Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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März 2003
Multilaterales Murmeln
von Angelika Brox


Der kleine George W. wünschte sich dringend Murmeln, und da seine Eltern vermögend waren, kauften sie ihm einen großen Beutel voller wunderschön schimmernder Glaskugeln. In bester Laune marschierte Georgie zum Spielplatz, um mit den anderen Kindern zu knickern. Leider waren seine Mitspieler viel erfahrener in dieser Kunst, so dass der Ärmste in kürzester Zeit zwanzig Murmeln verlor. Wütend rief er: „Die Regeln sind doof! Ich will, dass wir die Regeln ändern!“
Normalerweise gingen die anderen auf Georgies Wünsche ein, weil er ein reiches Kind war und die Freundschaft mit ihm Vorteile bringen konnte. Aber hin und wieder geschieht es, dass Menschen mit einer altvertrauten Gewohnheit brechen. Oft ist niemand davon überraschter als sie selbst. Dieses Mal waren es Jacques und Gerhard, auch Jacky und Gerdy genannt, die unversehens die Gefolgschaft verweigerten. Sie standen auf und sagten: „Wenn du die Regeln änderst, spielen wir nicht mehr mit.“
Georgie konnte es kaum glauben, dienten doch seine Vorschläge stets dem Wohl aller Beteiligten. Aber wusste, was in solchen Fällen zu tun war. Er stampfte mit den Füßen und starrte die Aufmüpfigen grimmig an. Leider funktionierte der Einschüchterungsversuch diesmal nicht, was Georgie maßlos erstaunte; es fehlte ihm die Lebenserfahrung, die uns lehrt, dass, nachdem man sich einmal aus dem Fenster gelehnt hat, man nicht mehr so ohne weiteres zurückkann. Jacky und Gerdy waren gerade dabei, diese Lektion zu lernen. Sie sammelten ihre Knicker vom Boden und verließen den Ort des Geschehens. Weitere Abtrünnige folgten ihnen. Georgie konnte es kaum fassen. Er rief ihnen erboste Schmähreden hinterher, die in dem Ausruf gipfelten: „Bald werdet ihr alle ganz allein sein, ihr werdet es schon sehen!“
Die kleine Condoleeza stupste ihn an. „Ich fürchte, DU wirst bald ganz allein sein“, sagte sie und wies auf das nahezu verwaiste Knickerloch. Dort hockten nur noch Tony und Saddy, wobei Tony ergeben zu Georgie aufsah, während Saddy stillvergnügt vor sich hin knickerte und ab und zu heimlich eine gegnerische Murmel in seiner Hosentasche verschwinden ließ.
Mit offenem Mund starrte Georgie Condoleeza an. „Ich glaube, du hast Recht“, sagte er.
Sie lächelte dezent. „Du musst noch einiges über das Murmelspiel lernen; es ist nämlich komplizierter, als du denkst. Du setzt einen Knicker in Bewegung und glaubst, dass du weißt, wohin er rollen wird. Aber die kleinste Unebenheit kann ihn in eine andere Richtung lenken. Vielleicht kullert er unbehelligt zwischen den anderen Knickern hindurch, vielleicht berührt er aber auch einen von ihnen, und das hat wiederum Auswirkungen ...“
Georgie schluckte und zog mit einer Fußspitze Linien auf den Boden. „Ich mag es aber nicht kompliziert“, sagte er schließlich trotzig. „Los, erklär es mir einfacher!“
Wieder umspielte ein Lächeln Condoleezas Lippen, als sie antwortete: „Na schön, George Troubleyou. Man kann die Sache auch ganz einfach betrachten. Schau, da sitzt Tony und wartet ab, was du als nächstes vorhast. Tony ist also der Gute. Und dort hockt Saddy; er nutzt die günstige Gelegenheit und mogelt, was das Zeug hält. Er ist der Böse. - Weißt du jetzt, was du zu tun hast?“
Georgies Gesicht leuchtete auf. Kurz entschlossen stapfte er zu Saddy hinüber, packte ihn beim Kragen und haute ihm kräftig auf die Nase.
„Das sag’ ich meinen großen Brüdern!“, heulte Saddy los und kehrte ihnen beleidigt den Rücken zu, nicht ohne noch schnell zwei von Tonys Murmeln zu klauen. Blutstropfen prägten kleine Krater in den Sand.
Bewundernd sah der kleine George W. Condoleeza an. „Du bist ja so klug! Weißt du schon, was du werden willst?“
Sie zögerte keine Sekunde. „Präsident im Weißen Haus.“
„Das geht doch nicht!“ Georgie kugelte sich vor Lachen auf dem Boden. „Du bist kein Mann, nicht weiß und nicht reich!“
Condoleezas Gehirn verarbeitete diese Informationen blitzschnell, und sie sagte, äußerlich ungerührt: „Das ist egal. Dann machst du eben den Präsidenten und ich werde deine Beraterin.“
„Einverstanden.“
Sie schüttelten sich die Hände.
‚Zusammen werden wir die Knicker schon richtig einlochen’, dachte Condoleeza.
‚Wenn ich nicht will, dann höre ich einfach nicht auf sie’, dachte George.


 Broxi 2003

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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