Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
Holger Mittendorf mochte diese Frau: die schwarzen Haare, die fast durchsichtige Bluse und der dunkle Teint ihrer Haut. Doch, das alles konnte sich sehen lassen. Das einzige, was sein ästhetisches Empfinden störte, war das Messer in ihrem Rücken. Und vielleicht die Tatsache, dass sie seit seiner Ankunft vor einer Viertelstunde das Gesicht nicht aus dieser Pfütze genommen hatte. Na ja, alles war ja nie perfekt.
„Boss, es ist nicht auszuschließen, dass die Frau tot ist.“
Holger Mittendorf ärgerte sich über seinen Assistenten. Zum einen konnte er dieses affektierte „Boss“ überhaupt nicht leiden, zum anderen erfüllte es ihn mit Verdruss, dass er, Erster Hauptkommissar Holger Mittendorf, nicht selbst an ein eventuelles Ableben dieser hübschen Person gedacht hatte. Deshalb sagte er: „Gewöhn dir dieses alberne ,Boss’ ab – ich habe es dir schon hundertmal gesagt.“
„Jawoll, Boss!“
Jemand tippte dem Kommissar auf die Schulter: „Ähh, Entschuldigen Sie, Meiersfeld von der Südpost, gibt es schon irgendwelche Anhaltspunkte?“
Mittendorf wirbelte erschrocken herum. Es dauerte einige Sekunden, bis er in der Innentasche seines Trenchcoats Dienstanweisung 6b gefunden hatte – die für lästige Journalistenfragen. Dann war es soweit und er las dankbar ab: „Wir fordern die Bevölkerung um Mithilfe auf. Es müssen mindestens 10.000 Euro erbeutet worden sein...“ Scheiße, er hatte die Zettel vertauscht. Das war der für Banküberfälle. Dann fand er den richtigen: „Es fehlt leider jegliche Spur. Wir bitten die Bevölkerung um Mithilfe.“ Er schüttelte den unzufrieden wirkenden Reporter ab, wandte sich an sein Team und sagte eine Spur zu laut: „Und, Ihr Flaschen, habt Ihr irgendwas?“
„Nein, Boss, das ist wirklich ein komplizierter Fall. Eine harte Nuss sozusagen. Wir wissen auch überhaupt nichts mit diesem Namen anzufangen, der auf dem Griff des Messers steht. Dieter Nowak.“ Mittendorf kratzte sich am Kinn. Wie sollte er diesen Fall bloß lösen? Er war ja bekannt für seine Intelligenz und dass er auch vor schwierigsten Fällen nicht kapitulierte. Aber diesmal?
Doch wie so oft kam ihm der Zufall zu Hilfe. Eine dickliche Frau, die bisher schluchzend abseits gestanden hatte, gestikulierte plötzlich wild mit den Armen. „Dieter Nowak, das Schwein? Ihr Noch-Beinahe-Ehemann. Übermorgen wäre die Scheidung gewesen. Dann hätte er sich die 3 Millionen Lebensversicherung, die er bei ihrem Tod erhält, in die Haare schmieren können.“
Mittendorf machte einem der Beamten ein Zeichen, die geifernde Frau zu entfernen. Er mochte es nicht, in seiner Konzentration gestört zu werden. Es ging hier ja schließlich nicht um irgendeinen Blödsinn, sondern um nichts geringeres als Mord.
„Boss, vielleicht sollten wir die Frau nicht zu voreilig wegschicken. Das mit den 3 Millionen kommt mir komisch vor.“
Mittendorf mochte seinen Assistenten nicht. Aus verschiedenen Gründen.
Zwei Stunden später nahm die Polizei Dieter Nowak fest, der sofort ein Geständnis ablegte. In den Zeitungen war am nächsten Tag ein siegessicher lächelnder Kommissar Mittendorf zu sehen. Wieder hatte er souverän einen Fall gelöst.