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Februar 2003
Die alte Eiche
von Michael Metzner


Was fĂŒr ein langweiliges Nest, dachte sich Georg und schaute verĂ€rgert auf seine mit Schlamm verschmierten schwarzen Lackschuhe. Seit drei Tagen mĂŒhte er sich redlich etwas ĂŒber das Verschwinden einer 75 Jahre alten Dame zu erfahren. WĂŒrde ihm ja nichts ausmachen, aber warum gerade hier? Wie sagt man so schön in der Stadt: „Drei HĂ€user, 4 Spitzbuben!", und die Dorfstraße ist eher ein zerlöcherter Feldweg. Die Frau lebte allein am Rande des Ortes. Nichts AuffĂ€lliges, spektakulĂ€r war der Fall gleich gar nicht. Also keine Chance den Dienstgrad etwas zu verbessern. Seine rechte Hand strich ĂŒber das pomadige Haar, die Fingerspitzen steiften graue HaarstrĂ€hnen. Ärgerlich schlug er sich den Mantelkragen hoch und steuerte auf seinen blauen BMW zu. Heute ist Freitag, mehr Zeit investiere ich nicht in den Fall. Er freute sich innerlich schon auf den Skatabend in seiner Stammkneipe.

Vier Tage vorher, es ist Montag Vormittag.
Katrin Wiedeman saß allein an ihrem etwas wackeligen KĂŒchentisch, vor sich eine große Tasse Kaffee. Den trockenen RĂŒhrkuchen vom Vortag tauchte sie etwas in das braune GetrĂ€nk und langsam aber bedĂ€chtig begannen ihre Kiefern das GebĂ€ck zu zerkleinern. Die KrĂŒmel auf den Tisch störten sie wenig, interessanter war da schon der Schornsteinfeger, der sich auf ihre HaustĂŒr zu bewegte. Durch das Fenster konnte sie die Einfahrt zu dem Haus gut beobachten, das Hoftor war kaputt und stand immer offen. Wer sollte es auch reparieren, ihr Mann war lĂ€ngst verstorben und sie konnte schon seit ihrer Rente kaum noch richtig gehen. „Gott gibt`s und Gott nimmt`s, so ist das Leben“, dachte sie bei sich und griff nach dem nĂ€chsten StĂŒck.
Die Glocke schellte und unterbrach die morgendliche Ruhe der Frau. UmstĂ€ndlich stĂŒtzte sich Katrin Wiedeman auf ihr kleines WĂ€gelchen und schlĂŒrfte in den ausgetretenen Hauschuhen zur TĂŒr. Sie öffnete und der schwarze Mann richtete seinen Blick vom Namensschild freundlich lĂ€chelnd in ihre Richtung. „Morgen Frau Wiedemann, ihr Schornstein muss wieder einmal gereinigt werden. Ich störe doch nicht, darf ich reinkommen?“
Katrin winkte nur ab und ließ den Mann ins Haus.
„Frau Wiedeman, ich muss in das Obergeschoss, den Abzug kontrollieren!“, rief er ihr entgegen. „Ja, ja, ich bin ja nicht taub!“ brĂŒllte sie zurĂŒck. Schnell polterte der Schornsteinfeger die Treppe hinauf. Nach 5 Minuten kehrte er zurĂŒck und setzte sich zu ihr an den Tisch. „Alles in Ordnung Frau Wiedeman. Macht Zehnfuffzig.“ Die alte Frau holte aus ihrer SchĂŒrzentasche eine abgegriffene Brieftasche. Aus einem GeldbĂŒndel suchte sie sich einen 10 Euro-Schein heraus, mit den 50 Cent-StĂŒck hatte sie allerdings so ihre Probleme. „Könnten sie mir vielleicht helfen?“, unsicher hielt sie dem Mann das Geld entgegen. „NatĂŒrlich Frau Wiedemann!“, und dienstbeflissen suchte sich der Schornsteinfeger das goldene GeldstĂŒck aus der Menge von Kleingeld heraus. „Also dann, bis zum nĂ€chsten Mal Frau Wiedemann!“, öffnete die TĂŒr und verschwand in Richtung Wald.
Nach einer halben Stunde verließ Katrin Wiedeman ebenfalls zu ihrem tĂ€glichen Spaziergang das Haus. Vorsorglich legte sie ihre Handtasche mit dem Geldbeutel in den Korb des kleinen Wagens. Seit ihr Mann Tod war, ging sie immer zur alten Eiche im Wald. Jugenderinnerungen machten ihr das Leben etwas leichter. Und die Eiche gehörte dazu.

Freitag Mittag.
Es war seltsam, wie das Bein aus dem morschen Baum ragte. Der alte Mann blickte nachdenklich auf die alte Eiche. Wie oft hatte er in seiner Kindheit hier Eicheln gesammelt. Ja, ja die kleine Katrin vom Bauer Wegner war auch immer dabei. Und ĂŒberhaupt, eigentlich wollten sie spĂ€ter heiraten, den Hof ihrer Eltern bewirtschaften und viele Kinder bekommen. Etwas unsicher setzte er einen Schritt vor den Anderen, stocherte mit seinem Stock im Laub um etwas
festen Halt zu finden.
Katrin war immer lustig, Sommersprossen im Gesicht, blonde Haare, die im Sonnenlicht glĂ€nzten und in der Nacht leuchteten. Klein und schmĂ€chtig war sie, aber flink wie ein Wiesel. Die BlĂ€tter unter seinen FĂŒĂŸen raschelten als wollten sie ihm zustimmen. Endlich hatte er die RĂŒckseite des Baumstammes erreicht. Nichts zu sehen. Hier war der Baum noch nicht durchgefault und man konnte nicht in sein hohles Innere sehen. Der alte Mann beugte seinen hageren Körper nach vorn und betrachtete aufmerksam die grobe feuchte Rinde vor seinen Augen. Schlecht sind sie geworden, seine Augen. Das Braun in seinen AugĂ€pfeln hatte frĂŒher jedes MĂ€dchen betört, heute ist es einem matten Grau gewichen. Sein kurzsichtiger Blick erfasste ein in den Baum geritztes A+K. Schwarz waren die tief eingeritzten Rillen der Buchstaben, schwarz gefĂ€rbt von den Wetterunbilden vergangener Jahre. Anton hatte sie ihn gerufen. Immer wenn er sich in der breiten Baumkrone der Eiche versteckte, rief Katrin Ă€ngstlich nach ihm. Der Wald machte ihr schon immer etwas Angst, immer dann, wenn sie allein war. Er genoss es von oben herab zu blicken und ihre Hilflosigkeit zu spĂŒren. Heute ist von der Baumkrone nichts mehr zu sehen. Vor vielen Jahren traf sie ein Blitz und trennte sie von ihrem Stamm.
Seine FĂŒĂŸe schlurften wieder weiter durch das nasse Laub. Kleine KĂ€fer flitzten nach allen Richtungen und suchten schnell das Weite, manch Regenwurm musste die Last des Alten ertragen.
Ihr Vater konnte ihn nicht ausstehen. SpĂ€ter, als er, Anton, ein junger und krĂ€ftiger Mann war. Sein Erfolg bei den jungen MĂ€dchen war ihm ein Dorn im Auge und so tat er alles um Katrin von ihm fern zu halten. Ja, ja, sie war schon ein hĂŒbsches MĂ€dchen. Geheiratet hatte sie aber einen anderen Burschen. Und Kinder bekam sie auch nicht von ihm. Leise seufzte der Alte, holte eine altes Taschentuch aus der Hosentasche und schniefte krĂ€ftig hinein. Sein Blick traf wieder das Bein. Es war kein junges Bein. Krampfadern durchzogen die Waden und die Zehen waren schon schwarz gefĂ€rbt vom Zucker des Alters. Interessiert beugte sich Anton nach unten, um besser das Fußgelenk zu sehen. Da war sie die Narbe. Auf Lebenszeit in den Fuß gebannt, so wie das A+K in den Baum. Er konnte sich noch gut an den Tag entsinnen als Katrin mit ihrem Fuß in die Falle des Försters geraten war. FĂŒr den Fuchs war sie bestimmt, gefangen hatte sie das junge ĂŒbermĂŒtige MĂ€dchen von 20 Jahren. Der Alte spĂŒrte keine ErschĂŒtterung. LĂ€ngst hatte ihn eine GleichgĂŒltigkeit und Lethargie erfasst, die ihn von der Außenwelt förmlich abschottete. Die Einsamkeit machte ihn unempfindlich.
UmstĂ€ndlich zog seine Hand aus der Hintertasche der ausgeleierten Manchesterhose eine Gartenschere. Etwas zittrig griff die Andere den kleinen Zeh des einstmals formschönen Fußes und ein kurzes Knacken signalisierte ihm das Durchtrennen des Knöchelchens.
Sein Taschentuch war nicht sonderlich sauber, aber der Zweck heiligte wohl die Mittel. BedĂ€chtig wickelte Anton den Zeh ein und schob mit dem Stock das Bein in den hohlen Baumstumpf zurĂŒck.

Eine halbe Stunde spĂ€ter öffnete sich die TĂŒr der kleinen Polizeistation im Gemeindeamt des Dorfes. Die MotorengerĂ€usche eines davonfahrenden BMW drangen in die Stille des Raumes. Der Wachmann stĂŒtzte die Arme auf den Holztresen und schaute gelangweilt auf den alten Mann. Unter seinen Ellenbogen lag ein Steckbrief mit dem Kopf einer alten Frau. Langsam wickelte der Alte das schmutzige Taschentuch auseinander.

© Michael Metzner



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