'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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September 2002
Die Prüfung
von Vladimir Poliakov


Die Fakultät für Physik war leer, als ein junger Mann mit einem großen Rucksack an die Tür des Professorenzimmers klopfte und seinen Kopf herein schob. „Grüß Gott, Herr Professor. Darf ich?" Der alleinsitzende Professor brach das Lesen der Illustrierten ab und guckte überraschend den jungen Mann an. „Wer sind Sie eigentlich?"

„Mein Name ist Spaßvogel", antwortete lächelnd der junge Mann.

„Ah, Herr Spaßvogel", grinste der Professor. „Es ist mir eine Ehre, Sie endlich kennen zu lernen. Sie haben während des Semesters wahrscheinlich keine Zeit gehabt, meine Vorlesungen zu besuchen?"

„Tut mir leid, Herr Professor. Das Leben des Studenten ist hart...", begann der junge Mann.

„Ich weiß", unterbrach ihn der Professor. „Trotzdem schulden Sie mir die Prüfung. Und ich bin mir fast sicher, dass Sie nichts zu meinem Lehrfach sagen könnten."

„Doch!", parierte der junge Mann. „Sie fahren einen schwarzen Mercedes, sind unglücklich in der Ehe und haben eine hübsche Tochter, die Tanja heißt und gerne ohne BH herumläuft."

„Sie sind nicht so dumm, wie ich mir zuerst dachte."

„Ich sehe nur im ersten Augenblick so aus."

„Ja. Das habe ich verstanden", murmelte der Professor. „Also, die Grundkenntnisse haben Sie schon. Jetzt teste ich Sie weiter. Herr Spaßvogel, was könnten Sie mir zum Beispiel über Elementarteilchen erzählen?", fragte der Professor.

„Das sind die kleinsten Teilchen der Natur, aus denen alle Sachen der Welt bestehen. Zum Beispiel Kaviar", antwortete Herr Spaßvogel ohne Pause.

„Warum Kaviar?", wunderte sich der Professor.

„Weil er gut schmeckt", erklärte der junge Mann, „besonders mit Wodka."

„Wie bitte?"

„Herr Professor, haben Sie irgendwann einmal Kaviar mit Wodka probiert?" fragte Herr Spaßvogel.

„Ehrlich gesagt, noch nie."

„Ich habe zufällig einen echten schwarzen Kaviar dabei."

„Und Wodka?"

„Freilich!", lächelte der junge Mann und holte aus seinem Rucksack Konservendose, Flasche, Schnapsgläschen und Toastbrot hervor. Er machte die Flasche und die Konservendose auf, goss zwei Schnapsgläschen ein, schmierte die Toastbrotscheiben mit Kaviar und schlug dem Professor vor.

„Ich trinke nicht."

„Erstens, das ist nur zum Testen und nicht zum Trinken. Zweitens, hier gibt’s fast nichts zum Trinken. Das ist nur ein Schnapsgläschen. Das wichtigste ist der Kaviar nach dem Wodka. Dann schmeckt der Kaviar perfekt."

„Ich glaube Ihnen nicht."

„Probieren Sie doch selbst."

Der Professor trank das Schnapsgläschen und röchelte, „Zu stark..."

„Jetzt schnell den Kaviar", sagte der junge Mann und schob ihm das mit dem Kaviar geschmierte Toastbrot in die Hand. „Und hat es Ihnen geschmeckt?"

„Ich habe das nicht verstanden", atmete der Professor aus.

„Dann müssen wir das Experiment wiederholen..."

Nach dem dritten Schnapsgläschen hatte der Professor glänzende Augen und sagte zufrieden, „Also, Herr Spaßvogel, die Elementarteilchen des Kaviars schmecken wirklich gut."

„Das habe ich doch gesagt. Können wir jetzt die Elementarteilchen abhaken?", fragte der junge Mann.

„Freilich. Und was könnten Sie mir über die Eigenschaften der Flüssigkeit erzählen?"

„Ich erzähle nichts. Ich zeige Ihnen am besten etwas. Das heißt Red Mary", antwortete Herr Spaßvogel.

„Red was?"

„Red Mary. Das ist ein Cocktail. Wodka mit Tomaten Saft. Der Saft ist schwerer als Wodka und bleibt im Glas unten. Der Wodka dagegen..."

„Ist leichter und wird oben sein," unterbrach der Professor. „Zeigen Sie doch!"

Der junger Mann holte aus dem Rucksack den Tomaten Saft hervor und bereitete zwei Red Mary zu.

Der Professor guckte das Getränk an und pfiff, „Super Idee. Ich muss so etwas während meiner Vorlesungen für Studenten als Vorbild verwenden."

„Ihre Studenten kennen das schon."

„Stimmt. Aber egal." Der Professor trank seine Red Mary und sagte, „Okay. Gut gemacht."

„Ein Häkchen für die Eigenschaften der Flüssigkeit?", interessierte sich der junge Mann.

„Schon erledigt. Was können wir noch besprechen?"

„Elektrizität."

„Warum das denn?", fragte der Professor.

„Weil das sehr wichtig ist. Nicht nur in der Physik, sondern auch in unserem Leben."

„Ja-a-a. Kann sein. Aber..."

„Herr Professor stellen Sie sich vor, wir haben keinen Strom", sagte der junge Mann, schaltete das Licht aus und zündete eine Kerze an. Die gemütliche Dunkelheit kam ins Professorenzimmer.

„Na und?"

„Haben Sie jetzt Lust auf noch einen Wodka oder Red Mary."

„Ich habe gar keine Lust..."

„Und wie wäre es mit einem Kognak?"

„Das ist aber etwas anderes. Kerzen und Kognak ist eine Idylle."

„Selbstverständlich," sagte Herr Spaßvogel. „Ihr Wunsch ist mir Befehl." Er holte wie früher aus seinem Rücksack eine Flasche, goss zwei Kognak ein und bot dem Professor einen an.

„Perfekt," sagte der Professor nach einem Schluck.

„Jetzt habe ich Ihnen beantwortet, wie wichtig die Elektrizität in unserem Leben ist."

„Sie sind ein talentierter junger Mann. Die Prüfung haben Sie bestanden. Lassen wir uns unseren Kognak genießen und dann können Sie gehen."

„Noch eine kurze Frage, Herr Professor. Könnten Sie noch zusätzlich meine Chemieprüfung abhaken?"

„Wieso ich?"

„Der Chemieprofessor ist Ihr Kumpel. Und ich dachte..."

„Nein. Das kommt nicht in Frage."

„Herr Professor, ich habe noch kubanischen Rum und Zigarren."

„Ich ändere meine Meinung nie."

„Alles klar. Wissen Sie was mir an Ihnen am besten gefällt?"

„Was?"

„Dass Sie ehrlich und unbestechlich sind. Und wenn etwas nicht geht, dann sagen Sie es direkt ins Gesicht."

„Das stimmt. So bin ich", sagte der Professor stolz. „Das mit der Chemieprüfung tut mir leid. Sie haben mir gefallen. Schade, dass meine Tochter einen Verlobten hat," nach diesen Worten ließ der Professor seinen Kopf auf den Tisch fallen und schnarchte.

„Ich weiß. Sie hat mir das auch gestern nacht gesagt," murmelte Herr Spaßvogel, packte die halbleeren Flaschen wieder in seinen Rucksack und verließ zufrieden das Professorenzimmer.

Vladimir Poliakov (V.Poliakov@web.de)

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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