Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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November 2002
Drei Prozent
von Klaus Eylmann


Hans war nicht wohl. Er spĂŒrte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten.
Es lag etwas sinistres in der Art, wie sie miteinander kommunizierten. Sie halfen ihm bei seiner Arbeit, doch er spĂŒrte ein Unbehagen, wenn er sah und hörte, wie die kleinen, metallenen KĂ€sten raunten und flĂŒsterten. Winzige Lampen blinkten, zwinkerten, und aus der Dunkelheit um sie herum brach ein heller Fleck hervor, dort, wo sich das Raunen und FlĂŒstern hypnotisch auf sein GemĂŒt legte, der in seinem weißen Kittel bewegungslos vor einem Monitor saß. In den dicken BrillenglĂ€sern spiegelten sich Buchstaben, die nach oben ĂŒber den Bildschirm zogen: TGCA, AGCT, CGTA
.
Chromosom 12. Buchstabenkombinationen tanzten vor seinen Augen. Hans HĂ€nde wurden feucht. Neben ihm summte es, und er bewegte den Kopf zur Seite. Aus dem Drucker kam ein Blatt Papier.

Ein Bus holperte ĂŒber die Schienen. Hans schreckte aus dem Schlaf. Rauch quoll aus Schornsteinen, zeichnete bizarre Formen in den Himmel. Das Fahrzeug ratterte ĂŒber eine Schotterstraße, hielt, spieh einige FahrgĂ€ste aus. Zischend schlossen sich die TĂŒren, und das GefĂ€hrt verschwand wie ein Traum in der MorgendĂ€mmerung, wĂ€hrend sich Hans seinem Haus nĂ€herte und ein paar Sekunden vor der TĂŒr verharrte, bevor er sie öffnete.
Seine Frau. Von Silke keine Spur, als er die TĂŒr zum Schlafzimmer aufriss. Auch heute nicht. Hans warf sich auf sein ungemachtes Bett, spĂŒrte die Leere in sich und wartete darauf, dass Zorn und Verbitterung von ihm Besitz ergriffen. Sie wĂŒrde jetzt mit Georg zur Arbeit fahren, mit dem sie schlief, bei dem sie wohnte.

Hans zog das Papier aus seiner Hosentasche. Was hatten ihm die Computer ausgedruckt? Ein Rezept. Chemikalien, die es in jeder Drogerie gab. Ihm war unbehaglich zu Mute. UnschlĂŒssig hielt er den Zettel in seiner Hand. Sollte er es ausprobieren?

Er besorgte sich die Zutaten, rĂŒhrte sie zuhause an, goss die Lösung in ein Glas, fĂŒllte es mit Wasser auf. Er betrachtete es, als sei es ein Gegenstand aus einer anderen Welt, drehte es in seinen HĂ€nden, dann stĂŒrzte er die Lauge hinunter.

Die Nacht darauf, vor dem Bildschirm, ließ er den genetischen Code auf Chromosom 13 an sich vorĂŒberziehen. Vergeblich versuchte er, das Raunen und FlĂŒstern der Computer aus seinem Bewußtsein zu verbannen. Er konnte es nicht greifen. Er spĂŒrte, dass etwas Unheilvolles in der Luft lag. Die Computer? Sie waren doch seine Freunde. Er starrte auf das Blinken ihrer LĂ€mpchen. Ihm war, als zwinkerten sie sich heimlich zu.
Hans zwang seine Gedanken in eine andere Richtung. Er dachte an Silke. TagsĂŒber saß sie mit Georg in diesem Raum. Doch es waren seine Computer, die ihm zu einer unglaublichen Entdeckung verholfen hatten, und einen Monat spĂ€ter stand es in einem wissenschaftlichen Journal: “MĂ€use und Menschen sind genetisch zu siebenundneunzig Prozent identisch.” Als Autoren zeichneten Zimmermann, Georg und Silke. Ihn hatten sie ĂŒbergangen.
Silke. Wieso begehrte er sie nicht mehr? Warum war er an Frauen nicht mehr interessiert? Lag es an der Lösung, die er getrunken hatte?

Chromosom 14. Der Mann von der Wach- und Schließgesellschaft zog seinen Kopf aus der TĂŒr, wĂŒnschte noch eine angenehme Nacht und setzte seine Runde fort. Hans war froh, den Computersaal fĂŒr einen Moment verlassen zu können. Schien es nicht, als versuchten die Computer, seinen Willen in eine bestimmte Richtung zu lenken?
Niemand war zugegen, als Hans mit der angerĂŒhrten Mischung in dem schwach beleuchteten Flur vor den Kaffeeautomaten trat. Es klackte, die TĂŒr des Automaten öffnete sich. Auf einem BehĂ€lter stand ‘Kaffeesahne’. Hans schĂŒttete den Inhalt seiner Flasche dazu. Die TĂŒr des Automaten fiel ins Schloss.

Wieso wunderte er sich nicht, dass Silke eines Tages wieder in der Wohnung auftauchte? Das Bett war gemacht, KĂŒhl- und Kleiderschrank waren voll, und es stand ein weiteres Zahnputzglas auf dem Waschbecken.
Hans ging ihr aus dem Weg, arbeitete nachts mit den Computern die Chromosomenpaare durch. Sie gingen weiter der Frage nach: Worin besteht der genetische Unterschied zwischen Mensch und Maus?
Chromosom 18. Hans starrte teilnahmslos auf den Bildschirm, ĂŒber den genetische Zeichenketten liefen, und wieder kam ein Blatt Papier aus dem Drucker. Ausdrucke von Silkes E-Mails. Wie kamen seine Computer an ihre elektronische Post? Woher wussten sie, dass er sich dafĂŒr interessierte?

‘Georg, Liebster:
Ich komme nicht darĂŒber hinweg, dass du mich nicht mehr willst. Was ist in dich gefahren? Wieso redest du nicht mehr mit mir? Warum muss ich mich dir auf diese Weise nĂ€hern? FĂŒhlst du nicht, wie ich dich liebe? Ich will ein Kind von dir!
All die schönen Stunden, die wir miteinander verbracht haben. Bedeuten sie dir nichts? Ich kann es nicht glauben.
Silke.’

‘Silke:
Zwischen uns ist es aus. Ich fĂŒhle nichts mehr fĂŒr dich. Wenn du ein Kind willst, empfehle ich die Reproduktionsklinik.
Georg.’

Eine Woche spĂ€ter war die Analyse abgeschlossen. Aus dem Drucker kam eine Beschreibung, wie Gene, die von denen des Menschen abwichen, synthetisiert und gegen menschliche ausgetauscht werden konnten. Ein wissenschaftlicher Durchbruch! NobelpreiswĂŒrdig!, dachte Hans erregt, und er machte sich auf den Weg ins Labor. Das Ergebnis wĂŒrde er fĂŒr sich behalten. Er dachte an Silke. Allein ihretwegen hĂ€tte sich der Aufwand gelohnt.

Ein paar NĂ€chte spĂ€ter lehnte Hans sein Fahrrad an die Hecke vor der Reproduktionsklinik und ging zum Nebeneingang. Es klackte, und er öffnete die TĂŒr. Die Computer schienen ĂŒberall VerbĂŒndete zu haben.
Der Raum war weiss gekachelt. Hans schnallte seinen Rucksack ab, entnahm ihm Serum und Injektionsspritze. Ein Aluminiumtank stand in der Ecke. Es dampfte, als Hans ihn öffnete und die Röhrchen sah, tiefgekĂŒhlt, hunderte von ihnen. Entgeistert blickte er auf die BehĂ€lter. Was wollten die Computer von ihm? Jedes der Röhrchen enthielt einen Pre-Embryo, ein Wesen im vier- bis sechzelligem Stadium. Ihm kamen Zweifel. Hatte sich Silke wirklich fĂŒr eine In-Vitro-Fertilisation angemeldet? Welcher dieser Embryos wĂŒrde ihr eingepflanzt werden? Er konnte sie doch nicht alle modifizieren.
Hans verschloss den Tank und verließ kopfschĂŒttelnd den Raum. Er hatte nicht vor, Serum fĂŒr hunderte von Embryos auf die Spritze zu ziehen. Allein der Gedanke daran ließ ihn schaudern. Silke hatte es verdient zu hören, dass es kein Mensch sei, dem sie das Leben schenken wĂŒrde, aber hunderte von Frauen? Es konnte nicht sein, es durfte nicht sein. Wollten ihn die Computer zum Monster machen? Es waren doch seine Freunde, oder hatten seine Ängste einen realen Hintergrund?
Nervös betrat er den Computersaal und schaltete den Monitor ein. Etwas hatte sich verĂ€ndert. Das FlĂŒstern und Raunen war heftiger, LĂ€mpchen blinkten in zornigem Rot, und auf dem Bildschirm formte sich Hans Gesicht mit seinen dicken BrillenglĂ€sern. Entsetzt sah er, wie es sich in einen TotenschĂ€del verwandelte.
Panik erfasste ihn, und er versuchte den Bildschirm auszuschalten. Es ging nicht. Wieder und wieder drĂŒckte er den Knopf. Nichts. Grauen packte ihn. Ihm war, als stecke sein Gehirn in einem Schraubstock, der mit jeder Umdrehung ein weiteres StĂŒck seiner Gedanken zermalmte. Er riss die Schublade auf, griff nach dem Zettel mit den genetischen Modifikationen, wollte fliehen, und blieb doch wie gelĂ€hmt auf seinem Platz. Der TotenschĂ€del wich hypnotischem Flackern, das ihn in den Schirm hineinzuziehen schien. Vergeblich versuchte er seinen Blick abzuwenden. Er spĂŒrte eine Leere in sich, die seine letzten Gedanken fraß


“Bleiben Sie liegen.”
Eine Krankenschwester beugte sich ĂŒber ihn und drĂŒckte ihn in die Kissen zurĂŒck. Neben ihr stand ein kleiner, bĂ€rtiger, Ă€lterer Mann, der ihn zornig anstarrte.
“Professor Zimmermann, wo bin ich? Was ist mit mir?”
“Wir haben Sie heute Morgen im Computersaal gefunden. Vor einem flackernden Bildschirm. Nicht ansprechbar. Hans, was haben Sie da um Himmels willen gemacht?”
Die Erinnerung kam zurĂŒck. Er zitterte am ganzen Körper.
“Professor, etwas geht dort vor! Haben Sie das Papier gesehen? Sie verlangten, ich solle humanoide Gene durch Mausgene ersetzen.”
“Wer?”
“Die Computer!”
“Wo?”
“In der Reproduktionsklinik!”
Die Krankenschwester blickte besorgt und fuhr mit ihrer Hand ĂŒber seine Stirn.
“Hans, beruhigen Sie sich!” Zimmermann schĂŒttelte den Kopf.
“Gene von MĂ€usen? Dass ich nicht lache. Sie haben uns schön in die Nesseln gesetzt! Blamiert haben Sie uns! Menschen und MĂ€use zu siebenundneunzig Prozent identisch, wie?”
Er begann nervös auf und ab zu laufen. “Und ich Idiot, warum habe ich es nicht kontrolliert? Wir, unser Institut, unser Artikel wurden zum Gespött der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Das waren keine Mausgene, Mann!”
“Aber was war es dann?”
“Das wissen wir nicht, Hans. Ihre Computer spielten verrĂŒckt!”
“Was soll das heißen, meine Computer?”
Zimmermann stellte sich vor sein Bett. Sein Gesicht hatte eine ungesunde Röte angenommen.
“Hans, Sie waren ein wertvoller Mitarbeiter. Dass Sie uns das angetan haben.
Unter diesen UmstĂ€nden können wir Sie nicht weiterbeschĂ€ftigen. Sie werden grosszĂŒgig abgefunden, aber wagen Sie nicht, noch einmal unser Institut zu betreten!” Zimmermann machte auf dem Absatz kehrt, verließ das Zimmer und schlug die TĂŒr hinter sich zu.
Wie betĂ€ubt blieb Hans liegen. Er versuchte an nichts zu denken, doch es gelang ihm nicht. Kein wissenschaftlicher Durchbruch. Alles war umsonst gewesen. Die Computer hatten sie in die Irre gefĂŒhrt. Warum? Was bezweckten sie damit? Ihm schauderte, zu viele Gedanken quĂ€lten ihn. Nur unter MĂŒhen gelang es ihm einzuschlafen.

Einige Stunden spĂ€ter kam Georg ins Zimmer. Es war ihm, so schien es, nicht leichtgefallen. Sein Gesicht war bleich unter dem sonnenstudiogebrĂ€unten Teint. Unstet glitt sein Blick ĂŒber Hans hinweg.
“Es tut mir leid wegen Silke. Ich war da in etwas rein gestolpert, aber es ist vorbei. Wir sehen uns nicht mehr.”
“Schon gut, Georg. Schwamm drĂŒber.” Hans lĂ€chelte mĂŒde. “Nur, wieso?”
“Ich weiß es auch nicht. Von einem Tag auf den anderen habe ich die Lust verloren sie zu sehen. Und ĂŒberhaupt. Ich empfinde nichts mehr fĂŒr Frauen. Irgendwie deprimierend, dass Sex mich auf einmal kalt lĂ€sst.”
Hans Gesicht wurde ausdruckslos. “Zimmermann hat mich gefeuert. Wie habt ihr erfahren, dass es sich um keine Mausgene handelte?”
“Wir hatten die Datenbank zugĂ€nglich gemacht. Es gab genug Wissenschaftler außerhalb des Instituts, welche die Gene daraus mit denen der Maus vergleichen konnten. Es gab keine Übereinstimmung.”
Hans setzte sich auf.
“Habt ihr den Zettel gefunden, aus dem hervorging, wie man vom Menschen abweichende Gene gegen menschliche austauscht?”
“Sicher, und die Technik ist bahnbrechend. Wie bist du darauf gekommen? Eine Schande, dass Zimmermann dich gefeuert hat. Was willst du jetzt unternehmen?”
“Es war schrecklich,” flĂŒsterte Hans. Die Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er auf den Mann vor seinem Bett. “Die Computer machen mir Angst. Sie haben mich benutzt. Sie haben etwas vor, und es nichts Gutes. Ich werde mich nie mehr vor einen Bildschirm setzen.”
Georg blieb stumm. Langsam ging er zur TĂŒr, dann drehte er sich noch einmal um.
“Wir haben eine kĂŒnstliche GebĂ€rmutter entwickelt, darin werden wir einen modifizierten Embryo zur Reife bringen. Wir wollen wissen, was deine Computer ausgeheckt haben.”

Hans wusste, er wĂŒrde seinen Beruf nicht mehr ausĂŒben können. Er konnte es einfach nicht mehr. Die Angst ließ sich nicht vertreiben. Einige Monate spĂ€ter kaufte er sich von seiner Abfindung einen kleinen Bauernhof und fing an Schweine zu zĂŒchten. Fernseher und Computer gab es dort nicht, und er las keine Zeitung. Hin und wieder hörte er Radio. Dies und die Post reichten ihm, doch spĂ€ter fragte er sich, ob es nicht besser sei, auch darauf zu verzichten? Wie sollte er je seinen inneren Frieden wieder finden? Nachrichtenfetzen, die dann und wann aus dem Radio zu ihm drangen, enthielten so viel Beunruhigendes, dass er um seinen Verstand fĂŒrchtete.

“In den entwickelten LĂ€ndern ist die Geburtenrate auf ein Minimum gefallen. Ehescheidungen haben um achtzig Prozent zugenommen. Inzwischen hat der Trend auf LĂ€nder der dritten Welt ĂŒbergegriffen. Eine Bevölkerungsimplosion beginnt sich abzuzeichnen. Die GrĂŒnde dafĂŒr sind nicht bekannt.”

“Frauen stĂŒrmen SamenbĂ€nke und Reproduktionskliniken!”

“Auf den PlĂ€tzen der StĂ€dte protestieren wĂŒtende Frauen dagegen, dass MĂ€nner ihren Pflichten nicht mehr nachkommen.”

“Genwissenschaftler festgenommen. Ein fĂŒhrender Genetiker wurde von einer Videokamera erfasst, als er in eine Reproduktionsklinik einbrach. In seinem GepĂ€ck fand man ein Serum sowie eine Injektionsspritze. Auf Befragen der Polizei entgegnete er: “Das war nicht ich. Es waren die Computer.”

“Die Verweigerung der MĂ€nner wird als ernstes Problem angesehen. Erste Ergebnisse deuten auf das Trinkwasser als Ursache hin.”

Dann kam ein Brief von Georg, der Hans noch mehr verstörte.




‘Hans,

Ich wollte Dich unmittelbar ĂŒber das Ergebnis unserer Untersuchung informieren, doch hat es einige Zeit gedauert, bis ich Deine Adresse herausgefunden habe. Das Experiment, von dem ich dir im Krankenhaus erzĂ€hlte, wurde abgeschlossen. Es war ein Ende mit Schrecken, denn das, was wir kĂŒnstlich erzeugt haben, ist nicht von dieser Welt. Es entstand ein Wesen, das selbst unsere Phantasie zu ersinnen nicht in der Lage war: Aus einem etwa dreißig Zentimeter langen Körper mit grĂŒnen Schuppen wachsen sechs Tentakeln mit SaugnĂ€pfen und Augen, die dir nachblicken, wo auch immer du dich hin bewegst. Aus dem RĂŒcken ragen vier FlĂŒgel und ermöglichen seine Fortbewegung. Sein Gehirn befindet sich in der Mitte des Körpers, dort wo die Schuppen einer blassblĂ€ulichen Haut weichen, die so durchsichtig ist, dass man die pulsierende grĂŒne Hirnmasse sehen kann. Es scheint in der Lage, sich auf die Schwingungen menschlicher Denkapparate einzustellen. Es ist nicht telepathisch, hat jedoch eine seltsame Kraft, mit der es Menschen beeinflussen kann. Es hat Silke dazu gebracht, in die Reproduktionsklinik zu gehen, und wir ahnen, was sie und viele andere Frauen zur Welt bringen werden. Als wir merkten, dass dieses Monstrum auch uns ĂŒbernehmen wollte, sind wir aus dem Institut geflĂŒchtet.
Hans, wir wissen nicht, was das Wesen im Schilde fĂŒhrt, doch es ist nichts Gutes. Gott stehe uns bei.

Georg’.

Wie gelĂ€hmt starrte Hans auf den Brief. Er wusste, es war alles seine Schuld. Schwach war der Trost, dass auch jemand anders an seiner Stelle dazu hĂ€tte gezwungen werden können. Wie konnte er sich davon distanzieren? Er sah sich außerstande, auf Georgs Brief zu antworten.

Da stand mehr auf dem Spiel! Sie wollten die Erde ĂŒbernehmen, Chaos und Verderben ĂŒber den Planeten bringen. Waren es Computer? Oder waren diese nur Mittel zum Zweck, von einer außerirdischen Rasse ausgewĂ€hlt, welche die Erde kolonisieren wollte? Einer Rasse, jenseits von Zeit, Raum, aus anderen Dimensionen? Reichte nicht eine VerĂ€nderung des genetischen Codes nach ihrem Vorbild dazu aus?

Hans vermied es, in die Stadt zu gehen. Besorgungen machte er in der dörflichen Umgebung. Doch in letzter Zeit, wenn er mit seinem Hund im Wald spazierenging, hielt er den Atem an und sein Herz schlug schneller. Nervenzerfetzende Angst begleitete ihn auf Schritt und Tritt. Wieder heulte der Hund, zerrte an der Leine und Hans hörte FlĂŒgel schlagen, sah Tentakel vom Baum herabhĂ€ngen, blickte auf ein pulsierendes Gehirn zwischen den Zweigen und ging hastig weiter, wĂ€hrend die Fangarme auf ihn zeigten und die Augen darin ihm nachblickten.













Klaus Eylmann

Drei Prozent

Hans war nicht wohl. Er spĂŒrte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten.
Es lag etwas sinistres in der Art, wie sie miteinander kommunizierten. Sie halfen ihm bei seiner Arbeit, doch er spĂŒrte ein Unbehagen, wenn er sah und hörte, wie die kleinen, metallenen KĂ€sten raunten und flĂŒsterten. Winzige Lampen blinkten, zwinkerten, und aus der Dunkelheit um sie herum brach ein heller Fleck hervor, dort, wo sich das Raunen und FlĂŒstern hypnotisch auf sein GemĂŒt legte, der in seinem weißen Kittel bewegungslos vor einem Monitor saß. In den dicken BrillenglĂ€sern spiegelten sich Buchstaben, die nach oben ĂŒber den Bildschirm zogen: TGCA, AGCT, CGTA
.
Chromosom 12. Buchstabenkombinationen tanzten vor seinen Augen. Hans HĂ€nde wurden feucht. Neben ihm summte es, und er bewegte den Kopf zur Seite. Aus dem Drucker kam ein Blatt Papier.

Ein Bus holperte ĂŒber die Schienen. Hans schreckte aus dem Schlaf. Rauch quoll aus Schornsteinen, zeichnete bizarre Formen in den Himmel. Das Fahrzeug ratterte ĂŒber eine Schotterstraße, hielt, spieh einige FahrgĂ€ste aus. Zischend schlossen sich die TĂŒren, und das GefĂ€hrt verschwand wie ein Traum in der MorgendĂ€mmerung, wĂ€hrend sich Hans seinem Haus nĂ€herte und ein paar Sekunden vor der TĂŒr verharrte, bevor er sie öffnete.
Seine Frau. Von Silke keine Spur, als er die TĂŒr zum Schlafzimmer aufriss. Auch heute nicht. Hans warf sich auf sein ungemachtes Bett, spĂŒrte die Leere in sich und wartete darauf, dass Zorn und Verbitterung von ihm Besitz ergriffen. Sie wĂŒrde jetzt mit Georg zur Arbeit fahren, mit dem sie schlief, bei dem sie wohnte.

Hans zog das Papier aus seiner Hosentasche. Was hatten ihm die Computer ausgedruckt? Ein Rezept. Chemikalien, die es in jeder Drogerie gab. Ihm war unbehaglich zu Mute. UnschlĂŒssig hielt er den Zettel in seiner Hand. Sollte er es ausprobieren?

Er besorgte sich die Zutaten, rĂŒhrte sie zuhause an, goss die Lösung in ein Glas, fĂŒllte es mit Wasser auf. Er betrachtete es, als sei es ein Gegenstand aus einer anderen Welt, drehte es in seinen HĂ€nden, dann stĂŒrzte er die Lauge hinunter.

Die Nacht darauf, vor dem Bildschirm, ließ er den genetischen Code auf Chromosom 13 an sich vorĂŒberziehen. Vergeblich versuchte er, das Raunen und FlĂŒstern der Computer aus seinem Bewußtsein zu verbannen. Er konnte es nicht greifen. Er spĂŒrte, dass etwas Unheilvolles in der Luft lag. Die Computer? Sie waren doch seine Freunde. Er starrte auf das Blinken ihrer LĂ€mpchen. Ihm war, als zwinkerten sie sich heimlich zu.
Hans zwang seine Gedanken in eine andere Richtung. Er dachte an Silke. TagsĂŒber saß sie mit Georg in diesem Raum. Doch es waren seine Computer, die ihm zu einer unglaublichen Entdeckung verholfen hatten, und einen Monat spĂ€ter stand es in einem wissenschaftlichen Journal: “MĂ€use und Menschen sind genetisch zu siebenundneunzig Prozent identisch.” Als Autoren zeichneten Zimmermann, Georg und Silke. Ihn hatten sie ĂŒbergangen.
Silke. Wieso begehrte er sie nicht mehr? Warum war er an Frauen nicht mehr interessiert? Lag es an der Lösung, die er getrunken hatte?

Chromosom 14. Der Mann von der Wach- und Schließgesellschaft zog seinen Kopf aus der TĂŒr, wĂŒnschte noch eine angenehme Nacht und setzte seine Runde fort. Hans war froh, den Computersaal fĂŒr einen Moment verlassen zu können. Schien es nicht, als versuchten die Computer, seinen Willen in eine bestimmte Richtung zu lenken?
Niemand war zugegen, als Hans mit der angerĂŒhrten Mischung in dem schwach beleuchteten Flur vor den Kaffeeautomaten trat. Es klackte, die TĂŒr des Automaten öffnete sich. Auf einem BehĂ€lter stand ‘Kaffeesahne’. Hans schĂŒttete den Inhalt seiner Flasche dazu. Die TĂŒr des Automaten fiel ins Schloss.

Wieso wunderte er sich nicht, dass Silke eines Tages wieder in der Wohnung auftauchte? Das Bett war gemacht, KĂŒhl- und Kleiderschrank waren voll, und es stand ein weiteres Zahnputzglas auf dem Waschbecken.
Hans ging ihr aus dem Weg, arbeitete nachts mit den Computern die Chromosomenpaare durch. Sie gingen weiter der Frage nach: Worin besteht der genetische Unterschied zwischen Mensch und Maus?
Chromosom 18. Hans starrte teilnahmslos auf den Bildschirm, ĂŒber den genetische Zeichenketten liefen, und wieder kam ein Blatt Papier aus dem Drucker. Ausdrucke von Silkes E-Mails. Wie kamen seine Computer an ihre elektronische Post? Woher wussten sie, dass er sich dafĂŒr interessierte?

‘Georg, Liebster:
Ich komme nicht darĂŒber hinweg, dass du mich nicht mehr willst. Was ist in dich gefahren? Wieso redest du nicht mehr mit mir? Warum muss ich mich dir auf diese Weise nĂ€hern? FĂŒhlst du nicht, wie ich dich liebe? Ich will ein Kind von dir!
All die schönen Stunden, die wir miteinander verbracht haben. Bedeuten sie dir nichts? Ich kann es nicht glauben.
Silke.’

‘Silke:
Zwischen uns ist es aus. Ich fĂŒhle nichts mehr fĂŒr dich. Wenn du ein Kind willst, empfehle ich die Reproduktionsklinik.
Georg.’

Eine Woche spĂ€ter war die Analyse abgeschlossen. Aus dem Drucker kam eine Beschreibung, wie Gene, die von denen des Menschen abwichen, synthetisiert und gegen menschliche ausgetauscht werden konnten. Ein wissenschaftlicher Durchbruch! NobelpreiswĂŒrdig!, dachte Hans erregt, und er machte sich auf den Weg ins Labor. Das Ergebnis wĂŒrde er fĂŒr sich behalten. Er dachte an Silke. Allein ihretwegen hĂ€tte sich der Aufwand gelohnt.

Ein paar NĂ€chte spĂ€ter lehnte Hans sein Fahrrad an die Hecke vor der Reproduktionsklinik und ging zum Nebeneingang. Es klackte, und er öffnete die TĂŒr. Die Computer schienen ĂŒberall VerbĂŒndete zu haben.
Der Raum war weiss gekachelt. Hans schnallte seinen Rucksack ab, entnahm ihm Serum und Injektionsspritze. Ein Aluminiumtank stand in der Ecke. Es dampfte, als Hans ihn öffnete und die Röhrchen sah, tiefgekĂŒhlt, hunderte von ihnen. Entgeistert blickte er auf die BehĂ€lter. Was wollten die Computer von ihm? Jedes der Röhrchen enthielt einen Pre-Embryo, ein Wesen im vier- bis sechzelligem Stadium. Ihm kamen Zweifel. Hatte sich Silke wirklich fĂŒr eine In-Vitro-Fertilisation angemeldet? Welcher dieser Embryos wĂŒrde ihr eingepflanzt werden? Er konnte sie doch nicht alle modifizieren.
Hans verschloss den Tank und verließ kopfschĂŒttelnd den Raum. Er hatte nicht vor, Serum fĂŒr hunderte von Embryos auf die Spritze zu ziehen. Allein der Gedanke daran ließ ihn schaudern. Silke hatte es verdient zu hören, dass es kein Mensch sei, dem sie das Leben schenken wĂŒrde, aber hunderte von Frauen? Es konnte nicht sein, es durfte nicht sein. Wollten ihn die Computer zum Monster machen? Es waren doch seine Freunde, oder hatten seine Ängste einen realen Hintergrund?
Nervös betrat er den Computersaal und schaltete den Monitor ein. Etwas hatte sich verĂ€ndert. Das FlĂŒstern und Raunen war heftiger, LĂ€mpchen blinkten in zornigem Rot, und auf dem Bildschirm formte sich Hans Gesicht mit seinen dicken BrillenglĂ€sern. Entsetzt sah er, wie es sich in einen TotenschĂ€del verwandelte.
Panik erfasste ihn, und er versuchte den Bildschirm auszuschalten. Es ging nicht. Wieder und wieder drĂŒckte er den Knopf. Nichts. Grauen packte ihn. Ihm war, als stecke sein Gehirn in einem Schraubstock, der mit jeder Umdrehung ein weiteres StĂŒck seiner Gedanken zermalmte. Er riss die Schublade auf, griff nach dem Zettel mit den genetischen Modifikationen, wollte fliehen, und blieb doch wie gelĂ€hmt auf seinem Platz. Der TotenschĂ€del wich hypnotischem Flackern, das ihn in den Schirm hineinzuziehen schien. Vergeblich versuchte er seinen Blick abzuwenden. Er spĂŒrte eine Leere in sich, die seine letzten Gedanken fraß


“Bleiben Sie liegen.”
Eine Krankenschwester beugte sich ĂŒber ihn und drĂŒckte ihn in die Kissen zurĂŒck. Neben ihr stand ein kleiner, bĂ€rtiger, Ă€lterer Mann, der ihn zornig anstarrte.
“Professor Zimmermann, wo bin ich? Was ist mit mir?”
“Wir haben Sie heute Morgen im Computersaal gefunden. Vor einem flackernden Bildschirm. Nicht ansprechbar. Hans, was haben Sie da um Himmels willen gemacht?”
Die Erinnerung kam zurĂŒck. Er zitterte am ganzen Körper.
“Professor, etwas geht dort vor! Haben Sie das Papier gesehen? Sie verlangten, ich solle humanoide Gene durch Mausgene ersetzen.”
“Wer?”
“Die Computer!”
“Wo?”
“In der Reproduktionsklinik!”
Die Krankenschwester blickte besorgt und fuhr mit ihrer Hand ĂŒber seine Stirn.
“Hans, beruhigen Sie sich!” Zimmermann schĂŒttelte den Kopf.
“Gene von MĂ€usen? Dass ich nicht lache. Sie haben uns schön in die Nesseln gesetzt! Blamiert haben Sie uns! Menschen und MĂ€use zu siebenundneunzig Prozent identisch, wie?”
Er begann nervös auf und ab zu laufen. “Und ich Idiot, warum habe ich es nicht kontrolliert? Wir, unser Institut, unser Artikel wurden zum Gespött der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Das waren keine Mausgene, Mann!”
“Aber was war es dann?”
“Das wissen wir nicht, Hans. Ihre Computer spielten verrĂŒckt!”
“Was soll das heißen, meine Computer?”
Zimmermann stellte sich vor sein Bett. Sein Gesicht hatte eine ungesunde Röte angenommen.
“Hans, Sie waren ein wertvoller Mitarbeiter. Dass Sie uns das angetan haben.
Unter diesen UmstĂ€nden können wir Sie nicht weiterbeschĂ€ftigen. Sie werden grosszĂŒgig abgefunden, aber wagen Sie nicht, noch einmal unser Institut zu betreten!” Zimmermann machte auf dem Absatz kehrt, verließ das Zimmer und schlug die TĂŒr hinter sich zu.
Wie betĂ€ubt blieb Hans liegen. Er versuchte an nichts zu denken, doch es gelang ihm nicht. Kein wissenschaftlicher Durchbruch. Alles war umsonst gewesen. Die Computer hatten sie in die Irre gefĂŒhrt. Warum? Was bezweckten sie damit? Ihm schauderte, zu viele Gedanken quĂ€lten ihn. Nur unter MĂŒhen gelang es ihm einzuschlafen.

Einige Stunden spĂ€ter kam Georg ins Zimmer. Es war ihm, so schien es, nicht leichtgefallen. Sein Gesicht war bleich unter dem sonnenstudiogebrĂ€unten Teint. Unstet glitt sein Blick ĂŒber Hans hinweg.
“Es tut mir leid wegen Silke. Ich war da in etwas rein gestolpert, aber es ist vorbei. Wir sehen uns nicht mehr.”
“Schon gut, Georg. Schwamm drĂŒber.” Hans lĂ€chelte mĂŒde. “Nur, wieso?”
“Ich weiß es auch nicht. Von einem Tag auf den anderen habe ich die Lust verloren sie zu sehen. Und ĂŒberhaupt. Ich empfinde nichts mehr fĂŒr Frauen. Irgendwie deprimierend, dass Sex mich auf einmal kalt lĂ€sst.”
Hans Gesicht wurde ausdruckslos. “Zimmermann hat mich gefeuert. Wie habt ihr erfahren, dass es sich um keine Mausgene handelte?”
“Wir hatten die Datenbank zugĂ€nglich gemacht. Es gab genug Wissenschaftler außerhalb des Instituts, welche die Gene daraus mit denen der Maus vergleichen konnten. Es gab keine Übereinstimmung.”
Hans setzte sich auf.
“Habt ihr den Zettel gefunden, aus dem hervorging, wie man vom Menschen abweichende Gene gegen menschliche austauscht?”
“Sicher, und die Technik ist bahnbrechend. Wie bist du darauf gekommen? Eine Schande, dass Zimmermann dich gefeuert hat. Was willst du jetzt unternehmen?”
“Es war schrecklich,” flĂŒsterte Hans. Die Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er auf den Mann vor seinem Bett. “Die Computer machen mir Angst. Sie haben mich benutzt. Sie haben etwas vor, und es nichts Gutes. Ich werde mich nie mehr vor einen Bildschirm setzen.”
Georg blieb stumm. Langsam ging er zur TĂŒr, dann drehte er sich noch einmal um.
“Wir haben eine kĂŒnstliche GebĂ€rmutter entwickelt, darin werden wir einen modifizierten Embryo zur Reife bringen. Wir wollen wissen, was deine Computer ausgeheckt haben.”

Hans wusste, er wĂŒrde seinen Beruf nicht mehr ausĂŒben können. Er konnte es einfach nicht mehr. Die Angst ließ sich nicht vertreiben. Einige Monate spĂ€ter kaufte er sich von seiner Abfindung einen kleinen Bauernhof und fing an Schweine zu zĂŒchten. Fernseher und Computer gab es dort nicht, und er las keine Zeitung. Hin und wieder hörte er Radio. Dies und die Post reichten ihm, doch spĂ€ter fragte er sich, ob es nicht besser sei, auch darauf zu verzichten? Wie sollte er je seinen inneren Frieden wieder finden? Nachrichtenfetzen, die dann und wann aus dem Radio zu ihm drangen, enthielten so viel Beunruhigendes, dass er um seinen Verstand fĂŒrchtete.

“In den entwickelten LĂ€ndern ist die Geburtenrate auf ein Minimum gefallen. Ehescheidungen haben um achtzig Prozent zugenommen. Inzwischen hat der Trend auf LĂ€nder der dritten Welt ĂŒbergegriffen. Eine Bevölkerungsimplosion beginnt sich abzuzeichnen. Die GrĂŒnde dafĂŒr sind nicht bekannt.”

“Frauen stĂŒrmen SamenbĂ€nke und Reproduktionskliniken!”

“Auf den PlĂ€tzen der StĂ€dte protestieren wĂŒtende Frauen dagegen, dass MĂ€nner ihren Pflichten nicht mehr nachkommen.”

“Genwissenschaftler festgenommen. Ein fĂŒhrender Genetiker wurde von einer Videokamera erfasst, als er in eine Reproduktionsklinik einbrach. In seinem GepĂ€ck fand man ein Serum sowie eine Injektionsspritze. Auf Befragen der Polizei entgegnete er: “Das war nicht ich. Es waren die Computer.”

“Die Verweigerung der MĂ€nner wird als ernstes Problem angesehen. Erste Ergebnisse deuten auf das Trinkwasser als Ursache hin.”

Dann kam ein Brief von Georg, der Hans noch mehr verstörte.




‘Hans,

Ich wollte Dich unmittelbar ĂŒber das Ergebnis unserer Untersuchung informieren, doch hat es einige Zeit gedauert, bis ich Deine Adresse herausgefunden habe. Das Experiment, von dem ich dir im Krankenhaus erzĂ€hlte, wurde abgeschlossen. Es war ein Ende mit Schrecken, denn das, was wir kĂŒnstlich erzeugt haben, ist nicht von dieser Welt. Es entstand ein Wesen, das selbst unsere Phantasie zu ersinnen nicht in der Lage war: Aus einem etwa dreißig Zentimeter langen Körper mit grĂŒnen Schuppen wachsen sechs Tentakeln mit SaugnĂ€pfen und Augen, die dir nachblicken, wo auch immer du dich hin bewegst. Aus dem RĂŒcken ragen vier FlĂŒgel und ermöglichen seine Fortbewegung. Sein Gehirn befindet sich in der Mitte des Körpers, dort wo die Schuppen einer blassblĂ€ulichen Haut weichen, die so durchsichtig ist, dass man die pulsierende grĂŒne Hirnmasse sehen kann. Es scheint in der Lage, sich auf die Schwingungen menschlicher Denkapparate einzustellen. Es ist nicht telepathisch, hat jedoch eine seltsame Kraft, mit der es Menschen beeinflussen kann. Es hat Silke dazu gebracht, in die Reproduktionsklinik zu gehen, und wir ahnen, was sie und viele andere Frauen zur Welt bringen werden. Als wir merkten, dass dieses Monstrum auch uns ĂŒbernehmen wollte, sind wir aus dem Institut geflĂŒchtet.
Hans, wir wissen nicht, was das Wesen im Schilde fĂŒhrt, doch es ist nichts Gutes. Gott stehe uns bei.

Georg’.

Wie gelĂ€hmt starrte Hans auf den Brief. Er wusste, es war alles seine Schuld. Schwach war der Trost, dass auch jemand anders an seiner Stelle dazu hĂ€tte gezwungen werden können. Wie konnte er sich davon distanzieren? Er sah sich außerstande, auf Georgs Brief zu antworten.

Da stand mehr auf dem Spiel! Sie wollten die Erde ĂŒbernehmen, Chaos und Verderben ĂŒber den Planeten bringen. Waren es Computer? Oder waren diese nur Mittel zum Zweck, von einer außerirdischen Rasse ausgewĂ€hlt, welche die Erde kolonisieren wollte? Einer Rasse, jenseits von Zeit, Raum, aus anderen Dimensionen? Reichte nicht eine VerĂ€nderung des genetischen Codes nach ihrem Vorbild dazu aus?

Hans vermied es, in die Stadt zu gehen. Besorgungen machte er in der dörflichen Umgebung. Doch in letzter Zeit, wenn er mit seinem Hund im Wald spazierenging, hielt er den Atem an und sein Herz schlug schneller. Nervenzerfetzende Angst begleitete ihn auf Schritt und Tritt. Wieder heulte der Hund, zerrte an der Leine und Hans hörte FlĂŒgel schlagen, sah Tentakel vom Baum herabhĂ€ngen, blickte auf ein pulsierendes Gehirn zwischen den Zweigen und ging hastig weiter, wĂ€hrend die Fangarme auf ihn zeigten und die Augen darin ihm nachblickten.

Letzte Aktualisierung: 26.06.2006 - 23.21 Uhr
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