Der Tod aus der Teekiste
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Oktober 2002
Ein veränderlicher Sommer
von Angelika Gerber


Es hätte ein vielversprechender Sommer werden sollen. Die Meteorologen versprachen für dieses Jahr viel Sonne, Hitze, Dürreperioden und jede Menge lästiger und hungriger Insekten. Ein Umstand, der einem teure Flugreisen in den sonnigen Süden ersparte.

Das Unheil begann jedoch bereits, als die ersten Nachrichtensendungen von dunklen Flecken in der Sonne berichteten. Einige Monate später, Anfang Juli regnete es plötzlich schleimartige Flüssigkeit vom Himmel, die noch tagelang als schlierige Pfützen auf den Straßen herumlagen. Es wurde sogar kurzweilig von Weltuntergangs-Symptomen gesprochen. Religiöse Sprecher prophezeiten das alles zerstörende Unheil und malten die bald nicht mehr existierende Zukunft in den tiefschwärzesten Farben aus.

Wie Recht sie nur hatten. Denn kurz nach dem Regenguß veränderte sich die Welt auf merkwürdigste Weise.

Mir wurde das auch immer klarer, als immer mehr Leute auf mich zukamen und mich für neue Sekten, die skurrilsten Gesellschaftsgruppen und die absonderlichsten Bewegungen zu überzeugen versuchten. Ich war kein Mensch, der sich schnell irgendwelchen Gruppen anschloß und verkroch mich am liebsten den ganzen lieben langen Tag in meine eigenen vier Wände, oder erledigte meine Arbeiten in Shorts auf dem kleinen Balkon vor meinem Wohnzimmer. Ich besah mir die Welt am liebsten aus einem angemessenem Abstand und zog es vor, den Leuten gedanklich auf die Köpfe zu spucken. Doch als die Belästigungen, Annäherungs- und Überzeugungsversuche immer mehr wurden, nahm ich Reißaus aus der Stadt und wollte mich irgendwo in aller Bescheidenheit auf dem Land niederlassen.

Bereits auf dem Weg dorthin wurde ich schnell davon in Kenntnis gesetzt, daß die Welt nicht mehr das war, was sie nur wenige Tage zuvor gewesen war. Die Menschen begegneten einem mit zunehmender Skepsis und wenn man ihre Anträge und Bitten ablehnte, reagierten sie sogar mit durchaus handfesten Argumenten. Nicht selten konnte ich einer Auseinandersetzung nur aus dem Wege gehen, indem ich rechtzeitig meine Beine in die Hand nahm und Versengeld gab.

Die Aggression und der Haß aufeinander nahm immer mehr zu. Die Leute überreagierten bereits, wenn man sie nur flüchtig mit einem Blick bedachte.

Ich traf irgendwann auf eine halb verfallene Festung. Die Hauptgebäude standen noch wie vor fünfhundert Jahren, jedoch ohne Mobiliar, Strom, fließend Wasser, wenn man die lecke Grundwasserpumpe im Innenhof nicht bedachte, und erst recht keine Klimaanlage. Hierhin hatten sich ebenfalls einige Flüchtlinge zurückgezogen, die einfach nichts mit der neuen Weltanschauung zu tun haben wollten. Ich bemerkte ihr Anderssein bereits an ihren entspannteren Gesichtszügen und der herzigen Aufnahme. Irgendwie brachte es die übrige Bevölkerung nicht mehr fertig, locker, gelassen, fröhlich und ungezwungen zu sein. Irgendwie war seit Kurzem alles gewissen Zwängen unterlegen, die leider keiner richtig interpretieren konnte. Zwar warteten meine neuen Freunde, die ich notgedrungen als neue Freunde akzeptieren konnte – denn es gab keine andere Zufluchtsmöglichkeit mehr – mit einigen Ideen und Vorschlägen auf, doch all das Hervorgebrachte, verursachte nur ein unverständliches Kopfschütteln in mir und ließ mich dennoch viele Nächte lang wach liegen. Einige sprachen von Viren aus dem All. Andere von schädlichen Strahlen, ebenfalls aus den Weiten des Universums. Der Schleimregen war für einige der Grund, für andere die anhaltende Trockenheit. Jede dieser Mutmaßungen regte jedoch meine Fantasie an und ich machte mir meine eigenen Gedanken.

Vermutlich traf die Vermutung mit dem Schleimregen am ehesten zu. Niemals zuvor hatte sich ähnliches zugetragen. Daß über stark verschmutzten Industrieregionen öliger, übelriechender Regen niedergehen konnte, war bekannt, aber daß nahezu eine ganze Erdhälfte von einer beinahe flächendeckenden Schleimschicht überzogen worden war, mußte schon mehr als über unsere Zeitrechnung hinaus zurückliegen, um in Vergessenheit zu geraten. Ich konnte mich jedenfalls aus keinem noch so weit zurück reichenden Geschichts- oder Geologieunterricht daran erinnern.

Der Schleimregen war jedenfalls Realität und die Persönlichkeitsveränderung der Weltbevölkerung ebenfalls.

Einige Male wurden wir sogar von wütenden Gruppen angegriffen, die uns der Ketzerei, der Aufwiegelei, des Haßsähens, der Andersartigkeit und ähnliche absurde Dinge beschuldigten, doch Dank der hohen Mauern und der dicken Eisentore der Festung, die wir recht bald als Schützenstellung benutzen mußten, konnten wir uns die Willkür der Menge fernhalten.

Ich muß allerdings erwähnen, daß ich bei der Verteidigung unserer Zufluchtsstätte keine unwesentliche Rolle spielte. Ich war Autor von Abenteuer-Computerspielen und wußte, wie man sich im Mittelalter Feinde vom Leibe hielt. Ich organisierte den Bau eines Katapultes, ließ Pfeile und Bögen anfertigen, erklärte die Verhaltensregeln, für den Fall, daß Eindringlinge versuchten, die hohen Mauern mit Leitern zu erklimmen, indem man kochendes Wasser – welches wir Dank der Grundwasserpumpe in ausreichender Menge besaßen, über die Zinnen kippte und stellte sogar Wachmannschaften in wechselnden Schichten auf. Bald avancierte ich ungewollt zu ihrem Anführer – etwas was ich nur wenige Wochen zuvor, vehement zurückgewiesen hätte. Ich, der Anführer einer ständig anwachsenden Meute, die verzweifelt versuchte, sich der neuen Weltanschauung zu widersetzen, um ihre alten Ziele und ihre alten Gewohnheiten weiterführen zu können.

Es war bald zu einem wahr gewordenen Computerspiel geworden, in welchem ich die Rolle des unbeugsamen Burgbesetzers spielte, der eine Schar von Gefolgsleuten um sich sammelte. Wir saßen am Lagerfeuer herum und diskutierten lange nicht mehr über Börsenkurse, Sekretärinnenleiden, Fließbandbeschwerden oder Computerspiele, die mangels Energie sowieso niemals funktioniert hätten. Unsere Themen galten der Versorgung unserer Lieben, die Hoffnung auf ein Ende und die Mahlzeiten für den nächsten Tag. Wir lachten über erfolgreich zurückgeschlagene Übergriffe und besprachen die Fehler von Beinahekatastrophen, solche Zwischenfälle, in denen Angreifer nur noch mit knapper Not und unter Einsatz aller verfügbaren Kräfte daran gehindert werden konnten, über die Mauer zu klettern.

Die Eisentore, welche schon so viele Jahrhunderte auf dem Buckel besaßen, hielten so gut wie am ersten Tag. Erst als die findigen Eindringlinge einen Panzer mit Rammbock anbrachten, brach eines der Tore unter der Last der Wucht, mit der das Fahrzeug aufgeprallt war und entließ einen ganzen Strom von wütenden Menschen mit verzerrten Gesichtern ins Innere der Burg. Einige von ihnen trugen Spritzen, ähnlich eines Pflanzengiftversprühers bei sich und spuckten ihren Flüssigkeitsnebel auf jeden, der sich ihnen entgegen stellte. Ich beobachtete das Geschehen zunächst von einer abseitigen Stelle, als ich merkte, daß der giftige Nebel gegenteilige Wirkung auf die verschiedenen Menschenparteien besaß. Während unsere Gruppe sofort von Atemnot und Lähmungserscheinungen ergriffen war, verhielten sich die zufällig benebelten eigenen Genossen verwirrt und ergriffen, so als ob sie aus einer langen Trance erwachten und einen Moment lang nicht wußten, wo sie sich befanden, geschweige denn, was um sie herum geschah. Der verwirrte Zustand hielt solange an, bis ein Genosse sich seiner annahm und ihn wie ein verwundetes, vollkommen verstörtes und scheues Reh aus der Gefahrenzone schleppte, nur um Minuten später in alter Frische und gewohntem Jähzorn wieder aufzutauchen und sich erneut in die Schlacht zu werfen.

Sofort befahl ich, wenigstens eine dieser Spritzen zu organisieren. Ich mußte wissen, was sich in den Behältern der Pflanzenschutzmittelsprüher befand und wurde bald bestätigt. Einige kundige Chemiker aus unserer Gruppe, identifizierten es als Nervengift, das den Zweck besaß, die menschlichen Nervenenden zu reizen und das empfindliche Gleichgewicht im Organismus mehr als empfindlich zu stören. Es besaß zudem eine Keimtötende und antiimunisierende Nebenwirkung, worauf ich schloß, daß im Schleimregen Weltallviren niedergegangen waren, die einen befallenen menschlichen Organismus kontrollieren und für seine Zwecke benutzen konnten. Um die Viren ihre Arbeit tun lassen zu können, muß das Immunsystem des Menschen zerstört werden und sämtliche andere Keime abgetötet werden. Daß die von den Aggressoren eingesetzte neue Waffe leider auch die Weltraumkeime abtötete, war sicherlich eine unerwünschte Begleiterscheinung, die jedoch rasch wieder behoben werden konnte. Der Kontakt mit infizierten Menschen brachte einen gereinigten Körper bald wieder in seinen abhängigen Zustand zurück.

Natürlich setzten wir dieses Wissen auf allen weiteren Gegebenheiten ein und besprühten die ankommenden Streithähne reichlich mit diesem Gift und erreichten so, daß unsere Zahl rasch anstieg.

Dann, eines Tages begann der Boden unter unseren Füßen zu beben.

Verunsichert, dachten wir zunächst an ein Erdbeben, doch als es nicht mehr aufhören wollte, kamen wir recht bald zu dem Schluß, daß die Angreifer bald auch von unten kommen würden.

Wie recht wir hatten.

Erst erschienen kleine Unebenheiten im von Generationen platt getretenen Erdboden. Beinahe zusehends wuchsen die kleinen Hügelchen zu immer größer werdenden Bergchen, die bald aufplatzten und schleimige, stark dem Königsgemüse Spargel ähnlich sehende Gewächse offenbarten. Allerdings trugen diese Dinger kleine schirmähnliche Hütchen, die rasch an Größe zunahmen. Von ihren Rändern tropfte Schleim, ähnlich des Schleimes, der vor einiger Zeit vom Himmel geregnet war. Die Gewächse gewannen rasch an Höhe, schneller, als selbst ein Bambus hätte wachsen können. Binnen einer halben Stunde waren sie so groß wie ein ausgewachsener Mann.

Daß sie so unbehelligt hatten wachsen können, war unserer Verwunderung und dem Überraschungseffekt zuzuschreiben. Eigentlich hatten wir normale Menschen erwartet – normal in dem Sinne, wie er der derzeitigen Situation gerecht werden konnte – also geistig umnachtete, geblendete, von den Weltallviren kontrollierte Menschen. Jedenfalls Wesen wie ich, mit zwei Armen und Beinen. Nun wuchsen gigantische, weißgraue Pilze aus dem Boden, breiteten ihre Schirme aus und bald war der Innenhof von einem seltsamen Geruch erfüllt.

Jetzt wußten wir endlich, was uns wirklich aus den Weiten des Weltalls besucht hatte.

Ich zog den Stoff meines T-Shirts über Mund und Nase und suchte einen Ort, an dem dieser merkwürdige Geruch, der arg an einen muffigen Keller erinnerte, nicht mehr zu riechen war. Doch der Duft wurde schlimmer, je höher ich die Türme unserer Festung kletterte. Oben auf einem der Türme angekommen, stand ich fassungslos an einer Brüstung und ließ meinen Blick über die Umgebung schweifen.

Umgebung? Ich weiß nicht, ob das noch als Umgebung zu definieren war – eher als Wald von weißen, langstieligen Pilzen – so weit das Auge reichte. Wir waren umzingelt. Es gab kein Entkommen. Da würde uns auch unser Wissen um die Wirkung der Pflanzensprüher nicht mehr nützen, denn ehe wir uns eine Gasse durch die Pilze hätten sprüen können, wäre unser Verstand von diesem Geruch vernebelt worden.

Ich blickte nach unten zu meinen Leuten und sah sie reihenweise besinnungslos zu Boden sinken. Ich fühlte, wie auch mir die Sinnen schwanden und blinzelte gegen die Sternenflut vor meinen Augen an. Eine Bewegung neben mir ließ mich gelassen, fast schon gefaßt herumdrehen. Nur einen Schritt neben mir, war eines dieser weißen Pilze aus dem trockenen Steinboden gewachsen und entfaltete seinen großen weißen Sombrero. Schleim tropfte von seinen Rändern herab und traf mich an der Hand.

Es kitzelte und ich konnte mich eines amüsierten Lächelns gerade noch erwehren. Ich wußte selbst nicht, warum ich nicht meine Beine in die Hand nahm und das Weite suchte. Vermutlich hatte sich die Erkenntnis, daß es ohnehin keinen Ausweg gab, bereits so tief in mich hinein gegraben, daß es sogar meine Reflexe kontrollierte. Nirgendwo auf der Welt würde es einen Flecken geben, an denen diese Dinge nicht hingelangen konnten.

In meinem Inneren begann es zu prickeln. Wie bei einem Orgasmus, begann es allmählich ansteigend in mir zu brodeln. Mein Blut kochte. Mein Inneres schien nach außen zu drängen. Ich wollte mich festhalten und bekam nur den schleimigen Pilz zu fassen. Doch anstatt erschrocken oder angeekelt zurückzuschrecken, krallten sich meine Finger fester in das weiche, schwammige Fleisch und zerrten es sogar noch näher an mich heran. Ich sah noch wie sich etwas weißgraues über mir ausbreitete und sich dann über mich stülpte. Dann jedoch hüllte mich die Dunkelheit ein.



Ich weiß nicht, ob sich etwas verändert hat, oder wie ich früher gelebt hatte. Jetzt jedenfalls bin ich Vater von Abertrilliarden von Sporen, die wie ein Nebelschleier über die Lande ziehen und fruchtbare Gebiete suchen.



© Angelika Gerber 14.10.02

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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