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Der Ampelmann, eine Erfolgsstory von Volker Beilmann
Dies ist die Geschichte meines Berufes, eine Erfolgsgeschichte.
Es ist ein relativ neuer Beruf mit großer Zukunft.
Ich bin ein Pionier.
Vermutlich der erste.
Weiß jemand, was ein Ampelmann ist?
Nein?
Dann hört gut zu.
Ich lebe in einer kleinen Gemeinde, da, wo sich Hase und Fuchs gute Nacht sagen. Aber immerhin, es gibt eine Grundschule und einen Kindergarten. Beides auf einem Haufen. Und wo Kinder über die Straße gehen, gibt es natürlich auch eine Ampel. Soweit, so in Ordnung. Jahrelang fristete diese Ampel ein einsames Dasein, bis der Gemeinderat beschloss, eine zweite Ampel aufzustellen. Sozusagen eine Eva-Ampel. Schließlich sind wir eine aufstrebende Gemeinde, und jeder Aufschwung beginnt mit einer neuen Ampel. Doch wohin damit?
Man entschied sich für den Ortskern, dort wo das Leben tobt. Zumindest zweimal am Tag, in einem verdächtigen Zusammenhang mit dem Berufsverkehr. Zugegeben, in diesen beiden Stunden herrscht wirklich dichter Verkehr und es ist tatsächlich manchmal schwierig, über die Straße zu kommen. Aber in der restlichen Zeit? Ein Traktor hier, eine Pferdekutsche da. Ampel überflüssig. Das hatte sogar der Gemeinderat erkannt und die neue Ampel mit grenzenloser Weitsicht als reine Bedarfsampel ausgelegt. Bedarfsampel heißt:
Ampel komplett aus, bis Fußgänger oder Radfahrer auf Ampelaktivierungsknopf drückt. Dann Ampel an. Grün für Fußgänger oder Radfahrer, rot für Auto, oder Traktor, oder Pferdekutsche. Eine gute Lösung, intelligent und verkehrsgerecht. Aber der Gemeinderat hatte die Rechnung ohne die weit verbreitete Ampelneurose der gemeinen Gemeindemitglieder gemacht. Man stelle sich vor, ein Fußgänger oder Radfahrer nähert sich der Ampel:
„Oh, schau, eine Ampel, eine Ampel!"
Innere Stimme:
"Darf man bei Nichtgrün über die Ampel gehen?"
Antwort:
"Nein, nein, darf man nicht!"
Innere Stimme:
"Auch dann nicht, wenn die Ampel abgeschaltet ist?"
Antwort:
"Keine Ahnung."
Hin und her gerissen steht der Fußgänger oder Radfahrer vor der toten Ampel, von tiefen Erziehungsängsten gequält, bis eine Hand unkontrolliert hervorzuckt und zack, schon ist der Knopf gedrückt. Was passiert? Die Ampel springt an und das kleine Männchen wird grün. Sonst ändert sich nichts. Kein Auto, das anhält, nicht mal ein klitzekleiner Traktor. Von einer Pferdekutsche ganz zu schweigen. Ist das nicht frustrierend?
Innere Stimme:
"Warum stiehlt mir diese Ampel meine Zeit?"
Antwort:
"Der Gemeinderat hat Schuld."
Die Beschwerden häuften sich, eine sinnvolle Lösung musste her. Nach tagelangen Beratungen ein genialer Einfall:
"Wir brauchen einen Ampelmann."
Und dann kam ich ins Spiel. Schon lange genervt durch meinen unterbezahlten Pilotenjob kam mir das Angebot gerade recht. Flugs unterschrieb ich einen Zehnjahresvertrag mit großzügiger Pensionsregelung, ließ den Einbau einiger technischer Kleinigkeiten in meinem Haus zu und konnte schon ein paar Tage später meine verantwortungsvolle Tätigkeit als Ampelmann aufnehmen.
Immer, wenn jetzt so ein ampelneurotischer Mensch auf den Knopf drückt, wird bei mir Alarm ausgelöst. Na ja, nicht immer. Während der oben genannten zwei Stunden natürlich nicht. Dann darf ich ausruhen. Mein Feierabend. Außerdem gibt es ein paar Sonderfälle, bei denen ich auch nicht einschreiten darf. Kinder zum Beispiel. Aber ansonsten beginnt jetzt mein Auftritt. Ich stülpe mir eine Perücke über, ziehe meine Sonnenbrille auf und schwinge mich in eins meiner mir von der Gemeinde zur Verfügung gestellten zehn Autos. Manchmal auch auf einen Traktor oder eine Pferdekutsche. Dann rase ich Richtung Ampel. Geschwindigkeit spielt keine Rolle, man hat so seine Privilegien. Der Schaltmechanismus der Ampel ist jetzt von mir per Fernbedienung steuerbar. Kurz vor der Ampel löse ich die Rotphase aus und komme im letzten Moment mit quietschenden Reifen zum Stehen. Manchmal auch mit qualmenden Hufen. Der Ampelneurotiker schaut mich strafend und triumphierend zugleich an:
"Schon wieder so einen Rowdy zur Raison gebracht", lese ich in seinem Blick, "gar nicht auszudenken, was alles hätte passieren können, so ganz ohne Ampel." Kopfschüttelnd und befriedigt überquert er die Straße. Das sind für mich Augenblicke höchsten Glücks. Das ist wahrer Dienst am Kunden.
Es gab keine Beschwerden mehr, die Ampel wurde akzeptiert, ich wage fast zu behaupten, sie wird mittlerweile sogar geliebt. Alles mein Verdienst.
Doch irgendwann wird selbst der verantwortungsvollste und schönste Job zur Routine. Langweilig. Ich war nahe dran, die Kündigung einzureichen (meine Pensionsansprüche sind natürlich gesichert), da kam die Rettung. In einer nahe gelegenen Kleinstadt war gerade eine Umgehungsstraße fertig gestellt worden. Natürlich mit entsprechender Ampelanlage. Sehr sinnvoll, in den bereits mehrfach erwähnten zwei Stunden. Aber sonst?
Der einsame Autofahrer steht um Mitternacht an einer total verwaisten Kreuzung vor einer minutenlang im prächtigsten Rot erstrahlenden Ampel und fragt sich nach dem Sinn des Lebens.
Die Beschwerden häuften sich. Die nahe liegende Lösung, die Ampelanlage in verkehrsarmen Zeiten einfach abzuschalten, kam überhaupt nicht in Frage. Dafür hatte man ja schließlich nicht soviel Geld investiert. Und außerdem, wo bliebe dann die Sicherheit? Wenn jeder so einfach, so unkontrolliert, über die Kreuzung fahren dürfte? Nach wochenlangen Diskussionen dann die Lösung. Irgendjemand hatte vom Ampelmann in der kleinen Nachbargemeinde gehört. Diese neue Herausforderung kam für mich gerade zum richtigen Zeitpunkt.
Jetzt kann ich mein ganzes Talent ausspielen. Wenn der Ampelalarm ertönt, brause ich hin und zische in atemberaubendem Tempo an dem verschreckten Autofahrer vorbei. Außer Sichtweite, wechsele ich den Wagen und mein Outfit und das gleiche Spiel beginnt aus der anderen Richtung von neuem. Je nach Schwere des Falles und Lust und Laune kann ich diese Übung beliebig oft wiederholen. Irgendwann erlöse ich das arme Opfer, schalte die Ampel auf grün und warte hingebungsvoll, bis es verschwunden ist. Ich weiß, es wird der Ampel danken, im sicheren Bewusstsein, ohne sie nie eine Lücke im dichten Verkehrsgetümmel gefunden zu haben.
Nun war mein Erfolg nicht mehr aufzuhalten. Andere Gemeinden kamen hinzu, die Nachfrage stieg unaufhörlich. Ich kündigte nun tatsächlich (die Pensionsansprüche sind gesichert) und gründete die AmpSinn GmbH.
Mittlerweile beschäftigt meine Firma über 50 Angestellte und wächst täglich. Ich fahre natürlich schon lange nicht mehr selbst, habe meinen Aktionsradius bereits weit über das Kreisgebiet ausgedehnt und überzeuge auf langen Vortragsreisen auch die kleinsten Gemeinden, wie sehr doch das träge Ortsbild durch eine schöne, neue Ampel sinnvoll aufgepeppt werden kann.