Herr Müller steht am Gleis 2 im Bahnhof Donauwörth. „Der Regionalexpress von München nach Würzburg hat 20 Minuten Verspätung. Ich wiederhole...“, eine weibliche verrauchte Stimme spricht durch die Lautsprecher. Herr Müller blickt auf die Uhr. „Scheiße, in 30 Minuten ist mein Meeting in Treuchtlingen! Wie soll ich das nur schaffen?“ Er blickt um sich und schaut nach einem Informationsschalter – vergeblich, denn die Bahn hat ja begonnen die Schalter an einigen kleinen Stationen zu schließen. Um die Zeit ein wenig zu überbrücken nimmt er sich die Plakate vor, die an einer Wand hängen. „Die Bahn kommt“, das ist zwar schon ein älterer Spruch, aber er passt noch gut und daneben ein Plakat mit dem markanten Spruch „So ist es in Ordnung.“ Punkt!
So ist es in Ordnung... Aber natürlich ist es das, wenn man auf Service verzichtet. Aber wo ist der Kunde heute noch König? Hier ganz bestimmt nicht! Auf den Plakaten winkt ein gut gelaunter Schaffner. Mein Gott ist der fröhlich! Wenn der wüsste, dass ich gerade 20 Minuten auf einen Zug warten darf. Gott sei Dank kam eine Werbeagentur auf den glorreichen Gedanken, dem Bahnfahrer mit diesen Plakatsprüchen die letzte Hoffnung, dass der Zug nun doch nicht kommt, nicht zu nehmen. Hat alles seine Ordnung!
Und so ist das halt, wenn man pendeln muss und kein Auto besitzt. Da will man umweltbewusst sein und was hat man davon? „Achtung an den Bahngleisen. Der Regionalexpress auf Gleis 2 von München nach Würzburg fährt ein.“ „Gut, endlich! Dann schaffe ich es ja vielleicht doch noch rechtzeitig zur Arbeit zu kommen.“
Der Regionalexpress fährt ein, bremst und die Türen öffnen sich automatisch. Das Band spricht eine Begrüßung für die Leute, die jetzt eigentlich aussteigen sollten, es aber nicht tun, weil in solchen Dörfern sehr wenige noch ein – und aussteigen. Herr Müller setzt sich auf einen freien Platz. Neben ihm schnarcht ein dickbäuchiger alter Herr. Schulkinder machen noch ihre Hausaufgaben. Alles ist so wie sonst.
Nach einem Drittel der Strecke öffnet sich die Tür und der Schaffner betritt das Abteil. „So, die Fahrscheine bitte!“ Dieser Ton! Herr Müller vergleicht ihn mit dem Plakat-Schaffner. So vieles scheinen sie ja nicht gemeinsam zu haben. Dynamik fehlt ihm schon, er wirkt nicht sehr kundenfreundlich. Herr Müller durchforstet seine Tasche, holt den Schein raus und streckt ihm dem Bahnbediensteten hin.
„Hier!“
Der Schaffner schaut eine Weile auf das Ticket, dann mustert er den Pendler. Es sieht so aus, als würde er kurz kalkulieren.
„Ja, und zwar: Sie haben ein falsches Ticket gekauft. Sie müssen berücksichtigen, dass wir ab heute ein neues System haben, dass sich auf die Fahrpreise ausgewirkt hat. Und ihr Ticket ist leider falsch!“
„Neues System? Wie ist das denn zu verstehen?“
„Gute Frage. Ich kann sie ihnen nicht beantworten. Fragen sie doch einfach an einem der Informationsschalter nach, wenn Sie jetzt aussteigen!“
„Informationsschalter! Dass ich nicht lache. Typisch!“
„Was haben sie für Probleme?“
„Wissen Sie, guter Herr, die Bahn hat begonnen die Informationsschalter an kleinen Bahnhöfen zu schließen. Aber das können sie natürlich nicht wissen! Sie wissen ja nicht mal, was dieses neue System bedeutet! Wissen sie, was ich alles zu bezahlen habe? Können sie sich das vorstellen? Und jetzt verzichte ich extra auf ein Auto, um als Pendler die Umwelt zu schonen. Und dann muss ich noch mehr bezahlen? Das ist ja konfus.“
„Beruhigen sie sich doch. Wir können doch in einem normalen Tonfall miteinander reden. Da gibt es eigentlich auch nichts zu reden, denn ich muss Sie bitten jetzt dann auszusteigen, um sich ein neues Ticket zu kaufen.“
„Aussteigen? Ich? Nein, keinesfalls. Ich habe in 5 Minuten ein Meeting, ich hab es eilig.“
„Die Bahn auch. Wir haben schon Verspätung, da können wir jetzt nicht noch auf Sie warten, wenn sie ein falsches Ticket haben.“
„Aber,..“
„Falsches Ticket ist falsches Ticket. Und die Bestimmungen lauten so, dass ich Sie nun auffordern muss den Zug zu verlassen und ein richtiges Ticket zu kaufen. Ist das so schwer?“
Daraufhin muss Herr Müller den Zug verlassen. Wieder steht er an einem gottverlassenen Bahnhof. Sein Blick sucht nach einem Informationsschalter. Aber nein! Nur eine Tafel: „Ab heute gilt ein neues System. Bitte beachten Sie dies beim Kauf ihrer Karten!“ Daneben lächelt wieder der junge dynamische Schaffner. Herr Müller läuft zum Automaten. Vorbei an den Plakaten mit diesen markanten Sprüchen, welche die Bahn so charakterisieren. Er drückt einen Knopf, es macht kurz ein klackendes Geräusch und dann kommt die Laufmeldung: „Dieser Apparat ist noch nicht umgestellt auf das neue System der Bahn. Wir bitten dies zu entschuldigen und zu berücksichtigen beim Kauf einer Karte.“
Mit der letzten Kraft, die Herr Müller noch aufbringen kann nach diesem anstrengenden Wortgefecht, kriecht er zu einer Bank. Er hieft sich langsam hoch und ruht sich erst mal aus. Frische Luft! Herr Müller atmet tief ein und seine Hand greift zum Handy. Er wählt die Taxi – Kurzwahl.
Man sichert ihm zu, sofort zu kommen. Das ist zuverlässig! Herr Müller blickt auf seine Uhr – das Meeting hatte gerade begonnen.
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