Liebesgeschichten ohne Kitsch? Geht das? Ja - und wie. Lesen Sie unsere Geschichten- Sammlung "Honigfalter", das meistverkaufte Buch im Schreiblust-Verlag.
Ohne Heinrich und seine platten SprĂŒche war es verdammt langweilig. Udo legte die Bild-Zeitung zur Seite und blickte auf den Schreibtisch seines Kollegen. AufgerĂ€umt, eine Schreibunterlage, ein Becher mit ein paar Stiften und ein Glas voll Bonbons. Der leere Stuhl dahinter. Udo sah auf das Fenster, auf Schlieren prasselnden Regens. Seufzend drehte er sich zum Bildschirm und hĂ€mmerte auf die Tastatur, bis ihn das Klingeln des Telefons von seinem Bericht riss.
âWie bitte? Bin gleich bei Ihnen.â
Dr. Schmidts BĂŒro befand sich eine Etage höher.
âUdo, wir haben einen Mord. Hamburg-PoppenbĂŒttel, Schulbergredder 14.â Schmidt rĂŒckte seine Brille zurecht. âDer Mann heiĂt Emil Erdmann. Die von der Spurensicherung sind schon da.â
Eine Frau weinte. Ein Mann lag im Flur. Zwei MĂ€nner stĂ€ubten mit weiĂen Latexhandschuhen Pulver auf TreppengelĂ€nder und TĂŒrgriff. Ein Vierter lehnte an der Wand und sah ihnen zu.
âDoktor Petersen, wie siehts aus?â Der Mann hob die Hand. Ein flĂŒchtiges LĂ€cheln zuckte ĂŒber sein Gesicht.
âHerr Schmitz ohne Kommissar Schneider. Welch ungewohntes Bild.â
âMein Kollege ist auf Urlaub.â
âNunâ, Petersen deutete auf das klaffende Loch in der Stirn des Mannes, âder Schuss kam aus nĂ€chster NĂ€he, aus dem Treppenhaus. Der Mann ist seit etwa neunzig Minuten tot.â
âFrau Erdmann?â Die Frau blickte auf Udo und nickte.
âSchmitz, von der Mordkommission. Kommen Sieâ, Udo fasste sie am Arm und geleitete sie vorsichtig vom Tatort. âKönnen wir uns irgendwo hinsetzen?â
Die Frau öffnete eine TĂŒr und zeigte auf ein Sofa.
âFrau Erdmann. Ich möchte Ihnen meine Anteilnahme aussprechen.â Die Frau blickte auf den Boden. Udo zog ein Notizbuch hervor.
âKönnen Sie mir erzĂ€hlen, was passiert ist?â
âWir waren gerade dabei, uns die Tagesschau anzusehen, als es klingelte. Ich weiĂ nur, dass mein Mann zur TĂŒr ging und nicht mehr wiederkam.â
âHaben Sie denn keinen Schuss gehört?â
âNein.â
âHatte er Feinde?â
âNicht, dass ich wĂŒsste.â
âIrgendwelche besonderen Hobbies?â
âJa. Seine elektrische Eisenbahn.â
âLaster?â
âNein, Eisenbahn.â
âIch meine, hatte er irgendwelche Laster?â
âEr trank, und es war nicht schön. Bis vor einem Monat. Dann ging Emil zu den Anonymen Alkoholikern, hörte eine Weile mit dem Trinken auf.â
âWollen Sie damit sagen, er hat nicht durchgehalten?â
âJa.â
âWer war der Arbeitgeber Ihres Mannes?â
âSchiffsausrĂŒster Drusemann im Freihafen.â
Udo machte sich einige Notizen, dann erhob er sich und griff in seine Jackentasche.
âFrau Erdmann. Hier haben Sie meine Karte. Rufen Sie mich bitte an, sollte Ihnen noch etwas Sachdienliches einfallen.â
Der Mord stand am nĂ€chsten Morgen in der Bild-Zeitung. Udo legte sie zur Seite und dachte an den gestrigen Abend im Stadtpark, ging im Geiste noch einmal die ZĂŒge der Schachpartie durch. Sie hatten nahe am Stadtpark See mit den groĂen Holzfiguren gespielt, sein Freund Boris und er. Jetzt fiel es ihm schwer, sich auf den Mord zu konzentrieren. Er nahm Papier und Stift zur Hand, suchte nach Anhaltspunkten.
Der Klingelknopf. Die Spurensicherung hatte einen unvollstÀndigen Fingerabdruck abgenommen.
Der Ermordete gehörte den Anonymen Alkoholikern an. Und er, Udo, den Anonymen Schachspielern. Gab es da Unterschiede? Nun, die einen soffen, die anderen spielten Schach. Die einen zerstörten ihr Gehirn, die anderen trainierten es.
Die Frau hatte den Schuss nicht gehört. Die Waffe musste einen SchalldÀmpfer gehabt haben.
Es gab nicht viel her. Er brauchte mehr Informationen und Udo schickte sich an, zu Erdmanns ehemaligem Arbeitgeber zu fahren, als ihm Dr. Schmidt auf dem Korridor entgegen kam.
âHerr Schmitz, schon auf dem Weg? Woher wissen Sie von dem neuen Mord?â
âEs kam ĂŒber michâ, Udo grinste. âWo war es noch genau?â
âSaselbekstraĂe 15.â
Die SaselbekstraĂe war nicht weit vom Schulbergredder entfernt, in dem der erste Mord verĂŒbt worden war. Wie Erdmann, war auch dieser Mann, er hieĂ Heinz Eckhoff, erschossen worden, als er die WohnungstĂŒr öffnete. Die Frau hatte nichts gehört und erzĂ€hlte Udo, ihr Mann sei Mitglied der Anonymen Alkoholiker gewesen.
âIch heiĂe Udo, ich bin Alkoholiker.â Mann, worauf habe ich mich da eingelassen, dachte er. Ist ja fast so schlimm wie ne Damenwahl. Verlegen blickte Udo in freundliche Gesichter.
âErzĂ€hle mehr von dir, Udoâ, sagte ein Mann im Rollkragenpullover.
âIch arbeite in der Kostenrechnungs-Abteilung und hab mich in Marisa verliebt, die aus der Buchhaltung. Sie ist verheiratet und will nichts von mir wissen.â Udos Stimme stockte, âdann hab ich zu trinken angefangen.â
âWoran hast du gemerkt, dass du Alkoholiker bist?â, fragte eine Frau.
âIch kam nicht vom Trinken los, von diesem Tequila. Ich trinke ihn jeden Abend. Ist ein Agavenschnaps, kommt aus Mexiko. Das soll keine Entschuldigung sein. Es ist nur, er schmeckt einfach so gut. Es dauerte nicht lange, und ich brachte im BĂŒro die Zahlen durcheinander. Grenzkosten lagen ĂŒber Vollkosten. Das konnte doch nicht sein, und da dachte ich, jetzt machst du schon zwei Sachen, die nicht in Ordnung sind, und Trinken ist sicher die schlimmere.â
âUnd was war die andere Sache?â
âIch bin nach wie vor scharf auf Marisa.â Werde ich rot?, fragte Udo sich und blickte auf die junge Frau in der Runde, auf den weiĂen Pullover, auf ihr ausdrucksvolles Gesicht, die Stoppelfrisur, begegnete dem intensiven Blick ihrer grĂŒnen Augen.
âDu hast den ersten Schritt bereits getanâ, meinte der Mann im Rollkragenpullover. âHast zugegeben, dass du dem Alkohol gegenĂŒber machtlos warst und dein Leben nicht mehr meistern konntest.â
âJetzt sind es nur noch elf weitere Schritteâ, nuschelte sein Nachbar, blinzelte ihm ĂŒber dicke TrĂ€nensĂ€cke zu.
âRichtigâ, sagte der Mann im Rollkragenpullover. âDer nĂ€chste Schritt wird sein, zu erkennen, dass nur eine Macht, gröĂer als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann.â Dann stellte er sich selbst und die Gruppe vor.
Er hieà Erich, Udos Nachbar zur Linken wurde Dieter genannt, die Frau Lisa. Udo fiel es schwer Namen zu behalten. Eigenartig, wo er sich doch Schachpartien so gut einprÀgen konnte.
Erich lieĂ die Leute seiner Gruppe zu Worte kommen, fragte sie, was sie die vergangene Woche unternommen hatten. Einer fĂŒtterte abends die Enten im Stadtpark, ein anderer ging auf dem Elbdeich spazieren, und wĂ€hrend die Leute erzĂ€hlten, sah Udo zu Boden und spielte im Geiste die Schachpartie Zukertort gegen Blackburne nach, die vom Jahr 1883. Es fiel ihm schwer sich zu konzentrieren. Als er aufblickte, sah er, dass Lisa ihn beobachtete.
âIch komm immer noch nicht darĂŒber hinweg, dass Emil und Heinz nicht mehr bei uns sind. Als sie letzten Mittwoch nicht kamen, hatte ich ein ungutes GefĂŒhl. Und nun sind sie tot.â Udo drehte sich zu seinem Nachbarn.
Dieter griff nach einem Taschentuch und tupfte sich die TrÀnen aus den Augen.
âEs hat uns alle erschĂŒttert. Doch wir mĂŒssen weitermachenâ, meinte Erich.
âWie hast du die letzte Woche verbracht?â
Als sie nach der Sitzung den Raum verlieĂen, ging Udo neben Dieter her. Er hielt einen Zettel in der Hand, den mit den zwölf Schritten auf dem Weg zur Abstinenz.
âZwei Mann aus dieser Gruppe tot? Auf einen Schlag? Wie ist das passiert?â
âSie wurden erschossen.â Dieter ging auf einen Golf zu und blieb stehen.
âDas ist ja furchtbar. Hat man schon jemanden in Verdacht?â
âWeiĂ ich nicht. Also dann, bis nĂ€chsten Mittwoch.â Dieter stieg in den Wagen. Udo sah, wie das Fahrzeug in der Dunkelheit verschwand und wunderte sich, dass der Mann mit diesen TrĂ€nensĂ€cken die Strasse erkennen konnte.
âDenkst du noch immer an Marisa?â Udo drehte sich um.
âNicht im Augenblick.â Udo bemerkte den intensiven Ausdruck in Lisas Gesicht.
âNur, wenn ich in meinen eigenen vier WĂ€nden bin. Ich weiĂ nicht, ob ich dann nicht wieder zur Flasche greife.â
âVielleicht solltest du darĂŒber reden.â Lisas ParfĂŒm legte sich auf seine Sinne.
âAusserhalb der Gruppe, meine ich.â Sie wandte sich um.
âKomm. Gehen wir doch in die Kneipe hier.â
Sie bestellten Apfelsaft und blickten sich eine Weile schweigend an, dann lÀchelte sie.
âIch weiĂ, wie man sich fĂŒhlt, wenn man unsterblich verliebt ist. Ich habe sie kennengelernt, unerwiderte Liebe. Und danach war ich verheiratet. Mit einem anderen. Das konnte nicht gut gehen.â Sie griff nach seiner Hand. âEs hat mich Kraft gekostet, aber es geht vorbei und ist kein Grund sich zu betrinken.â
âLeicht gesagtâ, seufzte Udo. âIch brauchte jemanden, der mir dabei hilft.â Lisa betrachtete ihn aufmerksam.
âWas findest du an ihr?â
âAlles, was ich mir von einer Frau ertrĂ€umt habe. Ihre langen Beine, ihr kurzer Rock, ihr dunkler Teint, die schwarzen, langen Haare. Die Art, wie sie ihre Unterlagen auf meinen Schreibtisch legt und mich dabei anlĂ€chelt. Ich wĂŒnschte, sie wĂ€re die Unterlage und wĂŒrde sie doch das LĂ€cheln beibehalten.â
Er griff nach seinem Glas und versenkte seinen Blick darin.
âKennst du Santanas âCorazon Espinadoâ? Udo verzog sein Gesicht zu einer traurigen Grimasse, sah zu Lisa hin. Sie schĂŒttelte den Kopf.
âEin dorniges Herz. Marisa hat ein dorniges Herz. Nie hat sie mich erhört. Sie mĂŒsste es wissen, obwohl, ich konnte mich ihr nicht erklĂ€ren, sie ist verheiratet, aber jeder meiner Gesten hĂ€tte sie ansehen mĂŒssen, wie sehr ich sie liebe.â
Udo schĂŒttelte erstaunt den Kopf. Was war in ihn gefahren? Die Phantasie ging mit ihm durch. War er nun ein guter Schauspieler? Lisa beugte sich weiter vor, hielt noch immer seine Hand. Udo versuchte das Thema zu wechseln.
âDieter hatte von zwei AA-Mitgliedern erzĂ€hlt, die ermordet wurden. Was ist da passiert?â
âIch weiĂ nur so viel. Die drei kannten sich. Sie haben jeden Abend in der Kneipe am PoppenbĂŒtteler Markt zusammen gesessen und sich betrunken. Vielleicht haben sie sich gestritten.â
Lisas Hand krampfte sich um die seine. Sie blickte auf den Boden. Ein nervöses Zucken flog ĂŒber ihr Gesicht, dann sah sie ihm in die Augen.
âTrinke nie mit anderen zusammen, Udo. Du kommst sonst nie mehr vom Alkohol los. Dieter hat den Sprung geschafft, doch die beiden anderen.â Lisa bliebt einen Moment stumm, dann brach es aus ihr hervor: âSie ruinierten sich und hatten auch andere Leute auf dem Gewissen!â Dann erhob sie sich und nahm ihre Jacke von der Garderobe. Udo stutzte. Andere Leute? Wen meinte sie damit?
âIch muss los. Vielleicht können wir unser GesprĂ€ch nĂ€chsten Mittwoch fortsetzen.â
âWĂŒrde mich freuenâ, erwiderte Udo, griff nach ihrem Glas, ohne dass sie es sah und steckte es in die Hosentasche. Gemeinsam verlieĂen sie das Lokal. Auf der StraĂe drehte sich Lisa noch einmal nach ihm um, blickte auf seine Hose.
âOh, war ich das?â und sie bekam wieder diesen intensiven Blick. âVielleicht sollten wir nĂ€chste Woche was dagegen tun.â
âDer Abdruck auf dem Glas ist mit dem auf dem Klingelknopf identisch.â Hans MĂŒller von der Spurensicherung saĂ auf Schneiders Stuhl und blickte Udo erwartungsvoll an.
âDem Teilabdruck auf dem Klingelknopfâ, prĂ€zisierte Udo. âDas reicht nicht fĂŒr eine Festnahme.â
âPoppenbĂŒttler Eckeâ, was fĂŒr ein phantasievoller Name, dachte Udo und trat in die Kneipe. Ein paar Tische, StĂŒhle, eine Theke mit Zapfhahn und darauf Frikadellen im Glas. Udo wies sich aus und befragte den Wirt.
âEmil Erdmann und Heinz Eckhoff wurden ermordet. Das wissen Sie, nicht wahr?â
Der Wirt nickte und schwieg.
âDie waren StammgĂ€ste, richtig?â Der Wirt nickte wieder.
âWer war noch mit ihnen zusammen?â
âDieter Stromberg, und dann noch eine Frau. Wenigstens am Anfang.â
âWie hieĂ sie?â
âIch glaube Lisa, eine Busfahrerin.â Der Wirt wischte ĂŒber den Tresen. âNach einem dieser Abende hatte sie diesen entsetzlichen Unfall, und danach habe ich auch die drei anderen eine Weile nicht mehr gesehen.â
âWas fĂŒr einen Unfall?â
âSie hat mit ihrem Bus ein MĂ€dchen auf dem Fahrrad ĂŒberfahren. Stand doch in der Zeitung.â
Udo kramte in seinen Erinnerungen. âDas war diese Frau? Wurde von der HVV entlassen, richtig?â
âNee, so weit ich weiĂ, in den Innendienst abgeschoben.â
âUnd die drei MĂ€nner, sie kamen wieder?â
âNur zwei von ihnen, die spĂ€ter ermordet wurden. Fingen wieder mit der Sauferei an.â
âHat sich die Frau noch mal sehen lassen?â
âEinmal. Es gab eine fĂŒrchterliche Szene. Sie hatte die beiden angeschrien, sie seien an ihrem UnglĂŒck schuld gewesen und jetzt betrĂ€nken sie sich wieder. Doch die lachten nur.â
Am Morgen darauf im BĂŒro. Udo legte die Bild Zeitung auf den Schreibtisch und seinen Apfel in die Schublade. Dann holte er einen Zettel hervor und schrieb.
âEifersucht, Neid, Gier, Racheâ.
Er dachte an Lisa. Was hĂ€tte sie veranlassen können, zwei Menschen umzubringen? Neid, Gier und Eifersucht schloss er aus. Er strich die Wörter durch. Rache. Was hatte sie gesagt? âSie ruinierten sich und hatten auch andere Leute auf dem Gewissenâ, und der Wirt hatte erzĂ€hlt, sie habe Emil Erdmann und Heinz Eckhoff in der Kneipe angeschrien, sie seien an ihrem UnglĂŒck Schuld. Wieso hatte sie nicht erzĂ€hlt, dass auch sie in der PoppenbĂŒttler Ecke mit getrunken hatte? War Lisa von den MĂ€nnern zum Trinken animiert worden und hatte spĂ€ter den Unfall verursacht? Meinte sie, sie sei es, deren Leben die beiden ruiniert hĂ€tten? Danach hatten sie im Gegensatz zu ihr und Dieter nicht mit dem Trinken aufgehört und sie hatte sie bestraft. Strafe, keine Rache.
Udo blickte hoch, als Heinrich Schneider ins BĂŒro kam und seine Jacke weghĂ€ngte.
âHallo Heinrich, wie war der Urlaub?â
âGanz nettâ, meinte der Kollege und flĂ€zte sich auf seinen Stuhl. âWas gibt es Neues?â
âZwei erschossene Alkoholiker. Heinrich, du musst mir helfen.â
Erich, der Mann im Rollkragenpullover lĂ€chelte sanft und fragte: âUdo, wir sollten uns zuerst mit dir befassen. Wie ist es dir letzte Woche ergangen?â
âEs ist so schwer mit dem Trinken aufzuhören. Ich habe es versucht, ich habe es so versucht, und zwei Tage lang ging es gut. Dann kam es wieder ĂŒber mich, und ich habe mir eine neue Flasche Tequila gekauft.â Udo wich Lisas Blick aus.
âUnd die hast du leer getrunken, nicht wahr?â, fragte Erich und schĂŒttelte den Kopf.
âJa. Wie komme ich nur davon los?â
âErinnerst du dich noch an den zweiten Schritt?â
âJaâ, erwiderte Udo gequĂ€lt. âDen mit der höheren Macht, die gröĂer ist als wir selbst.â
âRichtig. Vertraue dich dieser Macht an. Gott wird dir den richtigen Weg zeigen.â
âWiesoâ, tat Udo verwundertâ, hat er mich ĂŒberhaupt den falschen Weg gehen lassen?â
âDu kennst doch das zehnte Gebot: Du sollst nicht begehren deines NĂ€chsten Weib.â
âOhâ, meinte Udo. âDas ist es.â
Als Udo in seinem Wagen Lisas Auto folgte, versuchte er cool zu bleiben. Nicht einfach bei dieser Frau. Sie hatte etwas an sich, was ihn erregte und zugleich erschreckte. Wie sie ihn ansah, mit ihrem Basiliskenblick. Wie hat sie die drei MĂ€nner dahin gebracht zu den Anonymen Alkoholikern zu gehen? Mit Erpressung? Mit Sex? Hatte sie die beiden ermordet? Sie hatte ein Motiv. Der Teilabdruck auf dem Klingelknopf stimmte mit dem auf dem Glas ĂŒberein. Nur, er war nicht komplett. Nie hĂ€tte ihm der Ermittlungsrichter einen Hausdurchsuchungsbefehl ausgestellt.
Lisa wohnte in Steilshoop, einer Neubausiedlung, die inzwischen sehr alt aussah. Er griff nach seinem Aktenkoffer und ging mit Lisa in das GebĂ€ude. Das Treppenhaus war mit Graffitti verschmiert, die Beleuchtung eine Funzel. Als Busfahrer konnte man keine groĂen AnsprĂŒche stellen, oder? Er sah das Namensschild an der TĂŒr. Die Frau hieĂ Lisa KrĂ€mer.
âMach es Dir auf der Couch gemĂŒtlich, ich hole etwas zu trinken.â
âBrauchst du nicht, Lisa. Ich hab was mitgebracht.â Udo öffnete seinen Aktenkoffer und zog eine Flasche Tequila hervor.
âDen packst du schnell wieder weg!â, schrie Lisa erregt. âKeinen Alkohol in meiner Wohnung!â
âEntschuldigeâ, murmelte Udo und packte die Flasche wieder in seinen Koffer.
âNun sag mal, Udoâ, Lisa setzte sich zu ihm aufs Sofa und legte einen Arm um seine Schultern. âWarum hast du die Flasche mitgebracht? Meinst du nicht, es gĂ€be einen anderen Weg, Marisa zu vergessen?â
Sie zog ihn nĂ€her an sich, das GrĂŒn ihrer Augen sagte ihm âFreie Fahrtâ und er schloss die Augen, wĂ€hrend sein Mund sich auf ihren presste, seine Zunge mit ihrer einen wilden Kampf begann.
âKommâ, stöhnte sie. âKomm ins Schlafzimmer.â Heinrich, dachte Udo, als er sah, dass die TĂŒr des Kleiderschranks einen Spalt geöffnet war, dann flogen Knöpfe, als sie sich die Kleidung vom Leib rissen. Udo fand sich plötzlich nackt auf dem Bett.
âIch werde dich Marisa vergessen lassen!â, schrie Lisa und stĂŒrzte sich auf ihn. Es war ein Rausch. Udo wusste nicht, wie ihm geschah, und es kostete ihn MĂŒhe, die Kontrolle ĂŒber sich zurĂŒck zu gewinnen. Ihr Mund glitt ĂŒber seinen Körper, lieĂ Nervenenden seiner Haut vibrieren, dann waren sie eins, eine dynamische Konstellation, stĂ€ndig zum Wechsel bereit. Lisa kniete ĂŒber ihm, bis ihr die Schenkel schmerzten, dann lag sie unter ihm und plötzlich fand er sich hinter ihr. Grunzen, Stöhnen, spitze Schreie brachen sich an den WĂ€nden. Die Dimension der Zeit hatte sich aufgelöst. Udo wurde sich ihr erst wieder bewuĂt, als Lisa erschöpft auf dem Bett lag und sich nicht mehr rĂŒhrte.
âDas war wasâ, keuchte sie und starrte gegen die Zimmerdecke.
âIch weiĂ, und doch ist es soâ, Udo verschwand im Wohnzimmer und tauchte mit seinem Aktenkoffer wieder auf, âMarisa will mir immer noch nicht aus dem Sinn.â Bevor er die BadezimmertĂŒr hinter sich schloss, sah er, wie Lisa sich im Bett aufrichtete und ihm nachblickte.
Udo öffnete den Koffer, zog die Flasche Tequila hervor und schraubte den Verschluss ab. Er hörte die TĂŒrklinke, verspĂŒrte einen Luftzug und drehte sich um. Lisas Augen sprĂŒhten, die BrĂŒste bebten, sie hatte den Finger am Abzug, und Udo dachte, d a s ist schlimmer als ne Damenwahl. Ein Knall, Udo wankte und blickte an sich hinab. Wo war der Einschuss? Er sah keinen. Dann hörte er, wie die Pistole auf die Fliesen fiel, vernahm Stöhnen. Lisa lehnte kraftlos an der Wand und hielt sich die blutende Schulter. Mit aufgerissenen Augen blickte sie auf Udo, dann sank sie zu Boden. Udo holte den Erste Hilfe-Kit aus seinem Aktenkoffer. Lisa lieĂ es wortlos geschehen, dass er ihre Wunde verband.
âMann, meine Kinnlade liegt noch immer auf dem Boden.â Schneider steckte die Pistole in sein Holster zurĂŒck. âUdo, ich bin beeindruckt.â Schwang nicht Neid in Schneiders Stimme mit? âWas fĂŒr eine Ausdauer! Wie machst du das?â
Udo stieg in die Badewanne, drehte den Wasserhahn auf. âDie Schachpartie Marshall gegen Capablanca, die von 1909.â
âWas ist damit?â fragte Schneider und griff nach seinem Handy.
âDie hab ich im Geiste nachgespielt.â
âOhne Orgasmus?â
âDoch nicht im Einsatzâ, Udo grinste und lenkte den kalten Strahl der Dusche auf sich. âDa muss man einen kĂŒhlen Kopf behalten.â
âFrau KrĂ€mer, bleiben Sie liegen. Ambulanz und Polizei sind auf dem Weg. Ich bin Kommissar Schneider von der Mordkommission. Meinen Kollegen, Inspektor Schmitz, haben Sie ja schon nĂ€her kennengelernt. Frau KrĂ€mer, ich muss Sie festnehmen. Sie stehen unter Verdacht, Emil Erdmann und Heinz Eckhoff getötet zu haben.â
Nach dem ballistischen Test ihrer Waffe haben wir sie, dachte Udo, als er im Schlafzimmer seine KleidungstĂŒcke vom Boden auflas und sich anzog. Er ging ins Bad zurĂŒck.
Lisa warf ihm einen schmerzerfĂŒllten Blick zu. âIch werde dich nie vergessen.â TrĂ€nen liefen ihre Wangen hinab. âWarum hast du nicht wenigstens so getan, als hĂ€tte ich Marisa aus deinem GedĂ€chtnis vertrieben?â
Schneider blickte Udo fragend an: âWer zum Teufel ist Marisa?â, dann öffnete er die HaustĂŒr, lieĂ die Polizisten und die MĂ€nner von der Ambulanz in die
Wohnung.
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