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Januar 2003
Ein Held weint nicht!
von Michael Preidel



Ben trampelte das Treppenhaus rauf. Man konnte es durch die Wand hören. Ich saß mit Vater im Wohnzimmer und wir hörten Beethoven. Die Walze rauschte ein wenig, aber das war Vater egal. Er hatte sie gekauft, weil der Künstler genau nach seinem Geschmack war. Ich hasste solche Musik. Aber Mutter sagte, ich tat Vater wenigstens hier einen Gefallen, wenn ich sie mit ihm hörte.
Der kleine Junge sprang durch den Flur und stürzte zu uns ins Zimmer. „Er kommt, er kommt!“, tat er kund. Ben war vor nicht mal fünf Minuten in die Synagoge gelaufen und hatte den Rabbi getroffen, und jetzt etwas erschöpft von der Eile. Vater hatte den Geistlichen heute Abend zum Essen eingeladen. Ich hatte bis jetzt immer nur von ihm gehört, gesehen hatte ich ihn noch nie. Erst vor ein paar Tagen waren wir aus einem Dorf in die Großstadt gezogen. Vater hatte Arbeit in einem Geschäft hier gefunden. Verdienen tat er nicht viel, aber es langte um meine Mutter, die Maria heißt, meinen Bruder Ben, meinen Vater und mich zu ernähren.
Meine Eltern freuten sich natürlich, dass sie diesen hohen Gast zu uns eingeladen hatten. Ben und mir war es egal, ob er kam oder nicht. Ich stand zwar kurz vor meiner Bar Mizwa, aber der Glaube an den einen Gott interessierte mich null, und ich spürte, dass Vater das wusste. „Schön, dass er nun doch nicht abgesagt hat. Jona, bitte benimm dich dieses eine Mal anständig und zeige, dass du...“ versuchte er die Musik zu übertönen, aber ich fiel ihm ins Wort: „Aber Vater, du weißt genau, dass mich der Glaube nicht interessiert und das mit diesem hohen Gast... wegen mir hättest du ihn nicht einladen müssen.“ Es flog eine Ohrfeige und ich musste in mein Zimmer. Den Rest des Nachmittags erlebte ich dann auf meinem Bett. Ich begann zu malen. Malen tat ich sehr gern, es machte mir Spaß.
Maria holte mich erst wieder raus, als wir Kinder den Tisch decken sollten. Vater war längst auf seinem Sessel eingenickt. Die Musik dudelte immer noch. Ben trat an Vater ran und grinste, „Der hat doch eine Macke oder, Jona, schickt dich einfach in dein Zimmer, obwohl du die Wahrheit sagst.“ Doch das blieb nicht ungehört und Mutters böse Augen schauten hinter der Tür hervor. Sie hatte uns belauscht. „Benehmt euch gefälligst! Macht eurem Vater eine Freude, er ist heute so leicht reizbar.“ Mit einem leichten Schmunzeln auf dem Gesicht deckten wir dann den Tisch fertig und halfen Mutter noch ein wenig beim Kochen.
Draußen war dunkelte es und Vater war aus seinem kurzen Schlaf wieder aufgewacht. Er zog sich in sein Schreibzimmer zurück und las die Zeitung. Ab und zu kam sein Blick hinter der Zeitung vor und betrachtete den Stundenzeiger der Kirchturmuhr. Es war kurz nach fünf. „So langsam dürfte er aber schon kommen, schließlich habe ich nicht umsonst gekocht.“, Mutter war etwas gereizt, weil es schon so spät war und ihr Bens Kommentar immer noch durch den Kopf ging. Sonst war sie eigentlich immer sehr lieb zu uns. Sie konnte sogar über solche Sprüche lachen, aber irgendwie waren heute alle etwas gereizt. Vielleicht lag es am Wetter, dachte ich.
Den Rabbi hörte man schon auf dem Gang und da öffneten wir. Ben stand als erster vor der Tür. Seine Hand lag schon in Begrüßungsstellung, wie Vater uns aufgetragen hatte. Dann kam Vater und dann Mutter und ich. Eigentlich wollte ich dem Rabbi nicht die Hand geben, aber Vater hatte mir schon wieder gedroht und Ben hatte den Finger gehoben und meinen Vater veräppelt. Geschieht ihm ja auch Recht. Unser Haus war wunderschön geschmückt und es roch festlich und vor unserer Tür stand ein dicker Mann mit einem Rauschebart und einem liebevollen Gesichtszug – fast wie Weihnachten. Nachdem Ben, Vater und Mutter ihn höflichst begrüßt hatten, trat er vor mich. „So und du bist Jona? Weißt du eigentlich, wie sehr ich mich freue, dass gerade du deinen Glauben bestärken willst.“ Ich musste die Augen verdrehen und Ben begann lauthals zu lachen. Die bösen Blicke meiner Eltern ließen ihn jedoch sehr schnell verstummen.
Aus der Küche roch es ein wenig verdächtig und da bat uns Mutter nun endlich Platz zu nehmen. Und so gingen wir ins Esszimmer – Vaters Platte lief immer noch. Wir setzten uns. Der Rabbi neben mir, Vater saß am einen Tischende und Mutter am anderen. Ben setzte sich auf den freien Stuhl neben Mutter. Vielleicht sollte man sagen, dass Ben ein sehr vorlauter Junge war, denn im Gegensatz zu Vater und mir, begann er gleich ein Gespräch mit dem Alten. „Wie finden sie denn unsere Mutter?“ Man merkte wie Vater langsam rot anlief, aber der Rabbi antwortete gerne. Er legte ein Schmunzeln auf sein Gesicht und mir wurde klar, was für eine tiefe Stimme der Rabbi hatte, denn im Flur hatte ich ihn kaum verstanden wegen dem Gelächter meines Bruders. Still und sanft sagte er: “ Sie ist eine wunderschöne Frau – deine Mutter. Ich habe sie heute zum ersten Mal gesehen und ich denke, dass sie eine gute Mutter für euch ist.“, und um noch etwas über uns Jungen zu sagen, was er leider nicht lassen konnte, „Und ihr zwei seid bestimmt zwei ganz artige Menschen, die eurer Mutter nur Freude machen, oder?“ Man merkte Vater an, was er sagen wollte, aber er ließ es lieber, denn Mutter begann aufzutischen. Es gab etwas typisch Jüdisches, aber ich fand den Namen so komisch, dass ich ihn gleich vergessen hab. Hauptsache es schmeckt, sagte da mein Bruder immer. Und so aßen wir bis die Schüsseln leer waren und unsere Bäuche voll. Der Rabbi schaufelte das Essen so in sich hinein, dass man denken konnte, er habe seit Wochen nichts mehr gegessen. Vater hätte uns jetzt zurechtgewiesen, aber bei einem Rabbi, noch bei einem so besonderen, durften auch wir so was nicht sagen. Was sind wir auch gegen einen Geistlichen. Ich habe ja schon viele zu Gesicht bekommen, weil mein Vater den Kontakt schätzt, aber so einen habe ich noch nie kennen gelernt. Er war so anders. Man merkte ihm irgendwie seinen Humor an, von dem wir an diesem Abend noch viel erfahren durften. Er wusste viele Witze, auch der Art Vater nicht so schätzte. Wir anderen hatten auf jeden Fall einen Heidenspaß. Ob es am Alkohol lag oder daran, dass der Rabbi seinen Titel nicht verdiente – egal.
Als wir den Nachtisch beendet hatten, stand der Rabbi einfach auf. Ben machte große Augen und schielte zu Vater. Der sagte nichts. Vater hatte sowieso sehr wenig geredet bis jetzt. Als er wiederkam, hatte er eine Walze in der Hand. „Um mich für die vorzügliche Gastfreundschaft zu bedanken und für die Einladung heute Abend bei ihnen zu speisen, möchte ich ihrem Sohn Jona diese Walze mit Jiddischer Musik überreichen. Ich hoffe du hast viel Spaß damit!“, mir verschlug es die Sprache – einerseits weil mir dieser Ton von ihm noch unbekannt war und andererseits hatte ich noch nie Musik geschenkt bekommen. Ich brachte kein Wort raus. Mutters Zehen stichelten mich, das machte sie immer um mich auf irgendwas hinzuweisen. Vater schaute böse. Er zischelte irgendwas wie „Kein Anstand!“ oder so. Ich zog die Mundwinkel hoch und es kam ein monotones, freudlose Wort des Dankes. Ab diesem Zeitpunkt war der Abend so gut wie gelaufen. Es veränderte sich irgendwie alles auf einen Schlag. Mutter und Vater schickten uns ins Bett. Wir verabschiedeten uns und Ben küsste den Rabbi. Wieso er das tat, ich glaube, er hatte ihn liebgewonnen. Aber was tut nicht alles ein 5-Jähriger Bengel?
Ich ging sofort. Aber in Vaters Zimmer um Zeitung zu lesen. Und mich traf der Schlag, denn es wurde von Judenmorden in unserer Stadt berichtet. Wir waren Juden. Und wenn man die Worte ernstnahm, dann war es wohl aussichtslos. Und ich verstand auf einmal, wieso Vater so nervös war. Hatte er Angst um uns? Suchte er Gottes Beistand durch den Rabbi?
Ich versank in Gedanken und wurde erst von Ben aufgerüttelt, der aus dem Bad kam. Ich stand auf und legte mich in mein Bett. Ich wartete. Wartete auf irgendwas. Ich wusste es nicht und es war mir egal. Irgendwann nickte ich dann ein und wurde nach vielleicht 20 Minuten durch Stimmen auf der Straße geweckt. Erst blieb ich regungslos liegen, ich dachte an den Artikel. Das Stimmengewirr wurde immer lauter und es waren auch Schreie zu hören. Ben kam in mein Zimmer, er musste auch von den Leuten draußen gehört haben. „Schau mal raus!“ Müde wankte ich ans Fenster und lugte hinter den Vorhang. Ich sah Männer mit Fackeln und Juden aus dem Nachbarhaus. Sie standen auf der Straße und schrieen sich gegenseitig an. Einer von den Fackelmännern hatte eine Waffe bei sich. Die Situation wirkte sehr bedrohlich auf uns. „Jona... Jona, was machen die da? Jona, sag mir was die da machen. Ich hab Angst! Werden sie umgebracht? Jona...“ sagte Ben in die Zimmerstille. Manchmal konnte er einen aufregen. Der Mann mit der Waffe schoss auf einmal und einer fiel um. Es war ein kleiner Junge gewesen. Ben musste ihn gekannt haben vom Spielen auf der Straße. Eine Frau, es war bestimmt seine Mutter, fiel auf die Knie vor den Jungen und heulte. Ihre Haare fielen ihr ins Gesicht und sie kreischte. Ihre Wut ließ sie an dem Mörder aus und brüllte ihn an. „Mein Sohn... Mein ein und alles! Du hast ihn umgebracht! Du – Mörder!“ konnte ich durch die Fensterscheibe verstehen. Ben hatte sich auf den Boden fallen gelassen und flennte. Er musste verstanden haben, was gerade passiert war. Mein Blick fiel wieder aus dem Fenster auf die Fackelmänner, besonders aber auf den Mörder des kleinen Jungen. Der richtete die Waffe auf die Menge und drohte zu schießen. Kinder begannen zu weinen. Frauen griffen nach ihnen und versuchten sie zu trösten. Die Mutter des Toten hatte sich inzwischen wieder von ihrem Weinen erholt und drohte den Kosaken mit ihren zarten Händen. Die Fackelmänner lachten. Ein Knall und auch sie flog zu Boden, in die Blutlache ihres Sohnes. Scheußlich der Anblick von diesem Massaker. Andere Juden hielten es nicht mehr aus und rannten einfach in die nächste Straßenecke – sie versuchten es zumindest, denn alle mussten mit ihrem Leben bezahlen. Es war aussichtslos. Einer der Fackelmänner, er musste mich am Fenster gesehen haben, bewegte sich langsam auf unser Haus zu. Der Mann mit dem Gewehr folgte ihm auf Zuruf. Ich hörte wie sie durch das Treppenhaus trampelten und langsam alle Hausbewohner rausscheuchten. Ich drehte mich vom Fenster ab und schaute zu Ben. Der hatte sich wieder eingekriegt. Er hatte immer gesagt, er wäre ein Held. War er auch, aber Helden heulen nicht. Das sagte zumindest Mutter. Wir schlichen zu Tür. Doch Vater und die anderen hatten uns schon bemerkt, da half das leiseste Fußgeräusch nichts, wenn jemand wie am Spieß brüllte oder auf der Straße erschossen wurde. Zu fünft gingen wir zur Tür. Wir konnten die Kosaken sprechen hören.
Plötzlich klopfte es an unserer Tür. Wir machten nicht auf und warteten ab. Man klopfte noch einmal. „Aufmachen, aufmachen!“, brüllte ein Mann. Mutter bekam Angst, Ben auch. Sie drängten sich aneinander, weit weg von der Tür. Und dann öffnete sich diese wie von selbst und vor uns standen zwei Kosaken. Eiskalt und irgendwie blutrünstig schauten vier Augen uns an, die wir vor der Tür hingen und nicht aufgemacht hatten. „Raus da, rauskommen!“, Wir rührten uns nicht vom Fleck. Es war totenstill, ab und zu hörten wir das Wimmern von Maria und Ben. Vielleicht deswegen waren sie die ersten die von den Kosaken gezerrt nach draußen gezerrt wurden. Wir anderen drei – wir waren Männer. Helden, würde Ben sagen. Wir hielten die Stellung. Mutter wurde geschlagen und ihr schwarzes Haar lag wüst auf ihren Schultern. Ich hatte sie noch nie so gedemütigt gesehen. Keiner wehrte sich. Ein dritter Kosake kam dazu der uns mit dem Gewehrlauf einfach einen Schlag auf das Gesicht gab. Das tat ziemlich weh. Und ich blutete auch an den Schläfen. Ich fühlte mich benebelt und taumelte zu Boden. Ich bekam nicht mit wie wir ins Treppenhaus gezogen wurden mit einer anderen Gruppe von Juden und was mit uns in diesen Momenten geschah. Erst als mein Kopf immer wieder auf den Stufen aufschlug erwachte ich aus meinem Zustand. Meine Glieder taten mir weh und ich musste weinen. Irgendjemand zog ich an meinen Hosenbeinen in den Hausflur. Dort würde ich wieder auf Ben und all die anderen treffen, aber es erwartete mich das Verderben.



Michael Preidel, Jan. 03

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