Der himmelblaue Schmengeling
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Dezember 2002
...und segne unsre Weihnachtsgans!
von Christa Schmid-Lotz


Heiligabend 1968. Die Oma aus Hamburg ist zu Besuch gekommen und hat, wie jedes Jahr, einen großen Schinken mitgebracht. Der wird jedes Mal im Eingang zum Keller aufgehängt.
Rund und krötig sitzt sie da, unsere Oma und kommentiert alles, was wir tun und sagen.
Wehe, wenn ihr einer widerspricht, dann ist der weitere Abend im Eimer! Also lässt man sie
reden und wendet sich den guten Dingen zu, die mein Vater auf den Tisch gestellt hat:
Lachs und geräucherten Aal, Krabben aus Husum, die wir vorher selber ausgepuhlt haben,
dänischen Heringssalat und leider auch die Wurst -und Käsescheiben von gestern, die sich
alle schon ein wenig krümmen. Es riecht nach Fett und Meerwasser.

Da mein Vater die Aalportionen sehr knapp bemessen hat, versucht jeder, einen ordentlichen
Teil davon auf den Teller zu kriegen. Meine Mutter, bisher beschäftigt mit Klagen über mei-
nen Vater, sieht die Fischplatten kreisen und sagt lakonisch: „Und ich krieg natürlich mal wieder keinen Aaal!“

Hier sieht sich die Oma genötigt, erzieherisch einzugreifen. Sie kann den Aal zwar nicht mehr retten, aber sie sieht, dass ich mit aufgestütztem Arm am Tisch sitze. Sie packt ihn und lässt ihn auf den Tisch niedersausen, so dass der Lachs, den ich auf die Gabel gespießt hatte, durchs Zimmer fliegt. Jetzt gehen beide Eltern auf die Oma los:

„Was mischst du dich in unsere Erziehung ein? Das geht dich überhaupt nichts an!“

Beleidigt greift sie zu ihrem Bier und rülpst gleich darauf vernehmlich. Mein Bruder und ich versuchen, unser Kichern zu verbergen, und er sagt halblaut in die Runde:

„Und segne unsre Weihnachtsgans...“

Zum Glück achtet niemand darauf, die Stimmung ist schon angeheizt genug. Man ist schon bei einem ganz anderen Thema angelangt: meine Mutter hat gestern vor dem Schlafengehen uns „Kinder“ im Badezimmer über sie reden hören; wir hätten sie eine „dumme Pute“ genannt. In dem Stimmengewirr, das daraus entsteht, fällt mir ein, dass wir tatsächlich über die Weihnachtspute geredet haben, dass wir nie satt geworden sind von den winzigen Portionen und deshalb nachts in den Keller gegangen sind, um dem armen Tier das Fleisch vom Leibe zu reißen. Es gibt ein großes Gelächter und alle wenden sich wieder dem Essen zu.

Doch der Teufel ist ein Eichhörnchen: während alles friedlich schmaust, zieht ein penetranter
Klogeruch durchs Haus. Großes Rätselraten, was das sein könnte. Hat Brüderlein mal wieder nicht aufgezogen? Ist der Schinken vielleicht nicht mehr frisch? Alle wissen ja, dass Oma es mit der Hygiene nicht so genau nimmt, man denke nur an die „Restlsuppen“ mit Wirsing, die es tagelang während ihres „Einhütens“ gab und an den selbstgemachten Yogurt, der auf der Heizung schimmelte!

Das lässt sich die alte Dame nun doch nicht bieten: sie schnappt nach Luft, fängt an zu schreien, die Hand aufs Herz gepresst und läuft aus der Wohnung, aus dem Haus in die kalte
Winternacht hinaus. Alle folgen ihr, nur meine Mutter bleibt ungerührt sitzen und sagt: „Die simuliert doch nur, um ihren Willen zu kriegen.“ Also warten wir ab.

Eine halbe Stunde später ist die Oma wieder da. Grimmig setzt sie sich in unsere Mitte und schweigt. Irgendjemand bemerkt in ihre Richtung:

„Jetzt mach mal nicht so ein Butterhexengesicht und sei wieder friedlich!“

Da muss sie selber lachen und alles löst sich in Wohlgefallen auf. Zur Krönung des Tages holt mein Vater, wie immer, einen echten Krimsekt, rot perlend, von dem jeder einen „wönzigen Schlock“ erhält, mit der Ermahnung, ihn auch ganz besonders zu genießen, weil er so teuer war.



(c) Christa Schmid-Lotz

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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