Honigfalter
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Januar 2003
Helena von Troja
von Karl-Heinz Ganser




Es war schrecklich mit ansehen zu müssen, wie Konstantinopel am 13. April 1204 brannte.
Die Arkaden brachen zusammen, die Paläste stürzten ein und die Säulen knickten um.
In den schwarzen Wolken spiegelte sich gespenstig der rötliche Widerschein des sich immer weiter fressenden Feuers.
Die meisten der grölenden Horden waren abends abgezogen, nachdem sie alles was kostbar und wertvoll war, mitgenommen hatten.
Vorsichtig im Schutz der immer noch dichten Rauchschwaden schlich ich mich am nächsten Abend an den Häuserruinen vorbei.
Ich wollte zur Säule mit der Statue der Helena von Troja. Wollte sehen, ob die Barbaren auch diese Säule umgerissen und möglicherweise die mächtige Statue, die aus Bronze war, mitgenommen hatten zum Einschmelzen.
Ich musste es fast annehmen, denn während ich mich geduckt fortbewegte, sah ich, dass die Lateiner überall Schmelzöfen eingerichtet hatten, die jetzt nur noch vor sich hinkohlten.
Denn das war ja die erste Regel bei einer Stadtplünderung. Was man nicht mitnehmen kann, muss eingeschmolzen werden. Diese Schweine, dachte ich verächtlich.
In Gedanken vertieft, sah ich plötzlich vor mir die Säule in den dunklen Himmel ragen.

Auf meinen Reisen in den vergangenen Jahren war ich öfter hier und hatte diese einmalige Frauenstatue mit Freude betrachtet. Wenn man sie von weitem sah, konnte man sich einfach nicht vorstellen, dass sie aus Bronze war.
Der wohlgeformte Körper wirkte da oben auf der Säule so lebensecht.
Einmal, als schwache Sonnenstrahlen ihr Gesicht streiften, glaubte ich zu sehen, wie sie mich anlächelte.
Und jetzt stand sie also noch da.
Freudig erregt sprang ich auf einen Steinsockel, um sie besser sehen zu können.
Aber was war das? Ich vernahm Geräusche, die von unterhalb der Säule kamen.
Ich konnte erkennen, wie ein, wahrscheinlich betrunkener Soldat neben einem Ochsengespann, hin und her schwankte. Er lallte, für mich unverständliche Worte nach oben zu der Statue.
Oben am Kopf der Helena versuchte eine Gestalt krampfhaft eine Kette oder ein Seil festzumachen.
Wütend wurde ich, als ich das sah. Es war klar, dass die beiden versuchten, die Helena von der Säule herunterzustürzen.
Ich stand da wie gelähmt und die Gedanken überschlugen sich.
Wenn ich den Kerl bei den Ochsen von hinten mit einem Holzklotz erschlagen würde, könnte der Schrei von anderen, die vielleicht in der Nähe waren, gehört werden und ich wäre zwei Minuten später tot.
“Helena, ich hätte dich gerne gerettet” murmelte ich leise vor mich hin. Aber dafür geköpft zu werden, das war die Bronzefrau nun doch nicht wert.
Plötzlich zuckte ein greller Blitz auf, dem im gleichen Augenblick ein entsetzlicher menschlicher Schrei und ein ohrenbetäubender Donnerschlag folgte.
Starr vor Schreck hörte ich das dumpfe Aufschlagen eines Körpers und mit einem schauerlichen Brüllen trabten die Ochsen davon.
Dann wurde es still, unheimlich still. Ich wartete gespannt darauf, dass andere Soldaten, oder wer auch immer, angestürmt kämen, um zu sehen was passiert war.
Aber es kam niemand.
Langsam versuchte ich die Situation zu begreifen. Der Mann da oben, war wohl vom Blitz erschlagen worden. Aber wo war der Soldat, der bei den Ochsen gestanden hatte? War er geflüchtet? Oder war er von den wildgewordenen Tieren zertrampelt worden?
Während ich noch nach einer Antwort suchte, hörte ich drüben ein ziemlich lautes Röcheln und danach nichts mehr.
“Helena, du hast gesiegt!” schrie ich erleichtert in die Nacht hinaus, und mir war es in diesem Augenblick auch ganz egal, ob mich jemand gehört hatte.


Karl-Heinz Ganser
Januar 2003

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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