'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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November 2002
Ein kleiner Eingriff
von Karl-Heinz Ganser

„Ja, mein Lieber! Deine Beschwerden kommen von den Gallensteinen. Da bin ich mir ganz sicher“, sagte mein Hausarzt und schaltete das Ultraschallgerät ab.
„Muss operiert werden?“ fragte ich kleinlaut, denn mir war gar nicht wohl bei dem Gedanken, dass jetzt vielleicht meine erste Operation bevorstand.
„Keine Sorge“, meinte Doktor Berger und klopfte mir väterlich auf die Schulter.
„Das ist ein kleiner, harmloser Eingriff, den man heute mit der sogenannten Endoskopie macht.“
Der Doktor schmunzelte. „Vier kleine Narben auf der Bauchdecke, das ist alles was Du dann Deiner Freundin später zeigen kannst.“ „Und“, fügte er hinzu, „wenn Du willst, kannst Du Dir die ganze Operation auf dem Bildschirm bei der lokalen Betäubung ansehen.“
Ansehen, ich? Wo ich doch kein Blut sehen konnte. Nein, mit ansehen, wie die im Krankenhaus an meinen Bauch herum schnippeln? Das wollte ich auf gar keinen Fall.
Als ob der Doktor meine Gedanken erraten hätte, beruhigte er mich und sagte: „Kannst auch Musik hören und die Augen zumachen.“

Drei Tage später lag ich auf dem Operationstisch.
Ich war überhaupt nicht aufgeregt. Sicher lag es daran, dass die junge hübsche Schwester mir eine starke Beruhigungsspritze gegeben hatte.
Um nichts von dem mitzubekommen, was sich nachher bei der Operation abspielen würde, bat ich darum, mir ein kleines grünes Tuch vor das Gesicht zu spannen.
Da lag ich nun und wartete neugierig darauf, worüber sich der Professor, sein Assistenzarzt und die OP-Schwester während des Eingriffes wohl unterhalten würden.
Ich hörte metallische Geräusche und wie Geräte eingeschaltet wurden.
Vergeblich bemühte ich mich, etwas von dem zu verstehen, worüber sich die Drei unterhielten.
Dann lass sie mal machen dachte ich und merkte, wie ich so langsam einschlummerte.

Plötzlich hörte ich den Professor sagen: „Der junge Mann hat ja ein ganz schönes rundes Bäuchlein. Mal sehen, was da so alles zum Vorschein kommt.“
„Aber Herr Professor, warum nehmen Sie das große Skalpell und nicht ...?“ empörte sich der Assistenzarzt.
„Reden Sie nicht!“ unterbrach der Professor ihn ärgerlich.
„Was sein muss, muss sein! In so einem fetten Bauch muss man gründlich nachsehen!“
Ich horchte auf. Hoffentlich wird der nur die Gallensteine rausnehmen, ging es mir durch den Kopf, und ich merkte, dass ich jetzt doch unruhig wurde.
Dann vernahm ich wieder die Stimme des Professors, die jetzt sehr erstaunt klang: „Nun schauen Sie sich diese dicken Hühnereier an, die den Gallenausgang versperren.“
Ich spürte, dass der Chefarzt mit einer Zange in meinem Bauch werkelte.
Nach einer Weile kam dann das erleichterte: „So, das wäre geschafft!“
Jetzt habe ich es gleich hinter mir, frohlockte ich schon, da meldete der Chefarzt sich schon wieder. „Und jetzt müssen wir uns noch die Leber, den Magen, den Darm und die Nieren ansehen!“
„Herr Professor!“ sagte der Assistenzarzt leise, „der Patient hat keine Vollnarkose, da können Sie doch jetzt nicht ...“
„Der Mann hat eine gute Konstitution, das macht dem nichts aus“, unterbrach er seinen Assistenten.
Ich sah plötzlich zwei unheimlich große, schwarze Augen vor mir.
„Sie sind doch tapfer, junger Mann, nicht wahr?“ Der Professor strich mit seiner behandschuhten Hand über meine heiße Stirn.
Ich fühlte mich auf einmal so hilflos, so völlig diesem Menschen ausgeliefert. Ich wollte ihn anschreien, dass ich nicht damit einverstanden wäre, dass er mein ganzes Eingeweide herausnehmen dürfte, aber ich bekam keinen Ton heraus.
Erschöpft schloss ich die Augen und wollte nichts mehr hören. Aber die Stimmen waren trotzdem da und sie klangen jetzt viel lauter und bedrohlicher als vorher.
Der Professor schien ziemlich entsetzt zu sein.
„So ein Innenleben habe ich noch nicht gesehen! Was hat der Kerl nur gemacht! Da muss ja fast alles raus!“ Er machte eine kleine Pause, dann polterte er los: „Herr Kollege! Jetzt müssen wir aber ran. Die Leber ist total kaputt. Den Magen nehmen wir halb weg und vom Darm mindestens einen Meter.“
„Und die Nieren?“ hörte ich den Assistenzarzt raunen. „Hoffentlich findet der Ärmste bald jemand, der ihm eine Niere spendet! “
Das ist ja blanker Horror, konnte ich nur noch denken, dann spürte ich, wie allmählich die Sinne schwanden und ich in eine tiefschwarze Dunkelheit fiel.

Als ich im Bett aufwachte, wusste ich nicht, wo ich war. Allmählich dämmerte es in mir, dass die schwarzen Augen, die mich kritisch ansahen, von dem Professor sein mussten.
Eine eiskalte Schauer lief mir den Rücken hinunter. Plötzlich erinnerte ich mich an das, was ich vorhin erlebt hatte.
Ich versuchte mich aufzurichten und schrie wütend, so laut ich konnte, dem Professor ins Gesicht: „Was haben Sie mit mir gemacht?“
„Aber junger Mann! Beruhigen Sie sich! Die Operation ist doch gut verlaufen!“
„Gut verlaufen?“ fauchte ich mit letzter Kraft: „Wieso haben Sie mir alles rausgeschnitten? Sie hatten dazu überhaupt keine Genehmigung. Ich werde Sie verklagen und dann ...“
Ich stöhnte und ließ mich erschöpft in die Kissen fallen.
„Wie soll ich denn leben ...ohne Leber ... Nieren und ... ohne Magen“, jammerte ich und es war mir so übel. Im Bauch spürte ich ziehende Schmerzen.
„Was erzählen Sie denn da?“ ereiferte sich der Professor und sah mich verständnislos an.
„Wie kommen Sie auf eine solche Idee ... ich hätte Ihnen ...“ Der Professor drehte sich zu der Schwester um und sagte: „Zeigen Sie ihm die Gallensteine!“
Als die Krankenschwester mir eine Schale mit grauschwarzen Steinen hinhielt, sagte er in einem etwas ärgerlich klingenden Ton: „Das und nur das haben wir gemacht und ...“ Dann fügte er etwas freundlicher hinzu: „Es war höchste Zeit, dass wir operiert haben. Die Gallenblase war schon hochgradig entzündet und für Sie nicht ganz ungefährlich.“
„Aber ich ... ich habe doch gehört ... wie Sie von Leber und Niere gesprochen haben ...“ stotterte ich verlegen. Hatte ich das möglicherweise alles nur geträumt, fragte ich mich.
„Hm“, machte der Professor und er schien angestrengt nachzudenken.
„Es kommt vor“, sagte er dann, „aber das ist sehr selten, dass ein Patient, wenn er besonders sensibel ist, durch die verschiedenen Wirkstoffe in der Beruhigungsspritze, in eine kurze Traumphase gleitet. Die Gedanken, die er sich vor der Operation gemacht hat, können dann wieder auftauchen.“
Er sah mich jetzt fast väterlich an.
„Haben Sie sich vor der Operation viele Gedanken gemacht?“
„Ja!“ seufzte ich ganz leise. Dann ergriff ich spontan seine Hand und drückte sie.

(c)Karl-Heinz Ganser
November 2002

Letzte Aktualisierung: 26.06.2006 - 23.41 Uhr
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