Der himmelblaue Schmengeling
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Januar 2003
Erinnerungen an das Paradies und was danach kam...
von Renate Eckert


Wir befinden uns irgendwo mitten auf einer Insel in der Zeit.

Ein kleines Haus mit vom Widerschein des Kaminfeuers erhellten Fenstern steht verloren in dieser menschenleeren Gegend. Weisse Nebelschwaden haben sich auf dem Gras vor und in den Büschen rings um das Haus niedergelassen, so dass alles merkwürdig schwebend wirkt.
Im Wohnzimmer sitzt ein Paar, dessen Namen wir alle kennen, ein Paar, älter als die Welt. Erinnerungen blitzen auf wie Sternschnuppen, werden einen Moment sichtbar und vergehen wieder.
Nachdenklich blinzelte Adam in das helle Feuer. „Weißt du“, sagte er bedächtig zu Eva, „dass du diesen Apfel vom Baume der Erkenntnis geklaut hast, das finde ich im Nachhinein eigentlich ganz in Ordnung. Auch wenn ich dir jetzt, nach all den Millionen von Jahren gestehen muss, dass ich immer schrecklich eifersüchtig auf diese Schlange war, mit der du viel mehr und intensiver geredet hast, als du es mit mir jemals getan hast.“
„Ach Adam. Über was hätte ich mit dir denn reden können? Du hattest keine Erfahrung, ich hatte keine Erfahrung, kein Erlebnis, immer nur Glück und Zufriedenheit. Aber die Schlange, die war ein unheimlich faszinierender Gesprächspartner, gebildet, klug und interessant. Sie hat es fertig gebracht, mich so neugierig auf Erkenntnis zu machen, dass mir die Konsequenzen im Endeffekt total egal geworden waren “ verteidigte sich Eva und lächelte verlegen wie ein junges Mädchen. „Abgesehen davon, dass ich mir ja gar nichts unter dieser Drohung Gottes vorstellen konnte und schon gar nicht, was für ein unendliches Drama Er aus der ganzen Sache machen würde.“
Ich verstehe schon, dass dir halt im Laufe der Äonen langweilig geworden war im Paradies. Obwohl: ich fand es recht gemütlich und ich hätte auch gut auf die Erkenntnis verzichten können.“
„Ach Adam“, seufzte Eva.
„Aber dass du dann, als Gott uns rausgeschmissen hast, so schnippisch gesagt hast, es wäre dir lieber, aus dieser langweiligen Scheinidylle ins richtige Leben geworfen zu werden als im Paradies zu verblöden, so dass Er vor lauter Zorn dann diesen Urknall erlitten hat, das wäre ja wirklich nicht nötig gewesen, finde ich.“
„Ach komm, diesen Urknall hätte Er doch früher oder später auch ohne mein vorlautes Mundwerk bekommen. Er war einfach prädestiniert dafür, glaube ich. Trotzdem: die Folgen waren ja verheerend.
Ich meine, im Paradies mochte ich ja die Natur sehr gerne. Sie war ästhetisch, kultiviert und einfach schön. Es wäre eine Sache gewesen, im Paradies vor die Türe gesetzt zu werden - soviel anders kann es ja direkt davor auch nicht gewesen sein. Aber dann, nach dem Urknall - dieses Weltall, diese grauenhafte Kälte, Leere und Unendlichkeit - das war schon furchterregend.
Auch als es die Erde dann gab, war sie nur aus dem All schön anzusehen. Aus der Nähe war das, was da Natur geworden war, einfach grauenhaft - rau, gewalttätig und unbarmherzig. Regen, Stürme, Gletscher und Vulkane, Sümpfe, kochend heiße Quellen, die plötzlich neben einem in die Luft schossen... Diese ganzen bizzaren Ideen, denen Er einfach freien Lauf lies.“
„Aber die anderen Planeten waren viel schlimmer und sind es immer noch. Obwohl – von der Kreativität her muss ich sagen, hat Er sich doch einige bemerkenswerte Seltsamkeiten einfallen lassen.“ Adam kicherte schadenfroh vor sich hin: „Weißt du noch, so seltsam, dass Galileo Galilei damals gemeint hat, der Saturn hätte Ohren.“
„Lustig, ja, aber das hat mich auch furchtbar genervt – diese langsame Entwicklung der Erkenntnis. Weißt du, ich habe gedacht: Ein Biss in den Apfel und peng! ich weiss alles. Aber nein. Zuerst geht es ewig, bis Prometheus mal auf die Idee kommt, dass die Menschen das Feuer brauchen könnten und es ihnen auch bringt. Nun ja, der Arme büßt dafür, an diese Felswand angekettet - der Adler auch... stell dir mal vor – jeden Tag Leber!“
Eva verzog leicht angeekelt das Gesicht und fuhr dann nachdenklich fort:
„Ja, und dann ging es wieder Hunderte von Jahren bis das Rad erfunden wurde.
Alles schlich so unsagbar langsam voran.
Obwohl es dann mal eine große Beschleunigung gab, so ca. 600 v. Ch. mit den Philosophen, Astronomen – Astrologen und den Anfängen der Mathematik und Physik. Das war hochinteressant. Und dann natürlich diese explosive Entwicklung ab Ende des 19. Jahrhunderts.“
„Ach du mit deinem Wissenschaftsfimmel“ lächelte Adam.
Eine Fliege surrte mit einem impertinenten Geräusch um ihre Gesichter.
„Siehst du“, rief Eva, „ diese verdammten Insekten! Ich finde, das ist Seine infamste und abstruseste Idee überhaupt gewesen. Ich hasse sie, diese Biester! Und was mich so furchtbar zornig macht ist, dass ich genau weiss, dass sie die Menschen überleben werden.“
„Ach ja, die Menschen“ seufzte Adam. „Zuerst ging es ja, als es noch ganz wenige waren, obwohl – Mord und Totschlag gab es ja von Anfang an. Das macht mich jetzt noch traurig, wenn ich daran denke – mein armer Sohn Abel. Übrigens: war Kain wirklich auch mein Sohn oder hast du mich damals mit diesem riesigen Neanderthaler betrogen, der immer um unsere Hütte schlich?“
„Aber Adam, wo denkst du hin!“ Dieser empörte Aufschrei beruhigte Adam.
Eva aber dachte daran, wie männlich, stark und temperamentvoll dieser Typ als Liebhaber gewesen war. Sie lächelte still in sich hinein. Nein, das würde sie Adam niemals gestehen, weil sie ihn um nichts in der Welt verletzen wollte. O ja, sie konnte schweigen, wenn es ein musste!
„Ja“, sagte sie schließlich nach einer langen Pause, „und seit die Menschen in immer größeren Mengen auftreten, hat sich die ganze Geschichte zu einer Dauerkatastrophe entwickelt. Sie können zwar immer besser denken und seit die Schrift erfunden wurde, ihre Gedanken auch weitergeben, aufbewahren und sammeln. Aber emotionell sind sie so unbeherrscht geblieben, wie damals Kain und Abel. Und immer noch weinen Frauen und Mütter, während die Männer und Söhne sich mutig gegenseitig die Köpfe einschlagen. Und Er, Er hat sich vor langer Zeit vornehm zurückgezogen, schmollt, lässt allem einfach seinen Lauf und...“
Ein zartes, friedliches Schnarchgeräusch lies sie innehalten. Adam war im Sessel eingeschlafen. Eva lächelte, scheuchte die Fliege von seiner Hand und weckte ihn mit einem Kuss auf die Stirn. „Komm“, sagte sie, „es ist Zeit ins Bett zugehen.“

Renate Eckert

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