Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Januar 2003
Pilgerreise
von Achim Wiederrecht



Eine Legende trieb die Menschen einst dazu, die beschwerliche Reise in den Nordwesten Spaniens nach Compostela, im Königreich Galicien, zu wagen. Ihre Motive waren vielfältig: Frömmigkeit, Neugierde, Fernweh. Sie wollten am Grab des heiligen Jakobus beten und mehr über seine Wundertaten erfahren. So auch Johannes mit seinem Sohn Arnold, die sich im Jahre 1020 schon fast am Ende Ihrer langen Reise aus Deutschland befanden. Mellid war die letzte Station vor dem heiligen Ort. Täglich waren sie fast 35 Kilometer gewandert. Spät abends erreichten sie eine Herberge. Bis hierher waren keine besonderen Gefahren zu überstehen gewesen. Bären und Wölfe hatten zwar in vielen Gegenden die Wege unsicher gemacht, das Eintreiben von willkürlich geforderten Wegezöllen war jedoch das Schlimmste, was ihnen passierte.
Die Herberge bestand aus einem großen Saal und mehreren kleinen Stuben. An groben Holztischen wurde den Pilgern eine einfache Mahlzeit gereicht. In einem großen Kessel gab es einen kräftigen Eintopf, in dem auch manchmal ein Stück Braten zu finden war. Nach dem Essen wurden die Tische abgebaut und das Nachtlager hergerichtet. Der Wirt wies den beiden Deutschen eine Stube zu. Ihre Schlafstelle bestand aus Strohmatten, welche schon reichlich mit Essens- und Weinresten beschmutzt waren. Doch beide waren froh, endlich ihr festes Schuhwerk ausziehen und die lederverstärkte Pelerine ablegen zu können. Johannes legte den breitkrempigen Filzhut auf einen Schemel. Der Hut war ein guter Schutz gegen Kälte und Regen. Hiernach nahm er einen kräftigen Schluck Wein aus der Pilgerflasche, die am Gürtel befestigt war. Ihre Wanderstäbe hatten sie in die Ecke der kleinen, engen Stube gestellt, die mit dem Strohlager, einem Schemel und einem Waschbottich sehr karg ausgestattet war. Aber so kurz vor dem Ziel war ihnen das gleichgültig, denn sie waren voller Freude. Johannes trank fast die ganze Flasche leer.
Es klopfte. Der Wirt steckte den Kopf durch die Tür und lud beide noch zu einem Nachttrunk ein in die Wirtsstube. Nur wenige Pilger waren in der Herberge und so konnten sie einige Worte ungestört mit dem Wirt wechseln. Johannes bekam immer wieder Wein eingeschenkt. Es dauerte nicht lange, und er war so betrunken, daß er nur mit Hilfe von Arnold und dem Wirt die Stube erreichte. Er sank auf sein Strohlager nieder und fiel sofort in einen festen Schlaf.
“Haltet die Diebe, haltet die Diebe, schallte es plötzlich hinter ihnen. Johannes und Arnold die schon ein gutes Stück des Weges gegangen waren, schauten sich um und sahen den Wirt mit einigen Männern hinter ihnen herlaufen. Ohne eine Ahnung, was eigentlich los war, blieben sie stehen. Als der Wirt sie erreicht hatte, rief er: “Diese beiden haben mir einen silbernen Becher gestohlen. Haltet sie fest, damit ich sie in die Stadt zurückbringen und dem Richter übergeben kann”. Vater und Sohn wußten nicht, wie ihnen geschah. “Wir haben nichts gestohlen, das schwöre ich beim heiligen Jakobus”, konnte Johannes endlich antworten. “Wenn ihr was in unserem Gepäck findet, könnt ihr uns bestrafen, aber ihr werdet nichts finden”. Er und Arnold öffneten ihre Pilgertaschen. Der Wirt griff in die Tasche von Arnold und brachte einen silbernen Becher hervor. “Das ist mein Becher, seht her, den haben sie mir gestohlen, das ist der Beweis. Packt sie und bringt sie zum Richter”. Die Helfer des Wirtes brachten sie zurück in die Stadt und warfen sie in den Kerker.
Am Nachmittag holte man sie heraus und führte sie dem Richter vor. Der Wirt beschuldigte sie wieder des Diebstahls. Johannes und Arnold bestritten ihre Schuld und erklärten dem Richter, daß sie nicht wüßten, wie der Becher in den Rucksack gekommen sei. Sie vermuteten, daß der Wirt ihnen den Becher in die Tasche gesteckt hatte. Aber davon ließ sich der Richter nicht beeindrucken. Er sprach sie beide schuldig und verfügte, daß einer von beiden gehenkt werden solle, wer, diese Wahl würde er ihnen überlassen. Die Vollstreckung sollte am nächsten Morgen um 8 Uhr stattfinden. Man brachte sie zurück in den Kerker. Sie hatten nicht viel Zeit zur Entscheidung und so sagte Arnold: “Vater, ich will, daß sie mich hängen. Du mußt dein Gelübde einlösen und zum Grab des heiligen Jakobus gehen. Ich fürchte mich nicht. Du wirst mich auch nicht mehr umstimmen können.” Vater und Sohn umarmten sich ein letztes Mal.




Ein kräftiges Klopfen weckte sie. “He, ihr zwei. Es ist soweit, aufstehen. Die Leute wollen nicht länger warten”, ertönte eine kräftige Stimme. “Macht Euch fertig, gleich gibt es das Frühstück, Eure letzte Mahlzeit”. Mit schwerem Kopf erhob sich Johannes von seinem Lager. Im ersten Moment wußte er nicht, wo er war. Aber da lag Arnold, neben ihm. “Guten Morgen Vater”, ließ dieser sich jetzt vernehmen. “Es ist unser letzter Tag, bald haben wir es geschafft”.
“Aber mein Sohn, warum willst Du für mich sterben, das kann ich nicht zulassen”.
“Vater, keiner will sterben. Heute erreichen wir endlich unser Ziel, das Grab des heiligen Jakobus”.
Der alte Mann machte einen verwirrten Eindruck. “Man hat uns doch des Diebstahls eines silbernen Bechers beschuldigt, oder hast Du das schon vergessen”? Müde ließ er sich auf sein Strohlager sinken.
“Was erzählst Du da für eine phantastische Geschichte? Du hattest ganz schön gebechert. Wir sind hier in unserer Stube. Der Wirt hat uns zum Frühstück gerufen. Komm jetzt, sei fröhlich und freue Dich auf diesen Tag.” Der Sohn nahm ihn bei der Hand und zog ihn von der Strohmatte hoch. So richtig überzeugt war Johannes noch nicht von dem, was Arnold ihm sagte, aber er sah ja selbst, daß sie nicht im Kerker waren, sondern noch in der Schlafstube der Herberge. Sie packten ihre Taschen, gingen in den großen Saal, wo inzwischen die Tische wieder aufgebaut waren und frühstückten mit den anderen Pilgern.
An diesem letzten Tag ihrer Reise kamen sie nur schleppend voran. Immer wieder blieb Johannes stehen, betete und dankte dem heiligen Jakobus, daß er sie vor dem Tod und den vielen Gefahren bewahrt hatte.
Schließlich tauchte vor ihren Augen Compostela auf. Die Sonnenstrahlen ließen die Dächer der Stadt wie Golden erscheinen. Alle Pilger riefen “Montjoie”, als Ausdruck der Freude, endlich am Ziel ihrer Wünsche und Sehnsüchte angekommen zu sein.
Ihr erster Weg in der Stadt führte sie zu dem Brunnen von Labacola, wo sie sich den Schmutz vom ganzen Körper abwuschen, damit sie sich sauber am Grab des Apostels Jakobus versammeln konnten.
Rund um die Basilika hatten die Händler bereits ihre Stände aufgebaut. Hier kauften sie die Jakobsmuschel, das Ehrenzeichen des tapferen Pilgers und der Beweis für die vollbrachte Pilgerfahrt. Inzwischen läuteten auch die Glocken, um sie willkommen zu heißen.
Sie betraten die Kirche. Es war Tradition, die erste Nacht hier zu verbringen. Johannes Gedanken gingen noch einmal zurück zu der langen, gefahrvollen Reise. Er war froh, seinen Sohn neben sich zu haben. Voller Dankbarkeit fiel er auf die Knie, schloß die Augen und versank in ein langes Gebet.



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