Der Tod aus der Teekiste
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November 2002
Unter Ameisen
von Daniel Berg


Mauritz ist eine kleine Stadt. Umso schlimmer, wenn man 16 Jahre alt ist und unglücklich verliebt. Als Hormonbombe durch die Straßen laufen, hinundhergerissen zwischen der Hoffnung, sie zu sehen und der krankmachenden Vorstellung, dass er, der andere, schon wieder mit ihr rummacht – ich bin froh, dass diese Zeit vorbei ist.
Auch Dr. Davidson hatte hier lange Zeit gelebt. Über 15 Jahre um genau zu sein, bis zu dem Zeitpunkt, als die Geschichte mit den Ameisen Mauritz für einige Tage ungeahnten Ruhm verlieh. Ich kam damals in die 10. Klasse. Und wenn man in Mauritz in die 10. Klasse kam, dann war man eines Tages an der Reihe, die am Rande der Stadt gelegene Station für Insektenforschung zu besuchen. Unser Biologielehrer, Herr Prange, hatte uns eingehend auf die Exkursion vorbereitet und dabei das Hauptaugenmerk auf die Ameisen gelenkt. Die Ameisenkunde, soviel wusste man in der Stadt, war das eigentliche Spezialgebiet der Mauritzschen Station. Als wir an einem kühlen Herbstmorgen die vor einem Wald gelegene Station erreichten, fiel mir zunächst die Stille und Abgeschiedenheit des Ortes auf. Links von dem offensichtlich als Wohnhaus dienenden Gebäude befanden sich in einiger Entfernung zwei Baracken, rechts war lediglich eine Art Schuppen. Kein Mensch war zu sehen, kein Tier zu hören. Wir waren für 9 Uhr angemeldet und hatten erwartet, an der Forschungsstation zumindest Dr. Davidson, seinen Kollegen Dr. Schreiner sowie eventuell die Frau des erstgenannten anzutreffen. Auch nachdem unser Lehrer mehrmals an die Tür geklopft hatte, tat sich nichts. Prange ging um das Haus. Kurze Zeit später tauchte er wieder auf und winkte uns herbei. Hinter dem Haus war ein Garten, in dem zahlreiche Stühle einen Halbkreis bildeten. Auf jedem der Stühle lag ein Kopfhörer. Weiter vorne stand ein Schild, auf dem geschrieben war: Das Treffen beginnt um 10 Uhr. Verfolgt in der Zwischenzeit die Geräuschkulisse der Ameisen. Natürlich fand ich eine solche Begrüßung merkwürdig und wenn ich bis dahin fast ununterbrochen an sie, die in meine Klasse ging, gedacht hatte, so wurde ich angesichts der eigenartigen Begrüßungsumstände tatsächlich für einen Moment abgelenkt. Dann aber die Frage: Wo war sie gerade und wo setze ich mich am besten hin? Ich setzte mich so, dass rechts neben mir noch drei Stühle frei waren; das war sozusagen die Einladung. Die Einladung wurde abgelehnt, sie nahm in der anderen Hälfte des Halbkreises, mir schräg gegenüber Platz. Er setzte sich direkt neben sie (sehr schlecht!), sie nahm allerdings kaum Notiz davon (sehr gut!). Da es erst 9.30 Uhr war und uns nichts anderes übrig blieb, streiften wir die Kopfhörer über. Zu hören war ein weit entferntes Summen oder Brummen, dass später in ein anhaltendes rhythmisches Stampfen überging. Ich stellte mir den Beginn eines Ameisenmarsches vor und erfuhr später, dass ich damit gar nicht so schlecht gelegen hatte. Um 10 Uhr – die meisten von uns hatten längst die Kopfhörer abgelegt -, hörten wir plötzlich ein lautes Knacken und Rauschen. Unser Blick fiel auf die Rückseite des Hauses, an dem in mittlerer Höhe rechts und links zwei Lautsprecher befestigt waren. Eine Stimme ertönte: Was wisst ihr schon über Ameisen? Wie auch immer, das, was ihr eben gehört habt, stellt den Übergang eines scheinbar unkoordinierten Gewimmels zu einer konzertierten Aktion dar. Typische Auslöser konzertierter Aktionen sind das Aufspüren neuer Nahrungsquellen oder das Herannahen von Feinden. Bevor ich fortfahre möchte ich aber zunächst Versäumtes nachholen und euch herzlich begrüßen. Meine Frau und mein Kollege Dr. Schreiner können leider im Moment nicht persönlich erscheinen, vielleicht trefft ihr sie später noch. Zurück zu den Ameisen. Die Geräuschkulisse, von welcher eben die Rede war, habe ich schon hunderte von Stunden in mir aufgenommen. Sie diente mir in den letzten Jahren mehr und mehr dazu, zu denken. Nicht mehr zu denken, um zu denken, wenn ihr versteht. Subtraktion des menschlichen Denkens und folgerichtig der menschlichen Gedankenwelt von dem, uns mit den Ameisen verbindenden Lebenszusammenhang. Spätestens in vier Stunden wird jeder von euch an die Nahrungsaufnahme denken, das ist die Tatsache. Nahrungsaufnahme, Ausscheiden, Müdigkeit, Schlafwunsch, Schlafzustand, Aufwachen, Nahrungsaufnahme, Ausscheiden – dazwischen die subtrahierbaren Zwischenräume. Ungeachtet der Worte Davidsons war mein Blick die ganze Zeit auf die Beiden gerichtet, er seine linke Hand verkrampft auf dem Knie - nur wenige Zentimeter von ihrem Bein entfernt.
... Die Zwischenräume ausfüllen, die in den Zwischenräumen herrschenden Spielregeln kennen und in Harmonie überführen, die Gesetzmäßigkeiten kennen und in ihnen, mit ihnen, leben, das war für viele, viele Jahre hier in Mauritz die Maxime. Es war die Maxime an der Seite meiner Frau und meines Mitarbeiters Dr. Schreiner.
Bis zu dem Tag, an dem der Wagen nicht losfuhr. Vielleicht hatte ich schon einen Verdacht, als ich eines Tages in die Stadt ging, um meine Frau von ihrem Sprachkurs abzuholen. Ich kam von einem kleinen Weg, der an der Stadtbibliothek seinen Ausgang nimmt und nach einigen Wiesen und Bäumen eine Straße kreuzt, auf deren anderer Seite sich die Schule befindet. Ich will gerade die Straße überqueren, als mein Blick auf den unmittelbar vor dem Schultor geparkten Wagen fällt, den ich kenne. Es ist der Wagen von Schreiner. Ich ziehe mich in ein abseits des Weges gelegenes Gebüsch zurück. Ich warte. Plötzlich sehe ich meine Frau, erst gehend, dann laufend, immer schneller laufend, gerade auf mich zulaufend, mit einem Lachen im Gesicht, das ich kenne, ein Lachen, das erst erstirbt, als ihr Einstieg in den Wagen mir die Sicht versperrt. Wenn das Auto sofort losgefahren wäre! Aber es fuhr nicht los. Das nennt man ein Symptom, müsst ihr wissen. Ich bekam einen Schweißausbruch und murmelte vor mich hin fahr los, fahr los, fahr los, bitte fahr los. Es dauerte eine Ewigkeit. Ein Symptom ist ein Symptom und kein Beweis. Aber ich bekam keine Ruhe mehr. Die Meditationsversuche mit der Ameisengeräuschkulisse führten mehr und mehr in die Irre. Die Zwischenräume konnten nicht mehr gleich- und ausgeschaltet werden. Die Geräusche drangen in sie hinein und verdichteten sich zu einem hohnspottenden Gelächter. 16 Jahre bin ich mit meiner Frau verheiratet. Unzählige Jahre habe ich mit Schreiner aufs innigste zusammengearbeitet. Ich konnte es nicht glauben. Es brauchte einen Beweis. Und so entwickelte ich schließlich einen Plan: ich würde Schreiner ankündigen, auf einen in der kommenden Woche stattfindenden Kongress zu fahren. Ob er nicht Lust hätte, mitzukommen, würde ich ihn fragen. Natürlich hätte er keine Lust, denn er hätte bereits etwas vor! Am Morgen des Kongresses nähme ich aus dem Labor ein künstliches Ameisennest, unter Fachleuten Formikar genannt, mit nach Hause und versteckte es hinter meinem Schreibtisch. In dem Formikar wären Polyergus rufescens, auch Amazonenameisen genannt, die über eine hohe Laufgeschwindigkeit verfügen und ihre Raubzüge mitunter auf bis zu 80 Meter ausdehnen. Schreiners Jacke präparierte ich mit einem unserer Fresslockstoffe. Bevor ich losfuhr, würde ich das Formikar öffnen, und durch eine simple Umweltpräparation dafür sorgen, dass die Tiere zunächst in dessen Nähe blieben. Sollte Schreiner am gleichen oder nächsten Abend meine Frau besuchen, so hätte das unweigerliche Konsequenzen. Die Polyergus rufescens würden den Fresslockstoff wahrnehmen und sich auf dem Weg machen, die Jacke zu befallen. Sollte Schreiner die Jacke, wie er es bei Besuchen immer tat, am Garderobenständer ablegen und länger als 90 Minuten im Haus bleiben, so würden die Ameisen die Jacke erreichen und darauf ihre unübersehbaren Spuren hinterlassen. Schreiner hätte dann nicht nur ein Jackenproblem sondern auch ein Ameisenproblem, denn in jeder der Ameisen, ob tot oder lebendig, konnte ich den Stoff chemisch nachweisen. Der Plan mag verrückt klingen und er war es natürlich auch. Ameisen als Privatdetektive zu gebrauchen, hat man so was schon gesehen. Was wäre, wenn Schreiner entgegen seiner Gewohnheit eine andere Jacke anzöge? Was wäre, wenn die beiden das Haus sofort verließen? Was wäre, wenn die beiden gleich ins Schlafzimmer durchmarschierten – ich brach an dieser Stelle den Gedanken ab. Die Ameisen werden gegebenenfalls zu ihrem Recht kommen, fuhr es mir durch den Kopf. Später habe ich dann beschlossen, eine der Minikameras, die wir gewöhnlich zur Verhaltensbeobachtung verwenden, an passender Stelle zu platzieren. Die Rede Davidsons brach an dieser Stelle ab und man hörte ein schweres Durchatmen. Mein Blick fiel für einen kurzen Moment auf Prange, dessen Miene zu diesem Zeitpunkt eine Mischung aus Ungläubigkeit und Skepsis zeigte, so als hätte einer von uns in der Klasse eine unverständliche Antwort gegeben. Davidson fuhr fort. Wir sehen einen Film und haben das Gefühl ein Quirl dreht sich in unserem Magen. Wir sehen verschwommen. Wir denken an die Schlupfwespe Elasmosoma berolinese, die an den Körper der Roten Waldameise ihr Ei heftet, dessen spätere Larve in den Ameisenkörper eindringt und die Ameise von innen auffrisst. Ameisenvergleich und Höchststrafe. Was mache ich mit einem Menschen wie Schreiner, fragte ich mich. Was mache ich mit einem Menschen, mit dem ich viele Jahre auf das innigste geforscht habe und der meine Geistesentwicklung wie keine anderer beeinflusst hat. Es mag maßlos erscheinen, aber Schreiner war einer der wenigen in einer alles in allem langweiligen Menschenumgebung, der meinen Gedankengängen Widerstände entgegenzusetzen vermochte. In vielen Punkten, die die Einschätzung von Mensch und Tier – und hier natürlich insbesondere die Ameisen – betrafen, waren wir gänzlich entgegengesetzter Meinung. Die Wurzel allen Menschenunglücks, so ich zu Schreiner, ist die Kleinfamilie. Sie verstrickt den Menschen in riskante, energieraubende Beziehungen und bürdet ihm die Last der individuellen Orientierung auf, die in Form des Bewusstseins und Denkens in eine haltlose Weltbild-Erzeugungsmaschinerie mündet, auf die die Ameisen auf das Natürlichste verzichten. Andererseits sei die Existenz des empfundenen Unglücks eine notwendige Bedingung des empfundenen Glücks und umgekehrt, antwortete Schreiner und erläuterte mir dies anhand der Polarität humanspezifischer Emotionen. Hier mein Menschenskeptizismus dort sein unerschütterlicher Humanismus. Wie wir wissen, so ich zu Schreiner, praktiziert die Formica sanguinea zwecks Staatsgründung mithin das folgende Verfahren: Trifft die fortpflanzungsentschlossene sanguinea-Jungkönigin auf eine Jungkönigin der Formica fusca, die gerade eine Höhle fertiggestellt hat, so gesellt sie sich einfach zu ihr und beide legen in der neuen Behausung ihre Eier ab. Die fusca-Königin oder Königinnen – es können auch mehrere sein – füttern und pflegen nun sowohl die eigenen Eier und Larven als auch die der Mitbewohnerin. Sind die ersten Larven geschlüpft, so beißt die körperlich überlegene Formica sanguinea den fusca-Königinnen, sozusagen als herzliches Dankeschön, den Kopf ab. Nichtsdestotrotz geht es der Formica sanguinea um Staatsgründung und eventuell noch um Ernährung, sie hat nicht die Absicht, aus den toten Feindinnen Ziergegenstände oder Gebrauchsmittel, ich denke an Lampenschirme und Kernseife, so ich zu Schreiner, herzustellen. Das bringt nur der Mensch fertig. Schreiner fragte: Und wenn es sich hier um eine einmalige oder wenigstens doch vorübergehende Entgleisung des Menschengeschlechts handelt? Immerhin praktiziert die sanguinea ihr perverses Verfahren bereits seit 30 Millionen Jahren. Und dies ohne jegliche göttliche Beschwerde. Schreiner über Sprache: Über welch komplexe chemische Kommunikationsmittel verfügt die Ameise und wie erbärmlich sind dagegen die immer gleichen Inhalte: Nahrungsfunde, Feindentdeckungen, Angriffskoordinierungen, Versorgungsregelung, viel mehr nicht. Bei aller Faszination für die Myrmekologie muss ich die Ameise aus Sicht des Menschen als einen geistig gedeckelten Schwachsinnsautomaten bezeichnen. Ich: Die maximale Wirkungsmächtigkeit entfaltet eine jede Sprache im Imperativ. Den maximalen Unsinn produziert sie in der Suggestion, die ich auch als Umweltablenkung bezeichne. Die Umweltaufmerksamkeit der Ameise ist nun aber die größte, ihre Befehlsmöglichkeiten, einschließlich der Hilferufe, sind die umfassendsten. Schreiners Lobgesänge auf die menschliche Sprache und die mit ihr angeblich verbundene Möglichkeit, die Umweltgrenzen zu überschreiten, wurden für mich im Laufe der Zeit unerträglich. Und doch verdienen sie eine Einzelfallstudie. Diese Einzelfallstudie läuft übrigens seit einiger Zeit und ihr solltet euch langsam Klarheit darüber verschaffen, dass ihr an dieser Studie teilnehmt. Könnte ein Löwe sprechen, so orakelte einst ein Philosoph, wir könnten ihn nicht verstehen. Ich sehe Ameisen und verstehe sie. Die Ameisen sehen mich nicht und nehmen mich möglicherweise gar nicht wahr. Sähen mich die Ameisen, sähen sie einen ungeheuren Riesen. Ich kenne meine Ameisen und weiß, dass sie genetisch auf den totalen Krieg eingestellt sind. Insofern sie den Menschen nicht in seiner Größe erfassen, ist ein unbeweglicher Mensch für sie nichts anderes als eine außerordentlich große Nahrungsquelle. Was für eine ungewöhnlich fette Beute! Ja, so stelle ich mir ihre Worte vor. Mein Blick fiel auf Prange, der mittlerweile gar nicht mehr verkniffen-skeptisch dreinblickte. Seine Augen hatten sich zu engen Schlitzen zusammengezogen, die Körperhaltung verriet Anspannung. ... die Große Rote Waldameise Formica rufa zählt zur Familie der Schuppenameisen. Während ihre engsten Verwandten, die Formica polyctena, vornehmlich im bestandsinneren des Waldes anzutreffen sind, siedelt sie zumeist an dessen Randzonen. In der überwiegenden Zahl aller Formica rufa-Nester, die unter den von ihnen errichten Hügelbauten liegen, lebt nur eine Königin. Betritt eine im Anschluss an den Hochzeitsflug befruchtete Jung-Königin ein bestehendes Nest, um einen neuen Staat zu gründen, so führt die Begegnung mit der amtierenden Königin zwangsläufig zu einem Kampf. Gelingt es einer Königin, die andere zu packen, so sägt sie ihrer Konkurrentin mit der sogenannten Kaulade den Kopf ab. Die Laufgeschwindigkeit der Formica rufa liegt übrigens nicht allzu sehr unter jener der räuberischen Amazonenameise. Spezifische äußere Kennzeichen der Formica rufa: Ihre Kopfunterseite weist zwischen 10 und 20 Härchen auf, die bis zu 257 µ lang werden, das Pronotum weist zwischen 30 und 90 Härchen auf, die bis zu 135 µ lang werden, das Propodeum weist zwischen 16-59 Härchen auf, die bis zu ... Davidson redete weiter, aber mein Blick richtete sich auf Prange, der sich ruckartig in Bewegung gesetzt hatte und davoneilte. Mir war, als hätte etwas in mir nur auf dieses Signal gewartet, denn auch ich löste mich aus meiner Starre und lief ihm als einziger nach. Prange lief zielstrebig auf den Wald zu, der wenige Meter hinter dem Grundstück begann. Prange lief immer schneller, rannte schließlich, sodass ich Mühe hatte ihm zu folgen. Ich hatte ihn bereits für eine Weile aus den Augen verloren, als ich ihn schließlich von weitem, vor einem großen Baum stehend, wiedersah. Als ich ankam, sah ich, wie sich Prange über eine sitzend an den Baum gefesselte Gestalt beugte. Er wollte diese offenbar befreien, zog dann aber seine Hand plötzlich zurück. Die an den Baum gefesselte Gestalt war ein Mann, es musste Schreiner gewesen sein. Er war völlig nackt und sein ganzer Körper war mit einer klebrigen Substanz beschmiert, die sich später als gewöhnlicher Honig herausstellte. Sein Kopf war auf die Brust gesunken, – es war nicht zu erkennen, ob er nur bewusstlos war oder tot. Seine Beine waren bereits etwa bis zur Kniehöhe mit Ameisen bedeckt. Die Spur der Ameisen ließ sich wie ein Strich zurückverfolgen bis zu einem, in einiger Entfernung gelegenen Ameisenhaufen. Prange schickte mich zum Haus, um einen Krankenwagen zu rufen. Der eintreffende Arzt konnte allerdings nur noch den Tod Schreiners feststellen. Die später vorgenommene Obduktion lautete auf Herzinfarkt. Davidsons Frau wurde noch am selben Tag im Schuppen gefunden, gefesselt und geknebelt aber unverletzt. In den darauffolgenden Tagen geriet Mauritz in die Schlagzeilen und in der Stadt wimmelte es von Journalisten. Dr. Davidson ging als „Ameisenmörder“ in die Boulevardpresse ein. Was später aus ihm geworden ist, weiß ich nicht. Für uns lief das Schuljahr weiter. Die Sache mit Ulrike ließ mich auch in den folgenden Wochen und Monaten nicht los. Dann rückten die Sommerferien näher und das beklemmende Gefühl in meinem Magen wurde stärker. Es stand fest, unsere Wege würden sich trennen. Am letzten Schultag bekam ich Panik und folgte ihr nach Unterrichtsschluss bis zur Wohnung. Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe. In den Sommerferien zogen wir von Mauritz fort. Das beklemmende Gefühl im Magen ließ nach und eine neue Schule begann.

© Daniel Berg

Letzte Aktualisierung: 27.06.2006 - 00.06 Uhr
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