Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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September 2002
Ratenzahlung
von Angelika Walk


Ich werde Diana, die katholische Kirche, fünfzig Pfennigstücke und meinen großen Bruder nie vergessen. Das hört sich verrückt an und war es auch.

Diana war ein Jahr älter als ich. Fast 17 Jahre alt. Einen Kopf größer und das genaue Gegenteil von mir. Sie war blond, hatte einen Kurzhaarschnitt und war sehr dünn.

Sie hatte zwei Brüder und sorgte mehr recht als schlecht für sich und die beiden. Der Vater war Alkoholiker und irgendwie nur sporadisch anwesend, die Mutter den ganzen Tag berufstätig und die Kinder auf sich selbst gestellt. Ich kam aus einem sogenannten "gutem Elternhaus" Behütet und umsorgt und alles in geregelten Verhältnissen.

Es wundert mich heute nicht, dass mir Diana damals wie die personifizierte Versuchung erschien. Sie war ausgesprochen hübsch, hatte die nettesten Kerle, immer genug Geld in der Tasche und wenn sie von ihren Beziehungen anfing zu erzählen wurde ich jedesmal rot. Meine Erziehung hinsichtlich der Sexualität war da doch sehr verbissen und streng.

Es war eines dieser Wochenenden in Wanheim wo die Kirmes die Kinder verrückt machten und die Geldbeutel der Eltern strapazierte. Eines dieser Wochenenden die ich so hasste, weil es neben mir noch 6 Geschwister gab. Also auch kein Kirmesgeld. Und mein Kinderherz sich vor Sehnsucht nach diesem Rummel wandte.

"Hey Biggi", sprach mich Diana am Freitag auf dem Schulhof an. Wir hatten uns ein wenig angefreundet. Meine Mutter kannte sie inzwischen und hatte nichts gegen diese Freundschaft. "Willst'e mit auf die Kirmes kommen, morgen?"

"Kann nich", flüsterte ich beschämt. Sagte ihr aber nicht wieso.

"Doch kannste, ich nehm dich mit. Ich hab die Kohle, keine Angst. Ich weiß dat ihr nicht soviel Geld habt, bei der Rasselbande", lachte sie mich an.

"Ich muss aber erst meine Mam fragen", sagte ich, und sah ihr unsicher in die Augen.

"Mach dir mal keine Sorgen, die sagt schon nicht nein. Ich weiß das. Außerdem kennt sie mich ja schon und weiß mit wem du hingehst. Ich hol dich morgen so gegen zwei Uhr ab. O.K.?"

Ich strahlte sie an und rannte über den Schulhof in den Eingang. Es hatte längst geklingelt und ich verpasste sonst den Unterricht.



Am Samstag Nachmittag stand Diana vor der Türe und ihr großer Bruder fuhr uns bis zur katholischen Kirche. Wir stiegen aus. Ich lief aufgeregt neben Diana.

"Warte mal, ich muss ma eben noch was erledigen", rief sie mir zu und rannte in die Kirche.

Ich war noch nie in einer katholischen Kirche gewesen und lief hinterher. Fasziniert schaute ich mich um. Es gefiel mir was ich sah. Dann bemerkte ich Diana die im Mittelgang merkwürdige Verrenkungen machte. Ihr Rücken nahm mir die Sicht. Ich lief um sie herum und sah, dass sie ihren Arm in einer Säule getaucht hatte und dort offensichtlich etwas mit der Hand suchte.

"Was machst du denn da?" fragte ich sie verblüfft.

"Für unsere Kirmeskohle sorgen," lachte sie.

"Ähää?" entfuhr es mir nur.

"Das ist ein Opferstock oder so was. Ich glaub die Katholiken schimpfen das Ding so, weil sie hier Spenden für arme, hungrige und kranke Kinder rein werfen. Die legen das Geld in die kleinen braunen Tüten, siehst du da, die da liegen", ihr Finger zeigte zum Ausgangsportal. " So besorg ich mir immer mein Kirmesgeld", grinste sie. "Na und wir sind doch auch arm und haben nix, oder?"

Mir wurde schlecht. Ich hatte zwar nichts mit der Kirche am Hut, aber es schien mir doch falsch was sie da tat. Aber sagen wollte ich dann doch nichts. Sie fischte eine kleine braune Tüte hervor und machte Platz für mich.

"Willst‘e auch mal?"

"Nee, du, das kann ich nun wirklich nicht!", unsicher sah ich mich bei diesen Worten um, in der Angst, es könnte uns jemand erwischen. Ich starrte auf dieses schlanke etwas aus Metall und wäre am liebsten weggelaufen. In Gedanken sah ich schon den Holzkochlöffel auf mein Gesäß landen. Meine Eltern würden dies nie erfahren dürfen! Es gab für sie keine schlimmeren Sünden als das Lügen und Klauen.

"Macht nichts. Reicht für uns beide!" Bei diesen Worten fuchtelte sie mit einem hundert Markschein vor meiner Nase. Ich dachte, mein Herz zerreißt. Vor Angst, vor Aufregung und vor Gier auf dieses Geld.

"Komm, nu holen wir uns erst mal ne anständige Portion Pommes", mit diesen Worten zerrte sie an meinem Arm und zog mich mit. An der Pommesbude bestellte sie zwei Portionen Pommes mit Majo und reichte mir tatsächlich die Hälfte des Geldes. Ich nahm es entgegen und hätte es fast fallen lassen, als eine mir wohlbekannte Stimme hinter meinem Rücken sprach und ich dessen Atem deutlich über meine Haare streichen fühlte. Ich drehte mich nicht einmal um.

"Na Biggi, wo habt ihr den soviel Geld her?"

Mir blieb jedes Wort im Hals stecken. Und das Pommesstück in meinem Hals landete fast in meiner Luftröhre. Ich hustete fürchterlich.

Diana grinste nur.

"Von mir hat sie es, watt dagegen?" lachte sie frech meinen großen Bruder an.

"Na, das denk ich mir. Aber ich weiß wo ihr's her habt. Ich hab euch gesehen!"

"Na und", Diana zuckte nur die Schultern, aber lange nicht mehr so selbstbewußt wie zuvor.

Mein Bruder war 17, ich liebte ihn, aber ich hatte auch eine gehörige Portion Respekt vor ihm.

"Wollt auf die Kirmes, ich weiß. Passt auf, ich mach euch einen Vorschlag. Ihr gebt mir jeder einen Zehner und ich halte die Klappe. Einverstanden?" Wortlos, ohne ihn anzusehen reichte ich ihm das Geld. Auch Diana reichte ihm einen Schein. Nur wenige Minuten später hatte sie alles vergessen.

"Was soll’s. Sind immer noch 30 Eier für die Kirmes!"

Sie amüsierte sich köstlich.

Ich wurde immer mißgelaunter, gab ihr die restlichen 20 DM die ich noch hatte, nachdem ich merkte, das mir diese Kirmes keinen Spaß mehr machte und verabschiedete mich.

"Na mein Schatz! Schon wieder zurück. Das ging aber schnell", begrüßte meine Mutter ein stilles, nachdenkliches Kind.

"Was ist denn Schatz?", fragte sie beunruhigt.

"Hab mich mit Diana gezankt", und fing dann tatsächlich an zu weinen. Das war gelungen. Meine Mam würde nicht weiter fragen, das wusste ich.

"Ach Schatz! Ihr vertragt euch auch wieder", wollte sie mich trösten.

Ich ging auf mein Zimmer und ließ mich nicht mehr sehen.

In der Nacht hatte ich schlimme Träume. Von da an brachte ich jeden Sonntag nach dem Gottesdienst mein Taschengeld von 50 Pfennig in die Kirche. Ich schlich mich hinein, wenn die Besucher weg waren, legte das Geld in eine dafür vorgesehene Tüte, schlich zu diesem Opferstock, der mir immer wieder aufs neue einen Schock versetzte und schlich mich wieder hinaus. Immer in der Hoffnung nicht gesehen zu werden. Jeden Sonntag, solange bis ich die 50 DM wieder eingezahlt hatte. Ich bin sicher, der Pfarrer hat sich über dieses junge Mädchen, das da jeden Sonntag kam, sehr gewundert. Ich hatte ihn ein paar mal gesehen, bin aber immer davon gerannt, als sei der Teufel hinter mir her. Etwas an dieser Kirchen-atmosphäre weckte immer wieder das schlechte Gewissen in mir.

Mit Diana hatte ich den Kontakt abgebrochen und meinem großen Bruder ging ich die nächsten Wochen aus dem Weg. Erst Monate später stellte er mir eine merkwürdige Frage:

"Sag mal, damals bei dem Kirmesrummel, wo hattet ihr eigentlich die viele Kohle her?"

Erst verständnislos, dann ein Licht aufgehend, starrte ich ihm in das grinsende Gesicht.

"Ach ja, und seit wann rennst du eigentlich in die Kirche? Mein Freund Kalle hat dich letztens gesehen. Hey, du bist doch evangelisch. Wieso..........!

Ich ließ ihn einfach stehen und wandte mich wütend ab. Ausgerechnet Kalle! Sein bester Freund.

Meine heimliche, platonische Liebe! Wie peinlich!

Wenn mein Bruder nicht einen Meter 70 groß gewesen und fast 80 kg gewogen hätte, ich wäre ihm an die Kehle gesprungen und hätte ihn tatsächlich erwürgt.

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