Ganz schön bissig ...
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Oktober 2002
Harrison Ford jagte nie Mutanten
von Andreas Berg


Das langsam anschwellende Vibrieren der synergetischen Stromstösse weckt mich auf. Ein wohliges Gefühl durchflutet meinen Körper, während ich die beiden kabellosen Elektroden von meinen Schläfen entferne. Ein Blick auf den Timer bestätigt mir, dass es Zeit ist, das Ruhemodul zu verlassen. Ich strecke mich und begebe mich in die Berieselung. Nachdem ich mich etwa zehn Mars-Minuten dem erfrischenden Nass des Hydrozubereiters hingegeben habe, ist mein Körper vom Transpirat der Ruhephase befreit und erfrischt. Fast gutgelaunt bewege ich mich in die Versorgungszeile. Meine A-Mahlzeit besteht aus einem Brei mit Vitaminen, Spurenelementen und Geschmacksverstärkern. Ich persönlich bevorzuge Choko oder Zitro. Während der Nahrungsaufnahme sehe ich mir die neuesten Bilder vom Mars und von der Erde an. Die fünf Grundvölker haben einen Weg gefunden, das Eis der Polkappen zu stabilisieren. Eines der Völker – die Aussies hoffen nun wieder auf ein Absinken des Wasserspiegels in den südlichen Weltmeeren, um zurück auf ihren Kontinent ziehen zu können. Die Sowzies haben schon angedeutet, dass ihre Kapazitäten erschöpft sind. Als sie vor 27 Erdjahren der kompletten Bevölkerung der Aussies Asyl angeboten haben, hatte niemand damit gerechnet, dass die Insel so lange im Pazifik verschwinden würde. Ich lasse mein Nahrungsgefäss für den Reinigungsroboter stehen, erhebe mich und steige in den vollklimatisierten Thermoanzug. Aufgrund der elliptischen Umlaufbahn des Mars um die Sonne ist das Klima hier unser grösster Feind. Statt vier Jahreszeiten – wie auf der Erde – gibt es hier zweimal zwei: Sommer, Winter, Sommer und Winter. Dazwischen können fast zweihundert Grad Celsius liegen. Im Sommer liegen die Temperaturen bestenfalls um den Nullpunkt, im Winter an den Polkappen bis zu hundertachzig Grad unter Null. Zurzeit ist wieder einmal Winter – der zweite dieses Jahr. Ein Tag dauert hier etwas mehr als vierundzwanzig und eine halbe Stunde, ein Jahr 687 Tage. Nun muss ich mich beeilen. In zwei Mars-Minuten geht mein Gleiter. Mit der Linie m4 fliege ich von meiner Wohneinheit im Kuppelsystem alpha 2 zur Arbeitseinheit gamma 2. In meiner Eigenschaft als Techtron, überwache ich den Ausbau der Lüftungs- und Klimainstalls in gamma 2. Aus gamma 2 wird in wenigen Wochen ein Komplex mit Lerneinheit, Verwaltungseinheit und Buyphase entstanden sein, in dem dann weitere Spätsiedler – dieses mal Amis – Arbeit und Ausbildung finden. Meine Arbeit wird als wichtig angesehen, da die Versorgung mit Sauerstoff-Luftgemischen in den einzelnen Kuppeleinheiten Voraussetzung für das hiesige Leben und Arbeiten ist. Ich lebe als Sing. Eine Partnerschaft wollte ich keiner Wom zumuten, nicht bei meinem Job. Ich verlasse meine Wohneinheit und begebe mich zum Gleiter, der draussen am Rand der Kuppel auf mich wartet. Nach drei Stops in anderen Kuppeln erreiche ich gamma 2. Beim letzten Stop ist Hang zugestiegen, neben mir der einzige Hum im Team. Zu meinem Team zählen vier Astros, also Biorobs, und acht Mechrobs. Sie sind die einzigen, die auch ausserhalb der Kuppeln arbeiten können, ohne irgendwelche Schutzkleidung zu benötigen. Ich selber bin übrigens Will Beyer – ein Eus und stamme aus EU, ein vor über 1000 Jahren geschaffener Staat. Hang ist aufgrund einer Mutter aus Paris und einem Vater aus Hongkong EU-Asi. Der beste Hum, mit dem ich bisher gejobt habe. Ab und zu gehen wir abends ins Pub und trinken Birr oder Psychos. Meistens dann, wenn wir zwei Tage frei haben, so wie nach der heutigen Schicht.

Mein Jobtag ist um. Unser heutiges Ziel, die Outworks jenseits der Kuppel abzuschliessen haben wir geschafft. Wir byen unsere Robs und wünschen ihnen eine erholsame Freetime, damit sie am A-Day wieder fit sein mögen. Am Anfang unseres Jobs habe ich sie einmal gefragt, ob sie mitkämen auf ein Birr. Sie haben nur gelacht. Robs sind reine Familys, die sich ausser zur Arbeit nie von ihrer Sippe trennen. Heute war Hang und mir irgendwie nach Fun. Also stieg ich mit ihm aus, als der Gleiter in seiner Kuppel landete. Hier gab es nicht nur den besten Pub auf dem Mars sondern auch den besten Grill. Mc Duff war so etwas wie ein Relikt aus zurückliegenden Jahrhunderten. Hier gab es Macs und Burgs und Chicks. Einfach Food, das schmeckte. Eine willkommene Abwechslung von den Breis und Drinks und Tubes, die in den Wohneinheiten vom Unit-Personal aufgefüllt wird. Der Nachteil war, man konnte es sich nicht öfter als einmal pro Schicht leisten, hier zu essen. Nicht, dass man dafür zahlen musste. Nein, Mon gab es auf dem Mars nicht mehr. Auch keine Kredits, wie manche alten Scifies prognostiziert hatten. Dafür gab es Entres – Berechtigungen, einzutreten. Jeder, der hier oben lebte bekam pro Jobintervall ein Entre. Damit konnte er einen Abend lang überall hinein, wo er hinein wollte. Die max Gültigkeit eines Entres beträgt acht Stunden. Danach war wieder eine Woche Fin. Wir hatten unser Entre nach Schichtende erhalten und nun nichts besseres vor, als es zu nutzen. Also liessen wir uns im Strom der anderen Freeys durch die Erholungsbereiche von Kuppel siesta 1 treiben und schauten uns, wie all die anderen, die schillernden Auslagen von Geschäften, Cafés, Bars und Foodbars an. Man hatte jedesmal erneut dass Feel, man sei in Urlaub. Verschiedenste Hums, egal ob auf dem Mars oder auf der Erde geboren, egal ob mit weisser, gelber, brauner, roter oder violetter Haut – es war ein Treiben, wie es in alten books oder tapes über exotische Länder auf der Erde beschrieben wird, um die Menschen zu Hollys zu verführen – und wir mitten drin. Wir fühlten uns ok und begannen unseren Streifzug mit dem Grill. Wenn man früh hinging, bekam man noch einen sit. Nachdem wir unser Food hatten, fielen wir nebenan im Pub ein. Heute spielte eine Group, die von der Baugesellschaft eingeflogen worden war. Die Guys waren echt gut. Im Gegensatz zur visu-comp-music, die der letzte hit von der Erde war, spielten sie noch auf nostalgischen Instrumenten wie Fasergits, Techdrumms, Bassbass und e-Fluets. Da sie auch noch recht gut bei Stimme waren, sahen wir ein groovy Konzert. Nach der letzten Zugabe verliessen wir den Laden und streunten weiter durch die Kuppel. Irgendwann setzten wir uns an den Rand der Kuppel und schauten nach draussen. Irgendwie kam so etwas wie Wehmut in mir auf. Ich weiss nicht ob es mit meinen Genen, mit vererbten Träumen oder mit Sehnsucht zu tun hatte: Ich glaubte im Dunkel hinter der Kuppel die Erde zu sehen. Mir war, als sähe ich einen blauen Schleier über einem kleinen hellen Fleck liegen, der so klein war, weil er so weit entfernt war und doch so gross, dass er mich gebar und hier hin entsandte, um eine weitere Erde zu schaffen, die zwar nicht blau, aber dafür rot schimmerte. Ich war sicher, in einigen Jahrzehnten, vielleicht auch erst in einem Jahrhundert, vielleicht auch noch später; aber irgendwann würde der Planet auf dem ich jetzt lebte, auf dem ich arbeitete, irgendwann würde auch er blau im All schimmern. Nämlich dann, wenn die Kuppeln um die Städte eingerissen würden, weil eine Atmosphäre erschaffen worden war, die der Erdatmosphäre gleich wäre. Erschaffen von Menschen wie mir, von meinen Nachfahren, die den selben Job ausübten, die die selben Träume träumten. Der Blick ins All, die Kälte, die ich dort zu fühlen glaubte und die Schwärze durch die trotzdem das Licht der Sterne zu mir gelangte liessen mich frösteln. Schaudernd schaute ich zu Hang hinüber. Er kämpfte gegen die Wirkung der genossenen Birrs an. Er zeigte auf seinen Timer. Ich wollte noch nicht nach Hause, wollte nicht, das diese Nacht schon beendet war. Trotzdem nickte ich müde, um ihn zum Aufstehen zu motivieren. Also erhoben wir uns und schlenderten langsam durch die weniger werdenden Marsbewohner, die nun nur noch vereinzelt in kleinen Gruppen durch die einzelnen Ebenen und Passagen der Kuppel streiften. Und dann, ganz plötzlich, wusste ich, wie ich den Abend verlängern, wie ich ihn abschliessen würde. Während wir uns Richtung Gleiterport bewegten, wo ich in meine Linie einsteigen würde, um nach Hause zu gelangen, kommen wir an diesem Hologramm vorbei, in dem sich diese Figur bewegt. Darunter läuft ein Schriftband. "Treten sie ein, Nonstopshow, Cine 1 zeigt classic: Blade Runner – wir haben den Film überholt! Treten sie ein..." Ich verabschiede mich von Hang. Und dann trete ich ein und frage mich, welche Hoffnungen haben Menschen vor tausend Jahren in die Zukunft gehabt? Lagen ihre Vorstellungen so weit weg von unserer heutigen Realität und was für ein Mensch war Harrison Ford, wenn er keine Mutants jagte? Und eines glaubte ich an diesem Abend zu verstehen: Nicht nur die Zukunft bleibt Antworten auf die eigenen Fragen schuldig, auch die Vergangenheit, vor allem die Vergangenheit.

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