihre Handtasche und den Nerz auf den Boden fallen. Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete sie die Gemälde.

„Lass mich raten, Johanna, Schwesterlein, das sind die Bilder deines jugendlichen Lovers!"

Johanna hob den Nerz auf und drückte ihn Margret in den Arm.

„Du solltest pfleglicher mit Vaters Geschenk umgehen."

„Jawoll, Frau Erfolgreich!" Margret stand stramm, und hielt ihre linke Hand zum Gruß an die Schläfe.

Johanna umfasste sanft Margrets Taille und führte sie in den Salon an die Bar.

Margret warf ihren Nerzmantel über den Lesesessel und erklomm unbeholfen den Barhocker.

„Sag nichts, sag nichts, Hanna, Schwesterlein", sie legte sich mit dem Oberkörper vornüber und spielte mit dem Shaker, „ich weiß selbst, dass ich mal wieder viel zu tief ins Glas geguckt habe," nuschelte sie und legte den Kopf seitlich auf die Bar.

„Mal wieder ins Glas geguckt. Ach, Margilein," Johanna trat hinter die Bar und mixte für sie beide Orangen- und Möhrensaft, stellte der Schwester das Glas hin.

Diese richtete sich stöhnend auf und stieß das Glas mit einem Wisch hinunter.

„Was soll ich mit dem Gesöff?" ,schrie sie gellend, hangelte sich vom Barhocker und fiel in den Lesesessel. Kraftlos sackte ihr Kopf hinunter, sie zog sich den Nerzmantel über die Schultern und streichelte sich mit dem Mantelärmel über die Wange. „Wenn auch du nur noch einen toten Nerz für Zärtlichkeiten hättest, würdest auch du saufen," flüsterte Margret und stöhnte auf, als sie sich wieder mit dem Ärmel die Wange streichelte.

Johanna trat hinter der Bar hervor und stellte ihr Glas vor die Schwester auf den Lesetisch, setzte sich in den gegenüber stehenden Sessel.

„Ich war ebenso immer wieder Jahre alleine, das weißt du. Und diese kurzen Episoden zwischendurch, ach, Marga, du weißt, dass das nie das Gelbe vom Ei war. Aber seit es Patrick in meinem Leben gibt."

Johanna zündete sich eine Zigarette an und inhalierte den Rauch tief. Diesmal war es anders. Ganz anders. Seit neun Monaten war Patrick ihre große Liebe. Sie hatte ihn auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung zur Förderung junger begabter Maler, kennen gelernt, wo ihr Vater als Schirmherr agierte. Johanna lächelte leise. Wie sehr hatte Vater sie zum Mitgehen überreden müssen.

Und dann hatte sie beim Essen neben diesem Jungen gesessen, der ihr Sohn hätte sein können. Wild gestikulierend hatte er ihr dann von seinen Bildern erzählt, von seiner Technik, von seinem provisorischen Atelier, wo die Lichtverhältnisse nicht optimal seien. In seinen grünen Augen spiegelte sich flackernd die Flamme der Tischkerze. Immer wieder hatte er während seiner Ausführungen ihre Hände berührt. So selbstverständlich.

Beim ersten Tanz hatte er ihr ins Ohr geflüstert: „Du gehst jetzt mit mir, ich zeige dir meine Werke, ich zeige dir mein Bett, ich zeige dir, was Liebe ist und danach haben wir noch viel Zeit, uns kennen zu lernen."

So unkompliziert.

Margret streichelte sich noch immer mit dem Nerz die Wange.

„Komisch," kicherte sie, „seit der Knabe dich kennt, hat er Erfolg." „So ein Zufall," bemerkte sie gedehnt und zog eine Grimasse, als sie das Glas Saft leer trank.

„Zufrieden?" Sie schob der Schwester das leere Glas über den Lesetisch.

Johanna drückte ihre Kippe unwirsch im Ascher aus.

„Weil auch Kunst professionell vermarktet werden muss, liebste Schwester, und das ist nun mal ein Metier, von dem ich was verstehe. Damit verdiene ich mir hart meine Brötchen."

Sie stand auf, rückte ein Gemälde von Patrick gerade und strich zärtlich mit der Hand darüber.

Margret stolperte ihr hinter her.

„Und was soll das darstellen?" Sie schwankte leicht vor dem Bild hin und her, „muss man da erst so postmodern was hinein interpretieren? Oder ist das so ganz simpel ein flächiges weißes Nichts mit einem roten Blitz, den er durch das schwarze Loch da gekritzelt hat?" Hart stieß sie mit dem Zeigfinger auf das Bild.

Johanna umklammerte fest das Handgelenk ihrer Schwester und riss ihren Arm nach unten.

„Autsch! Du tust mir weh," schrie diese und setzte sich wieder in den Sessel, hüllte sich in den Nerz ein.

„Ist er etwa im Bett noch potenter, weil er nun seine Brötchen selbst verdienen kann? Dann seid ihr beide ja ein Super-Erfolgsgespann!"

Johanna ging hinter die Bar und bediente die Espresso Maschine.

„Hör auf, Marga! Nun wirst du ordinär."

Margret gähnte demonstrativ laut.

„Mal ehrlich, Johanna-Große, der ist 35 und du bist 55. Mein Gott! Schau dich doch an! Deine Designer Klamotten täuschen auch nicht darüber hinweg, dass du keine knackige Jungfrau mehr bist! Und irgendwann will der auch Kinder haben! Wir leben hier nicht in Italien, wo man dir auch noch mit 60 ´ne befruchtete Eizelle einsetzt. Dann pass wenigstens auf, dass das Bürschchen nicht zuviel verdient mit seinem Geschmiere, sonst geht der dir mit ´ner Jungen stiften, die ihm Künstlernachwuchs schenken kann."

Johanna stellte die Tassen auf den Tisch.

„Trink wenigstens den Espresso, damit Vater dich gleich etwas nüchtern erleben kann, er wird noch gar nicht damit rechnen, dass wir hier sind."

Langsam griff Margret die Tasse und hielt sie sich vor die Brust.

„Vater?" ,murmelte sie, „ach, stimmt ja, ich muss mich ja wegen dieses Nerzes hier dankbar erweisen," und sie goss langsam den Espresso über den Nerzmantel.

Johanna sprang auf, entriss ihr den Mantel und wischte mit der Handfläche darüber.

„Du benimmst dich wie ein trotziges, undankbares Kind!", schrie sie ihre Schwester aufgebracht an und legte den Mantel über die Bar.

„Marga, du bist wirklich undankbar! Wie viel private Entziehungskuren hat dir Vater schon bezahlt? Wer zahlt die Miete für Dein Penthouse? Wer sorgt, dass du nicht verhungerst? Wer?" Sie stürzte sich auf die Schwester und schüttelte sie an den Schultern. „Und weißt du auch, warum er das alles für dich tut? Weil er sich von dir ein schlechtes Gewissen einreden lässt! Ja, ja! Die arme Marga, die Kleine, die zarte, die ja leider viel zu früh ohne die Mutter aufwachsen musste!"

Sie ließ von der Schwester ab und fiel erschöpft in den Sessel.

Margret ging schwankend hinter die Bar und hielt sich zitternd eine Flasche Cognak an die Lippen. Der Alkohol floss rechts und links an ihrem Kinn hinunter, als sie gierig trank.

Angewidert wandte sich Johanna ab. Sie hörte, wie ihre Schwester laut die Flasche auf der Bar abstellte.

„Ja, ja, Johanna, die Große!" ,sagte sie kichernd, „ich kann nichts dafür, dass ich 15 Jahre jünger bin als du. Aber Johanna, die Große hat ja immer weg geguckt, stimmt ´s?", sie setzte die Flasche an für einen erneuten Schluck.

Johanna sprang auf und riss Margret die Flasche vom Mund, zerrte sie in den Sessel.

Beide Hände in die Hüften gestemmt, baute sie sich vor der Schwester auf: „Wann soll ich, bei was auch immer, weg geguckt haben? Während du dir deine Vormittage mit Schule-Schwänzen vertrieben hast, meine Liebe, da habe ich mich dem Aufbau meiner PR-Agentur gewidmet. Und ziemlich erfolgreich! Wie du ja wohl weißt!"

Johanna ging hinter die Bar und versuchte, mit einem feuchten Tuch den Nerz zu reinigen. „Und es wurde auch nicht besser mit dir, als Vater dir dieses exklusive Internat finanzierte," keuchte sie und ließ den Nerz aufgebend fallen, weil die Flecken sich nicht entfernen ließen.

„Als er mich ins Internat steckte, da war es eh zu spät, Hannalein, das hatte er auch nur deshalb gemacht, weil ich älter geworden war, er befürchtete, ich könne das Maul aufreißen."

Johanna wandte sich der Schwester zu und hielt sich an der Bar fest.

„Was hättest du denn zu erzählen gehabt, Margret?"

Diese kniff die Augen zusammen und knabberte am Fingernagel ihres Daumens.

„Er ist fast jede zweite Nacht in mein Zimmer gekommen. Seit ich denken kann, seit ich fühlen kann, auch noch nach Mutters Tod," flüsterte sie undeutlich, lehnte sich zurück und schloss die Lider, „und dann fühlte ich nichts mehr. Nie mehr empfand ich auch nur irgend etwas, wenn mich ein Mann berührte!", sie streichelte sich ihre Schenkel und kicherte schrill.

„Nein!", schrie Johanna und stürzte sich auf die Schwester, riss sie aus dem Sessel empor. Margret verlor das Gleichgewicht und fiel wuchtig zu Boden. Das Holz der Bar vibrierte dumpf, als sie mit dem Kopf daran prallte.

Erschreckt kniete sich Johanna zur Schwester, wollte ihr hoch helfen. Entsetzt bemerkte sie das Blut, welches durch das Blond der Haare auf den Marmorboden sickerte.

„Margret," flüsterte sie, als diese die Augen aufschlug, „ich helfe dir hoch, ja?"

Die Schwester wehrte mit einer leichten Handbewegung ab.

„In meiner Handtasche ist ein Zweitschlüssel für Vaters Schreibtisch," hauchte Margret, „die rote Kassette, da hat er...", ihr Kopf sackte zur Seite. Starr und trübe blickten ihre Augen ins Nirgendwo.

Johanna kniete regungslos.

Aus der Empfangshalle hörte sie eine Stimme. Vater!

„Junger Mann! Sie wissen ganz genau, für was ich sie bezahlt habe in all den Monaten! Ich wollte mein Hannchen endlich einmal im Leben lachend und beschwingt erleben! Ja! Leben sollte sie! Und nicht immer nur arbeiten! Sie sollte sich fühlen, wofür die Natur sie geschaffen hatte, als Frau! Als glückliche Frau, die von einem jungen Mann begehrt wird. Gibt es ein schöneres Kompliment für eine Frau, als dass ein junger Mann sie umwirbt?

Beglücken sollten sie Johanna, aber nicht ihr berufliches Talent ausnutzen! Haben sie das verstanden? War das konkret genug für ihr kleines Malergehirn? Es war nicht vereinbart, dass sie Vorteile aus den Verkäufen ihrer Schmierenbilder ziehen! Und meine dumme Tochter hält auch noch den Kopf dafür hin und gibt sich der Lächerlichkeit in Fachkreisen preis. Und ich? Wie stehe ich da! Ich bin der Ehrenvorsitzende der Stiftung zur Förderung junger Talente! Talente! Und sie, Patrick, sie wissen, dass es ihnen erheblich an Talent mangelt!"

„Aber meine Werke verkaufen sich hervorragend, Herr Weißenfels, es hatte sich zufällig ergeben, dass Johanna die Vermarktung so erfolgreich tätigt," hörte sie Patrick antworten, „und ich wäre nie auf ihren absurden Vorschlag eingegangen, ihre Tochter gegen Bezahlung zu beglücken, wie sie es nennen, wenn da nicht diese Sache gewe..."

„Gut, dass sie das nicht vergessen haben, junger Mann!", sie hörte, wie ihr Vater in der Halle hin und her ging, „aber das hat man davon, wenn man einem armen, und zudem talentlosen Bettelstudenten einen gutdotierten Job vermittelt! Sie können froh sein, dass ich es war, der sie damals beim Griff in die Portokasse unserer Stiftung erwischt hat! Ist mir ihre Frau Mutter doch noch in all zu guter Erinnerung als beste Freundin meiner seligen Frau! Einen kriminellen Sohn hätte ihre Frau Mutter nicht verdient! Talentlosigkeit alleine reicht schon aus zum Gram ihrer verehrten Frau Mutter! Aber das wissen sie selbst. Ich wiederhole mich hier unnötig, das kostet nur meine wertvolle Zeit!"

„Meine Mutter freut sich nun sehr über den Erfolg meiner Malerei!" Patrick schrie so laut, dass seine Worte echoartig von den Wänden nieder schlugen.

Dröhnend folgte das laute Lachen ihres Vaters: „Und wer sind ihre Käufer? Kennen sie die?"

Schweigen.

„Johanna hatte sich immer alleine um alles gekümmert. Sie ließ meine Werke an die Galerie liefern, und ich bekam von ihr Bescheid, wenn wieder ein Bild verkauft war. `Yuppies´ sagte Johanna, seien die Käufer, gut verdienende Jungunternehmer, die aber anonym bleiben wollten. Leute, die nicht so sehr den Kontakt zum Maler schätzen, aber viel mehr hoffen, dass die Bilder an Wert gewännen, so wie man halt auch ´ne preiswerte Aktie kaufen würde. Kunst als Geldanlage, Herr Weißenfels, Kunst ist doch heutzutage eine Geldan..., oder, ich meine ...," stotterte Patrick immer leiser werdend.

Wieder das polternde Lachen des Vaters.

„Na, dann kommen sie mal mit, junger Mann, wir beide haben ja noch gar nicht auf ihren Erfolg angestoßen, schade, dass Johanna noch nicht da ist. Ihre Bilder und eine Geldanlage!" Herr Weißenfels lachte noch lauter, „da können die Käufer ihr Kapital ja eher beim Trabrennen einsetzen, da ist die Chance eines Gewinnes realistischer!"

Patrick räusperte ein paar mal hinter einander.

Sie müsste ihnen entgegen gehen, bevor Vater sie und Margret hier sah.

Vater, der Kinderschänder – Vater, der Talentförderer.

Vater, der Erpresser – Vater, der Wohltäter.

Und sie? Seine Tochter war sie.

Johanna gab Margret einen leichten Kuss auf die Wange: "Kleine, was wird die rote Kassette noch hervorbringen?", flüsterte sie und wischte sich die Tränen aus den Augen, als sie sich aufrichtete und in die Halle hinaus schritt.

Überrascht schauten die Männer in ihre Richtung. Margrets Handtasche lag noch in der hinteren Ecke der Halle auf dem Boden, langsam hob sie diese auf und nahm den Schlüssel heraus.

„Hanna! Du bist ja schon da! Warst wohl im Park? Schau mal, wen ich dir mit gebracht habe!"

Ihr Vater hatte sich erstaunlich schnell gefasst, ob ihres überraschenden Erscheinens. Patrick stand blass und stumm neben ihm.

„Patrick kann mit kommen in Dein Arbeitszimmer, Vater, zwar gehört das bestimmt nicht zu euren Vertragsbedingungen, aber," sie schritt voraus zur Treppe, „diesen Vertragsbruch der Indiskretion gestatten wir uns heute, ja?", sie drehte sich auf der dritten Stufe um, „und außerdem kann es sein, dass ich einen Zeugen brauche. Patrick, das ist okay so für dich? Oder muss ich dir Geld bieten, damit du mein Zeuge wirst?"

„Hanna, zuerst war es das Geld, aber dann... ,"

Sie hörte gar nicht hin, was er da an Liebesbeteuerungen sagte.

+ + +



Schwerfällig ließ Herr Weißenfels sich auf seinem Arbeitssessel nieder, als Johanna die rote Kassette aus der Lade holte.

„Von wem hast du den Schlüssel?", fragte er tonlos.

Sie schloss auf.

Belege.

`Ich, Patrick Sonneck, gestehe, am 20.02.1998 im Rahmen meiner Aushilfstätigkeit bei der Stiftung zur Förderung junger Kunsttalente, DM 5000, -- widerrechtlich entwendet zu haben.´

`Zwischen Herrn Patrick Sonneck und Herrn Wilhelm Weißenfels wird folgender Vertrag geschlossen: Herr Sonneck verpflichtet sich, ab dem 01.03.1998 als Gesellschafter für meine Tochter Johanna tätig zu sein..., auf unbefristete Zeit..., die Vergütung wird in einer monatlichen Pauschale über DM 3000,-- ..., zahlbar am... des Monats... ´

„Hanna, ich hatte dich lieb gewonnen. Okay, zuerst, ich meine, da warst du nicht mein Typ, aber dann, und ich hatte mich in dich ver... ," Johanna drehte sich herum und gab Patrick eine schallende Ohrfeige. Er stützte sich mit beiden Händen auf dem Schreibtisch ab und senkte den Kopf.

`Sehr geehrter Herr Weißenfels, wir freuen uns, Sie in Zukunft als Ehrenvorsitzenden und Mäzen unserer Stiftung zur Förderung junger Künstler auf das Herzlichste begrüßen zu dürfen.

Wir haben in ihnen einen Architekten gefunden, welcher mit der Planung des hiesigen Museums uns ein modernes Bauwerk gestaltet hat, als würdigen Rahmen unserer Ausstellungen und gleichzeitig aber auch eine Begegnungsstätte zwischen Förderern und jungen Künstlern und Künstlerinnen.

Gerne werden wir ihre hohe Baukunst an entsprechender Stelle weiter empfehlen.

Hochachtungsvoll, mit den besten Wünschen für eine fruchtbare Zusammenarbeit, ...

Stadtbaurat Johannes Röder, Mitglied der o.g. Stiftung und Teilhaber der Bauunternehmung `T&H AG´

Johanna klappte die Kassette zu. Das reichte fürs erste.

„Hanna, Kind," ihr Vater wollte aufstehen. Sie drückte ihn zurück in den Sessel.

„Und die armen, unterbezahlten Beamten im Bauamt, liebster Vater, wie viel habt ihr denen gezahlt, damit die Ausschreibung für den Museumsbau zu euren Gunsten entschieden wurde?"

„Du weißt," Herr Weißenfels hüstelte, „dass Deine Schwester mich eine ganz schöne Stange Geld gekostet hat in all den Jahren. Ich war auf jeden Auftrag angewiesen. Eine Hand wäscht die andere, so ist das nun mal. Oder willst du mir erzählen, dass der Erfolg Deiner Werbeagentur einzig und allein auf Ehrlichkeit beruht?"

Sie stellte die Kassette in die Lade zurück und schloss ab.

„Meine Agentur lebt von Kontakten, Vater, von Kontakten, die ich mir in den Jahren mühsam aufgebaut habe. Ich habe weder meine Auftraggeber bestochen, noch musste ich sie erpressen, oder sonst was an sie zahlen, damit sie mir einen Auftrag erteilten. Meine, und die Fähigkeiten meiner Leute sind entscheidend für den Erfolg", sie setzte sich auf das Sofa im Arbeitszimmer und lachte plötzlich für die beiden Männer sehr unverständlich.

„Johannes Röder!", prustete sie laut, „der war doch mal ein paar Monate mit Marga liiert! Hast du den etwa auch bezahlt, damit `unsere´ Marga glücklich wird?"

Unruhig rutschte Herr Weißenfels auf seinem Sessel hin und her.

Johanna ging zum Fenster und sah hinaus in den Park, ganz hinten, hinter den Strauchrosen stand der alte Geräteschuppen.

„Du hast dich jahrelang an Margret vergriffen, du Schwein."

Sie drehte sich herum.

Ihr Vater sprang aus dem Sessel hoch und funkelte sie wütend an: „Hat sie dir das in ihrem besoffenen Kopf erzählt? Das ist der Dank für all das, was ich für sie getan habe! Patrick, hören sie sich diese Verleumdungen aus dem Mund des eigen Fleisch und Blutes an! Schämen muss ich mich für meine Töchter! Schämen!"

Aber Johanna sah nun deutlich dieses Bild vor sich. Wie die Schwester aus dem Geräteschuppen gestürmt war und geschrieen hatte: „Papa! Lass mich in Ruhe! Lass mich in Ruhe!" Und der Vater war ihr hastig hinter her gelaufen und hatte gerufen: „Nun sei endlich still und schrei hier nicht so rum, es ist doch nichts Besonderes, wenn Papa nur lieb mit dir schmusen will!"

Patrick stand noch immer gebeugt vor dem Schreibtisch.

Johanna zog ihren Schlüsselbund aus der Rocktasche und löste den alten, verrosteten Schlüssel, hielt ihn Patrick zum Nehmen hin.

„Das ist der Schlüssel vom alten Geräteschuppen hinter der Rosenhecke. Ich habe dort für dich einige Überraschungen eingelagert."

Er hob langsam den Kopf und wischte sich mit den Handrücken die Tränen aus den Augen.

„Hanna." Er wollte ihr über die Wange streicheln, sie wehrte kraftvoll seine Hand ab.

„Hier!", schrie sie ihn an, „sieh zu, dass du den Krempel aus dem Schuppen holst. Aber flott! Sonst ...," sie hielt ihm die rechte Faust vor die Nase. Er nahm ihr vorsichtig den Schlüssel aus der linken Hand und verließ schnell den Raum.

„Du schmieriger Pinselakrobat!", schrie sie ihm schrill hinter her.

„Was ist denn im Geräteschuppen?", fragte Herr Weißenfels und wischte sich den Schweiß mit einem Taschentuch von der Stirn.

Johanna kickte die silberne Schreibtisch-Garnitur des Vaters schnipsend mit den Fingern zur Seite.

„Nun, Vater, ich denke, zunächst ist da unten im Geräteschuppen eine kleine Margret, die deine Art der Schmusereien so gar nicht wollte, stimmt `s? Aber das hast du nicht respektiert, du mieses Schwein! Genügte dir Mutter nicht? Oder hattest du schon immer einen Hang zu kleinen Mädchen? Warum gibst du es nicht zu? Du hättest es zugeben müssen, Vater, dann wären dir doch die hohen Kosten für Margrets Entzugstherapien erspart geblieben! Aber das war ja nicht möglich, nicht wahr? Der Skandal! Dein Ansehen! Der berühmte Architekt mit seinen noch viel berühmteren Ehrenämtern!"

Sie spielte mit dem scharfen Brieföffner, ließ ihn von einer Hand in die andere gleiten.

Herr Weißenfels beobachtete voller Anspannung ihr Spiel.

Johanna hielt den Brieföffner mit der Spitze auf seinen Schoß gerichtet, beugte sich vor und starrte dem Vater in die Augen, als sie zischte: „Soll ich zustechen?" Sie drückte das Utensil auf den Reißverschluss seiner Hose, führte den Öffner den Reißverschluss entlang hinunter zwischen seine Beine und erhöhte den Druck.

„Du bist verrückt," keuchte Herr Weißenfels.

„Ich bin deine Tochter," raunte sie fast lautlos und bohrte den Brieföffner noch tiefer zwischen seine Schenkel. Mit verzerrtem Gesicht lehnte sich der Vater nach hinten.

Da stürzte Patrick in den Raum: „Ich habe einen Krankenwagen angerufen! Ich hörte ein Wimmern und Stöhnen aus der Bar! Margret ist verletzt, war wohl gestürzt!"

„Sie lebt?!" ,stieß Johanna überrascht aus, „mein Gott, sie lebt!", ließ den Brieföffner achtlos fallen und rannte die Treppe hinab.

+ + +



Johanna saß in ihrem Büro und trank mit Margret Kaffee.

„Na, meine Kleine," sie lächelte die Schwester an, „bis jetzt hast du dich doch hier prima eingearbeitet, lass uns darauf mit den Kaffeetassen anstoßen!"

„Johanna," Margret biss in einen Keks, „stimmt es, dass im Schuppen alle Bilder von Patrick verstaut waren?"

„Ja," Johanna stand auf, „alle Bilder, die er glaubte, so erfolgreich verkauft zu haben. Es gab nur eine Käuferin, und das war ich. Der Erfolg tat ihm so gut, er war so glücklich."

Johanna schaute aus dem Fenster des Hochhauses.

„Hat Vater sich bei dir mal gemeldet?" ,hauchte Margret.

„Ach, Schwesterlein," Johanna beobachtete eine Spinne in der Ecke des Fensterrahmens, wie sie ihr filigranes Kunstwerk vollendete, „der knüpft sicherlich in Mexiko schon wieder Geschäftskontakte und bleibt hoffentlich bis an sein Lebensende dort. Mit Patricks Mutter an seiner Seite hat er ja sogar was für ´s Herz, oder?!"

Sie drehte sich um, weil gerade ein Insekt in das Spinnen-Netz geflogen war.

Margret ging auf die Schwester zu und umarmte sie: „Hanna, einige Papiere hatte ich vorher aus der roten Kassette entfernt."

„Und?", sie schaute in die tiefgrünen Augen Margrets.

Diese Augen! Dieser Blick! Ihr stockte der Atem.

„Unser Vater wurde auf Patricks Geburtsurkunde per Randvermerk als sein leiblicher Vater eingetragen," sie strich Johanna über das struppige Kurzhaar, „ich fand auch Belege über monatliche Alimentezahlungen für all die Jahre."

Johanna senkte ihren Kopf auf die Schulter der Schwester und weinte gequält.

„Der Mistkerl hatte mich an unseren Halbbruder verkauft."

„Wenn es dich tröstet, Hanna," flüsterte Margret, „Patrick weiß nichts davon."

„Frau Weißenfels," ,die Stimme der Sekretärin durch die Sprechanlage, „Herr Röder ist inzwischen eingetroffen, soll ich ihn hinein bitten?"

„Was hat denn Johannes hier zu suchen?" Margret wandte sich zum Gehen.

Die Schwester hielt sie am Arm fest: „Bleib, es geht um einen Auftrag."

Margret setzte sich: „Was für einen Auftrag? Du machst mit dem Geschäfte?" Verständnislos schüttelte sie den Kopf.

Johanna drückte den Knopf der Anlage: „Herr Röder möchte sich bitte noch einen Moment gedulden, danke."

Sie schloss den Safe auf und hielt Margret einen prall gefüllten Aktenordner hin. Verständnislos drehte diese ihn hin und her, wie einen lästigen Gegenstand.

„Und was soll ich damit?"

Johanna zündete sich eine Zigarette an, inhalierte tief: „Du sollst gar nichts damit. Patrick hat mir diese Unterlagen zukommen lassen," sie lächelte bitter, „der junge Mann hat wohl ein sehr schlechtes Gewissen. Nun!", sie stand auf und beobachtete, wie in der Fensterecke die Spinne das Insekt vertilgte, „dieser Herr Johannes Röder wird uns zunächst für die nächsten fünf Jahre die Vermarktung der Events übertragen, welche so zahlreich im Museum statt finden, meine Kleine!"

Margrets Kinn klappte nach unten.

Johanna fühlte sich in dem Moment eben so gut, wie die Spinne, die sich mit dem Insekt beschäftigte: „Was sind schon hoch dotierte Aufträge an uns, gegen einen Herrn Röder, den ich mitsamt des Bauamtes hoch gehen lassen könnte," triumphierte sie und wischte den Staub mit der flachen Hand von der Fensterbank.

„Außerdem bekommt Patrick stets ausreichend Ausstellungsfläche im Museum."

„Was?", Margret rutschte der Aktenordner vom Schoß, „dieser Heuchler?"

Johanna tätschelte die Wange ihrer Schwester: „Beruf ist Beruf, und Schnaps ist Schnaps, meine Kleine, vielleicht ist unser Halbbruder ja doch ein verkanntes Talent?"

Blitzschnell erhob Margret sich und eilte zur Tür.

„Marga! Was ist denn los? Wo willst du hin?", rief sie der Schwester hinter her.

„Du findest mich in der nächsten Kneipe, Johanna, du Große!", schrie Margret, als sie an der Sekretärin vorbei hastete, „bist halt durch und durch die Tochter deines Vaters!"

„Frau Weißenfels!" ,Herr Röder stand abrupt vom Besucherstuhl auf und hielt Johanna die Hand zum Gruße hin, „wie recht doch die verehrte Margret hat, ich freue mich auf eine eben so gute Zusammenarbeit, wie seinerzeit mit ihrem gnädigsten Herrn Vater, der ... „



Anne Zeisig, September 2002,

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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