Papa bringt die Weihnachtsbescherung von Renate Eckert
War das früher noch einfach ein Kind zu sein: man hatte Eltern, die zusammen wohnten, eigene Geschwister und manchmal sogar noch Grosseltern, die ganz in der Nähe waren. Weihnachten wurde feierlich zusammen verbracht.
Heute wohnen die Eltern an verschiedenen Orten, man lebt entweder bei Mama oder bei Papa, hat Stiefgeschwister und die Grosseltern leben 600 km weit entfernt. Weihnachten verläuft deshalb oft etwas komplizierter als früher. So wie bei uns, zum Beispiel.
Mein Ex - Mann Peter kommt an Heilig Abend ganz kurz vorbei (er muss ja gleich mit seiner neuen Freundin und deren Kinder noch richtig Heilig Abend feiern) und bringt seiner Tochter die Geschenke.
Anna freut sich natürlich riesig, während ich wieder mal einen Klos im Hals habe, der zwar jedes Jahr etwas kleiner wird, aber trotzdem - weg geht er wohl nie.
Das hängt auch damit zusammen, dass jedes Jahr irgend etwas Blödes passiert ist, was bei mir langsam zu so einer Art Aberglauben geführt hat: Weihnachten ist, Peter kommt und es passiert etwas. Ja, genauso entsteht Aberglaube.
Also, gleich wird es klingeln. Peter ist nämlich superpünktlich. Schnell lass ich noch mal einen Kontrollblick durchs Wohnzimmer schweifen, weil er es immer noch fertig bringt, über Unordnung, so wie er sie versteht, zu meckern und ich immer noch sofort das Gefühl bekomme, ich wäre als Hausfrau eine Versagerin.
Jetzt klingelt es tatsächlich und Anna rennt jubelnd zur Türe. Papa steht da mit einem Arm voller Geschenke und strahlt.
Das Begrüssungsküsschen bringt den Geschenkeberg etwas ins Wanken, aber sie schaffen es, ihn direkt unter den Weihnachtsbaum fallen zu lassen.
Anna fängt sofort an auszupacken, während ich mit einem: „Hallo, alles im grünen Bereich?“, begrüsst werde.
Innerhalb kürzester Zeit sitzt Anna inmitten eines riesigen Berges Geschenkpapier, während Cleo, unser vier Monate altes Kätzchen mutig mit meterlangen Geschenkbändern kämpft. „Blöde Katze“ schreit Anna. Worauf sich Cleo niedergeschlagen verzieht, aber nach 2 Minuten wieder ganz vorsichtig anschleicht und dann mit Anlauf mitten in den raschelnden Haufen rast.
Peter hat inzwischen etwas entdeckt: „He, die Wanduhr hängt ja ganz schief!“
O je, diese alte Pendeluhr (spätes19. Jahrhundert) hing noch nie so richtig gerade.
Aber Peter richtet es schon. Er stürzt zur Uhr und rückt sie energisch ins Lot.
Da rutscht der eine Nagel aus der Wand.
„Scheisse, gib mir schnell einen Hammer“, ruft er.
Ich renne, um den Hammer zu holen. Dann - ein kräftiger Schlag, der Nagel ist krumm und ein, ich würde in Anbetracht der weihnachtlichen Stimmung sagen, zimtsterngrosses Stück Verputz fällt bröckelig auf den Boden. Das riesige Loch grinst hämisch aus der Wand. Die Uhr hängt an nur einem Nagel, der sich jetzt langsam aber sicher immer mehr nach unten neigt und auch aus der Wand verabschiedet.
Peter überlegt einen Moment, nimmt dann entschlossen die Uhr von der Wand und stellt sie auf den Boden.
„Sorry, sagt er, ist Scheisse gelaufen. Aber du kriegst das schon wieder hin, gell?“
Cleo hat sich inzwischen zur Krippe geschlichen, wo sie das Jesuskind mit einem äusserst präzisen Prankenschlag aus der Krippe, quer durchs Wohnzimmer, unters Sofa befördert.
Anna sitzt zwar glücklich, aber seltsam ruhig zwischen ihren Geschenken. Neben ihr liegt eine nahezu leere Tüte Colafröschchen und ein Schokoladenweihnachtsmann, von dem nur noch das Papier und die Stiefel übrig sind.
„Mama“, sagt sie, „mir ist ganz komisch im Bauch.“
Ich pflücke Cleo aus dem Christbaum, wo sie sich bis ins obere Drittel vorgearbeitet hat und nun verzweifelt miauend an einem sehr dünnen Ästchen festgekrallt hängt.
„Also, ihr zwei“, sagt Peter munter, „dann geh ich mal wieder“ und gibt einen herzhaften Kuss auf die bleiche Anna. Fröhlich pfeifend geht er zur Türe: „Macht’s gut ihr beiden!“
Weg ist er.
Im Wohnzimmer höre ich das Geräusch, das entsteht, wenn ein Kind in einen Haufen Geschenkpapier kotzt.
Tja, eine schöne Bescherung.
Wie jedes Jahr!
(c) Renate Eckert
Letzte Aktualisierung: 26.06.2006 - 23.05 Uhr Dieser Text enthält 4056 Zeichen.