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September 2002
Die Perlenkette
von Ingeborg Restat


Was für ein Tag! Die Natur in Aufbruchstimmung mit Sonnenschein und Frühlingsluft. Vögel zwitscherten voller Lebensdrang in den grünenden Büschen eines parkähnlichen Gartens. Er war nur so breit, wie Platz zwischen einem Altbau und einem modernen Neubau war.

Grau und gebeugt stand Dorothea am Fenster ihres kleinen Zimmers im Erdgeschoss des Altbaus und sah hinaus. Das war es also! Hier sollte sie für den Rest ihres Lebens zu Hause sein, in einem Altersheim mit angeschlossenem Pflegeheim.

Sie schaute sehnsüchtig hoch zu dem Neubau. Wenn sie wenigstens dort ein Zimmer bekommen hätte, dann wäre ihr der Schritt aus ihrer Wohnung ins Heim sicher nicht so schwer gefallen. Aber die Warteliste für ein Zimmer im modernen Neubau war lang. Doch ihr Arzt war der Meinung gewesen, sie könne so lange nicht mehr allein leben, bis da ein Zimmer frei sei. Auch ihre Schwester hatte ihr zugeredet; und Melanie, ihre Nichte, sowie Udo, deren Mann, fanden es nur vernünftig, dass sie ihre Wohnung aufgab, noch zumal sie keine Kinder hatte. "Wir helfen dir", hatten sie sich sogleich angeboten. So zog sie heute in dieses kleine Zimmer im Altbau.

Aber da drüben in dem Neubau gab es Balkone voller Sonnenschein. Ob die Sonne überhaupt bis zu ihr hier herunterkommen konnte? Sie zweifelte daran. Zu hoch wurde der Altbau von dem Neubau überragt, so hoch, dass sie sich aus dem Fenster vorneigen musste, wenn sie ein Stück vom Himmel sehen wollte.

Kein Rufen und kein fröhliches Lachen drang zu ihr, so, wie sie es daheim von der belebten Straße her bis zu ihrer Wohnung hoch hören konnte. Ruhe war hier, nur Ruhe. Wenige alte Menschen saßen auf den Bänken an den Wegen des Gartens. An ihnen vorbei wurde von einem Pfleger ein Rollstuhl geschoben. Ein Mann saß darin, in sich zusammengesunken. Die Alten sahen kaum zu ihm hin und er kaum zu ihnen. Was konnte sie noch interessieren? Ob der Mann überhaupt das aufbrechende Grün der Büsche wahrnahm oder die aus der Erde sprießenden Frühlingsblumen? Er sah wohl alles nicht mehr. Endzeit des Lebens! Das würde sie jetzt immer vor Augen haben.

Krachend flog die Zimmertür hinter ihr auf; sie fuhr zusammen. Melanie und Udo trugen die letzten Umzugskisten herein.

„Pass doch auf!", rief Melanie noch. Aber Udos Händen entglitt eine Kiste und stürzte polternd zu Boden. Neben Fotoalben fiel eine Schmuckschatulle heraus und sprang auf. Ringe kullerten herum, Armbänder und Ketten lagen an der Erde.

„Oh, deine Kostbarkeiten!", rief Udo mit ironischen Unterton.

„Was bist du ungeschickt!", warf Melanie ihm vor, bückte sich und begann alles wieder einzusammeln.

„Es ist hier aber auch eng", verteidigte er sich und bückte sich ebenfalls nach dem Schmuck.

Dorothea drehte sich um. „Ist doch nicht so schlimm. Kostbar ist alles nur für mich. Echtes ist nicht dabei", beschwichtigte sie.

Fast alles hatten sie schon eingesammelt, da hielt Udo inne und griff nach einer Perlenkette, dreireihig mit einem Verschluss, so groß wie eine kleine Brosche, besetzt mit einem größeren und vielen kleinen Steinen. Er war im Großhandel von Gold- und Schmuckwaren tätig. Prüfend ließ er die Perlen durch seine Finger gleiten.

„Stimmt mit der Kette etwas nicht? Ist sie vielleicht echt?", fragte Dora.

„Nein, nein!", beeilte sich Udo zu versichern. „Ich dachte nur gerade, sie würde gut bei Melanie aussehen."

„O ja, sie ist wunderschön!", rief Melanie sofort und sah mit blanken Augen auf die Kette in seiner Hand.

„Wozu brauchst du sie noch, Dora? Willst du sie ihr nicht schenken? Ich würde mich sehr darüber freuen."

Irrte sie sich, oder sah er begehrlich auf diese Kette, die doch nur eine alte wertlose Imitation sein sollte. Stimmte das etwa nicht? Seltsam war schon, dass die Perlen nie ihren Glanz verloren. Aber warum hätte Luise, ihre Freundin, sie belügen, ein Schmuckstück, dass sie besaß, wertlos erscheinen lassen sollen. Sicher, da waren ihre neidvollen Verwandten, bei denen sie nie hatte als wohlhabend gelten wollen. Aber ihr gegenüber als Freundin ...? Nein, es war sicher nur eine letzte freundschaftliche Geste von ihr gewesen, dass sie ihr nach ihrem Tod vor kurzem diese Perlen hinterließ, weil sie eben diese Kette immer bewundert hatte. Wenn das ein wertvoller Schmuck wäre, dann hätte sie es spätestens da erfahren. Und außerdem, Udo hat es ja auch bestätigt. So überlegte Dora. Fast war sie schon versucht, die Kette Udo zu geben, denn wozu brauchte sie als alte Frau noch so etwas? Weder die Falten im Gesicht noch am Hals würden dadurch unsichtbar, und wem könnte sie damit imponieren? Aber dann zögerte sie doch.

Udo sah sie noch erwartungsvoll an.

„Es ist das letzte Andenken an meine Freundin. Daran hänge ich noch ein bisschen. Es tut mir Leid! Sonst kannst du dir aussuchen, was du willst, aber nicht diese Kette. Es sollen doch auch nur gut nachgemachte Wachsperlen sein", erklärte sie ihm.

„Ich dachte ja nur. Natürlich, es ist deine Sache!", erwiderte er kurz. War er beleidigt? Er drängte zum Aufbruch.

Nachdenklich sah Dorothea den beiden nach, als sie durch den langen Flur mit den vielen Türen zum Ausgang des Heimes gingen. War es falsch, dass sie ihnen die Kette nicht gegeben hatte? Sie waren doch die Einzigen, die sich noch um sie kümmerten. Mit ihnen wollte sie es sich nicht verderben. Grübelnd nahm sie die Kette in die Hand. Aber warum? Sie mochte diese Perlen noch genau so, wie sie diese bei Luise immer schön gefunden hatte, obgleich sie keinen Wert besaßen. Jetzt sollte sie diese auch einmal tragen. Gleich legte sie sich die Perlen um, ehe sie das erste Mal zum gemeinsamen Essen in den Esssaal des Heimes ging.

Was war plötzlich nur Besonderes an der Perlenkette? Ihr entging nicht, dass an ihrem Tisch eine Frau, die sich als Frau Bertram vorgestellt hatte, kaum die Augen von den Perlen wenden konnte. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie glatt denken, sie seien doch wertvoll. Aber die beiden anderen, die noch mit am Tisch saßen, nahmen keine Notiz davon. Sie waren wohl auch schon viel älter als Dora und sahen gleichgültig mit leeren Augen um sich. Nur Frau Bertrams dunklen Augen, wie versteckt hinter leicht getönten Brillengläsern, entging nichts, eben auch diese Kette nicht. Schlangengleich waren die Bewegungen ihres hageren Körpers, wenn sie sich Dora zuneigte, um ihr damit Vertraulichkeit zu vermitteln. Angenehm war das Dora nicht, doch niemand sonst kam auf sie so zu wie diese Frau. Entweder waren die andern mit sich selbst beschäftigt oder schon jemand freundschaftlich verbunden. So erwiderte Dora dankbar das Lächeln der Frau Bertram, die sie neugierig aus faltigem Gesicht, umgeben von rot gefärbten Haaren, musterte. Wenn nur dieser stechende Blick nicht wäre, der, wie verlangend, immer wieder an ihrer Perlenkette hängen blieb.

Diese Frau musste eine übertriebene Vorliebe für Schmuck haben. In den nächsten Tagen fiel Dora auf, nie erschien sie im Esssaal ohne einen Ring, ohne etwas, das an ihr glänzte, klapperte oder klimperte.

Dora legte ihre falschen Perlen bald in die Schmuckschatulle zurück, nachdem ihr eine Heiminsassin zugeflüstert hatte, sie solle aufpassen, die Frau Bertram hätte schon so mancher Frau hier ein wertvolles Schmuckstück abgeschwatzt. „Was will die bloß mit all dem Zeug. Das letzte Hemd hat doch keine Taschen. Mitnehmen können wir alle nichts", hatte sie noch hinzugefügt.

Die glaubte doch nicht etwa, das seien echte Perlen, überlegte Dora. Nein, das war zu albern, sie wusste doch genau, dass es ein schönes aber wertloses Schmuckstück war. Doch wenn die andern meinten, das wäre kostbar -, warum sollte sie ihnen eigentlich widersprechen? Sie begann neugierig darauf zu werden, ob und wie Frau Bertram es wohl anstellen würde, in den Besitz der Kette zu kommen. Sollte auch sie glauben, die Perlen seien wertvoll?

Auffällig war schon, wo sie auch hinging, da tauchte Frau Bertram auf. Das war ihr nicht immer lieb, aber egal, ehe sie hier allein umherging, war es besser, ihr zu begegnen und auch einmal einen gemeinsamen Weg mit ihr zu gehen. Sie hatte ja nichts zu verlieren.

Sonst konnte Dora sich in das Heim nur schwer eingewöhnen. Immer wieder sah sie sehnsüchtig zu dem Neubau hoch und wünschte sich, dort ein Zimmer zu haben. Dann wäre sicher alles nicht so schwer, glaubte sie. Aber sie hatte es nicht, Frau Bertram hatte eins, oben in dem Neubau unterm Dach.

Als Frau Bertram sie zum erstem Mal zu sich nach oben bat und Dora es sah, da wuchs ihr Wunsch nach so einem Zimmer ins Unermessliche. Wie viel größer hier alles war! Und als sie auf dem Balkon in der Sonne stand: Wie weit sie über das Dach des Altbaus hinwegsehen konnte! Sie fühlte sich Himmel und Wolken so nah. Ja, so ein Zimmer wünschte sie sich. Das wäre schön! Und dann betonte Frau Bertram auch noch, wie wunderbar ruhig es hier oben sei, dass es nur nette Mitbewohner gäbe.

Aber vorläufig musste es ein Wunsch bleiben. Es würde lang dauern, bis sie ein Neubauzimmer zugeteilt bekäme. Dabei sehnte sie sich so sehr nach einem Platz, wo sie sich für den Rest ihres Lebens wenigstens wohler fühlen könnte als in dem kleinen Zimmer im Altbau, ohne Sonne, dunkel und eng. So geborgen wie in ihrer Wohnung, in der sie fünfzig Jahre ihres Lebens verbracht hatte, würde sie sich ohnehin nirgendwo mehr fühlen können.

Die Sehnsucht nach ihrem alten Zuhause wollte nicht vergehen. Aber das gab es nicht mehr. Es tat ihr weh, an all das zu denken, was sie zurücklassen musste, was ihr teuer und wichtig gewesen war. Inzwischen war es sicher schon aus der Wohnung ausgeräumt worden, von fremden Händen lieblos auseinander gerissen, als wäre es nie etwas wert gewesen. Vieles davon war bestimmt auf den Müll gekommen und einiges vielleicht in einen Trödelladen. Nun gab es kein Stück mehr in dieser Wohnung, das von ihrem Leben erzählen könnte. Aus, Schluss! Vorbei! Als hätte es sie dort nie gegeben. Und hier? Was sollte sie hier noch? Auf einem ungeliebten Platz nur noch ausharren, bis alles vorbei war? Ehe für sie ein Zimmer in dem Neubau frei wäre, konnte es schon längst zu spät sein.

Sie schlief schlecht, sie konnte sich an die fremden Geräusche in der Nacht nicht gewöhnen, an die schlurfenden Schritte auf dem Gang vor ihrer Tür. Der Mittagssaal, nur gefüllt mit alten, mehr oder weniger gebrechlichen Menschen, bedrückte sie und nahm ihr den Appetit.

Aber eines Tages erschien es ihr gar nicht mehr so aussichtslos, auf ein Zimmer im Neubau zu hoffen. Es war Pfingsten; das Heim veranstaltete ein geselliges Beisammensein mit Darbietungen bei Kaffee und Kuchen. Dazu nahm sie wieder ihre Perlenkette aus der Schatulle und legte sie sich um.

Gleich als sie Frau Bertram begegnete, sah sie deren Augen aufleuchten. Es war ihr schon unheimlich, wie diese Frau unermüdlich auf sie einredete und währenddessen nur begehrlich auf die Perlen starrte. Plötzlich, wie nebenbei und ohne Zusammenhang, erzählte sie ihr, ihr werde immer schwindlig, wenn sie von ihrem Balkon hinuntersehe, sie könne ihn gar nicht betreten, der wäre für sie eigentlich nichts wert, sie würde viel lieber näher am Garten ein Zimmer haben.

Da horchte Dora auf. „Mir würde es nichts ausmachen. Ich wäre gerne nach oben gezogen. Warum ziehen Sie nicht herunter in den Altbau?", fragte sie hastig.

Lauernd sah Frau Bertram sie an. Ein frohlockendes Lächeln verzog ihre schmalen Lippen und ihr Blick glitt nun fast gierig über die Perlenkette hin. „Trotzdem, so leicht gibt man ein Zimmer im Neubau nicht auf", wehrte sie aber noch ab.

Da kam Dora zum ersten Mal der Gedanke, ihr ihre Kette anzubieten. Vielleicht wäre sie dann bereit, das Zimmer mit ihr zu tauschen, denn noch näher konnte sie ja gar nicht an den Garten herankommen. Aber konnte sie das machen? Vielleicht hielt sie wirklich die Perlen für wertvoll. Würde sie damit Frau Bertram nicht betrügen? Doch wenn sie nicht danach fragte, warum musste sie es ihr dann sagen? Dora war ganz aufgeregt, sie schwankte hin und her. Aber sie wollte so gerne aus diesem dunklen Zimmer heraus. Also warum sollte sie nicht versuchen, es auf diese Weise zu erreichen.

Doch dann dachte sie auch an Melanie und Udo und bekam ein schlechtes Gewissen, denn die beiden waren ja auch an der Kette interessiert. Was würden sie sagen, wenn sie die Perlen, die sie ihnen verwehrt hatte, einer fremden Frau gab?

Aber wo blieben Udo und Melanie überhaupt. Seit sie ins Heim gegangen war, waren die beiden noch nicht einmal bei ihr gewesen. Wahrscheinlich dachten sie, sie sei ja nun versorgt und sie müssten ihr nicht mehr helfen. So ist das eben: Aus den Augen aus dem Sinn!

Warum also sollte sie darauf verzichten, aus dem wenigen, was ihr noch verblieben war, einen Vorteil zu ziehen, wenn es sich so ergab? Außerdem ging es ja um nichts Wertvolles, ein paar Perlen und bunte Steine. Wenn Frau Bertram dafür ihr Zimmer hergab, so wäre es ihr Pech, wenn sie darin eine Kostbarkeit vermuten sollte. Ja, das redete Dora sich ein. Fast Schadenfreude empfand sie sogar dabei, diese Frau täuschen zu können, wenn sie sich dazu bewegen ließ, das Zimmer mit ihr zu tauschen.

Lange überlegte sie nicht mehr, schon bald, nervös vor Aufregung, bot sie ihr ihre Perlenkette an, wenn, ja, wenn ...

Frau Bertram tat überrascht. Aber nach kurzem, sicher vorgetäuschtem Zögern, stimmte sie tatsächlich zu. Gierig griff sie nach der Perlenkette, als Dora sie ihr reichte. Seltsam fand Dora nur, dass die Heimleiterin sie und nicht Frau Bertram vorher gefragt hatte, ob sie sich den Zimmerwechsel auch gut überlegt habe. Aber froh darüber, dass sie ein Zimmer im Neubau bekommen konnte, verdrängte sie es.

Erst als sie die ersten Tage oben in dem Zimmer war, bekam sie mit, wie unruhig es hier war. Ständig summte der Fahrstuhl nebenan, an dem ihr Zimmer lag. Warum hatte sie das nur nicht bemerkt, als sie hier zum ersten Mal gewesen war? Nachts hörte sie auch Schreie von der Frau nebenan, die geistig schon etwas verwirrt von Alpträumen geplagt wurde. Manchmal klopfte sie auch an ihre Wand und einmal stand sie nachts bei ihr sogar im Zimmer, regte sich auf, behauptete Dora liege in ihrem Bett und forderte von ihr, sie solle aufstehen und sofort das Zimmer verlassen. Erst als Dora eine Pflegerin zu Hilfe rief, konnte diese sie beruhigen und in ihr Zimmer zurückführen. „Eigentlich ist sie friedlich, nur wenn sie sich aufregt, dreht sie durch. Man muss sie in Ruhe lassen, dann ist es gut. Aber Frau Bertram hat das nie verstanden", erklärte ihr die Pflegerin.

Dora lag danach noch lange wach. Das also war der Grund, warum Frau Bertram ihr Neubauzimmer so leicht aufgegeben hatte. Dass ihr schwindlig werde, war wahrscheinlich eine Lüge gewesen. Es war ihr gelungen, dieses ungeliebte Zimmer loszuwerden und zugleich die Perlenkette zu bekommen. Dora durfte sich nicht einmal darüber beklagen. Hatte sie es mit ihrem unbändigen Wunsch nach einem Zimmer im Neubau nicht erst möglich gemacht? Das auszunutzen war für Frau Bertram doch leicht gewesen, da musste sie sich gar keinen Trick mehr einfallen lassen, um an die Perlenkette zu kommen.

Jetzt war Dora froh, ihr vorher nicht gesagt zu haben, wie wertlos die Kette sei. So war sie nicht nur die Dumme bei dem Handel, sondern hatte es geschafft, auch Frau Bertram zu überlisten. Das war doch nur gerecht, redete sie sich ein. Ihr war zum Lachen, wenn sie mitbekam, wie Frau Bertram ihre Perlen trug und jedem versicherte, wie kostbar sie seien. Da kränkte sie nicht einmal dieser oder jener mitleidige Blick einer Heiminsassin, der sie traf.

Sie hat es nicht anders gewollt, beruhigte Dora ihr Gewissen. Zu gerne hätte sie ihr trotzdem triumphierend die Wahrheit über die Perlen gesagt, aber sie hatte kaum noch Gelegenheit dazu. Denn nun ließ sich Frau Bertram an einen anderen Tisch setzen und ging ihr aus dem Weg, wo sie nur konnte.

Auch wenn es hier oben nicht so war, wie Dora es sich erhofft hatte, den schlechteren Tausch hatte Frau Bertram allemal gemacht, meinte sie frohlockend. Für eine gut gemachte Imitation saß sie nun da unten in dem unfreundlichen Zimmer des Altbaus.

Dora bedauerte es nicht, dass Frau Bertram ihr aus dem Weg ging. Sie sah, dass sie sich immer Frauen anschloss, die auffälligen Schmuck trugen. Das kümmerte sie bald nicht mehr. Sie lernte mit der sonst friedlichen, geistig leicht verwirrten Frau umzugehen und hörte das Summen des Fahrstuhls kaum noch. Sie versuchte nur die guten Seiten ihres schönen Neubauzimmers zu sehen, den Balkon und die Aussicht zu genießen. Alles ist Gewohnheit und alles Gute ist sowieso nie beisammen, tröstete sie sich.

Nur dass Melanie und Udo nicht kamen, bedrückte sie. Aber andererseits, was sollte sie ihnen sagen, wenn sie nach der Perlenkette fragten? Ob sie Verständnis dafür hätten, dass sie damit Frau Bertram bestochen hat, ihr das Zimmer zu geben? So ganz sicher war sie sich damit nicht. Aber es ging ja um nichts Wertvolles. Lachen müssten sie darüber, wie sie verstanden hatte, Frau Bertrams Gier nach Schmuck auszunutzen.

Jedoch als Melanie und Udo endlich kamen, lachten sie nicht. Ungläubig sahen sie Dora an.

„Wie kann man sich so übers Ohr hauen lassen!", regte sich Udo auf.

„Aber es war doch nur wertloses Zeug." Dora verstand es nicht.

„Wertlos? Das konntest auch nur du glauben. Ein Vermögen war allein der broscheähnliche Verschluss mit den Edelsteinen wert. Das war ein sehr kostbares Kollier. Und du gibst es so einfach weg!" Udo war wütend.

„Wie konntest du nur, Dora! Uns hast du die Perlenkette verwehrt. Geholfen haben wir dir, wo wir nur konnten. Und du? Verschenkst sie an eine fremde Frau, obgleich du genau wusstest, wie gern wir sie haben wollten." Melanie zeigte, wie enttäuscht sie war.

„Ihr habt es gewusst, wie wertvoll die Kette ist und habt es mir nicht gesagt? Warum?", fragte sie fassungslos. Was sollte sie darüber denken? Geschenkt hatten sie die Perlen von ihr haben wollen, ohne ihren Wert zu nennen.

Melanie und Udo drucksten herum und blieben die Antwort schuldig. Sie hatten sich verraten.

Dora wollte es nicht glauben, sie sah die beiden fragend an. Aber sie wichen nur ihrem Blick aus.

„Auch ihr wolltet meine Dummheit und Unwissenheit ausnutzen, um euch zu bereichern", stellte sie tief betroffen fest. „Die Kette ist nun verloren. Aber ich glaube, ich habe mehr verloren als eine wertvolle Perlenkette."

Traurig winkte sie den beiden hinterher, als sie eilig, verärgert und doch sichtlich beschämt von ihr gingen. Wann würden sie wohl wiederkommen?

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