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Dezember 2002
Navigationsfehler
von Jörg Hofmann


"Achtung, Achtung! Notstart! Totalausfall des Navigationscomputers. Benötige Leit- und Versorgungsstrahl ab 356-109-22, Fehlerradius 200."
Anit wiederholte diesen Notruf noch zweimal, dann schaltete er die Kommunikationseinheit ab, er würde alle Energie für den Antrieb und die Schutzschilde brauchen. Noch einmal prüfte er seine Kursberechnung, er konnte keinen Fehler finden. An der Akademie hatte er, wie die anderen Pilotenanwärter auch, auf seinen Navigationslehrer geflucht, der sie zu Beginn jeder Stunde mit solchen Rechenaufgaben traktierte. Und nicht nur das. In jeder Ausbildung, in der spärlichen Freizeit, sogar Nachts mußte man damit rechnen, in Navigationsrechnung getestet zu werden. Und als wäre das noch nicht genug enthielt jede Prüfung eine Navigationsaufgabe, die zwingend gelöst werden mußte.
"Ich wünsche euch, daß ihr dieses Wissen nie anwenden müßt.", hatte er immer gesagt, "Aber es könnte euer Leben retten, und meine Aufgabe ist es dafür zu sorgen, daß ihr es nie vergessen werdet."
Geflucht hatten sie. Selbst das älteste Raumschiff war mit vier unabhängigen Navigationscomputern ausgestattet, die sich gegenseitig kontrollierten. Ein fünfter Computer hatte nur die Aufgabe, die korrekte Funktion der anderen vier zu überwachen. Ein Fehler war praktisch ausgeschlossen, und in den fünfzig Generationen, in denen die intergalaktische Raumfahrt jetzt betrieben wurde gab es keinen einzigen Bericht über eine Fehlfunktion des Navigationsystems.
Und doch, das Unmögliche war eingetreten. Ohne einen Hinweis auf Fehlfunktionen hatte ihn der Computer zu einem falschen Planeten, vielleicht sogar in ein falsches Sonnensystem geführt. Ein solcher Fall war auch in den Dienstvorschriften nicht vorgesehen, es blieb nur die allgemeine Anweisung für Notsituationen, sofortiger Rücksturz zur nächsten erreichbaren Basis. Ein riskantes Manöver. Der berechnete Kurs würde ihn in das Gravitationsfeld des Zentralgestirns führen. Wenn er dort nicht verglühen wollte, mußte er versuchen in einen Orbit einzuschwenken, nach einem halben Umlauf den als Rettungskapsel ausgeführten Führungsstand absprengen und hoffen, daß er den Versorgungsstrahl erreicht. Das Wohn- und Labormodul war dann natürlich verloren, doch hier galt es nur noch das Leben zu retten. Anit brachte den Sitz in die Postion für manuelle Starts. Schon spürte er, wie ihn das Sicherungssystem in die Sitzschale preßte. Einen Moment rasten seine Gedanken durch seine Erinnerungen, Kindheit, Schule, die Akademie und sein erster Alleinflug. Doch für solche Sentimentalitäten war jetzt keine Zeit. Entschlossen drückte er den Startknopf. Über seine Augen senkte sich ein schwarzer Schleier.
Drei Monate später tagte der erste Senat des Flottengerichts unter Vorsitz des Richters Ekir. Anit saß auf der Anklagebank neben seinem Verteidiger, seine schuppige Haut hatte eine aubergine Tönung angenommen, ein untrügliches Zeichen für Nervosität. Mit einer Untersuchen wegen des Verlustes des Labormuduls hatte er gerechnet, das war Standard in der Raumflotte. Aber eine Anklage vor dem Raumgericht, und dann noch vor dem ersten Senat. Richter Ekir war dafür bekannt, selbst die kleinsten Verstöße unnachgiebig zu bestrafen. Viele Karieren hatten hier ein unrühmliches Ende genommen.
"Erhebt Euch", rief der Gerichtsdiener, "Der ehrenwerte Richter Ekir!"
Ekir betrat, mit einer gelben Robe als Zeichen seiner Würde bekleidet, den Gerichtssaal:
"Im Namen des Volkes von Epsreik eröffne ich die Sitzung. Das Wort hat der ehrenwerte Ankläger Alokip."
"Das könnte hilfreich sein", raunte der Verteidiger Anit zu, "Ekir kann die aufgeblasene Art Alokips nicht ausstehen."
Alokip hatte sich inzwischen umständlich und geräuschvoll erhoben:
"Hochehrenwerter, gerühmter Vorsitzender, hochverehrte Anwesende, Herr Verteidiger, Angeklagter. Niemals in der langen und ruhreichen Geschichte Epsreiks hat es einen solchen Fall von Pflichtverletzung gegeben. Als unsere Vorväter die ersten Raumflüge ..."
"Ehrenwerter Alokip", unterbrach ihn der Vorsitzende, "bitte erspart uns diese Lektion in Geschichte, und kommt zur Sache."
Auf das tiefste getroffen blickte Alokip zu dem Vorsitzenden, doch hier im Gerichtssaal war Ekir der fast unumschränkte Herrscher. Alokip fügte sich in das unvermeidliche und fuhr, bedeutend weniger theatralisch, mit der Anklage fort.
"Der Raumpilot Anit hat, ohne erkennbaren Grund und gegen alle Befehle, seine Mission abgebrochen, und das ihm anvertraute Raumschiff aufgegeben. Er wird deshalb der Desertation und der Veruntreuung angeklagt, beides sind Kapitalverbrechen gemaäß §35 bzw. §101 der Flottengesetze."
"Danke ehrenwerter Alokip. Nun Anit, du hast die Anklage gehört. Was sagst du zu diesen Vorwürfen? Schuldig oder nicht schuldig?"
"Nicht schuldig, ehrenwehrter Richter."
"Du bist jung", sagte Ekir, "deshalb will ich dir im Interesse einer fairen Verhandlung schon jetzt eine Einschätzung des Gerichts geben. Nach meinen Unterlagen sind die Beweise des Anklägers erdrückend. Aber ein sofortiges Geständnis würde sich mildernd auf das Strafmaß auswirken."
"Nicht schuldig.", wiederholte Anit.
"Nun gut, du hast deine Chance gehabt. Bitte ehrenwerter Alokip, euer erster Zeuge."
"Ich rufe den ehrenwerten Natipac, wissenschaftlicher Präsident der Raumflotte. Er wird uns alles über Anits Auftrag erzählen."
Natipac wuchtete seinen massigen Körper in den Zeugenstand.
"Ehrenwerter Natipac", begann Alokip die Befragung, "was könnt ihr uns über Anits Mission sagen."
"Dazu muß ich etwas weiter ausholen. Vor etwa zehn Jahren bekam mein Institut den Hinweis, daß ein Meteorit am Rand der nordöstlichen Wüste eingeschlagen war. Als wir den Vorfall untersuchten, stellten wir fest, daß es kein Meteorit, sondern ein künstlicher Himmelskörper, eine Sonde war, die von einer uns unbekannten Kultur ins All geschossen worden war. Neben primitiven Meßgeräten und einer einfachen Kommunikationseinrichtung, entdeckten wir umfangreiches Material, in dem die Schöpfer der Sonde Informationen über sich selbst gaben.
Trotz der primitiven Technik ließen diese Informationen auf eine erstaunlich hochentwickelte Kultur schließen. Ihre mathematische Wissenschaft war eindeutig auf unserem Stand, und sie waren in der Lage Hinweise auf ihren Planeten zu geben. Eine erstaunliche Leistung, wenn man bedenkt, daß wir keinerlei gemeinsame Kommunikationsformen entwickelt haben. Am meisten beeindruckte uns allerdings die Musik, die sie zum Ruhm ihre Gottheit geschrieben hatten. Eine Gottheit die, ähnlich unseres Tebals, für Frieden und Nächstenliebe steht. Dies alles erregte natürlich unser Interesse, und wir richteten unsere empfindlichsten Radioteleskope auf ihren Planeten, und begannen die aufgefangen Signale systematisch auszuwerten. Von ganz besonderer Bedeutung schien das Fest zu sein, mit dem sie Geburt ihres Gottes feiern. In unsere Sprache übersetzt würde es geweihte Nacht heißen. Bereits vier Wochen vorher beginnt die sogenannte Ankunftszeit, in der Stille und Andacht geübt wird. Aufgrund dieser Informationen beschlossen wir, eine Expedition auszurüsten, und die fremden Wesen in dieser Zeit genauer zu beobachten. Wir trafen sogar Vorbereitungen für eine Kontaktaufnahme. Leider hat der Angeklagte durch sein unverständliches Verhalten unsere Forschungen um Jahre zurückgeworfen."
"Das bringt mich zu meiner nächsten Frage: Der Angeklagte hat behauptet, es lag ein Fehler im Navigationssystem vor."
"Das ist völlig ausgeschlossen. Da Raumnavigation mein Spezialgebiet ist, habe ich selbst die Untersuchung der automatischen Logbücher und der Navigationseinheit durchgeführt. Das System funktionierte einwandfrei. Wir haben in unseren Computern über 50 Simulationen durchgeführt, in keiner kam es auch nur zu einer Abweichung."
"Wäre es möglich, daß das Trägheitssystem defekt war? Bitte überlget genau, wir entscheiden hier über die Existens eines Piloten."
"Auf keinen Fall. Die Computer nehmen regelmäßig und unabhängig voneinander Kontrollmessungen zu den umliegenden Planeten vor. Schon die geringste Abweichung würde Alarm auslösen."
"Fassen wir also zusammen, die Mission wurde abgebrochen, das Labormodul mit allen Ergebnissen verglühte, und es auf den gemeldeten Systemfehler gibt es keinerlei Hinweise."
"So kann man es sagen."
"Ich danke Euch, ehrenwerter Natipac. Ihr Zeuge, Herr Verteidiger."
Anits Verteidiger erhob sich und trat vor den Zeugenstand. In seiner Hand hielt er ein kleines schwarzes Kästchen.
"Ehrenwerter Natipac, wollt ihr uns bitte sagen, was dies hier ist."
"Das ist ein Speicher für die automatische visuelle Aufzeichnung. Woher habt ihr den?"
"Dazu komme ich gleich. Auf den Forschungsexpeditionen werden doch viele wertvolle Informationen gesammelt und aufgezeichnet. Ist es nicht möglich, das Piloten versuchen, diese zu stehlen und selbst zu verkaufen?"
"Auf diesen Gedanken mögen schon viele gekommen sein, aber das ist nicht möglich. Alle unsere Speichermedien verwenden eine Signatur, die nicht entfernt werden kann, ohne die aufgezeichneten Daten zu zerstören. Außerdem lassen sich die Medien nur mit einem besonderen Code entnehmen, den nicht einmal der Pilot kennt. Wird eine Einheit ohne diesen Code entnommen oder sollte jemand versuchen die Daten zu ändern, wird dies sofort in der Signatur vermerkt."
"Liefert die Signatur auch einen Hinweis, woher die Daten stammen?"
"Natürlich, die Signatur ist gleichzeitig der Primärschlüssel zur Archivierung."
"Das heißt, ihr könntet an der Signatur erkennen woher die Daten stammen, ob die Speichereinheit korrekt entnommen wurde, und ob die Daten geändert wurden."
"Genau."
"Dann werde ich euch jetzt, mit der Erlaubnis des Gerichts, das erste Bild dieser Speichereinheit zeigen, und bitte euch, die Signatur zu erklären."
Anits Anwalt gab das schwarze Kästchen dem Gerichtsdiener, der es in die bereitgestellte Wiedergabeeinheit legte. Der große Bildschirm an der rechten Wand flimmerte grünlich, in der oberen linken Ecke erschien eine rote Schrift.
"Nun ehrenwerter Natipac, was könnt ihr uns über die Signatur sagen?"
"Dies ist eine Einheit aus Anits Schiff, sie wurde unrechtmäßig entnommen, aber Daten wurden nicht geändert."
"Danke, ehrenwerter Natipac. Hohes Gericht, in Vorgriff auf mein Plädoyer möchte ich schon jetzt darauf hinweisen, daß um meinen Mandanten zu verurteilen, neben der objektiven auch eine subjektive Schuld bewiesen werden muß. Die folgenden Aufzeichnungen, deren Echtheit der Zeuge Natipac bestätigt hat, zeigen, wie die fremden Wesen 2002 Jahre nach der Geburt ihrer Gottheit diesen Tag feiern. Herr Gerichtsdiener, bitte."
Die Aufzeichnung dauerte etwa zwanzig Minuten. Danach herrschte eine fast unheimliche Stille im Saal, die erst ein paar Minuten später von Richter Ekir unterbrochen wurde.
"Werden noch weitere Anträge gestellt? - Bitte ehrenwerter Alokip."
"Hohes Gericht, die Beweise des Verteitigers lassen den ganzen Vorfall in einem völlig neuen Licht erscheinen. Ich sehe mich außerstande, die Anklage aufrecht zu halten, und beantrage deshalb, das Verfahren einzustellen."
"Bestehen seitens der Verteidigung Einwände? - Nein, dann ergeht folgender Beschluß: Das Verfahren wird eingestellt. Der ehrenwerte Anit ist wieder in seine vollen Rechte als Pilot der Raumflotte einzusetzen. Er ist so zu behandeln, als hätte diese Verhandlung niemals stattgefunden. Die Verhandlung ist geschlossen."

© Jörg Hofmann, 12/2002

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