Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Mrz 2003
Der Totenkaffee
von Karl-Heinz Ganser


“Ist das nicht eine Schande?” seufzte der unverheiratete Neffe von Onkel Paul und wies mit der Hand auf die vielen unbenutzten Gedecke hin, die auf den Tischen im Saal standen. Die meisten Trauergäste waren inzwischen gegangen, nachdem sie ausgiebig Kaffee getrunken und Kuchen gegessen hatten.
“Das muss man sich mal vorstellen! Da sind einfach an die sechzig Leute nicht zur Beerdigung gekommen, obwohl ich sie schriftlich eingeladen hatte.”
Wie er so im ungebügelten, schwarzen Anzug dastand, konnte er einem schon fast leid tun.
“Sechzig mal fünfzehn Euro, das sind ... ja, das sind ja fast tausend von dem schönen, neuen Geld”, stellte er bekümmert fest.
Ich klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter.
“Es trifft ja keinen armen Erben, denn der Onkel hat dir ja bestimmt einiges vermacht, nehme ich mal an, oder?”
Er sah mich an und dann grinste er.

Auf dem Heimweg blieb meine Frau plötzlich stehen, zupfte mich am Ärmel und sagte:
“Ich hoffe, dass uns so etwas nicht passiert, wenn Opa stirbt, nicht wahr?”
“Wie willst du das verhindern?” fragte ich erstaunt.
“Ganz einfach!” meinte sie. “Ich hab da eine Idee!”
Und dann erklärte sie mir ihren genialen Plan:
Wir schreiben alle Verwandten und Bekannten an und bitten sie, im Terminkalender nachzusehen, ob sie am zwölften Mai zur Beerdigung unseres Opas kommen können. Auf der beigefügten, gebührenpflichtigen Rückantwortkarte sollen sie dann ankreuzen, ob sie Opa das letzte Geleit geben wollen und einen Kranz oder Geld mitbringen.
“Wie kommst du denn auf den zwölften Mai?” fragte ich überrascht und lachte laut.
“Opa hat mir vor ein paar Tagen sein Jahreshoroskop vorgelesen und da stand unter dem zwölften Mai, dass er an diesem Tage, das Gefühl haben werde, in den Himmel aufzufahren”, verkündete meine Frau stolz. “Und da Opa ein gläubiger Mensch ist, hatte ich den Eindruck, dass er das sehr ernst genommen hat”, fügte sie hinzu.
Ehe ich etwas sagen konnte, redete sie weiter. “Du weißt doch auch, dass er nur tausend Euro für die Kaffeetafel auf seinem Sparbuch angesammelt hat. Und vergiss bitte nicht, dass die Gesundheitsministerin auch noch das Sterbegeld kürzen will.”
Sie sah mich an, und in ihrem Blick lag die Erkenntnis, dass sie sich schon lange ausgerechnet hatte, dass von Opas Erbe nicht mal ein Pelzmantel für sie übrig bleiben würde.
“Ja, mein Lieber!” sagte sie dann und es klang leicht vorwurfsvoll: “Ist es denn richtig, dass wir, letzten Endes Geld für Kaffe und Kuchen ausgeben sollen, nur weil so einige Leute keine Lust oder Zeit haben, um zum Begräbnis von Opa zu kommen?”
Ich war richtig perplex, über das, was meine, sonst so zurückhaltende Frau da alles von sich gegeben hatte. Sie muss sich wohl in letzter Zeit sehr viele Gedanken über unseren Opa und seinem Ableben gemacht haben.
Und während ich noch in Gedanken versunken war, stieß sie mich an und sagte: “Komm! Jetzt gehen wir nach Hause und dann besprechen wir das alles mit Opa!”

©Karl-Heinz Ganser




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