Das alte Buch Mamsell
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Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
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März 2003
Auf zu neuen Ufern
von Katja Obring


Mit steinerner Miene rührt der General in der für ein Nahrungsmittel zu gelben Suppe.
„Sagen Sie mal, Kaluppke, was ist denn dass hier für ein Fraß?“
Kaluppke salutiert und schmettert: „Maissuppe, Herr General.“
„Maissuppe?“
„Jawoll, Herr Gerenal.“
„Bringen sie mir den Hauptgang, mir ist heut nicht nach Suppe.“
„Jawoll, Herr General.“

Wütend fegt der Offizier das Popcorn vom Nachttisch und springt auf.
„So eine Scheiße, verdammte!“, brüllt er. „Dafür zahl ich nicht!“
Sweet Sally (im bürgerlichen Leben Sabine Swetlofskaja) räkelt sich auf dem Seidenlaken und lacht. Nicht laut, und nicht einmal abfällig, aber offensichtlich. Der Offizier wird rot und klemmt sich den Penis im Reißverschluss. Das erheitert Sally noch mehr, und sie kann nicht an sich halten:
„Hoch kriegsten nich, aber klein schon, wa?“
Der Offizier würde gern etwas antworten, etwas Gemeines, aber sein Hirn ist wie leer gefegt. So steht er da, mit dem eingeklemmten Penis, und guckt wie ein Schaf mit Bluthochdruck, was Sally wiederum ein Lachen entlockt.
„Zweihundertfuffzich, wie abgemacht,“ kichert sie.
„Keinen Pfennig,“ der Offizier hat seine Stimme wiedergefunden. „Keinen gottverdammten Pfennig!“

Fredy „Fox“ Breitbacher hebt beschwichtigend die Hände.
„Ist ja gut Mädels, ist ja gut. Ich hab die line gecheckt. Die Jungs aus der Kaserne kriegen keinen mehr hoch, alle. Und ihr meint, die werden vergiftet, oder was? Wie blöd seid ihr eigentlich? Meint ihr, die Bundeswehr würde ihre eigenen Soldaten vergiften? Wozu denn das?“
Sally murmelt etwas vor sich hin, und nach einer ermutigenden Ohrfeige von Fox wiederholt sie für alle hörbar: „Die machen bestimmt Experimente mit denen. Dat haben die Amis auch schon gemacht, mit ihren Jungs.“
Fox lacht übertrieben laut.
„Meine Fresse, Sally. Benutz deine Phantasie bei der Arbeit und verschon uns mit deinen Gedankenergüssen. Und jetzt los, Mädels, es gibt viel zu tun, packen wir sie an!“ Das war sein Lieblingswitz, aber nur die ganz neuen Mädels täuschten Erheiterung vor. Sally spuckte auf den Boden.
„Dat isset ja, Fox. Eben nich.“

Der General mustert den Stapel Briefe, den Kaluppke ihm auf den Schreibtisch gelegt hat, ordentlich Kante auf Kante. Das war nicht leicht gewesen, bei so vielen, und alle unterschiedlich groß. Seufzend nimmt der General den ersten hoch und schlitzt ihn auf. Wie er erwartet hat, ist es ein anonymer Brief, aus Zeitungsschnipseln zusammengesetzt.
„Was tut ihr uns ins Essen? Oder ist es im Wasser? Ich werde mich bei der Regierung über Sie beschweren!“, steht da in kunterbunten Lettern.
Der nächste: „Gestern wollte meine Gerda endlich mal wieder – na, Sie wissen schon – und was ist? Nichts ist! Daran seid nur ihr Schuld!“ Die Schrift lässt auf einen älteren Herren schließen.
Das Klingeln des Telefons ist eine willkommene Unterbrechung. Der General nimmt den Hörer ab und schmettert ein kräftiges „General Matthäus Maier, Kompanie Obersalzberg.“ Dann lauscht er eine Weile. Schließlich sagt er: „Jawoll, Herr Bürgermeister, ich habe verstanden. Ich werde mich darum kümmern.“ Sachte legt er den Hörer auf die Gabel, dann brüllt er: „Kaa-luppke!“
Der hat vor der Tür gewartet und ist mit der taktischen Verspätung von genau zweiundreißig Sekunden zur Stelle.
„Jawoll, Herr Oberst!“ Stramm steht er da und salutiert.
„Kaluppke, kümmern Sie sich darum, dass die gesamte Maislieferung, die wir letzte Woche vom Landwirtschaftsministerium geschickt bekommen haben, sofort eingezogen und in Halle 3 geschafft wird. Sicherheitsstufe Eins.“
Kaluppke hätte gern fragend die Augenbraue hochgezogen, aber aufgrund einer lang zurückliegenden Erkrankung leidet er an einer partiellen Lähmung der Gesichtsmuskeln. Also blickt er weiter geradeaus, doch es folgt keine weitere Erklärung.
„Was ist los, Kaluppke, worauf warten sie? Schriftliche Einladung?“
„Nein, Herr General, sofort, Herr General.“
Und weg ist er.

Der Bürgermeister schüttelt dem General die Hand, dann dem Mann vom Landwirtschaftsministerium. Sie stehen in Halle Drei vor fünf Tonnen genmanipulierten Maiskörnern, ordentlich verpackt in Tütchen, die wiederum in Kartons stecken, mit denen hölzerne Kisten gefüllt sind.
"Was machen wir denn jetzt mit dem Zeug?"
Der Mann vom Landwirtschaftministerium reibt sein Kinn. Der Bürgermeister betrachtet die Wache vor der Tür.
"Ist das nicht ein bisschen absurd, diesen Mais scharf bewachen zu lassen? Ist es denn überhaupt erwiesen, dass der Mais die, äh, die "Kampfuntauglichkeit" ihrer Männer im privaten Nahbereich verursacht hat?"
Der General starrt mit unbeweglichem Gesicht in imaginäre Fernen. Der Mann vom Landwirtschaftsministerium nickt, "ja, ich befürchte, da gibt es keinen Zweifel. Die Maishybriden sind so konzipiert, dass sie auf keinen Fall Nachkommen produzieren können, das scheint sich in unvorhergesehener Weise auf den menschlichen Organismus auszuwirken. Wir werden den genaueren Zusammenhang noch erforschen."
Der General räuspert sich. "Was machen wir denn jetzt mit dem Zeug?"
Betretenes Schweigen breitet sich aus.

An einem weit vom Obersalzberg entfernten Ort lächelt der UNO-Vertreter den gastgebenden Diktator an und bietet ihm von den Knabbereien an.
"Wir sind in dieser Frage mehr an einer langfristigen Lösung interessiert," sagt er und beobachtet zufrieden, wie der Mann sich eine Handvoll Popcorn in den Mund schaufelt.
"Und der Mais ist vielseitig verwendbar," setzt er noch hinzu, während er den Vertrag mit den Einzelheiten des "Food-for-oil-programs" aus der Tasche zieht und ihn sorgfältig auf dem Tisch glattstreicht.


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