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Februar 2003
Ein Alibi zuviel
von RĂŒdiger Schulte


„Zahlen bitte“ Der gemĂŒtliche Gastraum im Ratskeller einer kleinen westfĂ€lischen Stadt in der NĂ€he von MĂŒnster leerte sich langsam. Am Stammtisch saßen vier MĂ€nner im gesetzteren Alter vor ihrem letzten Pils und Korn. Sie hatten wie jeden Mittwoch die ausgezeichnete, wirklich hausgemachte SĂŒlze gegessen und stets dafĂŒr gesorgt, dass sie nicht allzu trocken herunter geschluckt werden musste. Und sie hatten wie immer ĂŒber Gott und die Welt geredet. Heute jedoch war das Hauptthema die bevorstehende Pensionierung des JĂŒngsten in der Runde, Karl-Heinz "Kalle" Wittpohl, 57 Jahre und Kriminalhauptkommissar der örtlichen Polizei. In sechs Wochen sollte endgĂŒltig Schluss sein. Schluss mit dem beruflichen Alltagstrott, kein mĂŒhseliges Tippen mehr von Berichten nach dem Zweifinger-Suchsystem, Schluss aber auch mit den so seltenen wirklich interessanten FĂ€llen.
"Sag mal Kalle, wie viel HĂŒhnerdiebe hast Du in Deiner Karriere eigentlich gefangen, und wie viele sind Dir durch die Lappen gegangen?" Dr. Kamender, von allen nur Doc genannt, hatte sich in den fast 25 Jahren des Stammtisches zum OberlĂ€stermaul entwickelt.
"Wer euch Schlitzohren kennt, fĂŒr den sind selbst HĂŒhnerdiebe nette Zeitgenossen. Aber nun mal ernsthaft, ich kann und will mich einfach nicht damit abfinden, dass ich in Pension gehe und ein noch recht junger Fall aus unserer kleinen Stadt im Archiv als Unfallbericht verstaubt. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen eingestellt, fĂŒr mich war es allerdings eindeutig Mord".

"Mord...bei uns...glaube ich nicht...kann nicht sein...Kalle erzÀhl...Gitta!!!noch ne Runde".
Nachdem alle mit frischem Bier versorgt waren, erzÀhlte Kalle die Geschichte:

"Ihr erinnert Euch sicher an den tragischen Unfall wÀhrend der Jagd unseres örtlichen Jagdvereins Ende September vergangenen Jahres. An der Jagd nahmen insgesamt neun JÀger teil, unter Ihnen auch Wilhelm Verskamp, 63 Jahre alt und Besitzer der hiesigen Möbelfabrik. Gegen 10 Uhr bezogen die JÀger ihre Hochsitze, Verskamp wie immer seinen abseits gelegenen Sitz an der Nordseite des Reviers, in der NÀhe der Bundesstrasse von Albachten nach Bösensell.
Gegen 12:15 fand der Jagdaufseher Verskamp regungslos unter seinem Hochsitz. Er informierte sofort den Notarzt und anschließend die Ehefrau. Der Notarzt konnte nur noch den Tod feststellen. Die Todeszeit wurde spĂ€ter auf ca. 12 Uhr festgelegt. Alles deutete daraufhin, dass Verskamp aus dem Hochsitz gestĂŒrzt war und sich das Genick gebrochen hatte. Die Untersuchungen am Tatort und auch die Obduktion ergaben keine weiteren Erkenntnisse. Verskamp galt als erfahrener JĂ€ger, der den Hochsitz vor ĂŒber 20 Jahren selbst gebaut hatte. Seine Jagdkameraden halten es fĂŒr unwahrscheinlich, dass sich Verskamp zu weit aus dem Hochsitz gelehnt hĂ€tte, um zum Beispiel das Wild besser sehen zu können, und dabei abgestĂŒrzt wĂ€re. Einer sagte sogar, Verskamp wĂŒrde sich höchstens fĂŒr ein zweibeiniges und besonders hĂŒbsches weibliches Wesen aus dem Hochsitz lehnen, aber niemals fĂŒr ein StĂŒck Wild.

Die Ehefrau des Opfers traf gegen 12:40 am Unfallort ein. Sie blieb etwa 40 Minuten und fuhr dann nach Hause, um sich, wie sie sagte ..zu sammeln. FĂŒr 16:30 wurde ein Termin bei der Polizei vereinbart.

Bei einem unnatĂŒrlichen Tod nehmen wir grundsĂ€tzlich weitere Untersuchungen vor. Es wird gefragt, wer hat ein Motiv, wer könnte von diesem Tod Nutzen ziehen. Nun, da ist einmal die Ehefrau Irene Verskamp. Sie ist die zweite Frau des VerunglĂŒckten, sehr attraktiv, 40 Jahre alt und damit 23 Jahre jĂŒnger als ihr Mann. Das Paar ist kinderlos, der Ehemann hat eine sehr hohe Lebensversicherung zu ihren Gunsten abgeschlossen, und sie ist testamentarisch als Haupterbin eingesetzt. Man munkelt ausserdem, dass sie ein VerhĂ€ltnis mit Uwe Bernsdorp hat.
Bernsdorp ist 45 Jahre alt, Innenarchitekt und den schönen, aber auch teuren Dingen des Lebens nicht abgeneigt. Er ist seit vier Jahren in der Firma als relativ hochdotierter GeschĂ€ftsfĂŒhrer beschĂ€ftigt. Seine Position wackelte in letzter Zeit bedenklich, da der alte Verskamp von den GerĂŒchten ĂŒber die Beziehung zu seiner Frau erfahren hatte.
Beide konnten jedoch fĂŒr den Tatzeitraum detaillierte Alibis vorlegen. Die Ehefrauen und Partnerinnen der Jagdteilnehmer hatten, quasi als Gegenveranstaltung, eine Kaffeetafel in einem Restaurant organisiert, an der auch Irene Verskamp teilnahm. Sie wurde wĂ€hrend des Treffens, in Gegenwart der anderen Damen vom Jagdaufseher telefonisch ĂŒber den Unfall informiert. Bevor sie zur Unfallstelle fuhr, telefonierte sie noch mit Bernsdorp. Er nahm an diesem Wochenende an einer Informations- und Weiterbildungsveranstaltung fĂŒr Innenarchitekten auf der Insel Wangerooge teil, die am Samstag abend geendet hatte. Eigentlich wollte er noch zwei Urlaubstage anhĂ€ngen, auf Bitte von Frau Verskamp sagte er seine sofortige RĂŒckkehr zu. Als Alibi legte er ein FĂ€hrticket mit Tagesdatum, ein Foto, dass ihn auf der FĂ€hre zeigte, und eine Tankquittung vom gleichen Tage vor.

Die Staatsanwaltschaft stufte den Fall als Unfall ein.

Freunde, wenn ich eine solche FĂŒlle an guten Alibis höre, dann zuckt es in meinem linken Bein, dann komme ich ins grĂŒbeln. Das ist mir zuviel des Guten“.

20, 30 Sekunden herrschte Ruhe am Stammtisch. Dann hob ein Stimmengewirr an „Könnte nicht...war da nicht...was ist auf dem Foto...ich kenn die Insel und, und, und“
Plötzlich sassen vier Kriminalisten am Tisch, jeder wollte die Akten studieren. Kalle befand sich in einer ZwickmĂŒhle, einerseits freute er sich, dass seine Kollegen helfen wollten, andererseits konnte er nicht die amtlichen Akten an einen Biertisch mitnehmen. Wie immer hatte der Doc die beste Idee: Lade uns doch einfach alle amtlich zum Verhör in dieser Angelegenheit vor. Dann können wir alle in Deinem BĂŒro in alle Akten schauen, und unsere Meinungen und Informationen dazu abgeben.

In den folgenden Tagen herrschte rege Betriebsamkeit. Man telefonierte, faxte und diskutierte. Man kam vor allem zu einer Arbeitshypothese.
Am Montag der folgenden Woche hatte Kalle Wittpohl die beiden VerdÀchtigen noch einmal zu einer Vernehmung ins PolizeiprÀsidium einbestellt. Beide wurden getrennt verhört.

"Herr Bernsdorp, ich habe Sie noch einmal hier ins PrĂ€sidium gebeten, es gibt da noch einige Unklarheiten ĂŒber Ihren Tagesablauf am Unfalltag Ihres Chefs. Sie hatten zu Protokoll gegeben, dass Sie gegen 12:20 von Frau Verskamp per Handy in Wangerooge ĂŒber den Unfall ihres Mannes informiert wurden. Sie haben sich sofort auf den Weg gemacht, die zweite und letzte FĂ€hre des Tages genommen, sind gegen 16:15 hier eingetroffen und haben sich bei der Polizei gemeldet.
Auf der FĂ€hre hatten Sie einen anderen Passagier gebeten, das letzte Bild auf dem Film in Ihrer Kamera zu verknipsen. Sie haben dieses Bild hier eingereicht. Es zeigt Sie auf dem Oberdeck der FĂ€hre, mit dem RĂŒcken zur Fahrtrichtung, auf dem Tisch vor Ihnen liegt eine Sonntagszeitung mit deutlich erkennbaren Titel vom gleichen Tag. Weit voraus sieht man die Hafeneinfahrt von Harlesiel, das bedeutet, die FĂ€hre fĂ€hrt auf SĂŒdkurs. Schauen Sie sich doch dieses Bild doch noch einmal an. FĂ€llt Ihnen etwas Besonderes auf?
Nein, dann will ich es Ihnen sagen. Wie man auf dem Foto erkennen kann, hatten wir an diesem Tag strahlend sonniges SpĂ€therbstwetter. Wenn Sie die 13:30 FĂ€hre benutzt hĂ€tten, hĂ€tte das Schiff etwa um 14:15 die Position wĂ€hrend der Aufnahme eingenommen. Zu dieser Jahreszeit steht die Sonne dann schon deutlich im Westen. Dabei wirft sie einen Schatten, der in dieser Aufnahmeposition nach links zeigen mĂŒsste. Auf Ihrem Bild fĂ€llt Ihr Schatten ganz klar zu Ihrer rechten Seite. Und das ist nur morgens möglich.
Als zweites Alibi haben Sie eine Tankquittung von der Autobahntankstelle MĂŒnsterland-West eingereicht. Auf dieser Quittung ist als Kassenzeit 15:22 ausgewiesen. Wir hatten kurz nach dem Unfall auch das Überwachungsvideo der Tankstelle sichergestellt, dass Sie deutlich mit Ihrem Wagen um 15:20 an einer ZapfsĂ€ule zeigt. Ein Tankstop war allerdings ĂŒberhaupt nicht nötig. Sie haben nur 32 Liter getankt, der Tank Ihres Wagens fasst aber 72 Liter. War das etwa nur zur Alibibeschaffung?

Herr Bernsdorp, Sie haben die FrĂŒhfĂ€hre um 8 Uhr ab Wangerooge genommen, sind ca. um 9 Uhr in Harlesiel angekommen, und sind auf schnellstem Wege nach Hause gefahren. Sie waren hier gegen 16:10 bei der Polizei. Was haben Sie in den dazwischen liegenden sieben Stunden gemacht?
Wo befanden Sie sich, als Frau Verskamp Sie ĂŒber den Unfall informierte?“.
Mit den gleichen Fakten wurde auch Irene Verskamp immer wieder konfrontiert. Sie war es, die als Erste zusammenbrach und ein GestÀndnis ablegte.

Auch an diesem Mittwoch tagte die Stammtischrunde wieder im Ratskeller. Jedoch nicht wie gewohnt in der gemĂŒtlichen Gaststube, sondern im rustikalen Jagdzimmer. Kalle erzĂ€hlte noch einmal die ganze Geschichte, so wie sie sich wirklich zugetragen hatte:

„Es war ein von langer Hand vorbereiteter und sorgfĂ€ltig geplanter Mord. Das Motiv dafĂŒr war reine Geldgier, vor allem die hohe Lebensversicherung und die Übernahme des florierenden Betriebes. Und es ging um das LiebesverhĂ€ltnis von Irene Verskamp und Uwe Bernsdorp, der alte Verskamp hatte davon erfahren und drohte sogar mit einer Scheidung.
Der Jagdtermin stand schon seit dem FrĂŒhsommer fest. Um die nötigen Alibis zu konstruieren, hatte sich Bernsdorp zu einer Veranstaltung auf Wangerooge angemeldet, und Irene Verskamp den Kaffeeklatsch angeregt. Am Tattag nahm Bernsdorp die FrĂŒhfĂ€hre von Wangerooge, und fuhr auf der A1 bis zur RaststĂ€tte MĂŒnsterland-West. Dort parkte er seinen Wagen versteckt hinter einigen LKWs und verliess das GelĂ€nde ĂŒber ein angrenzendes WaldstĂŒck in Richtung eines kleinen landwirtschaftlichen Nutzweges.
Irene Verskamp machte sich gegen 10:45 auf den Weg. Sie fuhr jedoch nicht direkt zum Kaffeeklatsch, sondern zum vorher vereinbarten Treffpunkt in der NÀhe der RaststÀtte. Dort stieg Bernsdorp zu ihr ins Auto. Sie setzte Bernsdorp in der NÀhe des Hochsitzes von Verskamp ab und fuhr dann erst zu ihrem Treffen.
Bernsdorp schlich sich durch das kleine WaldstĂŒck zum Hochsitz und erklomm diesen. Nach einem kurzen Handgemenge stĂŒrzte er Verskamp ĂŒber die BrĂŒstung in die Tiefe. Er hat spĂ€ter zugegeben, dass er notfalls das Opfer noch mit einem Stein erschlagen hĂ€tte, wenn es noch Lebenszeichen gegeben hĂ€tte. Anschliessend versteckte er sich im Wald und wartete auf einen Anruf von Irene Verskamp, dass sie nun den Unfallort verlĂ€sst. An einem vereinbarten Treffpunkt stieg Bernsdorp wieder in ihr Auto. Sie fuhr ihn zunĂ€chst in die NĂ€he der RaststĂ€tte und setzte ihn dort ab, dann weiter nach Hause.
Bernsdorp schlich sich zum RaststÀttenparkplatz, wartete noch einige Zeit in seinem Wagen, tankte um sich ein weiteres Alibi zu verschaffen und fuhr dann direkt zur Polizei.

Ja Freunde, zwei grosse Fehler haben die TĂ€ter gemacht. Einmal haben sie versucht, allzu perfekte Alibis zu konstruieren, das Foto auf der FĂ€hre hat schliesslich zur AufklĂ€rung beigetragen. Und zweitens haben sie die Pfiffigkeit dieser Runde unterschĂ€tzt“.

Kalle hatte eingeladen. Man hatte schließlich einen gemeinsamen Sieg zu feiern. Es gab RehrĂŒcken in Wacholderrahmsauce, dazu Rotkraut und Knödel. Als Wein hatte Kalle einen wundervoll samtigen 93er Rioja Reserva ausgewĂ€hlt. Aber wie das bei den echten Westfalen so ist, selbst nach dem besten Wein kommt irgendwann einmal der richtige Durst. Und den löscht man in diesem Landstrich nur mit Pils. Und das floss in dieser Nacht noch reichlich.

 RĂŒdiger Schulte

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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