Ganz schön bissig ...
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Dezember 2002
Es weihnachtet...
von Sabine Imhof


Meine Mutter will singen.

Wir grunzen und muhen und meinem Vater stösst es sauer auf.

Sie lässt die Mundwinkel nach unten fallen, spielt kokett die Beleidigte, guckt traurig in die Runde.

“Niemand will mit mir singen! Einmal im Jahr! Aber nein, das ist schon zu viel verlangt! Und eine besinnliche Geschichte vorlesen....das will wohl auch wieder niemand, oder wie? Ihr seid einfach für nichts zu begeistern! Das gehört doch schliesslich dazu, so zur Weihnacht. Das ist feierlich. Da würde doch erst so richtig Stimmung aufkommen!“

Vorwürfe über Vorwürfe.

Wir gucken in unsere Teller und fühlen uns elend.

“Komm schon, jetzt setz‘ dich wieder, Mama,“ sage ich.

Sie setzt sich hin und schmollt.

An ein Ende ist nicht zu denken.

“Und das Essen? Hat das wenigstens geschmeckt? Der da drüben hat‘s wieder mal runtergeschlungen, ohne zu sehen, was er isst“, wirft sie missbilligend in die Richtung meines Vaters. “Dabei habe ich mir solche Mühe gegeben, aber das sieht mal wieder kein Schwein!“

“Nein, das stimmt jetzt also wirklich nicht. Ich weiss das sehr zu schätzen. Ich habe das genossen, wirklich. Es war toll, wirklich wahr.“ verteidigt er sich.

Er meint es nett, aber wir alle wissen, dass er Kartoffeln kaum von Nudeln unterscheiden kann.

“Also ich fand's auch gut,“ sage ich, dem Hausfrieden zuliebe, aber meine Meinung zählt nun wirklich nicht.

“Ein gutes Schwein frisst eben alles,” findet mein Bruder. Damit bin natürlich ich gemeint.

“Die Sosse hättest du mit Tabasco verfeinern sollen. Dann hättest du beim Salz sparen können. Ausserdem, die Currymischung, die du weissgottwo aufgetrieben hast, ist ja mal wieder voll proletarisch und total unsexy,“ fängt mein Bruder an.

Wenn er einmal anfängt.

Ich verdrehe die Augen, aber niemand sieht es. Ich stochere mit der Gabel auf meinem leeren Teller herum, während mein Bruder und meine Mutter sich gegenseitig gastronomisch auf die Haube kacken.

“Und ausserdem,“ schnauft meine Mutter enthusiastisch, “seit wann muss eine Currymischung sexy sein? Das ist doch wohl voll der unpassende Ausdruck für eine Currymischung! Unsexy!“

Mein Vater seufzt. Und will wissen, wo der Kaffee bleibt.

Gute Idee. Ich bin schon weg, in der Küche, mache Kaffee. Und lüfte im Esszimmer erst mal ordentlich, vielleicht bringt das ja was.

Während die anderen Kaffee trinken, rauche ich eine Gauloise.

“Du rauchst zu viel, meine liebe Tochter. Das ist bestimmt schon deine siebte Zigarette heute, ich habe genau gezählt.“

Neun, um genau zu sein, aber das sag‘ ich ihr dann doch nicht.

Herrgottnochmal.

Ich schlage vor, zu den Geschenken überzugehen.

“Nicht so hastig, junges Fräulein!,“ ruft meine Mutter mit strengen Blickes. An Weihnachten redet sie noch seltsamer als sonst. “Jetzt kommt doch noch erst der Höhepunkt - mein selbst gemachtes Tirami-su.“

“Uff,“ stöhnt mein Bruder und hält sich den Bauch, “ich bin so satt, ich mag kein Blatt.“

Ich esse eh nicht mit, da sind Eier drin, und Eier hasse ich. Eier machen mich paranoid.

“Aber ich nehme einen ganz grossen Löffel Tirami-su! Her damit, Mutter!“, ruft mein Vater gespielt euphorisch und hämmert Gabel und Messer auf den Tisch wie ein ungeduldiger Junge.

Da freut sie sich, ist ganz gerührt und bekommt ganz rote Bäckchen.

“Na gut, dann hole ich jetzt mal das Tirami-su, wenn das so ist,“ flüstert sie nun fast scheinheilig, macht einen Abgang, kreischt aber gleich darauf aus der Küche: “Und nenn‘ mich nicht immer Mutter, ich bin nicht deine Mutter, Herrgottnochmal!“

Wir anderen lachen.

Das verbindet.

“So, da wären wir also. Ecco il Tirami-su!“ stolz stellt meine Mutter ihr Tirami-su auf den Tisch. Während sie schlemmen, tätschelt sie meinem Vater die Hand, und die Zeit ist reif für ein bisschen Rührseligkeit. Sie redet von vergangenen Weihnachtsfeiern, seufzt, spult vor, spult zurück, seufzt in immer kürzer werdenden Abständen.

Das waren noch Zeiten!

Ich schiele schon mal zum Gabentisch.

Je älter wir werden, desto spärlicher fallen die Gaben aus. Aber das ist in Ordnung so, dabei kann man sich so einiges an zeremoniellen Peinlichkeiten sparen. Ausserdem, früher, als der Tisch noch überquoll, da hielt meine Mutter es immer für eine ganz niedliche Idee, nach jeder Runde Geschenkeauspacken eine Weihnachtsliederpause einzulegen. Das liegt nun nicht mehr drin - Kumbaya my Lord!

Oder sie hat mich gezwungen, auf meiner Gitarre zu spielen. Und sich - ganz spontan natürlich - mit ihrer Mandoline dazugesellt.

Und die Männer haben Pralinen gefuttert und getan, als würden sie zuhören.

Jetzt bekommt jeder ein kleines Geschenk. Oder zwei. Von Herzen sollen sie ja kommen, das ist die Hauptsache, und von Herzen kommen sie, die Herzen fliegen nur so durch die Gegend zur Weihnachtszeit, das ist ja selbstverständlich. Quasi inbegriffen.

Ausserdem, wie sagt man so schön? Quantität ist nicht gleich Qualität.

Früher gab es gestrickte Socken für die ganze Familie von allen Tanten nördlich und südlich des Äquators. Nur meine Mutter wurde verschont. Die bekam Seidenstrümpfe oder ein teures Taschentuch, auf dem mit rosafarbenem Faden ihr Name eingestickt war.

Heute gibt es ordentlich Bücher. Bücher sind solide Geschenke. Literatur ist eine gute Sache.

Mutter wollte eine neue Pfeffermühle und einen Schirm für zwei Personen. Bekam sie auch.

Ein graphisches Fachbuch für den Bruder, ersteigert. Er blättert darin, raucht eine Zigarette, ist still.

Ich sitze im Schneidersitz auf dem Sofa und zupfe mir Fuseln aus den Socken.

Mutter macht eine Flasche Rotwein auf und isst Gebäck.

Vater pennt schon fast, gähnt geräuschvoll und wir schauen alle kurz auf und schütteln im Einklang den Kopf.

Das verbindet.

Und die Katze kommt auch noch dazu, legt sich schnurrend neben mich und schleckt sich selbst genüsslich die Pfoten, und ab und an hebt sie den Kopf, staunt über die ungewohnte Dekoration, die bunten Lichter und beobachtet die Kerzen, die langsam in sich selbst verlodern.


© 2002 Sabine Imhof

Letzte Aktualisierung: 26.06.2006 - 23.04 Uhr
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