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Februar 2003
Ein Glas zuviel
von Klaus Eylmann


Eine Kommissar Schneider Geschichte

Ohne Heinrich und seine platten SprĂŒche war es verdammt langweilig. Udo legte die Bild-Zeitung zur Seite und blickte auf den Schreibtisch seines Kollegen. AufgerĂ€umt, eine Schreibunterlage, ein Becher mit ein paar Stiften und ein Glas voll Bonbons. Der leere Stuhl dahinter. Udo sah auf das Fenster, auf Schlieren prasselnden Regens. Seufzend drehte er sich zum Bildschirm und hĂ€mmerte auf die Tastatur, bis ihn das Klingeln des Telefons von seinem Bericht riss.
“Wie bitte? Bin gleich bei Ihnen.”
Dr. Schmidts BĂŒro befand sich eine Etage höher.
“Udo, wir haben einen Mord. Hamburg-PoppenbĂŒttel, Schulbergredder 14.” Schmidt rĂŒckte seine Brille zurecht. “Der Mann heißt Emil Erdmann. Die von der Spurensicherung sind schon da.”

Eine Frau weinte. Ein Mann lag im Flur. Zwei MĂ€nner stĂ€ubten mit weißen Latexhandschuhen Pulver auf TreppengelĂ€nder und TĂŒrgriff. Ein Vierter lehnte an der Wand und sah ihnen zu.
“Doktor Petersen, wie siehts aus?” Der Mann hob die Hand. Ein flĂŒchtiges LĂ€cheln zuckte ĂŒber sein Gesicht.
“Herr Schmitz ohne Kommissar Schneider. Welch ungewohntes Bild.”
“Mein Kollege ist auf Urlaub.”
“Nun”, Petersen deutete auf das klaffende Loch in der Stirn des Mannes, “der Schuss kam aus nĂ€chster NĂ€he, aus dem Treppenhaus. Der Mann ist seit etwa neunzig Minuten tot.”
“Frau Erdmann?” Die Frau blickte auf Udo und nickte.
“Schmitz, von der Mordkommission. Kommen Sie”, Udo fasste sie am Arm und geleitete sie vorsichtig vom Tatort. “Können wir uns irgendwo hinsetzen?”
Die Frau öffnete eine TĂŒr und zeigte auf ein Sofa.
“Frau Erdmann. Ich möchte Ihnen meine Anteilnahme aussprechen.” Die Frau blickte auf den Boden. Udo zog ein Notizbuch hervor.
“Können Sie mir erzĂ€hlen, was passiert ist?”
“Wir waren gerade dabei, uns die Tagesschau anzusehen, als es klingelte. Ich weiß nur, dass mein Mann zur TĂŒr ging und nicht mehr wiederkam.”
“Haben Sie denn keinen Schuss gehört?”
“Nein.”
“Hatte er Feinde?”
“Nicht, dass ich wĂŒsste.”
“Irgendwelche besonderen Hobbies?”
“Ja. Seine elektrische Eisenbahn.”
“Laster?”
“Nein, Eisenbahn.”
“Ich meine, hatte er irgendwelche Laster?”
“Er trank, und es war nicht schön. Bis vor einem Monat. Dann ging Emil zu den Anonymen Alkoholikern, hörte eine Weile mit dem Trinken auf.”
“Wollen Sie damit sagen, er hat nicht durchgehalten?”
“Ja.”
“Wer war der Arbeitgeber Ihres Mannes?”
“SchiffsausrĂŒster Drusemann im Freihafen.”
Udo machte sich einige Notizen, dann erhob er sich und griff in seine Jackentasche.
“Frau Erdmann. Hier haben Sie meine Karte. Rufen Sie mich bitte an, sollte Ihnen noch etwas Sachdienliches einfallen.”

Der Mord stand am nĂ€chsten Morgen in der Bild-Zeitung. Udo legte sie zur Seite und dachte an den gestrigen Abend im Stadtpark, ging im Geiste noch einmal die ZĂŒge der Schachpartie durch. Sie hatten nahe am Stadtpark See mit den großen Holzfiguren gespielt, sein Freund Boris und er. Jetzt fiel es ihm schwer, sich auf den Mord zu konzentrieren. Er nahm Papier und Stift zur Hand, suchte nach Anhaltspunkten.

Der Klingelknopf. Die Spurensicherung hatte einen unvollstÀndigen Fingerabdruck abgenommen.
Der Ermordete gehörte den Anonymen Alkoholikern an. Und er, Udo, den Anonymen Schachspielern. Gab es da Unterschiede? Nun, die einen soffen, die anderen spielten Schach. Die einen zerstörten ihr Gehirn, die anderen trainierten es.
Die Frau hatte den Schuss nicht gehört. Die Waffe musste einen SchalldÀmpfer gehabt haben.

Es gab nicht viel her. Er brauchte mehr Informationen und Udo schickte sich an, zu Erdmanns ehemaligem Arbeitgeber zu fahren, als ihm Dr. Schmidt auf dem Korridor entgegen kam.
“Herr Schmitz, schon auf dem Weg? Woher wissen Sie von dem neuen Mord?”
“Es kam ĂŒber mich”, Udo grinste. “Wo war es noch genau?”
“Saselbekstraße 15.”

Die Saselbekstraße war nicht weit vom Schulbergredder entfernt, in dem der erste Mord verĂŒbt worden war. Wie Erdmann, war auch dieser Mann, er hieß Heinz Eckhoff, erschossen worden, als er die WohnungstĂŒr öffnete. Die Frau hatte nichts gehört und erzĂ€hlte Udo, ihr Mann sei Mitglied der Anonymen Alkoholiker gewesen.

“Ich heiße Udo, ich bin Alkoholiker.” Mann, worauf habe ich mich da eingelassen, dachte er. Ist ja fast so schlimm wie ne Damenwahl. Verlegen blickte Udo in freundliche Gesichter.
“ErzĂ€hle mehr von dir, Udo”, sagte ein Mann im Rollkragenpullover.
“Ich arbeite in der Kostenrechnungs-Abteilung und hab mich in Marisa verliebt, die aus der Buchhaltung. Sie ist verheiratet und will nichts von mir wissen.” Udos Stimme stockte, “dann hab ich zu trinken angefangen.”
“Woran hast du gemerkt, dass du Alkoholiker bist?”, fragte eine Frau.
“Ich kam nicht vom Trinken los, von diesem Tequila. Ich trinke ihn jeden Abend. Ist ein Agavenschnaps, kommt aus Mexiko. Das soll keine Entschuldigung sein. Es ist nur, er schmeckt einfach so gut. Es dauerte nicht lange, und ich brachte im BĂŒro die Zahlen durcheinander. Grenzkosten lagen ĂŒber Vollkosten. Das konnte doch nicht sein, und da dachte ich, jetzt machst du schon zwei Sachen, die nicht in Ordnung sind, und Trinken ist sicher die schlimmere.”
“Und was war die andere Sache?”
“Ich bin nach wie vor scharf auf Marisa.” Werde ich rot?, fragte Udo sich und blickte auf die junge Frau in der Runde, auf den weißen Pullover, auf ihr ausdrucksvolles Gesicht, die Stoppelfrisur, begegnete dem intensiven Blick ihrer grĂŒnen Augen.
“Du hast den ersten Schritt bereits getan”, meinte der Mann im Rollkragenpullover. “Hast zugegeben, dass du dem Alkohol gegenĂŒber machtlos warst und dein Leben nicht mehr meistern konntest.”
“Jetzt sind es nur noch elf weitere Schritte”, nuschelte sein Nachbar, blinzelte ihm ĂŒber dicke TrĂ€nensĂ€cke zu.
“Richtig”, sagte der Mann im Rollkragenpullover. “Der nĂ€chste Schritt wird sein, zu erkennen, dass nur eine Macht, grĂ¶ĂŸer als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann.” Dann stellte er sich selbst und die Gruppe vor.
Er hieß Erich, Udos Nachbar zur Linken wurde Dieter genannt, die Frau Lisa. Udo fiel es schwer Namen zu behalten. Eigenartig, wo er sich doch Schachpartien so gut einprĂ€gen konnte.

Erich ließ die Leute seiner Gruppe zu Worte kommen, fragte sie, was sie die vergangene Woche unternommen hatten. Einer fĂŒtterte abends die Enten im Stadtpark, ein anderer ging auf dem Elbdeich spazieren, und wĂ€hrend die Leute erzĂ€hlten, sah Udo zu Boden und spielte im Geiste die Schachpartie Zukertort gegen Blackburne nach, die vom Jahr 1883. Es fiel ihm schwer sich zu konzentrieren. Als er aufblickte, sah er, dass Lisa ihn beobachtete.
“Ich komm immer noch nicht darĂŒber hinweg, dass Emil und Heinz nicht mehr bei uns sind. Als sie letzten Mittwoch nicht kamen, hatte ich ein ungutes GefĂŒhl. Und nun sind sie tot.” Udo drehte sich zu seinem Nachbarn.
Dieter griff nach einem Taschentuch und tupfte sich die TrÀnen aus den Augen.
“Es hat uns alle erschĂŒttert. Doch wir mĂŒssen weitermachen”, meinte Erich.
“Wie hast du die letzte Woche verbracht?”

Als sie nach der Sitzung den Raum verließen, ging Udo neben Dieter her. Er hielt einen Zettel in der Hand, den mit den zwölf Schritten auf dem Weg zur Abstinenz.
“Zwei Mann aus dieser Gruppe tot? Auf einen Schlag? Wie ist das passiert?”
“Sie wurden erschossen.” Dieter ging auf einen Golf zu und blieb stehen.
“Das ist ja furchtbar. Hat man schon jemanden in Verdacht?”
“Weiß ich nicht. Also dann, bis nĂ€chsten Mittwoch.” Dieter stieg in den Wagen. Udo sah, wie das Fahrzeug in der Dunkelheit verschwand und wunderte sich, dass der Mann mit diesen TrĂ€nensĂ€cken die Strasse erkennen konnte.
“Denkst du noch immer an Marisa?” Udo drehte sich um.
“Nicht im Augenblick.” Udo bemerkte den intensiven Ausdruck in Lisas Gesicht.
“Nur, wenn ich in meinen eigenen vier WĂ€nden bin. Ich weiß nicht, ob ich dann nicht wieder zur Flasche greife.”
“Vielleicht solltest du darĂŒber reden.” Lisas ParfĂŒm legte sich auf seine Sinne.
“Ausserhalb der Gruppe, meine ich.” Sie wandte sich um.
“Komm. Gehen wir doch in die Kneipe hier.”
Sie bestellten Apfelsaft und blickten sich eine Weile schweigend an, dann lÀchelte sie.
“Ich weiß, wie man sich fĂŒhlt, wenn man unsterblich verliebt ist. Ich habe sie kennengelernt, unerwiderte Liebe. Und danach war ich verheiratet. Mit einem anderen. Das konnte nicht gut gehen.” Sie griff nach seiner Hand. “Es hat mich Kraft gekostet, aber es geht vorbei und ist kein Grund sich zu betrinken.”
“Leicht gesagt”, seufzte Udo. “Ich brauchte jemanden, der mir dabei hilft.” Lisa betrachtete ihn aufmerksam.
“Was findest du an ihr?”
“Alles, was ich mir von einer Frau ertrĂ€umt habe. Ihre langen Beine, ihr kurzer Rock, ihr dunkler Teint, die schwarzen, langen Haare. Die Art, wie sie ihre Unterlagen auf meinen Schreibtisch legt und mich dabei anlĂ€chelt. Ich wĂŒnschte, sie wĂ€re die Unterlage und wĂŒrde sie doch das LĂ€cheln beibehalten.”
Er griff nach seinem Glas und versenkte seinen Blick darin.
“Kennst du Santanas ‘Corazon Espinado’? Udo verzog sein Gesicht zu einer traurigen Grimasse, sah zu Lisa hin. Sie schĂŒttelte den Kopf.
“Ein dorniges Herz. Marisa hat ein dorniges Herz. Nie hat sie mich erhört. Sie mĂŒsste es wissen, obwohl, ich konnte mich ihr nicht erklĂ€ren, sie ist verheiratet, aber jeder meiner Gesten hĂ€tte sie ansehen mĂŒssen, wie sehr ich sie liebe.”
Udo schĂŒttelte erstaunt den Kopf. Was war in ihn gefahren? Die Phantasie ging mit ihm durch. War er nun ein guter Schauspieler? Lisa beugte sich weiter vor, hielt noch immer seine Hand. Udo versuchte das Thema zu wechseln.
“Dieter hatte von zwei AA-Mitgliedern erzĂ€hlt, die ermordet wurden. Was ist da passiert?”
“Ich weiß nur so viel. Die drei kannten sich. Sie haben jeden Abend in der Kneipe am PoppenbĂŒtteler Markt zusammen gesessen und sich betrunken. Vielleicht haben sie sich gestritten.”
Lisas Hand krampfte sich um die seine. Sie blickte auf den Boden. Ein nervöses Zucken flog ĂŒber ihr Gesicht, dann sah sie ihm in die Augen.
“Trinke nie mit anderen zusammen, Udo. Du kommst sonst nie mehr vom Alkohol los. Dieter hat den Sprung geschafft, doch die beiden anderen.” Lisa bliebt einen Moment stumm, dann brach es aus ihr hervor: “Sie ruinierten sich und hatten auch andere Leute auf dem Gewissen!” Dann erhob sie sich und nahm ihre Jacke von der Garderobe. Udo stutzte. Andere Leute? Wen meinte sie damit?
“Ich muss los. Vielleicht können wir unser GesprĂ€ch nĂ€chsten Mittwoch fortsetzen.”
“WĂŒrde mich freuen”, erwiderte Udo, griff nach ihrem Glas, ohne dass sie es sah und steckte es in die Hosentasche. Gemeinsam verließen sie das Lokal. Auf der Straße drehte sich Lisa noch einmal nach ihm um, blickte auf seine Hose.
“Oh, war ich das?” und sie bekam wieder diesen intensiven Blick. “Vielleicht sollten wir nĂ€chste Woche was dagegen tun.”

“Der Abdruck auf dem Glas ist mit dem auf dem Klingelknopf identisch.” Hans MĂŒller von der Spurensicherung saß auf Schneiders Stuhl und blickte Udo erwartungsvoll an.
“Dem Teilabdruck auf dem Klingelknopf”, prĂ€zisierte Udo. “Das reicht nicht fĂŒr eine Festnahme.”

‘PoppenbĂŒttler Ecke’, was fĂŒr ein phantasievoller Name, dachte Udo und trat in die Kneipe. Ein paar Tische, StĂŒhle, eine Theke mit Zapfhahn und darauf Frikadellen im Glas. Udo wies sich aus und befragte den Wirt.
“Emil Erdmann und Heinz Eckhoff wurden ermordet. Das wissen Sie, nicht wahr?”
Der Wirt nickte und schwieg.
“Die waren StammgĂ€ste, richtig?” Der Wirt nickte wieder.
“Wer war noch mit ihnen zusammen?”
“Dieter Stromberg, und dann noch eine Frau. Wenigstens am Anfang.”
“Wie hieß sie?”
“Ich glaube Lisa, eine Busfahrerin.” Der Wirt wischte ĂŒber den Tresen. “Nach einem dieser Abende hatte sie diesen entsetzlichen Unfall, und danach habe ich auch die drei anderen eine Weile nicht mehr gesehen.”
“Was fĂŒr einen Unfall?”
“Sie hat mit ihrem Bus ein MĂ€dchen auf dem Fahrrad ĂŒberfahren. Stand doch in der Zeitung.”
Udo kramte in seinen Erinnerungen. “Das war diese Frau? Wurde von der HVV entlassen, richtig?”
“Nee, so weit ich weiß, in den Innendienst abgeschoben.”
“Und die drei MĂ€nner, sie kamen wieder?”
“Nur zwei von ihnen, die spĂ€ter ermordet wurden. Fingen wieder mit der Sauferei an.”
“Hat sich die Frau noch mal sehen lassen?”
“Einmal. Es gab eine fĂŒrchterliche Szene. Sie hatte die beiden angeschrien, sie seien an ihrem UnglĂŒck schuld gewesen und jetzt betrĂ€nken sie sich wieder. Doch die lachten nur.”

Am Morgen darauf im BĂŒro. Udo legte die Bild Zeitung auf den Schreibtisch und seinen Apfel in die Schublade. Dann holte er einen Zettel hervor und schrieb.
‘Eifersucht, Neid, Gier, Rache’.
Er dachte an Lisa. Was hĂ€tte sie veranlassen können, zwei Menschen umzubringen? Neid, Gier und Eifersucht schloss er aus. Er strich die Wörter durch. Rache. Was hatte sie gesagt? ‘Sie ruinierten sich und hatten auch andere Leute auf dem Gewissen’, und der Wirt hatte erzĂ€hlt, sie habe Emil Erdmann und Heinz Eckhoff in der Kneipe angeschrien, sie seien an ihrem UnglĂŒck Schuld. Wieso hatte sie nicht erzĂ€hlt, dass auch sie in der PoppenbĂŒttler Ecke mit getrunken hatte? War Lisa von den MĂ€nnern zum Trinken animiert worden und hatte spĂ€ter den Unfall verursacht? Meinte sie, sie sei es, deren Leben die beiden ruiniert hĂ€tten? Danach hatten sie im Gegensatz zu ihr und Dieter nicht mit dem Trinken aufgehört und sie hatte sie bestraft. Strafe, keine Rache.
Udo blickte hoch, als Heinrich Schneider ins BĂŒro kam und seine Jacke weghĂ€ngte.
“Hallo Heinrich, wie war der Urlaub?”
“Ganz nett”, meinte der Kollege und flĂ€zte sich auf seinen Stuhl. “Was gibt es Neues?”
“Zwei erschossene Alkoholiker. Heinrich, du musst mir helfen.”


Erich, der Mann im Rollkragenpullover lĂ€chelte sanft und fragte: “Udo, wir sollten uns zuerst mit dir befassen. Wie ist es dir letzte Woche ergangen?”
“Es ist so schwer mit dem Trinken aufzuhören. Ich habe es versucht, ich habe es so versucht, und zwei Tage lang ging es gut. Dann kam es wieder ĂŒber mich, und ich habe mir eine neue Flasche Tequila gekauft.” Udo wich Lisas Blick aus.
“Und die hast du leer getrunken, nicht wahr?”, fragte Erich und schĂŒttelte den Kopf.
“Ja. Wie komme ich nur davon los?”
“Erinnerst du dich noch an den zweiten Schritt?”
“Ja”, erwiderte Udo gequĂ€lt. “Den mit der höheren Macht, die grĂ¶ĂŸer ist als wir selbst.”
“Richtig. Vertraue dich dieser Macht an. Gott wird dir den richtigen Weg zeigen.”
“Wieso”, tat Udo verwundert”, hat er mich ĂŒberhaupt den falschen Weg gehen lassen?”
“Du kennst doch das zehnte Gebot: Du sollst nicht begehren deines NĂ€chsten Weib.”
“Oh”, meinte Udo. “Das ist es.”

Als Udo in seinem Wagen Lisas Auto folgte, versuchte er cool zu bleiben. Nicht einfach bei dieser Frau. Sie hatte etwas an sich, was ihn erregte und zugleich erschreckte. Wie sie ihn ansah, mit ihrem Basiliskenblick. Wie hat sie die drei MĂ€nner dahin gebracht zu den Anonymen Alkoholikern zu gehen? Mit Erpressung? Mit Sex? Hatte sie die beiden ermordet? Sie hatte ein Motiv. Der Teilabdruck auf dem Klingelknopf stimmte mit dem auf dem Glas ĂŒberein. Nur, er war nicht komplett. Nie hĂ€tte ihm der Ermittlungsrichter einen Hausdurchsuchungsbefehl ausgestellt.
Lisa wohnte in Steilshoop, einer Neubausiedlung, die inzwischen sehr alt aussah. Er griff nach seinem Aktenkoffer und ging mit Lisa in das GebĂ€ude. Das Treppenhaus war mit Graffitti verschmiert, die Beleuchtung eine Funzel. Als Busfahrer konnte man keine großen AnsprĂŒche stellen, oder? Er sah das Namensschild an der TĂŒr. Die Frau hieß Lisa KrĂ€mer.

“Mach es Dir auf der Couch gemĂŒtlich, ich hole etwas zu trinken.”
“Brauchst du nicht, Lisa. Ich hab was mitgebracht.” Udo öffnete seinen Aktenkoffer und zog eine Flasche Tequila hervor.
“Den packst du schnell wieder weg!”, schrie Lisa erregt. “Keinen Alkohol in meiner Wohnung!”
“Entschuldige”, murmelte Udo und packte die Flasche wieder in seinen Koffer.
“Nun sag mal, Udo”, Lisa setzte sich zu ihm aufs Sofa und legte einen Arm um seine Schultern. “Warum hast du die Flasche mitgebracht? Meinst du nicht, es gĂ€be einen anderen Weg, Marisa zu vergessen?”
Sie zog ihn nĂ€her an sich, das GrĂŒn ihrer Augen sagte ihm ‘Freie Fahrt’ und er schloss die Augen, wĂ€hrend sein Mund sich auf ihren presste, seine Zunge mit ihrer einen wilden Kampf begann.
“Komm”, stöhnte sie. “Komm ins Schlafzimmer.” Heinrich, dachte Udo, als er sah, dass die TĂŒr des Kleiderschranks einen Spalt geöffnet war, dann flogen Knöpfe, als sie sich die Kleidung vom Leib rissen. Udo fand sich plötzlich nackt auf dem Bett.
“Ich werde dich Marisa vergessen lassen!”, schrie Lisa und stĂŒrzte sich auf ihn. Es war ein Rausch. Udo wusste nicht, wie ihm geschah, und es kostete ihn MĂŒhe, die Kontrolle ĂŒber sich zurĂŒck zu gewinnen. Ihr Mund glitt ĂŒber seinen Körper, ließ Nervenenden seiner Haut vibrieren, dann waren sie eins, eine dynamische Konstellation, stĂ€ndig zum Wechsel bereit. Lisa kniete ĂŒber ihm, bis ihr die Schenkel schmerzten, dann lag sie unter ihm und plötzlich fand er sich hinter ihr. Grunzen, Stöhnen, spitze Schreie brachen sich an den WĂ€nden. Die Dimension der Zeit hatte sich aufgelöst. Udo wurde sich ihr erst wieder bewußt, als Lisa erschöpft auf dem Bett lag und sich nicht mehr rĂŒhrte.
“Das war was”, keuchte sie und starrte gegen die Zimmerdecke.
“Ich weiß, und doch ist es so”, Udo verschwand im Wohnzimmer und tauchte mit seinem Aktenkoffer wieder auf, “Marisa will mir immer noch nicht aus dem Sinn.” Bevor er die BadezimmertĂŒr hinter sich schloss, sah er, wie Lisa sich im Bett aufrichtete und ihm nachblickte.
Udo öffnete den Koffer, zog die Flasche Tequila hervor und schraubte den Verschluss ab. Er hörte die TĂŒrklinke, verspĂŒrte einen Luftzug und drehte sich um. Lisas Augen sprĂŒhten, die BrĂŒste bebten, sie hatte den Finger am Abzug, und Udo dachte, d a s ist schlimmer als ne Damenwahl. Ein Knall, Udo wankte und blickte an sich hinab. Wo war der Einschuss? Er sah keinen. Dann hörte er, wie die Pistole auf die Fliesen fiel, vernahm Stöhnen. Lisa lehnte kraftlos an der Wand und hielt sich die blutende Schulter. Mit aufgerissenen Augen blickte sie auf Udo, dann sank sie zu Boden. Udo holte den Erste Hilfe-Kit aus seinem Aktenkoffer. Lisa ließ es wortlos geschehen, dass er ihre Wunde verband.
“Mann, meine Kinnlade liegt noch immer auf dem Boden.” Schneider steckte die Pistole in sein Holster zurĂŒck. “Udo, ich bin beeindruckt.” Schwang nicht Neid in Schneiders Stimme mit? “Was fĂŒr eine Ausdauer! Wie machst du das?”
Udo stieg in die Badewanne, drehte den Wasserhahn auf. “Die Schachpartie Marshall gegen Capablanca, die von 1909.”
“Was ist damit?” fragte Schneider und griff nach seinem Handy.
“Die hab ich im Geiste nachgespielt.”
“Ohne Orgasmus?”
“Doch nicht im Einsatz”, Udo grinste und lenkte den kalten Strahl der Dusche auf sich. “Da muss man einen kĂŒhlen Kopf behalten.”
“Frau KrĂ€mer, bleiben Sie liegen. Ambulanz und Polizei sind auf dem Weg. Ich bin Kommissar Schneider von der Mordkommission. Meinen Kollegen, Inspektor Schmitz, haben Sie ja schon nĂ€her kennengelernt. Frau KrĂ€mer, ich muss Sie festnehmen. Sie stehen unter Verdacht, Emil Erdmann und Heinz Eckhoff getötet zu haben.”
Nach dem ballistischen Test ihrer Waffe haben wir sie, dachte Udo, als er im Schlafzimmer seine KleidungstĂŒcke vom Boden auflas und sich anzog. Er ging ins Bad zurĂŒck.
Lisa warf ihm einen schmerzerfĂŒllten Blick zu. “Ich werde dich nie vergessen.” TrĂ€nen liefen ihre Wangen hinab. “Warum hast du nicht wenigstens so getan, als hĂ€tte ich Marisa aus deinem GedĂ€chtnis vertrieben?”
Schneider blickte Udo fragend an: “Wer zum Teufel ist Marisa?”, dann öffnete er die HaustĂŒr, ließ die Polizisten und die MĂ€nner von der Ambulanz in die
Wohnung.

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