'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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November 2002
Zwischen den Zeiten
von Michael Preidel


Eigentlich hab ich ja gar keine Lust heute noch aufzustehen. Aber der Wind zieht mich irgendwie. Und ich fühle mich machtlos. Ich spüre, dass ich von innen langsam aufgefressen werde. Ich fühle mich leicht. So leicht, dass mich der Wind aus meinem Leben abheben lässt und mich weit weg trägt. Weit weg von hier. In eine Welt voller Träume und Phantasien. Ich schwebe durch meine Vergangenheit und erreiche die Zukunft. Immer wieder kann ich bestimmen, wie die Geschichte ausgeht.
Heute ist schon wieder so ein Tag. Ich sitze, wie vor etwa 20 Jahren, auf der Parkbank. Wie an dem Tag, an dem die Welt über mir zusammenbrach. Mein Kopf lag in meinen Händen. Ich heulte ein wenig. Susanne war einfach abgehauen mit unseren Kindern. Dabei war ich doch bloß besoffen gewesen. Nur besoffen. Ist das denn verboten! Wir hatten uns gestritten. Wegen was? Ich weiß es nicht mehr. Sie hatte unsere drei Kleinen ins Auto gesetzt und war einfach weggefahren. Bestimmt zu einem Freund. Sie hatte viele Freunde. Und keinen liebte sie weniger als mich. Ich war am Boden zerstört. Es war schlimm. Ich rannte auf die Straße und schrie die Namen meiner Kinder. Sie waren mein ein und alles. Ich brach auf offener Straße heulend zusammen. Ich konnte nicht mehr. Es war aus für mich! Ich krabbelte deprimiert und heulend auf die nächste Bank, denn der Verkehr nahm keine Rücksicht auf mich. Sie hupten und brüllten Perverses. Es war nicht mehr auszuhalten. Ich schaffte es gerade noch so. Eine Straßenlaterne zeigte mir den Weg.
Aber jetzt geschah etwas Unfassbares. Vor mir türmten sich aus dem Nichts drei schwarzgekleidete Kinder auf. Sie waren größer als ich. Kein Wunder, denn ich saß ja zusammengekauert auf der Bank. Durch die Schlitze meiner Hand konnte ich sie schwer erkennen. Aber sie hatten das Profil meiner drei Süßen. Vermummt in schwarze Jacken und mit Mützen standen sie vor mir. Bryan, Julie und Keith. Sie waren es. Ich wusste es. Ich sprach ihre Namen erst leise und dann immer lauter. Aber keines reagierte. Sie traten sogar einen Schritt zurück. Was hatte ich ihnen angetan, dass sie von mir wichen? Ich war immer lieb zu ihnen gewesen. Zu Weihnachten wurden sie immer reichlich beschenkt. Und jetzt, wo ich sie mal brauchte, da traten sie zurück. Ich ging immer näher auf sie zu. Immer schneller. Bis wir rannten. Wir rannten an unserem Haus vorbei. An Bryans Schule. Und noch weiter. Aber wohin konnte ich bei der Dunkelheit nicht erkennen. Ich hatte auf einmal so viel Puste, wie noch nie in meinem Leben. Und wir rannten noch weiter. Soweit war ich noch nie gekommen. Und da waren die drei auch schon verschwunden. Einfach so. Sie hatten mich abgehängt. Ich nahm einen Schluck von meinem Wodka, den ich mir gekauft hatte. Ich trank und trank. Die Flüssigkeit rutschte mir nur so die Kehle runter. Diese Schweine! Erst sagen sie kein Wort und dann hauen sie auch noch ab. Was fällt ihnen eigentlich ein. Ein Grund um ihnen mal wieder eine Lektion zu erteilen. Ich wankte auf die Straßenmitte und brüllte lauthals:“ Kommt raus! Ihr seid umzingelt.“ Ich musste hämisch grinsen und taumelte angetrunken zu Boden. Da waren sie! Im Licht der Laterne konnte ich sie erkennen. Die beiden Kleinsten winkten mir auch. Was war denn das! Ich rieb mir die Augen, mit der anderen Hand stützte ich mich ab. Bryan zog eine Pistole. Es war meine Pistole!
Nein! Er richtete die Waffe auf mich. Ich konnte sein Grinsen sehen. Seine Hand lag auf dem Abdruck. Nein, schrie ich. Julie und Keith traten einen Schritt zurück. Langsam und unsicher krabbelte ich zu Bryan. Ich wollte ihm die Waffe abnehmen. Ich heulte. Du wirst doch nicht deinen Vater umbringen wollen! Seine Antwort war eindeutig. Er drückte mir das Eisen an die Schläfe. Das Mädchen fing an zu heulen und hielt sich die Hände vor die Augen. Keith spuckte nur auf mich und stotterte irgendwas spöttisch über mich. Das war mein Ende! Aber von seinen eigenen Kindern umgebracht zu werden. Nein, dass hatte ich mir in meinen schlimmsten Albträumen nicht ausgedacht. Ich war doch immer ein lieber Vater für sie gewesen. Ich hatte sie doch nur zu recht gewiesen. Ist denn so was verboten für einen Vater? Darf ich sie denn gar nicht erziehen...
Irgendwas drückte meine Schulter und ich erwachte. Es war Gott sei Dank nur ein Traum, dachte ich. Aber was war los. Meine Augen waren verbunden. Ich wollte rufen, aber konnte nicht. Man hatte mich geknebelt. War es dann doch Realität? Gab es eine andere Realität? Ich konnte Sues Stimme hören. Sie sang wie damals an Weihnachten für die Kinder. Ich roch Zimt und Nelken. War es nun doch Weihnachten? Aber wieso hatten sie mich festgebunden? Ich hatte ihnen doch nichts getan. Ich merkte wie Keith mich unsanft umarmte um mir eine zu scheuern. War das Liebe? Ich wollte auch ausholen, aber meine Hände waren gefesselt und lagen in eiskaltem Wasser. Ich konnte sie kaum spüren. Mein Gott war das schlimm! Ich betete und dann fiel ein Schuss. Dann noch einer. Zum Schluss hörte ich einen schweren Körper zusammensacken. Wer hatte da geschossen? Ich erinnerte mich und wollte Nein schreien, aber es kam nichts.

(c) Michael Preidel, 11/02

Letzte Aktualisierung: 27.06.2006 - 00.36 Uhr
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